Auf den Tag genau. Bundesversammlung und Märzgefallene.

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Am 18. März ist es so weit. Im Reichstagsgebäude wird der Bundestagspräsident die Bundesversammlung eröffnen, bevor diese den "Kandidaten der Herzen" küren wird. Um 12 Uhr wird er die Anwesenden zur Bundesversammlung konstituieren und eine "kurze Ansprache" halten. Er kann dies mittlerweile. Vor gerade 22 Monaten begrüßte er die Vertreter der Verfassungsorgane und betonte die Relevanz der Veranstaltung. Wir teilen die gemeinsame Verantwortung für unser Land. Und er reminiszierte: Am 30. Juni 1990, auf den Tag genauseien die Grenzkontrollen eingestellt worden. Der Freiheitswillen hatte gesiegt. Applaus für die "friedliche Revolution".

Auf den Tag genau, am 18. März 1848 geschahen die dramatischen Ereignisse, die den Historiker Veit Valentin von der großen Geschichtswende der Deutschen sprechen ließen. Es gibt seitdem Vormärz und Nachmärz. Man musste auf der einen oder der andere Seite der Barrikade stehen. Und diese kamen ziemlich überraschend. Der liberale Ruhrindustrielle Friedrich Harkort war sich sicher: Wir Revolution? Wir in Preußen? Das ist ganz unmöglich. Im Rheinland schon, und der preußische König hatte fürsorglich seinen Brunder Wilhelm zum Militärgouverneur dieser Provinz ernannt, aber doch nicht in der Hauptstadt! Noch am 10. März schrieb Friedrich Wilhelm vorausschauend an einen Vertrauten, bald sei mit der teutschen Revolution aus dem Bass zu sprechen.

Und doch. Überall, so ein Augenzeuge schon am 28. Februar, sah man kleine Gruppen gebildet von Menschen, welche die Köpfe zusammenstecken ... Das Neue, das alles Bewegende war: 'In Paris ist die Republik proklamiert, Louis Philippe ist fortgejagt! Und die Unruhe in der Kapitale von Ruhe und Ordnung nahm zu. Das "Schloss" war sich dessen zunehmend bewusst. Militär wurd in umd um Berlin konzentriert. Am 13. März wurde in Wien gar die Institution Metternich gestürzt. Es wurde pausenlos beraten: liberales Nachgeben oder der "preußische Bass"?

Schließlich - am 18. März um 14 Uhr - verkündete Friedrich Wilhelm auf dem Balkon seines Schlosses zwei "Patente": erstens die Aufhebung der Zensur, zweitens die Einberufung des Vereinigten Landtags. Vor dem Schloss warteten Menschenmassen. Rufe erschallten: Die Soldaten fort! Das Militär zurück! Es war dies der ewige Konflikt städtischer Revolutionen. Dragoner erschienen. Zwei Schüsse fielen. Sie wurden zum Signal.

Bis zum späten Nachmittag des 18. März wurden fast 1000 Barrikaden errichtet. Der Widerstand der Kämpfer war heftig. Hauptsächlich Handwerker sowie Arbeitsmänner und -frauen hatten, wie das zeitgenössische "Verzeichnis der Märzgefallenen" zeigt, die Waffen ergriffen. Die Offiziere forderten Artillerie an. Nur schwer war der Widerstand zu brechen. In den Quellen wird immer wieder der Schlosserlehrlehrling Ernst Friedrich Zima erwähnt. Der Siebzehnjährige schien dem berühmten Barrikadenbild Delacroix' entstiegen zu sein. Er kämpfte mit behender und wilder Entschlossenheit, bis die Kugel ereilte.

