Gibt es ein richtiges Leben im falschen?

- Rundgespräch - oder: „Warum nicht lieber gar nichts, als diese Welt?" (Schopenhauer)

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Autonomes Seminar an der Humboldt-Universität zu Berlin – seit 1998 - Das Autonome Seminar wird ehrenamtlich organisiert, ist entgeltfrei und offen für alle. Verantwortlich und Infos: Wolfgang Ratzel, Tel. 030-42857090

eMail: autonomes.seminar@t-online.de - http://autonomes-seminar-humboldt.webs.com/

Berlin-Pankow, den 13. März 2013

Liebe Mitlesende und Interessierte, unsere Wintersemester-Abschlussveranstaltung hat die Form eines Rundgesprächs mit Inputs zum Thema:

Gibt es ein richtiges Leben im falschen? Und, wenn nein: „Warum nicht lieber gar nichts, als diese Welt?" (Schopenhauer)

Die Frage bezieht sich auf das Diktum von Theodor Adorno aus „Minima Moralia“: „Es gibt kein richtiges Leben im falschen!“

In der ursprüngliche Textfassung steht: „Es läßt sich privat nicht mehr richtig leben.“

Adornos höchstpersönlicher „positiver“ Ausweg lautet: „Einzig listige Verschränkung von Glück und Arbeit läßt unterm Druck der Gesellschaft eigentliche Erfahrung noch offen."

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(1) Wir können die obige Frage wirklichkeitsbezogen stellen, zumal wir in unserer Vorbereitungsveranstaltung vom 28.2.13 („Bruttoglücksprodukt für das Sein als Ganzes?“) realexistierende Vorstellungen vom „richtigen Leben“ kennengelernt haben, als da sind:

- die Schweizer 2000-Watt-Gesellschaft (die sich an der Tragfähigkeit der Erde orientiert);

- die (mayana-buddhistische) Verfassung der konstitutionellen Monarchie Bhutans, die den Bürger und die Bürgerin als TreuhänderIn der natürlichen Ressourcen und der Umwelt sieht (und die Bürgerschaft sogar auf diese Aufgabe verpflichtet)

- das lateinamerikanische Konzept „Buen Vivir“ (Gutes Leben), das in den Verfassungen Ecuadors und Boliviens verankert ist, und das die Natur und Mutter Erde zum Rechtssubjekt erklärt, dessen Rechte auf Erhaltung und Wiederherstellung von jedermann und jederfrau vertreten werden kann;

- die neuen „ganzheitlichen Fortschritts- und Wohlstandsindikatoren“, u.a. den Happy-Planet-Index, den Ökologischen Fußabdruck, den Wasser-Fußabdruck, den Ökologischen Rucksack, gedeckelte Höchstgrenzen für Verbrauch, Einkommen und Vermögen, Orientierung an Kostenwahrheit und Kostengerechtigkeit u.v.m..

Scheint hier ein „richtiges Leben im falschen“ hervor oder sind das vielleicht sogar An-Zeichen des Anderen Anfangs im Untergang des alten ersten Anfangs?

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(2) Wir könnten versuchen, die Frage nach dem richtigen Leben mit der Frage nach dem Nichts zu verschränken; d.h.:

- Hängt der Sinn meiner Welt- und Daseinsgestaltung an der Frage, ob es ein richtiges Leben im falschen gibt?

- Worumwillen soll ich leben, wenn es kein richtiges Leben im falschen gibt?

- Wann „lohnt sich“ dieses Leben?

- Wenn die Frage lautet: „Sein oder Nicht-Sein?“ – was spricht für das Sein?

- Wenn Leben Leiden ist, warum soll ich leiden? – was spricht für das Sein, wenn das Nichts Leiden verhindert?

- Warum nicht lieber gar nichts als diese unsere vorfindliche Welt? (dazu auch der untenstehende Verweis auf die Nachrichten aus dem Gulag von Warlam Schalamow)

- Gibt es überhaupt das, was Adorno „richtiges Leben“ nennt?

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Die verschiedenen Inputs sollen bis zu 5, maximal bis 10 Minuten dauern: Vier InputterInnen haben sich angekündigt: Alfred, Lara, Wolfgang und Jürgen.

Jürgen will die rhetorische Frage stellen: „Warum hat Adorno diesen Satz wohl aufgeschrieben?“ - Spontane Inputs sind möglich.

Termin: Do, 14. März 2013, 18:00 c.t. bis 20:30 Uhr

Ort: Seminargebäude der Humboldt-Universität in der Invalidenstrasse 110, 10115 Berlin (beim U6-Bf Naturkundemuseum)

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- Rück-Schau auf Yoga und Lektüre von Heideggers Antwort auf die Frage nach dem Nichts

Unglaublicherweise versammelten sich 26 Mitlesende - ein neues Lektüre-Allzeithoch- , um fast drei Stunden lang Heideggers Offenlegung des Nichts zu verstehen. (Kernaussage: In der Angst, im nichtenden Verhalten und in der Verneinung ist das Nichts da). Zwei Mitlesende hatten sich entschuldigt. Danach saßen an unserem „Stamm-Tisch“ im „Türken“ immer noch vierzehn von uns zusammen.

Das Merkblatt zum Denkweg Heideggers kann angefordert werden.

