Rentenreform. Zweiter Akt. Die Macht der Straße

Generalstreik in Frankreich. Am 7. März beginnt der Kampf der Straße gegen die Rentenreform Macrons. Eine kleine, von Sympathie getragene Vorschau. Knickt die Regierung doch noch ein?

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Die Renten-Session der Nationalversammlung endete im Tumult, ohne finale Abstimmung. In Erinnerung bleibt das trotzig-verzweifelt gekrächzte „Wir knicken nicht ein!" des Arbeitministers. Im Moment, also an einem Wochende (!), debattiert der konservativ beherrschte Senat über die von einer übergroßen Mehrheit der Franzosen abgelehnte Rentenreform. Gesitteter als die Pöbeldeputierten der France insoumise, die im Senat nicht vertreten ist. Aber die ehrwürdigen Senatoren sind doch eigensinniger als erwartet. Die kommunistischen und sozialistischen Fraktionen haben nicht weniger als 3000 Änderungsanträge eingebracht. Offensichtlich wollen sie den 7. März abwarten, um eine endgültige Entscheidung zu treffen (die dann wieder an die NV gehen wird). Inhaltlich wichtig: ein Änderungsantrag der rechten "Républicains" mit dem Ziel, die Kapitalisierung der Renten in die Reform einzubauen, ist mit 163 zu 126 Stimmen angenommen worden. Aber insgesamt herrscht in Frankreich die Ruhe vor dem Sturm. Denn am 7. März spricht die „Straße“. Und die Botschaft „le peuple est dans la rue“ treibt den Herrschenden Schweißtropfen auf die edle Stirn. Historisch nicht ganz zu unrecht. Ihre geheimen Dienste erwarten diesmal weit über eine Million Streikende und Demonstranten.

„On bloque tout“ oder „La France à l'arrêt“ (Alles blockieren, Frankreich steht still), so lauten die Parolen der Gewerkschaften. Und es werden sich alle beteiligen: die CGT mit ihren Föderationen (Eisenbahn, Energie, Hafen, Chemie und Glas) hat zu koordinierten Blockaden aufgerufen. Streiken werden auch Gewerkschaften SUD, UNSA, Force ouvrère und selbst die CFDT. Schulen und Krankenhäuser, die Verwaltungen bleiben zumeist geschlossen. Auch die öffentlichen Nachrichtensender werden bestreikt. Man erkennt es daran, dass sie gute Musik senden statt schlechter Regierungsreklame. Der Generalsekretär der CGT gibt sich entschlossen:

Der Ball liegt im Lager des Präsidenten. Die Frage des Aufgeben stellt sich für uns nicht, auch wenn Emmanuel Macron sich als unnachgiebig erweist.

Die LKW-Fahrer und Transportarbeiter, mehrheitlich in FO und CFDT organisiert, eröffnen den Kampf schon am Montag, den 6. März. Das Programm für den Südwesten Frankreichs sieht Sperrungen der Logistikzentren und der Industriezonen, der Grenzen und so genannte „Schneckenoperationen“ (Verlangsamung des Verkehrs ) auf den „großen Achsen“ vor. Ihr Streik ist „reconductible“ (jederzeit verlängerbar). Und am Horizont tauchen die angsterzeugenden Gespenster der Gelbwesten wieder auf: Aufrufe zur Besetzung der strategischen "Rondpoints", der Kreisverkehre, kursieren.

Es wird gezielte Stromabschaltungen geben (in den Filialen der Macronie und ihrer Verbündeten, in Industriebetrieben), aber auch „Robin-Hood-Aktionen“, wie die Schaltung von Gratisstrom für bisher Gesperrte. Auch die Kerosinspeicher auf den Flughäfen bleiben geschlossen (die Unternehmer hatten sie gerade erst gefüllt).

