Ein Hauch von Volksfront? Léon Blum und Francois Hollande.

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Und als Morgenröte der Freiheit

Die Fahne, die rote, wird wehn -

Hoch leb die Pariser Kommune

Bald möge sie wieder erstehn! (Max Kegel, 1872)

Posez les drapeaux rouges - et servez la France!

(Legt die roten Fahnen nieder - und dient Frankreich!) (Nicolas Sarkozy, 2012)

Man sieht sie wieder in Paris - die roten Fahnen. Nicht nur auf der Place Bastille. Würden sie nicht im trikoloren Fahnenmeer auftauchen, Sarkozy würde weiter Frankreich "dienen" - nach seiner und seiner Freunde Art. Nur mit Hilfe des Front de gauche und republikanischer "Zentristen" wurde Francois Hollande am 6. Mai zum Präsidenten gewählt.

Ein Hauch von Front populaire also. Auch, wenn Hollande ideologisch meilenweit von Léon Blum (Allen Menschen gehört, was alle Menschen schaffen) entfernt ist, und auch, wenn sich Geschichte nicht wiederholt, lohnt sich ein Vergleich.

Konstellationen

Im Unterschied zur Verfassung der Fünften lag in der Dritten Republik in den Kammern die entscheidende politische Macht. Die Wahlen am 3. Mai 1936 waren also wegweisend. Die Zuspitzung hatte sich am 14. Juli 1935 angedeutet. Auf einer mehrere hunderttausend Menschen starken Demonstration wurden zwei riesige Fahnen, die Trikolore und die rote Fahne getragen. Auf beiden stand in goldenen Lettern: "Rassemblement populaire vom 14. Juli 1935". Dahinter marschierten Vertreter der Gewerkschaften, der kommunistischen und der sozialistischen Partei sowie Vetreter des Parti Radical.

Dieses "Rassemblement", dass 1932/33 in Deutschland nicht gelingen wollte (konnte), führte zu einem zunächst ziemlich vagen und defensiven Wahlprogramm:

Verteidigung der Freiheit, Verteidigung des Friedens, Verteidigung und Ausbau der sozialen Errungenschaften, politische Kontrolle der Banque de France.

Der Wahlkampf wurde modern geführt (Radioansprachen, vor allem die Reden des Kommunisten Thorez sollten im kollektiven Gedächtnis bleiben). Léon Blum, der Führer der Sozialisten, wurde brutal zusammengeschlagen, was aber seine Popularität erhöhen sollte. Die 2. Wahl zur Deputiertenkammer am 3. Mai 1936 ergab ein klares Bild:

Parti Radical: 116 Abgeordnete (bisher 159)

S.F.I.O.: 146 (97)

P.C.: 72 (10)

Mit den Vertretern kleinerer Parteien bedeutete dies insgesamt eine Mehrheit für den Front populaire (385 gegenüber 222). Allerdings war ca. ein Drittel der Radikalen (auch angesichts der Wahlergebnisse) Gegner der Volksfront.

Als neuer Ministerpräsident kam nur der Führer der stärksten Partei, Léon Blum, in Frage. Der intellektuelle Jurist wusste um die Schwere seiner Aufgabe. Bei Reden hatte er öffentlich gezweifelt: Ich weiß nicht, ob ich in einer so schwierigen Situation die Qualitäten eines Chefs habe.

Am 4. Juni 1936 (einen Monat nach den Wahlen!) bildete er sein Kabinett aus Sozialisten und Radikalen. Die Kommunisten zogen eine "nur" parlamentarische Unterstüzung vor, auch auf Anweisung der Internationale (die die französischen Unternehmer nicht zu sehr verprellen wollte). Dafür, so der Kommunist Vaillant-Couturier, bildeten sie eine Art Ministerium der Massen - eine zumindest interessante Formulierung.

