Auftakt: Das Sokratische Gespräch und Yoga

- ein Experiment - Dazu noch Neues von Byung-Chul Han, Giorgio Agamben, Peter Sloterdijk und Thomas Metzinger

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Ihre Freitag-Redaktion

Autonomes Seminar an der Humboldt-Universität zu Berlin – seit 1998 - Das Autonome Seminar wird ehrenamtlich organisiert, ist entgeltfrei und offen für alle. - Verantwortlich und Infos: Wolfgang Ratzel, Tel. 030-42857090

eMail: autonomes.seminar@t-online.de - http://autonomes-seminar-humboldt.webs.com/

Berlin-Pankow, den 5. April 2013

EINLADUNG ZU DEN ZWEI AUFTAKTVERANSTALTUNGEN ZUM SOSE 2013

Unser SoSe beginnt mitten in Krisenspirale und Atomkriegsgeschrei. Wohlan denn in die nächste AutS-Runde der ewigen Wiederkehr des Gleichen. Doch zeigt sich die Differenz zum Selben gleich am Donnerstag.

Im Anfang davor steht aber erst einmal das Joch des Yoga für eingerostete DenkerInnen

Do, 11. April, 17:00 - 18:00: Kirsten Reuther: Osteopathisches Yoga - Bitte möglichst zwei Yoga-Blocks mitsamt einer Unterlage mitbringen – im Notfall helfen unsere AutS-Küchenrollen.

Danach, um 18:00 c.t. bis 20:30 Uhr folgt der Philosophischer Lektürekurs mit dem Experiment: Das sokratische Gespräch

Einführung von Jan Köttner anhand von Platons frühem Dialog Euthyphron (rororo-Sämtliche Werke, Band 1)– Wir werden dieses kurze, fast unbekannte Meisterstück sokratischer Ironie gemeinsam lesen und jenen Zustand der Verwirrung und des Erwachens kennenlernen, in den Sokrates seine Gesprächspartner versetzte.

In den SoSe-Lektürekursen wollen wir diesen ersten Versuch, uns im sokratischen Dialog zu üben, weiter vertiefen.

Der Textauszug – 16 Buchseiten 11 MB (sorry)- kann per e-mail unter autonomes.seminar@t-online.de angefordert werden.

Wir könnten auch empfehlen, dass man sich diesen ersten Band kauft:

http://www.amazon.de/Platon-S%C3%A4mtliche-Werke-Bd-Schleiermacher/dp/3499555611/ref=sr_1_2?s=books&ie=UTF8&qid=1365026136&sr=1-2

Platon. Sämtliche Werke Bd. 1: Apologie des Sokrates, Kriton, Ion, Hippias II, Theages, Alkibiades I, Laches, Euthyphron, Gorgias... von Ursula Wolf, Platon und Friedrich Schleiermacher von rororo (2004) - EUR 14,99 Taschenbuch - Gebraucht bei Amazon schon ab 1,69 Euro (ernsthaft)

Ort: Yoga und Lektüre finden statt im Seminargebäude der Humboldt-Universität in der Invalidenstrasse 110, 10115 Berlin, Raum 293 (bei U6-Bf Naturkundemuseum)

Ablauf des Lektüre-Abends:

15-min Einführung von Jan - 60-min Gemeinsames Lesen des Dialogs Euthyphron - mit verteilten Rollen - 60-min Diskussion, besser gesagt: unsere Fortsetzung des Gesprächs.

- Freiwillige, die gerne eine Rolle übernehmen möchten (nur vorlesen, nicht spielen!), bitte bei Wolfgang melden. Wir brauchen noch mind. 1 Sokrates und 2 Euthyphrons. Diese sollten den Text auf jeden Fall vorher wenigstens 1x gelesen haben, um sich mit dem etwas ungewohnten Sprachduktus der großartigen Übersetzung von Schleier-macher vertraut zu machen. Ich verspreche, dass das Vorlesen ein Vergnügen ist.

Es ist vorteilhaft, aber nicht nötig, den Text vor unserer Seminarsitzung zu lesen. Wer will, kann sich vorher die einleitenden Abschnitte 1-5 anzusehen, da ich diese aus Zeitgründen nur kurz zusammenfassen werde.

Ich freue mich sehr auf diesen Versuch! - Jan

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Vorschau

- Do, 18. April, 18:00 c.t. - 20:30: Reihe “Die kommende Gesellschaft – Anderer Anfang"

„Das Nemesis-Project“ - Aussprache über den Tagebucheintrag von Albert Camus im Juli 1947: „Nemesis, Göttin des Maßes. Ein jeder, der das Maß überschreitet, wird erbarmungslos vernichtet."

“Némesis“ gilt im Ursprung des abendländischen Denkens als Personifikation des Todes im Leben. Némesis teilt das Gebührende zu, wacht als Begleiterin des Glücks über die richtige, d.h. maß-volle Verwaltung des Zugeteilten und verkörpert die Rache an den Überheblichen (Hybris) und Maß-losen. Nemesis könnte der Name einer pólis sein, die das rechte Maß von Geben-und-Nehmen im Sein als Ganzem durchsetzt.

