Szenen im Halbdunkel. Es ist früher Morgen. Menschen stehen Schlange vor einer Warenausgabe. Ihr Gespräch verstummt neim Auftauchen von Spitzeln. Eine Kutsche fährt laut über das Pflaster. Es regnet in Strömen. Aus dem Türfenster schauen ein junger Mann mit Perücke und eine noch jüngere Frau stumm auf ein riesiges Fallbeil. Ein kleiner Junge steht nackt in einer Schüssel. Eine Frau wäscht ihn. „Du wirst ein guter Revolutionär.“ Der Junge muss die Menschenrechte deklamieren. Auswendig. Seine Kinderstimme klingt eingeschüchtert. Schon bei Artikel I stockt er. Hart fällt der Schlag der Frau auf die automatisch hingehaltene Kinderhand.
Totale und Terror
Schon die ersten kurzen Szenen in Andrzej Wajda Film „Danton“ erzeugen Angst. Die Musik spielt mit, und der Zuschauer weiß, was kommen wird. Er weiß es, weil er es gelernt hat, nicht nur in der Schule. Der Film „Danton“, in Polen und in Frankreich gedreht, kommt 1983 in die Kinos. Seit zwei Jahren führt General Jaruzelski die Regierung Polens. 1982 ist die Gewerkschaft Solidarnózc verboten worden. Oppositionelle sitzen im Gefängnis. Danton zu Walesa und Robespierre zu Jaruzelski zu machen, bietet sich in diesen Jahren an. Ebenso die Anklage des realsozialistischen Systems mit den Mitteln der „schwarzen Legende“ der Schreckensherrschaft Robespierres. Erklärt dies die zahlreichen historischen Fehler? Robespierre posierte nicht für den Revolutionsmaler David als Königspriester des „Höchsten Wesens“. Der Kult einer zivilen Religion wurde erst einen Monat nach dem Tod Dantons eingeführt. Robespierre konnte David auch nicht auffordern, den Dantonisten Fabre d'Eglantine aus dem Gemälde „Der Ballhausschwur“ zu entfernen, weil der arme Fabre nicht die Ehre hatte, darin zu figurieren. Auch das berühmte Fenster, aus dem Robespierre verstohlen auf den Karren der Todgeweihten blickt, hat nicht existiert. Gravierend ist die Entscheidung der Filmemacher, die Hinrichtung der Hébertisten auszulassen, ohne die der Fall der Dantonisten nicht verstehbar ist, Darf ein Atheist wie Hébert kein Opfer sein? Warum verzichtet der Regisseur auf die fragwürdigen Seiten Dantons, die belegte Bestechlichkeit etwa. Für eine gute Sache scheint Schwarz-Weiß erlaubt: Gnade und Nachsicht gegen Terror und Blut. Pralle Lebensbejahung gegen kalte kranke Lebensflucht. Wirklich? Gibt der Erfolg dem Regisseur recht?
In der Historiographie der 80er Jahre gibt der Historiker François Furet den liberalen Ton an. Er sieht im Film die Möglichkeit, endgültig mit der marxistischen Revolutionshistoriographie (Mathiez, Lefèbvre, Soboul) abzurechnen:
Die jakobinisch-bolschewistische Analogie kommt wie ein Bumerang und trifft diejenigen, die sie unvorsichtigerweise als Waffe geschwungen haben.
Der Erfolg des vom französischen Kulturministeriums ko-finanzierten Films liegt nicht nur am Darsteller Dantons, dem jungen vitalen Gérard Dépardieu. Es ist der Kontext. Das „Bicentenaire“ von 1989 steht an. Furet ist Kopf des liberalen „historical turns“, Autor des einflussreichen Büchleins „Penser la Révolution française“ (1978), eine Offensive gegen marxistische sozialgeschichtliche Interpretation des großen Umsturzes. Furets These: Nicht erst 1791 ist die Revolution „abgeglitten“. Die Dynamik des gesamten revolutionären Prozesses führt unweigerlich zum totalitären Terror. Die Analogie des „Jakobinismus“ mit dem Kommunismus und Nazismus ist historisch absolut gerechtfertigt. Dies wird in den 80ern von konservativen und reaktionären Gegenrevolutionären gern aufgenommen. Noch heute verweisen sie regelmäßig auf Furet. In diesem Kontext „entdeckt“ man erneut die brutale Repression des Vendée-Aufstands 1793/94... und transformiert diese geschickt in politisches und ökonomisches Kapital.