Aus der „Blauen Spendendose“ schauten 9,50 Euro heraus.

Schon vorher, um 17:00 Uhr, versammelten sich 9 Übende zu Kirstens einstündigem „Osteopathischen Yoga“.

Summa: Eine ganze Reihe von uns waren von 17:00 bis 22:30 Uhr –fünfeinhalb Stunden- dabei! Was spricht durch diese Anwesenheit?

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Vor-Schau:

Unsere „vorlesungsfreie Zeit“ dauert von Freitag, 15.3. bis Mittwoch, 10.4.2013. Am Donnerstag, 11.4.2013 beginnt unser Sommersemester mit dem Lektürekurs. Was genau im Sommersemester geschehen soll, werden wir noch besprechen.

Neu: Kirstens Yoga-Joch findet in der Zwischenzeit zum SoSe einmal statt, und zwar am Do, 21.3.2013, 18:00 bis 19:00 Uhr wie gehabt im Raum 293.

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- Anderer Anfang

Als Folge des gemeinsamen Nachdenkens über Subjektkritik und das Nichts mussten die Inhalte der Website der (virtuellen) Plattform einer Politik des Anderen Anfangs grund-legend renoviert werden Die unbeantworteten Fragen und Fragmente können besichtigt werden unter:

http://anderer-anfang.webs.com/

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Nachrichten aus dem globalen Rollback

- Oliver empfiehlt (den Text): Todesstrafe für Blasphemie gefordert: "Der Philosoph Robert Spaemann ist der Meinung, dass es an der Zeit ist, Blasphemie mit dem Tode zu bestrafen. Nachdem bereits Martin Mosebach die Auffassung vertrat, dass der § 166 des Strafgesetzbuches viel zu selten Anwendung findet, haut Spaemann noch tiefer in die gleiche Kerbe (...)"

http://nicsbloghaus.org/2012/07/27/todesstrafe-fuer-blasphemie-gefordert/

www.faz.net/aktuell/feuilleton/debatten/robert-spaemann-zur-blasphemie-debatte-beleidigung-gottes-oder-der-glaeubigen-11831612.html

- Oliver empfiehlt: ist zwar aus Nov. 2012, aber immer noch aktuell. Thema Lobbyismusmind Klimawandelleugner:

http://www.zeit.de/2012/48/Klimawandel-Marc-Morano-Lobby-Klimaskeptiker

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- Wolfgang empfiehlt: Nachrichten aus dem Gulag (Glawnoje uprawlenije isprawitelno-trudowych lagerej i kolonij)

(wir könnten im SoSe 13 hierzu auch eine Lesung machen!):

22.03.2013 - 20:00 Uhr - Kongresshaus Stadthalle Heidelberg: artist in residence

Igor Levit, Severin von Eckardstein und Meng Sun Klavier, Maxim Biller Rezitation: Dmitri Schostakowitsch (1906-1975): Concertino a-Moll für zwei Klaviere op. 94 (1953), Sinfonie Nr. 4 c-Moll op. 43 (Fassung für 2 Klaviere von 1936).

Dazwischen liest Maxim Biller Texte von Warlam Schalamow. Aber wer ist Warlam Schalamow?

Warlam Schalamow, 1907 im nordrussischen Wologda als Sohn eines orthodoxen Geistlichen geboren, ging 1924 nach Moskau, um dort »sowjetisches Recht« zu studieren. 1929 wurde er wegen »konterrevolutionärer Agitation« zu Lagerhaft im Ural verurteilt. 1931 kehrte er nach Moskau zurück, wo er 1937 zum zweiten Mal verhaftet wird. Es folgte die Deportierung in die Kolyma-Region um den gleichnamigen Fluss im Nordosten Sibiriens. 1956 durfte er nach Moskau zurückkehren, wo er 1982 starb.

http://www.warlamschalamow.de/

http://www.matthes-seitz-berlin.de/autor/warlam-schalamow.html

Neuerscheinung: Die Auferweckung der Lärche. Erzählungen aus Kolyma IV - Aus dem Russischen von Gabriele Leupold - Herausgegeben und mit einem Nachwort versehen von Franziska Thun-Hohenstein - 664 Seiten, gebunden mit Schutzumschlag

€ 29,90 - ISBN 978-3-88221-502-1 - Matthes & Seitz Berlin Verlag

Nach Durch den Schnee und Linkes Ufer erscheint nun der dritte Band der Erzählungen aus Kolyma. Er enthält zwei Zyklen des monumentalen Werks Warlam Schalamows. Wieder entführt er den Leser in die erbarmungslose Welt der sibirischen Lager und erzählt die Geschichte der Besiegten. Im Mittelpunkt steht in diesem dritten Band die meisterhaft geschilderte Ganovenwelt im Lager, ihr Alltag, ihre Sprache, ihre Sitten und ihr Verhältnis zu den politischen Gefangenen.

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ciao, Wolfgang Ratzel

Dieser Beitrag gibt die Meinung des Autors wieder, nicht notwendigerweise die der Redaktion des Freitag.
Geschrieben von

Wolfgang Ratzel

Aus einem drängenden Endbewusstsein entsteht der übermäßige Gedanke an einen anderen Anfang.

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