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- Do, 25. April, 18:00 c.t. - 20:30: Lektürekurs “Die Frage nach dem Nichts" - Heideggers Antwort auf die Frage nach dem Nichts, Teil 2: Die Langeweile

Wir werden anhand Heidegger: “Was ist Metaphysik" und "Grundfragen der Metaphysik" über die Grundbefindlichkeit der Langeweile nachdenken, in denen das das Sein als Welt im Ganzen da ist. Worin unterscheidet sich die Langeweile von der Grundbefindlichkeit der Angst? – und wo treffen sich die beiden Grundbefindlichkeiten? Ich werde eine Textgrundlage vorbereiten. Bitte unter autonomes.seminar@t-online.de anfordern.

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Nachlese Rundgespräch „Es gibt kein richtiges Leben im falschen“

- Empfehlung von Alfred: Auszug aus: Matthias Mahlmann: Rechtsphilosophie und Rechtstheorie. Alfred hat einen Auszug übersandt, die sich mit Adorno und der „Kritischen Theorie“ kompakt und kritisch auseinandersetzen. Er kann angefordert werden unter: autonomes.seminar@t-online.de

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Neues von Han: Die Krise des Eros - Bedacht, aber ereifert.

Der Autor Byung-Chul Han spricht über das Verschwinden des Anderen und den Terror der Intimität. Er wünscht sich das Pathos der Distanz. – INTERVIEW: SOPHIE FREDAU

http://www.taz.de/Schutz-der-Privatsphaere-beim-tazlab/!113837/

taz.lab: Herr Han, seit Februar strahlt RTL die Show „7 Tage Sex“ aus. Paare verpflichten sich dazu, eine Woche lang an jedem Tag miteinander Sex zu haben - mit dem Ziel, verlorengegangene Nähe wiederherzustellen. Warum gibt es eine solche Sendung?

Byung-Chul Han: Das ist eine weitere Art von „Big Brother“. Solche Sendungen verstärken die Tendenz der Gesellschaft, Intimitäten auszustellen und zu veröffentlichen. Da kann man fast vom Terror der Intimität sprechen. Heute ergießen sich die Intimitäten in den entleerten öffentlichen Raum. Ja, die Intimitäten entleeren den öffentlichen Raum. Anstatt die verlorengegangene Nähe wiederherzustellen, zerstören solche Unternehmungen sie ganz.

Die Paare führen über diese Woche hinweg ein Videotagebuch. Welche Funktion hat die Begleitung durch die Kamera?

Vielleicht erleben wir heute Nähe nur dann, wenn wir sie für den Blick der anderen ausstellen. Wir müssen erst eine Kamera aufstellen, um überhaupt die Nähe, die sexuelle Lust empfinden zu können. Sie ist dann eine pornografische Lust. Eine ganz andere Nähe bringt dagegen ein Vers von Paul Celan zur Sprache: "Du bist so nah, als weiltest du nicht hier." Diese verhaltene Nähe verschwindet heute im Zuge totaler Abstands- und Distanzlosigkeit.

RTL preist das Format als „neue Form der Paartherapie“.

Der voyeuristische, pornografische Blick wird keine Heilung herbeiführen. Er verschärft die Krankheit. Vor jeder Paartherapie sollten wir unsere Gesellschaft therapieren. Heute brauchen wir eine Psychoanalyse der Gesellschaft.

Ihre Bücher tragen die Titel „Müdigkeitsgesellschaft“ und „Transparenzgesellschaft“. Die genannte TV-Sendung begegnet dieser Müdigkeit mit noch rastloserer Aktivität und dem Übermaß an Transparenz damit, nun auch noch das Schlafzimmer auszuleuchten. Ist das nicht absurd?

Bald wird man sogar eine Kamera im Sarg installieren und der Leiche bei der Verwesung zuschauen. Kürzlich war ich auf einem Friedhof. Da waren individualisierte Grabsteine zu sehen, eine Art Facebook-Gräber. Wäre es nicht denkbar, dass wir bald im Grabstein einen Screen einbauen und dort die ganze Timeline laufen lassen? Jedes Grab wird laut über sein Leben erzählen. Dann drücken die Friedhofsbesucher auf den Gefällt-mir-Button. Eine neue Form der Erlösung, eine neue Unsterblichkeit der Seele. Facebook ist ja bereits eine Kirche.

Sie sagen: Unsere Selbstbezogenheit erschöpft uns. Aber ist es nicht so, dass wir immer schauen, was die anderen tun?

Man nimmt die anderen nur auf sich selbst hin wahr. Der Eros ist eine andere Wahrnehmung. Er reißt mich aus mir heraus. Daher kann er mich von der Depression befreien. In der Depression bin ich hoffnungslos in mich selbst verwickelt, ohne jeden Ausgang, der mich zum Anderen befreien würde. Wir ersticken unter der Bürde des Selbst-sein-können-Müssens.

Das erotische Begehren wird zerstört, der Andere als mein Gegenüber verschwindet. Das klingt ziemlich apokalyptisch.