Kann die Macronie diesen sozialen und ökonomischen Tsumani überleben? Sicherlich, aber zu welchen (und wessen) Kosten? Der Regierungssprecher Olivier Veran gibt öffentlich den Apokalyptiker: Frankreich zum „Stillstand“ zu bringen, bedeute

das Risiko einer ökologischen, landwirtschaftlichen und gesundheitspolitischen, ja sogar menschlichen Katastrophe.

Und er drückt auf die Tränendrüsen. Um nichts weniger gehe es, als die „Gesundheit unserer Kinder“. Dixit der Ex-Gesundheitsminister, der Frankreich kalamitös durch die Pandemie führte.

Die schlechte Übertreibung indiziert – neben der üblichen Verachtung der Intelligenz ihrer Mitbürger – die Panik der Regierung. Und die teilt sie – natürlich – mit den CEOs. Der Patron von TotalEnergies (36 Mrd. Gewinn in 2022) spricht in einem Video seine „Mitarbeiter“ direkt an, und zwar im affektierten Unternehmer-Speech:

Die gute Verfügbarkeit unserer Plattformen ist eine Rechtfertigung für unsere Zukunftsinvestitionen Wir haben alle unsere Rolle zu spielen...Darum appelliere ich heute an Ihre Verantwortung, unser industrielles Werkzeug, das so viel Arbeitsplätze und Stolz generiert, zu bewahren. Ich zähle auf Sie.

Laut BFMTV hat der verantwortungsvolle Unternehmer das Video vom Netz nehmen lassen. Er ziehe nun die persönliche Begegnung vor.

Werden die Medien wieder die wichtigsten Verbündeten Macrons sein? Deren Verantwortlichen schielen mit dem einen Auge auf ihre Herren, mit dem anderen aber auf die Bevölkerung. Aber die ist zu (fast) allem entschlossen. Und daraus ergibt sich wiederum die Taktik der Macronie, das uralte Divide et impera.Olivier Véran macht es sich wieder einfach. Er unterscheidet - in bekannter Tradition - zwischen "denen, die ablehnen und denen, die blockieren". Der Präsident geht standesgemäß subtiler vor.

Für Mittwoch, den 8. Mai, dem internationalen Kampftag für die Rechte der Frauen, ist ein „feministischer Streik“ vorgesehen. Die NUPES, feministische Organisationen, ATTAC und die Gewerkschaften CGT, FSU, Solidaires, Unef (Studentengewerkschaft) erklären gemeinsam:

Am 8. März werden wir alle zusammen die Straßen erobern, gegen die Rentenreform, für Lohnerhöhungen gegen sexistische Gewalt und in Solidarität mit den Frauen der ganzen Welt.

Genau hier versucht die Macron die Division der Streikbewegung. Für den 8. März hat Macron erst vor kurzem die „Hommage national“ für die 2020 verstorbene Feministin Gisèle Halimi angesetzt. Halimi hatte mit Simone de Beauvoir die „Association Choisir la Cause des Femmes“ gegründet. Diese offensichtliche Instrumentalisierung rief den Protest der Vorsitzenden der Association hervor:. Violaine Lucas beendet ihren zornigen Offenen Brief so:

Monsieur le Président de la République, ce 8 mars 2023, avec toutes les féministes, c'est Gisèle Halimi elle-même qui sera absente de votre hommage.

(An diesem 8. März 2023, wäre Gisèle Halimi, mit allen Feministinnen, bei Ihrer Hommage … abwesend.)

Wir können wohl davon ausgehen, dass auch nach dem 7. März der Kampf weitergehen wird. Alles hängt von der Einigkeit der politischen Linken und der Gewerkschaften ab. Und natürlich vom Zustand der Streikkassen. Gerade in diesen Zeiten der Verelendung. Deren (Mit-)Urheber, die Macronie wird alles tun, die Streikfront zu brechen, die Ärmsten der Streikenden zum "Einknicken" zu bringen.

Uns bleibt der etwas neidische Blick auf unseren Nachbarn vorbehalten. Denn wir wissen, dass nicht wenige unserer Landsleute sich beim "Schrei des gallischen Hahns" (Karl Marx) zu bekreuzigen pflegen.

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