„Antijakobinisch“ ist mittlerweile auch die Position der regierenden Sozialisten. 1981, am Abend der Wahl Mitterands sangen sie noch, zusammen mit den Kommunisten und 200000 Parisern, die Marseillaise und die Internationale, begleitet vom Schwingen trikolorer und roter Fahnen. Das hat sich 1983 geändert. Wajdas Film bestätigt auch ihren „liberal turn“ und drückt die (marginal) mitregierenden Kommunisten weiter in die Defensive.
Der bekannte linke Historiker Max Gallo, Autor einer Robespierre-Biographie, schreibt irritiert einen „Offenen Brief an Maximilien Robespierre über die neuen Muscadins“ (1986), in dem er zeigt, dass der angeblich neue liberale Diskurs über den revolutionären Terror nur die alten konterrevolutionären Vorurteile des 18. und 19. Jahrhunderts reproduziert. Allein, was kann ein Text auf totem Holz gegen die schaurig schönen Bilder eines Films, in dem der freie Geist der Zeiten von einem Dépardieu inkarniert wird, Preisträger des Festival von Cannes als bester Schauspieler 1982. Der Film Danton wird tatsächlich weltweit zu einem effizienten „Classroom-tool“, besonders nach nach jenem Epochenjahr 1989. „Unser“ Bild der „roten Jakobiner“ ähnelt dem der „braunen Jakobiner“ zum Verwechseln, und beide ähneln den „echten Jakobinern“ der Französischen Revolution. Wer einen kennt, kennt alle. Es ist, als ob die Rache der Thermidorianer an Robespierre nie enden soll.
Dass sich Filmemacher, liberale Historiker und neoliberale Sozialisten thermidorianischer Klischees bedienen, ist – natürlich – kein Zufall. Bilder des Schreckens sind in bestimmten historischen Situationen ideale Instrumente im Kampf um die Hegemonie. Der „jakobische Terror“ Robespierres ist diesbezüglich ein besonders flexibles Werkzeug. Es existiert in unterschiedlichen Ausführungen und „Sondermodellen“, die sich widersprechend oder ergänzend, dem Zeitgeist anpassen, liberal, monarchistisch, blanquistisch, anarchistisch, ja, auch marxistisch. Es gibt die Basisdiskurse für die Armen, aber auch die gelehrten Diskurse de luxe für die gebildete Upperclass. Ihre Wirksamkeit entfalten diese in Krisensituationen.
Diese Gleichmacher!
Mit der Niederlage des Empires und der anachronistischen Restauration der Bourbonenmonarchie gewinnt der bourgeois-liberale Antirobespierrismus an Boden. Die liberale Madame de Staël, Bankierstochter, lässt die „gute“ Revolution 1791 enden. Das Übel beginnt vor allem mit dem „neidischen und bösartigen“ Robespierre, dem „Gleichmacher“ der Vermögen und soziale Ränge nivellieren will. Die großen Werke der liberalen Meisterhistoriker des 19. Jahrhunderts Thiers und Mignet rechtfertigen den Kampf der Bourgeoisie gegen die verknöcherte Aristokratie und kritisieren das „Abgleiten“ der Revolution in Gewalt und Terror mit dem Auftauchen des bewaffneten Volkes. Thiers setzt 1871 diese Ansicht als Präsident mit der brutalen Unterdrückung der Commune in die Praxis um.