Es fallen Gemeinsamkeiten auf. Auch im aktuellen Wahlkampf wurden bestimmte Symbole bewusst wieder aufgenommen oder waren zumindest selbstverständlich: Place Bastille, Fahnen, die Massenveranstaltungen. Dies gilt auch für die Begrifflichkeit: Holland hat - gut beraten - den Ausdruck "Rassemblement" zu seinem Leitbegriff gemacht, Sarkozy hat dies historisch bewusst kritisiert. Auffallend auch das Einschwenken der dominanten Teile des "zentristischen" Modem (analog zu den Radicaux). Und natürlich standen hinter Jean-Luc Mélenchon, dem erklärten Vertreter des historischen Front populaire - vor allem organisatorisch - die französischen Kommunisten. Die zum Teil unbändige Freude vor allem der jungen Leute (die sich übrigens im Habitus sehr von den jungen Sarkozy-Anhängerinnen unterschieden) ist wohl ebenfalls der Volksfront-Euphorie vergleichbar.

Aber auch die Unterschiede sind evident. Es herrscht heute keine unmittelbare faschistische Bedrohung von 1935/36 (am 7. März 1936 war die Reichswehr ins Rheinland marschiert, die faschistischen und autoritären Ligen in Frankreich wurden immer stärker). Die politischen Gegner sind weniger rabiat, aber darum nicht weniger geschickt. Und die Gewerkschaften haben buchstäblich weniger Durchschlags- und Mobilisierungskraft als Mitte der Dreißiger Jahre.

Aber. Wie in den Dreißigern befindet sich global wie national die Wirtschaft in einer säkularen Krise. Wie Blum wird Hollande zeigen müssen, dass in Frankreich und Europa eine sozialere Wirtschaftspolitik möglich ist. Der Sieg Hollandes ist die wohl letzte Chance, die gefährliche und zum Scheitern verurteilte Sparpolitik zu revidieren (Robert von Heusinger). Die Erwartungen an Hollande ist hoch, die Falltiefe zumso höher.

Die Mühen der Berge und Ebenen

Léon Blum übernahm am 1. Juni 1936 sein Amt, in einer Situation, in der Frankreich von einer riesigen überdies unkoordinierten Streikwelle erfasst war. Zum drittenmal (nach 1848 und 1871),so der Historiker W. Shirer, klopfte die riesige Arbeiterklasse an die Tore der Stadt. Auf der anderen Seite der Barrikade war Panik vorherrschend. Die Beaux Quartiers reagierten: Regierungsschatzbriefe verloren rapide an Wert, Kapital wurde exportiert, und es begann ein Run auf Gold (gleichbedeutend mit dem Verlust der staatlichen Goldreserven).

Politisch-medial begleitet wurde der Dienstantritt der Regierung Blum (in der auch drei Frauen als Unterstaatssekretäre waren) mit einer die Dreyfus-Affaire reaktivierenden Kampagne: Frankreich unter Juden! Charles Maurras, der rechtsextreme "Chefideologe" schrieb: Man muss Blum als Juden sehen, erkennen, verstehen, bekämpfen und erledigen.

Als Ministerpräsident handelte Blum schnell. Um die Streikwelle abzudämmen, übte er Druck auf die "Partenaires sociaux" aus. Die Unternehmer stimmten schweren Herzens (weil weniger vollen Portemonnaies) dem "Matignon-Abkommen" mit den Gewerkschaften zu:

- Lohnerhöhungen zwischen 15 und Prozent

- 2 Wochen bezahlter Mindesturlaub

- 40 Stundenwoche

- bessere Sozialversicherungen

- kollektive Tarifverträge

Es kommt auf die Stunde an, wusste Léon Blum. So schnell wie möglich ließ er die beiden Kammern das Abkommen legalisieren. Die Wirtschaft brauchte erste Signale des Aufschwungs. Aber erst allmählich ließen die Streiks nach, auch unter Drängen des KP: Ihr müsst nicht nur wissen, wie man einen Streik beginnt, sondern auch, wie man ihn beendet (Thorez an die Arbeiter).

Die Regierung Blum behielt ihr Tempo bei: am 13. Juni 1936 wurde die Schulzeit verlängert, mehrere Tausend Lehrerstellen wurden geschaffen (auch Hollande will mehr Lehrer einstellen). Die rechtsextremen Ligen wurden verboten - ohne große Gegenwehr. Das Aktionärsmonopol der berühmten "zweihundert Familien" wurde aufgehoben. Am 19. Juni 1936 wurde die Verzinsung der direkten Staatsanleihen bei der Banque de France von 6 auf 2 Prozent reduziert.