Dieser Apokalypse würde ich eine andere Apokalypse entgegenstellen, die in „Melancholia“ von Lars von Trier filmisch dargestellt ist. Justine lebt in dem Moment auf, als der Andere ihr in Form des tödlichen Planeten erscheint. In seinem blauen Licht am Flussfelsen räkelt sie sich voller Wollust. In diesem Moment erklingt das Präludium von „Tristan und Isolde“. Heute ist der Andere nur in Form einer Apokalypse erfahrbar.

Wie finden wir zu echter Nähe?

Durch mehr Ferne. Not täte heute das Pathos der Distanz. Allein mit ihm könnte man den Terror der Intimität bekämpfen.

Sophie Fedrau und Byung-Chul Han hielten sich voneinander fern. Sie bevorzugten, das Gespräch per Mail zu führen.

Byung-Chul Han ist am 20. April zu Gast auf dem taz.lab und spricht zum Thema „Liebe in liebesfernen Zeiten“. - http://www.tazlab.de/programm/day_2013-04-20.de.html

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- Empfehlung von Karin:

Südkorea - Eine Müdigkeitsgesellschaft im Endstadium - Von Byung-Chul Han – In: Matthes und Seitz-Newsletter vom 04.09.2012

Informationsmüdigkeit - Information Fatigue Syndrom" (IFS)

Als die koreanische Ausgabe der "Müdigkeitsgesellschaft" erschien, hielt ich mich in Seoul auf. So konnte ich die Reaktion der Medien auf das Buch gut beobachten. Innerhalb kürzester Zeit entwickelte sich das Buch zu einem viel diskutierten Bestseller. Die erste Auflage war schon am Tag ihres Erscheinens vergriffen. Offenbar fühlten sich die Koreaner von der Grundthese des Buches betroffen, dass die heutige Leistungsgesellschaft eine Gesellschaft freiwilliger Selbstausbeutung ist, dass die Freiheitsrufe wie "Yes we can" oder "Ja Du kannst" in Wirklichkeit etwas Teuflisches an sich haben, dass sie so viele selbstgenerierte Zwänge erzeugen, an denen das Leistungssubjekt zugrunde geht (Burnout).

Wer in Seoul in eine U-Bahn steigt, begreift schnell, dass er sich mitten in einer fortgeschrittenen Müdigkeitsgesellschaft befindet. Viele Koreaner, die einen Sitz ergattern, fallen sofort in einen kurzen Tiefschlaf. Die U-Bahn-Züge in Seoul gleichen Schlafwagen, in denen die Koreaner den fehlenden Schlaf nachzuholen scheinen. Überall und zu unterschiedlichsten Zeiten sieht man in Korea schlafende Menschen. Offenbar kämpfen die Koreaner gegen eine permanente Übermüdung an. Sehr viele Koreaner sind längst dem Burnout erlegen. Darüber hinaus sterben jährlich Hunderte Menschen aus Erschöpfung. So stürzte das Buch "Müdigkeitsgesellschaft" die Koreaner in einen kollektiven Selbstzweifel.

Die Jahresarbeitszeit der Koreaner beträgt 2193 Stunden, ca. 500 Stunden mehr als der OECD-Durchschnitt. Ein Modewort heißt "Saladent". Es ist zusammengesetzt aus salary (Gehalt) und student. Immer mehr Angestellte bilden sich weiter nach der getanen Arbeit, um sich auf dem sehr instabilen Arbeitsmarkt zu behaupten. Es gibt also praktisch keine Pause mehr. Gearbeitet und gelernt wird rund um die Uhr. Angst und Unsicherheit breiten sich aus. Südkorea weist inzwischen die weltweit höchste Suizidrate auf. Bereits die Schulkinder sind einem ernormen Leistungsdruck ausgesetzt. Deutschland blickt neidisch nach Asien, wenn koreanische Schüler in der PISA-Studie Spitzenwerte erringen. Aber es wird kaum zur Kenntnis genommen, dass in Korea viele Schüler Selbstmord begehen, weil sie den Leistungsdruck einfach nicht aushalten. Manche Schulkinder schlafen nicht mehr als 6 Stunden. Vor und nach der Schule nehmen sie Nachhilfekurse, um nicht aus dem Rennen um begehrte Studienplätze zu fallen. Zu Hause sind sie also praktisch nur während des Schlafes. Kürzlich hat ein Mordfall in Korea sehr viel Aufsehen erregt. Ein Schüler hat seine Mutter grausam erstochen, weil sie ihn wegen seiner schlechten Schulleistung geschlagen und permanent mit Vorwürfen überschüttet hat.