Es liegt in der Natur der Sache, dass die 48er Revolution den „Jakobinismus“ auf die Tagesordnung stellt. Es gibt sogar eine Revue: „Robespierre. Zeitschrift der sozialen Reform“, allerdings auch einen antirevolutionären „Almanach des Montagnards: doctrines, principes et but“:
Wie 1793 hat das Frankreich von 1848 seine Feinde des Eigentums... Die Kommunisten haben seit Babeuf Fortschritte gemacht. Proudhon geht noch weiter. Er erklärt das Eigentum durch die Revolution für abgeschafft...
Diesem Horror werden ganz thermidorianisch die Prinzipien „öffentliche Ruhe“, „Ehrlichkeit der Verwaltung“ und „ Ordnung und Wohlstand im Innern und Würde nach Außen“ gegenübergestellt. Interessant ist allerdings das Amalgam von Montagnards, Kommunisten und Proudhon. Letzterer, ideologischer Ahn heutiger Anarchisten wie Michel Onfray, hasst Robespierre über alles. Er beschimpft ihn als „Reptil“, als „Denunziant mit leerem Gehirn, aber mit dem Zahn einer Viper“. So wie der Musterrevolutionär des 19. Jahrhunderts, Auguste Blanqui, der in ihm einen Vertreter der Ordnung, den Exekutor der herrschenden Klassen gegen die „Enragés“ und die „Hébertisten“, die wahren Proletarier der Zeit, sieht. Zudem sei er ein religiöser Fanatiker:
Alle diese Meister Gottes sind wilde Seelen,von der Herrschaft besessen, mit dem heiligen Dolch bewaffnete Hypokriten. Dieser Robespierre, dieser gnadenlose Abschneider aller Köpfe, die ihm entgegenstanden, hört nicht auf, sich auf den eigens erwürgten Kadavern als Opfer zu posieren, den Klagerefrain des Sokrates wiederholend: Ich soll den Schierlingsbecher trinken.
Selbst (?) Blanqui nimmt ein gezielt gestreutes Gerücht vom Thermidor 1793, Robespierre sei der Messias einer Sekte, für bare Münze. Auch wenn man diese Urteile als Reaktion auf die verheerende Niederlage der Linken im Juni 1848 sehen muss, haben sie doch große Auswirkungen auf die revolutionäre Theorie der nächsten Jahrzehnte.
Auf der anderen Seite der Barrikade gibt es Nachschub durch das Pamphlet „Das Leben und die Verbrechen von Robespierre, genannt der Tyrann“, geschrieben im Jahr 1795, 1850 neu, zeitgemäß adaptiert, neu aufgelegt... und ein enormer Erfolg. Das durch die Revolution erschrockene Bürgertum erfreut und erschreckt sich an den zahlreichen erfundenen und halbwahren Anekdoten des Autors Abbé Broyart, einst stellvertretender Schulleiter des kleinen Tyrannen. Ihm verdanken wir Geschichten von gegrillten Priestern, Blutleitungen zu den jakobinischen Vampiren, aber auch die von keinem Biograph vergessene Episode einer frühen Begegnung des Schülers Robespierre mit Louis XVI., die – so der Historiker Hervé Leuwers überzeugend - nicht stattgefunden haben kann.
1871 lässt der Präsident (und große Revolutionshistoriker) Adolphe Thiers lässt die junge Drittte Republik mit dem Blut von 20.000 Kommunarden taufen. General Mac Mahon kann am 28. Mai 1871 ganz „thermidorianisch“ verkünden:
Die Armee Frankreichs ist gekommen, euch zu retten. Paris ist befreit. Ab heute ist der Kampf beendet: die Ordnung, die Arbeit und die Sicherheit werden zurückkehren.
Zum führenden Ideologen der rechten Linie im „Thiers Etat“ wird Hippolyte Taine. Seine „Origines de la France“ (1875) sind geeignet, der konservativen Bourgeoisie ihre Schuldgefühle zu nehmen. In der Tradition Burkes beginnt für Taine der Terror nicht erst 1793, sondern schon 1789, mit den Oktobertagen. Die Revolution ist ein Verbrechen gegen die Tradition und gegen die Natur. Denn, so Taine mit den Worten der reaktionären Ideologen der Zeit:
Aus dem Bauern, dem Arbeiter, dem Bürger, der durch eine alte Zivilisation gezähmt schien, springt plötzlich der Babar heraus, noch schlimmer, das primitive Tier, der grimassierende Affe, blutdürstig und lüstern, der mit höhnischem lachen tötet und auf dem angerichteten Schaden herumspaziert.
