"Hätte, hätte - Panzerkette"

Die mit dem Mythos spielen. Gerne benutzen deutsche Politiker die ganz besondere Beziehung ihrer Bevölkerung zu Panzern. Auch im fortgeschrittenen Alter scheuen sie vor abstrusen Sprüchen und Abenteuerfahrten im Leopard nicht zurück. Sie hätten Wichtigeres zu tun

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Vorbemerkung. Roland Barthes erklärt den Begriff des Mythos an einem Beispiel.

Ein Baum ist ein Baum. Gewiss. Aber ein Baum ist auch ein geschmückter Baum, mit literarischen Anspielungen, mit Revolten, mit Bildern versehen, kurz mit einem '"usage social", der sich der reinen Materie hinzugesellt.

Aber was ist dann ein Panzer? Die letzten Wochen haben gezeigt, dass gerade die Deutschen eine Panzer-Obsession haben. Auch ich habe sie, ich bin aber eher "gegen-obsediert" und damit eindeutig in der Minderheit. Und das liegt am "usage social", der von den Herrschenden gehegt und gepflegt wird. Beispiel gefällig? Les voilà.

Besuch der Grande Dame en olive

„MASZ was in town“. Endlich muss der Redakteur meines lokalen Käseblatts der Funkegruppe einmal nicht über eine Goldene Hochzeit oder einen Verkehrsunfall mit leichter Sachbeschädigung berichten. Die große Politik ist eingeladen worden, den Neujahrsempfang der Liberalen meiner kleinen Nachbarstadt zu schmücken. Und sie ist gekommen. Also wird die Feder gespitzt:.

Als sie den schon proppenvollenketten Saal betrat, wurde Strack-Zimmermann mit einem Blitzlichtgewitter empfangen. Nach ihrem Vortrag stand sie vielen begeisterten Besuchern für ein Foto zur Verfügung. Für Marie-Agnes Strack-Zimmermann offensichtlich kein Problem.

Aber was dürfen sie – außer dem Selfie - vom Vortrag des Stars mit nach Hause nehmen? Nun, da ist die Abrechnung mit … Putin. Der „will nur zerstören, zerstören und zerstören“. Und

immer wieder würzte Strack-Zimmermann ihren Vortrag mit Bonmots. Aus dem bekannten „Hätte, hätte, Fahrradkette“ machte sie „Hätte, hätte, Panzerkette“

und schob launig hinterher:

Nicht alle verstehen das Witzige an diesem Spruch.

Wie hintergründig! 2013 hat der ebenfalls witzige Peer Steinbrück den Spruch populär gemacht, als Reaktion auf das „Pschitt“ seines Wahlslogans („Das Wir entscheidet“ war peinlicherweise auch der Werbespruch einer Leiharbeitsfirma). Hinterher ist man halt schlauer. Und kommentiert dies mit einem coolen Spruch. Wenn nun Frau Oberleutnant zur See (auf Zeit) Strack Zimmerann den Spruch in Militärpoesie verwandelt und dafür großen Applaus erhält, ist das ein Symptom. Schimmerte bei Steinbrück noch ein sozialdemokratischer Restbezug auf das einstige Proletarier-Vehikel mit zwei Rädern durch, spricht aus MASZ der konsequente Militarismus. Und das wundert gar nicht. Es ist diese Haltung der „klaren Kante“, die eine bestens vernetzte Kommunalpolitikerin der NRW-Landeshauptstadt zur Vizepräsidentin der FDP und so geschätzten wie gefürchteten Rüstungspolitikerin der „Zeitenwende“ gemacht hat.

Interessant ist nicht die poetische Leistung des „Hätte, hätte - Panzerkette" (wahrlich nicht, selbst der Reim ist "unrein"), sondern der Anspruch des „Witzigen“. Mit Witz meint sie ja nicht die aufklärerische Bedeutung des Wortes, nämlich den Verstand. Eher das Gegenteil. Karl Kraus spricht vom „Humor des Henkers“, definiert als

die grässliche Vermischung des Gebrauchsgegenstandes, der Bombe, mit dem Gemütsleben, nämlich dem Witz.