Ein bekannter Schlager des koreanischen Sängers Kang San E lautet: "Jemand wie Du kann es. Du kannst! Das bist Du!" "Du kannst!" ist in den koreanischen Schulen inzwischen zu der beliebtesten Maxime avanciert. Dieses koreanische "Yes we can" erzeugt ungeheure Leistungszwänge, unter denen viele Koreaner zusammenbrechen. Auch die Kirchen beteiligen sich an diesem Leistungswahn. Evangelische Prediger peitschen die Koreaner zur höchsten Leistung auf. Aus Neugier wohnte ich während meines Aufenthaltes in Seoul einer Messe bei. Ein Prediger befeuerte die Masse mit Zurufen wie "Keep on!" - wohlgemerkt auf Englisch. Den koreanischen Kirchen fehlt jede Besinnlichkeit. Sie sind dem kapitalistischen Leistungsprinzip perfekt angepasst. Das ist wahrscheinlich mit der Grund, dass die koreanischen Kirchen einen so großen Zulauf genießen.

Als ich Kind war - damals herrschte in Südkorea eine Diktatur -, waren mir solche Sprüche wie "Du kannst!" unbekannt. Geduld, Demut, Fleiß oder Solidarität waren Werte, die den Schülern eingetrichtert wurden. Jetzt hört man überall: Mehr Initiative! Mehr Motivation! An die Stelle des "Du sollst" ist längst "Du kannst" getreten. "Du kannst" vermittelt nur am Anfang ein Gefühl der Freiheit. Bald erzeugt es mehr Zwänge als "Du sollst". Ab einem bestimmten Punkt der Produktivität stößt "Du sollst" schnell an seine Grenze. Zur Steigerung der Produktivität wird das Sollen durch das Können ersetzt. Motivation, Initiative und Projekt sind für die Ausbeutung wirksamer als Peitsche und Befehle. Als Unternehmer seiner selbst ist das Leistungssubjekt insofern frei, als es keinem gebietenden Anderen unterworfen ist. Aber es ist nicht wirklich frei, denn es beutet nun sich selbst aus. Ausbeutender ist Ausgebeuteter. Täter und Opfer sind nicht mehr unterscheidbar. Die Selbstausbeutung ist viel effizienter als die Fremdausbeutung, weil sie mit dem Gefühl der Freiheit einhergeht. Aber diese Freiheit bringt ungeheuere Zwänge mit sich, an denen das Leistungssubjekt regelrecht zerbricht. […] (es geht noch einige Seiten lang weiter!)

Weiterlesen unter: http://www.matthes-seitz-berlin.de/artikel/byung-chul-han-suedkorea-eine-muedigkeitsgesellschaft-im-endstadium.html

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Neues von Sloterdijk: «Wir werden in den Abgrund regiert»

Ein Gespräch mit Peter Sloterdijk bedeutet vor allem: zuhören. Der Philosoph beklagt den Umgang mit der Natur. Ein Essay im Kleid eines Interviews. Von Patrik Tschudin und Renato Beck - In: TagesWoche vom 7.3.2013, 15:36 Uhr

http://www.tageswoche.ch/de/2013_10/kultur/517701/wir-werden-in-den-abgrund-regiert.htm

Peter Sloterdijk kommt gerade von der Basler Messe «Natur», wo er dem geneigten Publikum seine Auslegung des ökologischen Imperativs erklärt hat. Ob seine Botschaft angekommen ist, wollen wir wissen. Er zweifelt: «Wer chronisch besser ist als andere, spürt wenig Lernbedarf.» Ins Gespräch im Hotel Trois Rois trägt er das Odeur des Starphilosophen. Porträtaufnahmen lehnt er ab. Nach einer halben Stunde Gespräch folgt der Abgang: «So, ich muss jetzt los.» Davor ereignen sich 30 Minuten, die sich zwischen zwei Buchdeckel klemmen und im Fachbedarf für bewusstes Handeln vertreiben liessen.

Klimaerwärmung, Ressourcenverschwendung, Landschaftsverbrauch – eine Mehrheit der Gesellschaft nimmt die ökologische Problematik wahr. In rein demokratischen Prozessen wird es aber kaum gelingen, sich auf erfolgreiche Strategien gegen die Umweltzerstörung zu einigen. Was läuft falsch?

Die Frage, was falsch läuft, ist vielleicht ein wenig einseitig, denn sie taucht erst im Schatten einer anderen Frage auf beziehungsweise einer anderen Überzeugung, nämlich, dass die Dinge im Grossen und Ganzen richtig laufen.

«Die politische Moderne begann als ein Unternehmen zur Erhebung des breiten Volks in den Adel.»

Man muss sich erinnern: Die politische Moderne begann als ein Unternehmen zur Erhebung des breiten Volks in den Adel. Dagegen kann man wenig sagen. Wenn es nur um eine kostenlose Würde ginge, sollte man alle aufsteigen lassen, lieber heute als morgen. Wenn es nur darum ginge, Wohlstand für alle zu garantieren – warme Bäder für die schönen Mädchen aus dem Volk! Es muss ja nicht immer Eselsmilch sein – so wäre dagegen gar nichts einzuwenden.

Das 19. Jahrhundert jedoch erwies sich als die Zeit, in der die Menschen die Entdeckung machten, dass der von Marx so genannte Stoffwechsel des Menschen mit der Natur, sprich: die Arbeit, eben diese Natur nicht unberührt lässt. So kommen wir auf den kritischen Punkt!