Das Übel liegt im Irrglauben der Aufklärung, vor allem Rousseaus, dass der Mensch frei geboren sei. Die Menschenrechtserklärung bestehe aus nichts als „abstrakten Dogmen“. Robespierre verkörpere
das letzte Stadium einer sterbenden intellektuellen Vegetation... Er ist die letzte Missgeburt und die trockene Frucht des klassischen Geistes. Eine erschöpfte Philisophie, von der er nur gelernte Formeln bewahrt..., Volk, Natur, Vernunft, Freiheit, Tyrannen, Aufrührer, Tugend, Moral, ein vorgefertigtes Vokabular, zu große Ausdrücke, deren Sinn, der schon bei seinen Meistern schlecht definiert war, unter den Händen des Schülers verdampft...
Und die Instinkte freisetzt, gegen die nur die Kräfte der Ordnung helfen:
der bewaffnete Gendarm gegen den Wilden, den Briganten und den Verrückten, den jeder in sich verbirgt.
In dieser Welt der Angst von Menschenrechten, Demokratie und Volkssouveränität zu sprechen, ist für Taine absurd. Man könnte ihn fast für einen Befürworters einer Terrorherrschaft halten. Einer weißen.
Diese pessimistische Sicht der Dinge widerspricht natürlich dem progressiv-liberalen Credo der damaligen Mehrheit der Republikaner, auch wenn sie die notwendige Gewaltanwendung gegen die Revoluzzer überzeugt. 1879 macht sie sogar den 14. Juli zum Nationalfeiertag... weniger als Erinnerung an die Einnahme der Bastille als an das große Föderationsfest von 1790. Der offizielle „Anti-Robespierrismus“ erlaubt es, mit der Revolution zu sympathisieren, ohne radikal zu sein. Denn, wie schon die Thermidorianer wussten (und hundert Jahre später François Furet): Mit der Erklärung der Menschenrechte und der Verfassung von 1791 ist die Französische Revolution beendet. Wer anderes behauptet, ist wie Robespierre: krank. Der Revolutionshistoriker Alphonse Aulard gibt den Ton an:
Marat, mit seinen caesaristischen Träumen, Robespierre, mit seiner Staatsreligion, waren Meister der Vergangenheit, Reaktionäre, die unserer Sache anders schadeten als die „roten Absätze“ aus Koblenz...
Aulard greift auf den historiographisch und literarisch (Büchner) überbetonten Gegensatz von Robespierre und Danton zurück. Der Verräter Robespierre habe
mit kalter Berechnung den Mann ermordet, der die weltliche französische Politik gegen das theokratische System verkörperte, seinen großmütigen Kameraden, den großen Danton.
Für die Massen reicht ein illustrierter „Album du centenaire“ (1889), der die üblichen „Sprüche“ abfeiert:
Aus Neid auf Dantons Volkstümlichkeit ließ Robespierre ihn festnehmen.
Die Terreur hatte eine Menge Staatsbürger verzweifeln lassen, die sahen, wie die Revolution ihre Kinder fraß.
In thermidorianischer Kontinuität verurteilt das Album auch den „Fanatismus“ der Aufständischen in der Vendée. Wieder einmal koinzidieren sie, die Abwehr von Monarchie und Anarchie, von „moralischer Ordnung“ und Commune.