Bisher, so der Finanzminister Auriol, erhoffte man vom strengen Budgetgleichgewicht die ökonomische Wiedergeburt. Wir erwarten im Gegenteil von der ökonomischen Wiedergeburt gute Finanzen. Auriol könnte auch Hollandes Finanzminister sein.

Aber die internationalen Verhältnisse. Blum musste über die Intervention im spanischen Bürgerkrieg entscheiden. Und er entschied bekanntlich dagegen (unter britischem Druck und zum Ärger der kommunistischen Verbündeten und vieler Sozialisten). Dafür forcierte Blum die Rüstungsindustrie. Die für den sozialen und zivilwirtschaftlichen Aufschwung vorgesehenen Mittel standen nicht mehr zur Verfügung. "Kanonen" also statt "Butter". Andererseits stellt sich angesichts der faschistischen Bedrohung die Frage nach der Alternative.

Erschwerend hinzu kam die weitere Obstruktion seitens der - nach dem ersten Schock - nun straff organisierten Unternehmerschaft, der Confédération Générale de la Production Francaise. Shirer spricht geradezu von einem "Sitzstreik des Kapitals". Als Ergebnis entstand trotz Abwertungspolitik und einer sozialreformerischen "Pause" (Blum) ein neues Riesendefizit. Im März 1937 kam es zu blutigen Arbeiterdemonstrationen.Das "Ministerium der Massen" reagierte.

Am 22. Juni 1937 trat Léon Blum zurück. Der Rest war Agonie.

Und Hollande? Er will offensichtlich den Changement - doch den wollte Obama auch. Er müsste wie Blum die Stunde nutzen, doch auch er muss warten, bis die Machtverhältnisse der Législative geklärt sind. Er braucht eine starke Mehrheit, Unterstützer aus der Mitte und - auch wenn er es vielleicht nicht mag - eine starke Linke links von der Linken. Er braucht die Gewerkschaften (in denen sich die politische Spaltung bekanntlich spiegelt), muss aber bedenken, dass die Arbeiterklasse heute viel atomisierter ist als zu Zeiten des Front populaire. Und im Hintergrund wartet bekanntlich eine zur Heiligen Johanna der Schlachthöfe mutierte Marine Le Pen.

Das Patronat, die politische Rechte und ihre Medien sind nicht schwächer als 1936 - im Gegenteil. Die "zweihundert Familien" - irgendwie existieren sie immer noch. Hollande muss mit ihnen rechnen, ohne sich zu verbiegen. Jede Maßnahme gegen Steuerflucht, gegen illegale oder illegitime Finanzaktionen werden als Unterdrückungsmaßnahmen dargestellt werden. Schon im Wahlkampf hat Sarkozy ständig auf die Auswanderung des Kapitals und den Abfluss von Arbeitsplätzen hingewiesen (bewusst ans kollektive Unbewusste anknüpfend). Das Bestehen auf den kollektiven Tarifverträgen wird als Einschränkung der individuellen Freiheit von Unternehmern und (!) Arbeitern/Angestellten präsentiert werden. Glücklicherweise sind die Rechtsextremen medial eher schwach vertreten. Doch aus der Schwäche kann eine Le Pen eine Stärke machen.

Das Hauptproblem ist (wie 1936) finanzpolitisch. Hollande will den europäischen Fiskalpakt revidieren oder ergänzen, also eine Politik verhindern, die den Parlamenten das erkämpfte Budgetrecht nimmt und damit den Spielraum für soziale Reformen im Sinne der Bevölkerung. Hollande ist bekanntlich ökonomisch sehr gut beraten. Hartes Sparen verhindert Wachstum. Wachstum ist die Bedingung fürgute Finanzen. Doch gilt auch hier: es kommt auf die Solidarität in Europa an. Blum hatte das nationalsozialistische Deutschland zum Nachbarn. Dies ist Gott sei Dank Geschichte. Aber der Nachfolgestaat gibt bekanntlich den Ton an, und Merkel setzt durch, was sie (fälschlicherweise) für deutsche Interessen hält. Auf die Haltung der deutschen Sozialdemokraten vor allem nach den Bundestagswahlen kommt es also wesentlich an. Deren Solidarität wird jedoch dadurch erschwert, dass es in Deutschland keine starke Linke links von der SPD gibt. Und als Juniorpartner der CDU ...?

Hollande geht einen schweren Weg. Helfen wir ihm dabei.

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