Die grosse Zäsur im modernen Denken erfolgte am Vorabend des Ersten Weltkrieges. 1912 hat einer der führenden Naturwissenschaftler Europas, Wilhelm Ostwald, ein Buch unter dem Titel «Der energetische Imperativ» publiziert, das bis heute die «Magna Charta» der grünen Bewusstseinslage darstellt, auch wenn es kaum noch jemand kennt.

Es ist die erste profunde Interpretation des physikalischen Paradoxons der Moderne: Ostwald deckt die Tatsache auf, dass wir im Begriff sind, auf einer endlichen Grundlage ein unendliches Konsumexperiment durchzuführen. Daher spricht er vom «energetischen Imperativ».

Dieser hat antizipatorischen Charakter: Denn Knappheit antizipieren heisst sparen. Ostwald war der erste Ethiker des globalen Haushaltens. Sein energetischer Imperativ besagt lapidar: «Weil (fossile) Energie eine endliche Grösse darstellt, spare sie!»

Der bekannteste Niederschlag dieser Überlegungen findet sich bei Max Weber. Nach dessen Überzeugung würde das gewaltige Experiment der Industriezivilisation erst an ein Ende kommen, «wenn die letzte Tonne Erz mit der letzten Tonne Kohle verhüttet» wäre.

«Ein globales Solidarsystem würde bedeuten, dass eine weltweit effiziente Exekutive in Umweltfragen tätig würde.»

Interessanterweise hatten beide, Weber wie Ostwald, das Erdöl noch nicht im Horizont. Beide haben den «Spindletop Gusher» und seine Konsequenzen nicht zur Kenntnis genommen, jene über 50 Meter hohe Erdölfontäne, die im Januar 1901 bei Bohrungen in Texas ausgetreten war.

Das war, wie wir heute erkennen, das entscheidende Emblem des 20. Jahrhunderts. Die Europäer, in ihrer morbiden Gestimmtheit, haben lieber den Untergang der «Titanic» im April 1912 als das prophetische Bild des 20. Jahrhunderts aufgefasst, und sie schleppen es bis heute mit. Den «Spindletop Gusher» hat hier kaum einer bemerkt. Und doch war er das Mahnzeichen der Epoche, er bezeichnete den Eintritt in die Ära des Erdöls.

Sie setzen beim ökologischen Imperativ von Hans Jonas an, der sinngemäss lautet: Handle so, dass die Folgen deines Handelns menschenwürdiges Leben künftiger Generationen nicht beeinträchtigen. Die erste Ihrer Umformulierungen besagt: «Handle so, dass die Folgen deines Handelns die Entstehung eines globalen Solidarsystems fördern oder zumindest nicht behindern.» Was wäre ein solches Solidarsystem?

Ein globales Solidarsystem würde bedeuten, dass eine weltweit effiziente Exekutive in Umweltfragen tätig würde, das heisst vor allem bei der Integrität der Elemente – zumal der Ozeane und der Lufthülle des Planeten. Ein solches Organ müsste so etwas wie einen Weltsicherheitsrat für Naturgüter ergeben.

Bisher existiert nur ein einziges politisches Organ, das von ferne einer Weltexekutive, einer rudimentären Instanz von Global Governance, gleichkommt, der Weltsicherheitsrat, dessen Zuständigkeit sich auf militärische Sujets erstreckt. Was man jetzt dringend bräuchte, wären mehrere Weltsicherheitsräte – einen für den Schutz der Elemente, einen für Urbanistik, einen für Welternährungsfragen, einen für Wirtschaftskontrolle und anderes.

Der erste Zusatz zu dem Imperativ von Hans Jonas bedeutet also, wir müssen uns so verhalten, dass das Zustandekommen dieser lebenswichtigen Welt-Exekutivorgane nicht behindert wird. Gegen diese Regel verstossen im Augenblick praktisch alle Agenten auf der Weltbühne. Handlungsfähigkeit wird derzeit nur auf darunterliegenden Ebenen gefunden.

Die UNO-Vollversammlung umfasst heute 193 sogenannte Souveräne, nämlich die Nationalstaaten. Die haben, so seltsam es klingt, ein gemeinsames Interesse daran, die Herausbildung einer höherstufigen Agentur zu sabotieren. Unsere Regierenden regieren uns in den Abgrund, weil sie die Schaffung der höherstufigen Agentur nicht mit der nötigen Ernsthaftigkeit betreiben.

Punkt zwei Ihrer Umformulierung: «Handle so, dass die bisher übliche Praxis der Plünderung und der Externalisierung durch ein Ethos der globalen Protektion ersetzt werden kann.» Wie muss man das verstehen?

Protektion ist ein Leitbegriff der Immunologie. Wo Leben ist, entsteht Verletzbarkeit, und wo Verletzbarkeit ist, sind Schutzvorkehrungen nötig. Die bisherigen Formen des Stoffwechsels von Mensch und Natur waren dadurch gezeichnet, dass wir vor der Ära der Massenproduktion und des massenhaften Energieumsatzes die Abfälle unseres Stoffwechsels sorglos externalisieren konnten. Die Natur hat bis vor Kurzem so gut wie alles verziehen. Durch allzu rücksichtslose Externalisierung ist die Lizenz, Umweltfolgen nicht bedenken zu müssen, verloren gegangen. Wir müssen uns jetzt tatsächlich um «die Natur» Sorgen machen.