Die historiographische Linke wird hegemonial
Auf der Linken kontert Jean Jaurès mit einer monumentalen „Histoire socialiste de la Révolution française“, die in preiswerten Bänden unters Volk gebracht wird. Jaurès verzichtet auf moralische Verurteilungen. Er versucht (ausgehend von der zeitbedingten Fortschrittsgläubigkeit der Linken), die Schwächen und Stärken Robespierres historisch zu erklären, seine Blindheit gegenüber dem den Klassenkampf und der Stärke der Bourgeoisie einerseits und sein Beharren auf der Souveränität des „Peuple“ und der Demokratie andererseits. Auch Jaurès Robespierre-Bild ist – wie kann es anders sein – gegenwartsbezogen: Der Kriegsgegner Jaurés (er wird kurz vor Kriegsbeginn 1914 ermordet) erwähnt als einziger seiner Zeitgenossen den Kampf Robespierres gegen den Bellizismus der „Gironde“ von 1792. Und er prägt diesen schönen Satz:
Die Girondins waren windige Verleumder, Robespierre war als Verleumder tiefgründig.
Mit dem Ende des Ersten Weltkriegs verschiebt sich das hegemoniale Bild Robespierres, der Terreur und des „Jakobinismus“. Großen Anteil daran hat der Historiker Albert Mathiez mit seinem Aufsatz „Pourquoi nous sommes robespierristes“. Sein Versuch, dem „Unbestechlichen“ historische Gerechtigkeit widerfahren zu lassen und den republikanischen Säulenheiligen Danton dokumentarisch zu entzaubern, wird vom historischen Kontext begünstigt: Die Repressionsmaßnahmen der Regierenden im Ersten Weltkrieg relativieren die so genannte „Herrschaft des Terrors“ von 1793/94. Mathiez, 1920 Mitglied der kommunistischen Partei, analogisiert sogar Bolschewismus und Jakobinismus, als
Klassendiktaturen, die mit denselben Mitteln operieren, Terreur, Requisition und Besteuerung, alles mit einem ähnlichen Ziel, der Transformation der Gesellschaft … zu einer universellen Gesellschaft.
Schon zwei Jahre später verlässt Mathiez die Partei. Er urteilt:
Die Diktatur ist nur in einer Katastrophensituation annehmbar, wenn sie wirklich unvermeidbar ist. Aber reiner Wahnsinn ist die Vorstellung, man könne Menschen Opfer durch Befehle von oben auferlegen. Freie Menschen werden sich dem immer verweigern. Disziplin, soviel man will, aber eine Disziplin der freien Zustimmung! Frankreich ist nicht Russland!
Als „Dank“ zeigt die Humanité anlässlich seines Todes 1930, dass auch die KPF Geschichte zu instrumentalisieren weiß. Mathiez war
ein kleinbürgerlicher Demokrat, ein versteinerter Jakobiner außerhalb der Bewegung der lebenden Geschichte.
Imeuropäischen Bürgerkrieg der Dreißiger und Vierziger Jahre wird Robespierre zur wichtigen Figur auf der linken Seite der Barrikade, während die Rechte die alten Klischees ruminiert. Die aktive Erinnerung der Französischen Revolution vereint Gewerkschaften, Sozialisten und Kommunisten. Die KPF gibt ihre „Klasse-gegen-Klasse“-Politik auf. Die Verfassung von 1793 wird Matrix der Volksfront. Endlich tragen Straßen, Schulen, ja sogar eine Metrostation den Namen des „Unbestechlichen“. Mit dem Beginn der kommunistischen Résistance 1941 wird dieser gar zu einer Art Stalin (1936 hat Trotzki denselben noch zum Thermidorianer erklärt). Es ist gewissermaßen konsequent, dass in den ersten Jahrzehnten nach dem Krieg die Schule des marxistischen Historikers Albert Soboul die historiographische Linie bestimmt: ein Bourgeois auf der Seite der Volksmassen, ein nicht korrumpierbarer Demokrat, der aber den Gesetzen des sich entwickelnden Kapitalismus unterliegt, unterliegen muss, denn dieser geht nun einmal dem Sozialismus voran.