Ob Bombe oder Panzer - der "usage social" des Mythos ist ähnlich, allerdings ist der Bombenmythos in Teutonien eher negativ erinnert. Aber Panzer kommt halt gut. Panzerbücher sind bei uns Bataillon. Nicht aus Zufall gibt es so viele schlechte Panzerwitze, darunter auch diesen für Gefühlsarme:

Alle Kinder fahren Panzer, außer Anette, die hängt an der Kette.

Der ist nicht so lustig. Stimmt. MASZ würde den Witz zweifellos extrem dumm und menschenverachtend finden. Aber auch in schlechtem schwarzen Humor steckt Angstbewältigung. Von Panzern überrollt zu werden ist, nicht nur ein bildlicher Ausdruck für die "reine Materie" (Barthes). Das Surren der Panzerketten vergisst man nicht. Auch nicht, dass die größte Panzerschlacht des zweiten Weltkriegs weit über 1 Million Opfer zeitigte, deren Sterben jede Vorstellungskraft überfordert. "Witziges" hilft, das Grauen zu verdrängen.

Sicherlich kommt das Publikum auch wegen der militärisch derben Wortspiele der ausgewiesenen Bellizistin (die durch ihr "Tacheles reden" es schon so vielen Pazifisten gegeben hat), so dass die Veranstaltung weniger als Wehr-,denn als Auflockerungsübung zu sehen ist. Vielleicht tragen einige Jüngere unter den eher biederen Anwesenden ja selbst „Panzerketten“, jene „modernen Versionen dieser Statement-Pieces. Sie verleihen femininen Looks eine verwegene raue Tomboy-Note und werden oft wie bei den Rappern gelayert oder mit anderen Schmuckstücken kombiniert“, erklärt mir "The Glow". Das „missing link“ zwischen Fashion und Faucon? Ich weiß, die schmucken Panzerketten gehen auf die ritterliche Ausrüstung des Spätmittelalters zurück. Aber es gibt eine gewisse Kontinuität, die den Tomboy-Charme ausmacht.

Wenn die Motoren "röhren"

Die „Marder“ genannten Panzer waren schon das Thema einer Kundgebung zum Dreikönigstreffen der FDP , bei der die Jungen Liberalen ein blau-gelbes Banner mit dem Slogan „Krieg beenden. Panzer senden!“ präsentierten. Ohne den Hauch eines Skrupels forderten die jungen Friedensfreunde: „Leopard 2 und Marder-Panzer liefern!“ Andere gleichfarbige Banner grüßten mit „Slava Ukraini!“ Das „Slawa Herojam“ fehlte, warum auch immer. Ihr „Einsatz“, um in der Sprache von MASZ zu bleiben, hat sich wohl gelohnt. 14 Leopard 2-Panzer werden geliefert. Die Kurzausbildung ukrainischer Soldaten hat begonnen. Ende März sollen sie über die ukrainische Ebene rollen, die Leoparden. Wie sorgfältig man doch das deutsche Liedgut bewahrt:

Mit donnernden Motoren,
Geschwind wie der Blitz,
Dem Feinde entgegen,
Im Panzer geschützt.
Voraus den Kameraden,
Im Kampf steh'n wir allein,
Steh'n wir allein,
So stoßen wir tief
In die feindlichen Reihn.

Und dann dieses. Mein Regionalblatt (also wieder die Funke-Medien) berichtet heute unterhalb des Textes „Zurück zur Wehrpflicht?“ über eine „Testfahrt im Leopard“:

Gerade rast der neue Verteidigungsminister Boris Pistorius über das schlammige Gelände, die Motoren der Leopard-Panzer röhren. Pistorius guckt oben aus der Luke, er trägt Kopfhörer gegen den Lärm... Es ist genau dieser Panzer, der bald gemeinsam mit anderen in der Ostukraine die erstarrte Front zum Vorteil der Ukraine in Bewegung bringen soll...