Wir sind jetzt zur Fürsorge verdammt für eine Grösse, die uns früher oft als eine transzendente, nicht selten sogar feindliche Instanz gegenüberstand. Ist das nicht seltsam? Zuerst bedroht uns die Natur mit Mangel, Tod und Teufel, und dann sollen wir uns um sie kümmern?

Aus psychologischer Sicht ist der Zustrom zu den Grünen nur zu erklären durch die Entstehung von Individuen, die eine idealisierende Mutterübertragung auf die Natur vollziehen können. Menschen früherer Zeiten haben die Natur eher als Stiefmutter oder als karge Mutter konzipiert. Bei vielen Südeuropäern sieht man das noch heute recht deutlich. Sie haben die romantische Mutterübertragung auf die Natur selten entwickelt und sind mehrheitlich bei der alten agrarischen Stiefmutterambivalenz stehen geblieben. Wenn solche Leute jetzt sehen, wie die Grü­nen dieses alte Miststück Natur unter Schutz stellen wollen, müssen sie denken, die da oben sind verrückt geworden.

Mutterübertragung im Sinne von «Ehre und achte die Natur»? Oder im Sinne von «sie kümmert sich um mich»?

In der idealisierenden Übertragung kommt beides zusammen. Die grosse Mutter der Romantik ist Ernährerin, Erzieherin und Heilerin zugleich: natura nutrix, natura docet, natura sanat. Menschen mit Stiefmuttergefühl würden keine dieser Aussagen unterschreiben.

Die dritte Variation Ihres kategorischen Imperativs lautet: «Handle so, dass durch die Folgen deines Handelns keine weiteren Zeitverluste bei der im Interesse aller unumgänglichen Wende entstehen.» Drücken Sie damit die zeitliche Dringlichkeit der Übergangspolitik aus?

Wir machen uns in der Regel nicht richtig klar, worin der Unterschied zwischen Humangeschichte und Naturgeschichte besteht. Geschichte nennen wir die Prozessform des Projekts, den Rechtsstaat weltweit zu verwirklichen. Das ist ein mühsames Unternehmen, in dem es summa summarum aller Rückschläge ungeachtet langsam vorangeht. Daher kann man die Geschichte auch das Reich der zweiten Chancen nennen. Was heute misslingt, kann morgen zum Erfolg führen.

«Für einen katastrophischen Einschnitt dieses Typs gelten die Denkregeln der geschichtlichen Welt nicht mehr.»

In der historischen Welt braucht man darum vor allem Geduld, verbunden mit der Pflicht zur Zuversicht. In der Naturgeschichte herrschen dagegen völlig andere Gesetze. In ihr gibt es keine zweiten Chancen, denn die Natur ist die Sphäre der irreversiblen Prozesse. Nehmen wir an, die aktuellen Annahmen über anthropogene Klimaeffekte bewahrheiten sich in den kommenden Jahrzehnten: Die Erdtemperatur steigt bis 2100 um drei Grad an. Das würde regionale Verwüstungen ebenso nach sich ziehen wie regionale Paradiesbildungen. Nehmen wir weiter an, der anthropogene Klimaeffekt sei stark genug, um uralte im Permafrost gebundene Methangasdepots auf der Nordhalbkugel freizusetzen. Dann könnte aus dem selbst bewirkten Effekt ein indirekt bewirkter physikalischer Zusatzeffekt erfolgen, durch den ein durchschnittlicher Temperaturanstieg um bis zu acht oder zehn Prozent denkbar würde.

Für einen katastrophischen Einschnitt dieses Typs gelten die Denkregeln der geschichtlichen Welt nicht mehr. Daher muss man die Ethik des geschichtlichen Handelns unterscheiden von der Ethik des naturgeschichtlichen Notstands. Im Hinblick auf den Letzteren ist evident, dass man fahrlässige Verzögerungen von Massnahmen, die das Eintreten des Notstands verhindern könnten, nicht dulden darf.

Wir streiten uns heute über die Frage, ob wir am Vorabend einer Notstandssituation leben oder nicht. Hier stehen ökologische Alarmpolitiker einer breiten Front von ökologischen Appeasement-Politikern gegenüber. Für die einen gibt es gar keinen Grund zum Handeln, für die anderen ist es 5 Sekunden vor 12.

Wo stehen Sie in diesem Streit?

Ich habe mich seit Langem mit der Logik des Alarms vertraut gemacht, und ich neige dazu, den Alarmisten recht zu geben. Zwar fürchte ich für meine Lebenszeit keine grösseren Rückschläge, aber in weiterer Perspektive scheint mir evident, dass einschneidende Massnahmen nötig sind. Ich nehme an, dass die ökologisch Sorglosen oft schlichtes Nichtwissen oder naive Ungläubigkeit gegen dunkle Prognosen an den Tag legen. Schlimmer ist der Fall bei Leuten, die von den Risiken wissen und doch mit voller Kraft in die alte Richtung steuern. Die neue amerikanische Energiepolitik ist angesichts dessen, was wir ökologisch wissen, eigentlich schon ein Fall für Den Haag, denn sie impliziert ein in voller Kenntnis der Umstände in Angriff genommenes Verbrechen gegen die Menschheit.