Kalter Krieg
Die Kulturindustrie bedient sich edoch weiterhin der Schreckenslegende.. 1950 kommt Anthony Manns Kalter-Kriegs-Film „Reign of Terror“ heraus. Der Film ist als Gangsterfilm in Schwarz-Weiß konzipiert und enthält alle wichtigen Ingredienzen: anxiogene Musik, Schreckensbilder der Guillotine, der böse Jakobiner Robespierre vs. den guten Danton, die beiden ehrenwerten Thermidorianer Barras und Tallien als Retter der Republik. Fernsehfilme wie „Der Tod Marie Antoinettes“ (1958) des ehemaligen Vichysten André Castelot bestätigen das Bild in regelmäßigen, das Lernen verstärkenden Abständen. Allerdings unterbricht das Staatsfernsehen mit „Der Terror und die Tugend“ (1964) die negative Darstellung Robespierres. Der vom Publikum positiv aufgenommene Fernsehfilm endet mit der kompletten Rezitation der Menschenrechte von 1793. Vielleicht hat Wajda diese Sequenz zum Anlass seiner Eingangsszene genommen. Die Rezeption Robespierres ist ein Art Spiel mit Zitaten (auch mit denen der Gegenseite). Und stets politische Manifestation. Dass der so Dämonisierte 1964 im Staatsfernsehen so gut wegkommt, hängt sicherlich auch mit der franko-russischen Annäherung zusammen. 1965 besingt Gilbert Bécaud die russische Studentin „Nathalie“ und die „Place rouge“, und 1 Jahr später reist der General sogar nach Moskau.
Erst in den siebziger Jahren deutet sich auch in den Wissenschaften eine (alte) Hinwendung zur liberalen Interpretation an. Furets „Penser la Révolution“ (1978) wird zum Referenzwerk der Befürworter von Thatcher, Reagan … und der Sozialisten. Auch für Furet ist Robespierre eine Art Stalin:
Mittels der Fiktion des „Volkes“ setzt sich der Jakobinismus an die Stelle der Zivilgesellschaft und des Staates. Über den allgemeinen Willen fällt das Volk als Souverän künftig mythisch mit der Macht zusammen, ein Glaube, der die Matrix des Totalitarismus bildet.
Dieses Verständnis ist im Grunde nur eine Wieder-Anwendung von Interpretamenten der alten liberalen Schule (Constant, Tocqueville, Quinet), aber sie erwischt die marxistischen Revolutionshistoriker – wie so vieles - auf dem falschen Fuß... und ermuntert die Rechte. Robespierre wird nicht nur zu Stalin, sondern auch zu Pol Pot, die „Schreckensherrschaft“ nimmt den Gulag vorweg.
Straßen"kämpfe"
Ein Sprung in die Gegenwart, die wir mit dem Jahr 2011 beginnen lassen. In einem Jahr ist Präsidentenwahl. Im Mai ersteigert das Kulturministerium für 750.000 Euro Manuskripte des Unbestechlichen. Während die Historiker jubeln, zeigt sich die rechte Presse indigniert. Im selben Jahr beantragt der Alexis Corbière (damals noch Kommunalpolitiker des Parti de gauche) im Pariser Stadtrat, eine Straße im Zentrum nach Robespierre zu benennen (immerhin gibt es auch eine nach dem Kommuneschlächter benannte Straße Adolphe Thiers!) und erfährt eine brüske Zurückweisung durch de sozialistischen Bürgermeister Delanoë. Corbières „Held“, weiß der Maire, habe die roten Khmer inspiriert. Ein Abgeordneter der PS versteigt sich zu der These, Robespierre sei nicht nur Urheber der Terreur, sondern als Befürworter des Kults des Höchsten Wesens ein Gegner der Laizität gewesen (kurz zuvor ist auf Antrag der PS eine Straße nach Johannes Paul II. benannt worden). Zwei Jahre später wird ein einflussreicher Politiker der Rechten versuchen, die Place Robespierre durch eine „Place Nazet“ zu ersetzen, in Erinnerung um ein Paar, das sich um die provençalische Folklore verdient gemacht hat. Immerhin vergeblich.