Mit welch stumpfer Brutalität das Militär vorging, zeigt folgende Quelle:

Im großen Rathaussaal waren 47 sogenannte Vaterlandsverteidiger wohlbewaffnet versammelt. Als die Soldaten eindrangen und von Bajonett und Kolben Gebrauch machten, scholl ihnen der Ruf 'Pitié! Vous êtes donc pire que les Russes!' entgegen ... Unsere Leute riefen: 'Wat, die wollen wir mal zeigen, wie man Deutsch redet.' Und binnen kurzem waren es 47 Leichen. Im Ganzen wurden aus dem köllnischen Rathause 97 Leichen hervorgezogen (Bericht von Hohenlohe-Ingelfingen).

An vielen Stellen Berlins "redete man Deutsch". Zahlreiche Gefangene und Verwundete wurden mißhandelt. Und doch war der Widerstand erst am Morgen des 19. März gebrochen.

Der ruhe- und rastlose König hatte über Nacht einen Brief an seine "Lieben Berliner" verfasst. Er versprach den Rückzug des Militärs, aber unter einer Bedingung: Kehrt zum Frieden zurück, räumt die Barrikaden hinweg und entsendet an Mich Männer, voll des echten Berliner Geistes ... Und natürlich waren es "Fremde", die die "echten Berliner" aufgewiegelt hatten. Selbst die Krankheit und die Tränen der "liebreichenKönigin", der First Lady Preußens, wurden als Argument eingesetzt. Die Wirkung des Briefes wurde von Fontane beobachtet: Alles jubelte. Man hatte gesiegt, und die spießbürgerlichen Elemente... kamen jetzt wieder zum Vorschein.

Eine gespenstische Imagerie entstand. Auf Brettern, Bahren, Handwagen wurden die Leichen vor das Schloss gebracht. Karl Frenzel berichtet: Unter dem Anstimmen des Liedes 'Jesus, meine Zuversicht' wurden ihm (dem übernächtigten König) die Leichen entgegengehalten... Ein Mann, in meiner unmittelbaren Umgebung: 'Herr Gott, wenn jetzt einer auf ihn schießt!'

Dies war eigentlich nicht zu befürchten, denn das tut kein deutscher Revolutionär. Allerdings verlangten die Massen die Auslieferung des Prinzen von Preußen, des "Kartätschenprinzen", den man auch den "Bluthund" nannte (quasi als Vorläufer eines gewissen sozialdemokratischen Politikers von 1918). Fluchtartig musste der spätere erste Kaiser des Deutschen Reiches das Schloss verlassen. In der Nacht zum 21. März wurde Friedrich Wilhelm gar von einem leibhaftigen General bewacht.

Am Morgen wurde - so ein Zeitgenosse - nach 10 Uhr der Entschluss gefasst, an die Spitze der Bewegung zu treten. Man hatte sich wieder gefangen. Um 3/4 Uhr, der König, nur von dem geringen Gefolge wie von den neuen Ministern begleitet zu Pferde (alles mit den deutschen Farben, in Kokarde, Bändern und Schleifen) unter das Volk, von tausend und aber tausend Vivarufen begleitet...

Das Begräbnis der meisten "Märzgefallenen" (insgesamt hatten ungefähr 270 Menschen den Tod gefunden) fand am 22. März auf einem eigens eingerichteten Friedhof im "Volkspark" von Berlin-Friedrichhain statt. Nach starken Protesten gegen eine gemeinsame Bestattung mit den gefallenen Soldaten wurden diese auf dem Invalidenfriedhof beerdigt. Die Kämpfe der Revolutionäre provozierten weitere Erhebungen in Preußen. Am 27. März befand der Regierungspräsident von Köln: Hier schwankt alles. Die Verhältnisse schienen im Frühjahr des Jahres 1848 zum Tanzen gebracht. Doch nach welcher Melodie?

Back to the future! Wird der Präsident der Bundesversammlung am 18. März 2012 der Freiheitskämpfer von 1848, speziell der "Märzgefallenen" gedenken? Schließlich waren diese alles andere als "friedliche Revolutionäre". Wird er daran erinnern, dass der Freiheitswillen auch auf den Barrikaden gesiegt hat?

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