«Angesichts dessen, was wir heute wissen, impliziert die erneute Forcierung fossiler Ressourcen ein Verbrechen gegen die Menschheit.»

Sie denken an den Plan der USA, mithilfe der Fracking-Technik noch viel mehr Öl und Gas aus ihrem eigenen Boden holen?

Natürlich. Man stellt auf diese Weise die fällige Wende zum post-fossilen modus vivendi leichtfertig um ein halbes Jahrhundert zurück, auf die Gefahr hin, dass es dann für eine sinnvolle Umweltpolitik zu spät sein könnte. Angesichts dessen, was wir heute wissen, impliziert die erneute Forcierung fossiler Ressourcen ein Verbrechen gegen die Menschheit. Dass dergleichen unbehindert geschehen kann, ja dass es Nachahmung hervorruft, auch in Deutschland, erläutert meine These vom Fehlen einer globalen Agentur. Unter den 193 Souveränen von heute gibt es sichtlich einige, die noch souveränere Souveräne sein wollen als die übrigen. Die Vereinigten Staaten von Amerika sind nach wie vor der egoistischste Akteur auf der Bühne der konfusen Teilagenturen. Sie reklamieren ein Menschenrecht auf bevorzugten Weltverbrauch.

Wie halten Sie es mit Ihren eigenen drei Imperativen?

Nun ja, ich fliege noch hin und wieder zu Vortragsorten – diese Meilen sind mein persönlicher Beitrag zur Apokalypse. Dennoch hoffe ich, dass ich später mal eine neutrale Umweltbilanz erreiche. Vor einiger Zeit bin ich mit Franz Josef Radermacher, einem deutschen Krisenpropheten, der seit Längerem zur Umkehr mahnt, nach einer Fernsehsendung in einem Steakhouse zusammengesessen. Ich fragte ihn ein wenig boshaft: «Was essen Sie denn da? Für einen Weltretter ist das ein ziemlich verbotenes Menü!» Er meinte, er verrechne das Gute, das er mit seiner Prophetie bewirke, mit seinen privaten Extrakalorien und komme dabei noch immer zu einer stark positiven Bilanz. Das nenne ich: Von Propheten lernen!

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Neues von Agamben

Ein „lateinisches Reich“ gegen die deutsche Übermacht – von Giorgio Agamben In: LIBÉRATION – PARIS - 26. März 2013

Fundstelle: http://www.presseurop.eu/de/content/article/3593841-ein-lateinisches-reich-gegen-die-deutsche-uebermacht

Der italienische Philosoph Giorgio Agamben beruft sich erneut die Idee einer Union der südlichen EU-Ländern, wie sie schon Alexandre Kojève 1945 vorgedacht hatte. So könnte auch die Übermacht des in der EU politisch dominanten Deutschlands ausgeglichen werden.

Der Philosoph Alexandre Kojève, der zufällig auch ein hochrangiger Funktionär des französischen Staats war, veröffentlichte 1945 eine Abhandlung namens L’Empire latin (dt.: Das lateinische Reich). Diese Abhandlung [ein an Charles de Gaulle gerichtetes Memorandum] ist heute so aktuell, dass man sich wieder damit beschäftigen sollte.

Mit einer seltsamen Vorahnung behauptete Kojève rückhaltlos, Deutschland werde binnen kurzer Zeit die wichtigste Wirtschaftsmacht in Europa sein und Frankreich innerhalb Westeuropas zur Sekundärmacht degradieren.

Kojève sah mit Scharfsinnigkeit das Ende der Nationalstaaten voraus, die bis dahin ausschlaggebend für die Geschichte Europas gewesen waren. So wie der moderne Staat mit dem Niedergang der feudalistischen politischen Gebilde und mit der Entstehung der Nationalstaaten einhergegangen war, so müssten auch die Nationalstaaten unweigerlich politischen Gebilden weichen, die über die nationalen Grenzen hinausgingen und die er mit dem Namen „empire“, also Reich, bezeichnete.

Die Grundlage für diese Reiche könne, so Kojève, nicht mehr eine abstrakte Einheit sein, die den reellen Bindungen durch Kultur, Sprache, Lebensweise und Religion gegenüber gleichgültig blieb: Die einzelnen Reiche – also diejenigen, die er vor Augen hatte, sei es das angelsächsische Reich (Vereinigte Staaten und England) oder das sowjetische Reich – sollten „transnationale politische Einheiten, jedoch von verwandten Nationen gebildet“ sein.

Lateinisches Reich unter Frankreichs Führung

Aus diesem Grund empfahl Kojève Frankreich, sich an die Spitze eines „lateinischen Reichs“ zu setzen, das die drei großen lateinischen Nationen (also Frankreich, Spanien und Italien) wirtschaftlich und politisch vereinen würde, und dies im Einvernehmen mit der katholischen Kirche, deren Traditionen es übernehmen würde, sowie mit einer gleichzeitigen Öffnung auf den Mittelmeerraum.