Na also, geht doch! Da zeigt sich, dass der neue Verteidigungsminister gedient hat, und zwar aus Überzeugung. Entscheidet die SPD den politischen Panzerkrieg gegen die Grünen und die FDP gar für sich? Ich denke, hier ist Hofreiter gefragt: da muss schon mehr als eine simple Testfahrt im Schlamm her! Der Hero hat sicher keine Flugangst.

Und das Volk fährt mehrheitlich mit: Laut dem – natürlich nicht ganz exakten - ZDF-Politbarometer sind immerhin 55 Prozent der FDP-Anhänger, 61 Prozent der SPD-Follower und 75 Prozent der grünen Freundinnen und Freunde für die Lieferung der Leoparden und wahrscheinlich auch für den Ukraine-Support mit Kampfjets und U-Booten von Thyssen-Krupp. 57 Prozent der Linkssympathisanten und gar 89 Prozent der AFD-Freunde sind demnach dagegen. Dass ausgerechnet die extreme Rechte zum Garant des Pazifismus werden konnte, ist pikant und verlangt nach einer besonderen Untersuchung. Wahrscheinlich gibt es sie schon. Denn es kann doch nicht sein, dass nur die AFD aus der Geschichte gelernt haben sollte.

"Lernen aus der Geschichte und dem eigenen Versagen in ihr"?

Deutlich wird: Die Zeitenwende ist angekommen, mit Panzer und Trompeten, selbst (oder gerade?) in der Provinz und in der „Tiefe“ der Bevölkerung. Und wir ahnen langsam, was noch auf uns zukommen wird. Schauen wir angesichts der dunklen Wolken zurück, in eine Vergangenheit, die eine bessere Zukunft versprach. 1954 veröffentlichte die Zeitschrift „L'Express“ einen Brief Thomas Manns, seinen letzten öffentlichen Text. Mann spricht von den „Hoffnungen des Jahres 1945“, die sich nicht erfüllt hätten, „kraft einer unseligen und unheildrohenden Weltkonstellation“. Die Menscheit sei

in zwei Lager zerrissen, deren furchtbar gespanntes Verhältnis mit einer Katastrophe solchen Ausmaßes droht, dass sie der Zivilisation des Rest geben würde.

Und doch ist der große Schriftsteller optimistisch. Grund der Hoffnung ist für ihn, man glaubt es heute kaum, die Sozialdemokratische Partei Deutschlands, eine Partei,

die buchstäblich aus der Geschichte und ihrem eigenen Versagen in ihr gerlernt hat.

Thomas Mann zitiert den so genannten „Essener Vorschlag“:

Die Erhaltung des Friedens muss oberstes Gebot unseres politischen Tuns sein. Das beste Mittel in seiner Erfüllung erkennen wir in einer Politik der Freundschaft und Verständigung geenüber allen Völkern der Erde, unabhängig von ihrer jeweiligen Staats- und Gesellschaftsordnung. Von der Gefährlichkeit und Verderbnis des Militarismus und von der Sinnlosigkeit aller Gewaltanwendung im zwischenstaatlichen Zusammenleben der Völker überzeugt, leisten wir feierlich Verzicht auf Machtpolitik...

Sicherlich war Mann schon damals zu optimistisch (so wie die heutigen Pazifisten?), denn schon einige Monate zuvor hatte der Berliner Parteitag der SPD den Minderheitenvorschlag zurückgewiesen und „unter bestimmten Bedingungen“ auch „militärische Maßnahmen“ erlaubt. Und geradezu fleißig wurde an der NATO-Mitgliedschaft der Bundesrepublik gearbeitet.

Aber vielleicht sollten unsere tapferen Politiker von der „Panzerfahrerbande“ mal wieder zu guten Büchern greifen, denen des „späten“ Thomas Mann zum Beispiel. Ganz sicher aber sollten sie Zustände schaffen, in denen es uns Menschen vergönnt ist, das unerträgliche Surren der Panzerketten nicht hören zu müssen. Nirgendwo.

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