Kojève zufolge würde sich das protestantische Deutschland, das binnen kurzer Zeit die reichste und mächtigste Nation Europas werden sollte (was es auch tatsächlich geworden ist), unweigerlich von seiner außereuropäischen Bestimmung angezogen fühlen und den Formen des angelsächsischen Reichs zuwenden. Doch in diesem Fall blieben Frankreich und die lateinischen Nationen mehr oder weniger Fremdkörper, denen zwangsläufig nur eine Rolle als periphere Satelliten zugedacht würde.

Nachdem die konkreten kulturellen Verwandtschaften, die zwischen manchen Nationen bestehen können, bei der Bildung der Europäischen Union nicht ins Gewicht gefallen sind, kann es heute durchaus nützlich und sogar dringend sein, über Kojèves Vorschlag nachzudenken.

Europäische Einheit durch neue Verfassung

Was er vorausgesehen hatte, ist genau so eingetreten. Ein Europa, das angeblich auf einer streng wirtschaftlichen Basis beruht und alle reellen Verwandtschaften in Lebensform, Kultur und Religion aufgegeben hat, wird noch in vielerlei Hinsicht seine Anfälligkeit beweisen, insbesondere in wirtschaftlichen Angelegenheiten.

In unserem Fall weist die vorgebliche Einheit etliche Ungleichheiten auf und es wird sichtbar, worauf sie sich tatsächlich beschränkt: Einer Mehrheit von Ärmeren werden die Interessen einer Minderheit von Reicheren aufgezwungen, die zudem meistens mit denen einer einzigen Nation zusammenfallen, wobei man letztere angesichts der jüngeren Geschichte keineswegs als vorbildlich betrachten kann.

Nicht nur ergibt es keinen Sinn, von einem Griechen oder einem Italiener verlangen zu wollen, dass er wie ein Deutscher lebt, doch selbst wenn das möglich wäre, würde es zum Verschwinden eines Kulturguts führen, das vor allem in einer Lebensform liegt.

Und eine politische Einheit, die Lebensformen lieber ignoriert, ist nicht nur zu kurzer Dauerhaftigkeit verdammt, sondern bringt es nicht einmal fertig, sich als solche darzustellen – wie Europa sehr eloquent beweist.

Will man nicht, dass sich Europa letztendlich auf verhängnisvolle Art selbst sprengt, wie wir durch viele Anzeichen vorhersehen können, dann wäre es angebracht, sich ohne weiteres Zögern zu fragen, wie die europäische Verfassung erneut umartikuliert werden könnte. (Vom öffentlich-rechtlichen Standpunkt her handelt es sich gar nicht um eine Verfassung, dies sei hier in Erinnerung gerufen, denn es wurde nicht durch Volksentscheid darüber abgestimmt – und wenn doch, wie in Frankreich, dann wurde sie mit vernichtender Mehrheit abgelehnt.)

So könnte man versuchen, etwas Ähnlichem wie dem, was Kojève das „lateinische Reich“ nannte, eine politische Realität zu verleihen.

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- Empfehlung von Bertram: Neues von Thomas Metzinger

Hinweis auf eine Ausarbeitung des Vortrags, den der berühmte Neurophilosoph Prof. Thomas Metzinger 2010 auf dem Kongress "Wissenschaft und Meditation" in Berlin gehalten hat:

"Meine Prognose ist, dass wir uns in den kommenden Jahrzehnten zunehmend als scheiternde Wesen erleben werden, die auf kollektiver Ebene hartnäckig wider besseres Wissen handeln – als Wesen, die aus psychologischen Gründen und auch unter großem Zeitdruck zu wirksamem gemeinschaftlichen Handeln und der notwendigen politischen Willensbildung einfach nicht fähig sind.

Das kollektive Selbstbild der Gattung Homo sapiens wird immer stärker auch das eines in evolutionär entstandenen Mechanismen der Selbsttäuschung gefangenen Opfers des eigenen Verhaltens werden, das Bild einer natürlich entstandenen Klasse kognitiver Systeme, die aus Gründen ihrer eigenen geistigen Struktur auf bestimmte Herausforderungen einfach nicht adäquat reagieren können – und zwar auch, wenn sie eine intellektuelle Einsicht in die zu erwartenden Folgen haben, und auch dann , wenn sie sogar diese Tatsache selbst auf der Ebene des Bewusstseins noch einmal klar und deutlich erleben."

http://www.philosophie.uni-mainz.de/Dateien/Metzinger_SIR_2013.pdf

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ciao, Wolfgang Ratzel

Jan Köttner, Kirsten Reuther
Dieser Beitrag gibt die Meinung des Autors wieder, nicht notwendigerweise die der Redaktion des Freitag.
Geschrieben von

Wolfgang Ratzel

Aus einem drängenden Endbewusstsein entsteht der übermäßige Gedanke an einen anderen Anfang.

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