Im Juli 2012 – mittlerweile heißt der Präsident Hollande - beantragt Corbière im Stadtrat, die Promotion für das Buch „Métronome“ von Laurent Deutsch zu beenden. Es wimmele von historischen Fehlern, verachte die Republik und die Französische Revolution. Der Schauspieler und Fernsehanimator Deutsch ist erklärter Monarchist (und mag die schiefe Wurzel-Metapher):
Für mich endet die Geschichte unseres Landes 1793 mit dem Tod Louis' XVI. Dieses Ereignis markiert das Ende unserer Zivilisation. Man hat unseren Wurzeln den Kopf abgeschnitten. Seitdem suchen wir sie.
Dass der Antrag abgelehnt wird, ist weniger interessant als die Reaktion der rechten Medien. Sie zeigen ihre (in die Jahre gekommenen) Instrumente: der revolutionäre Terror, der Krieg in der Vendée, der Hitler-Stalin-Pakt, der Gulag. Sébastian Le Fol, damals „Le Figaro“, heute Chefredakteur des „Point“, zeigt repräsentativ die gesamte bürgerliche Superiorität in Sachen Geschichte:
Schon immer haben es die Kommunisten geliebt, die Geschichte (neu) zu schreiben. Wer sein Leben unter den Fittichen eines ihrer Lehrer verbracht hat, hat Unterricht aus einem besonderen Blick auf die großen Ereignisse erlebt. Der revolutionäre Terror? Eine schlecht angewandte Dukan-Diät. Der Krieg in der Vendée? Ein schlecht ausgehendes Städtetreffen... Und trotz all ihrer Lügen haben sie noch immer die Stirn, uns Geschichtslektionen zu geben.
„Geschichtslektionen“ sind sie natürlich nicht, die Kommentare aus dem Jahr 2013 zu Hollandes Gesetzen zur Transparenz von Politikern nach der Cahuzac-Affäre (ein Finanzminister mit geheimen Schweizer Konten):
Der Druck der kleinen Robespierres (Peltier, Vizepräsident der konservativen UMP)
Man hört nur noch die großen Moralprediger, die neuen Robespierres, ja sogar die roten Neo-Khmers (Anna Cabana, Journalistin BFMTV);
Man wird den Verdacht ausweiten, als ob wir zur Terreur, zum schwärzesten Aspekt der Revolution zurückgingen (Alain Finkielkraut, Philosoph).
Sie haben die Geschichtslektionen ihrer Klasse gelernt. Slavoj Žižek denkt sie weiter:
Die Schlussfolgerung daraus ist die bekannte zynische Weisheit, Korruption sei besser als ethische Reinheit, schlichter Machthunger besser als die Zwangsvorstellung einer historischen Mission.
Und diese Doxa lässt zusammenwachsen, was nicht zusammengehört. Eigentlich. Dazu mehr im nächsten Beitrag
Alexis Corbière, Jacobins! Paris 2019 (Perrin)
Eric Hobsbawm, Ausx armes, historiens! Paris 2007 (La Découverte)
Sophie Wahnich, Freiheit oder Tod. Berlin 2016 (Matthes&Seitz). Vorwort von Slavoj Zizek.
Kommentare 23
Historische Vorbilder à la carte
Zitat: „Danton zu Walesa und Robespierre zu Jaruzelski zu machen, bietet sich in diesen Jahren an.“
Dieser Vergleich schwebte in der Tat damals in der Luft, der „Solidarność“-Bewegung mit der Aura der französischen Revolution umhüllend. Schon am Tage der Unterzeichnung des historischen Gdansker Abkommens am 31. August 1980 übertrug das staatliche polnische Fernsehen eine Aufzeichnung der „Tage der Commune“ von Brecht mit ähnlicher Absicht in Bezug auf die Pariser Commune von 1871. Dies dürfte allerdings schon damals der papistischen Kaczyński-Strömung dieser im Grunde retro-revolutionären Bewegung gehörig gegen den Strich gegangen sein. Zu Recht, bedenkt man das Credo Dantons:
„Das Volk lebt schon seit langem nur von seinen Tränen. Nur das Volk hat für die Freiheit gekämpft. Das wurde ihm schlecht gedankt; die Krämer und die Stinkreichen haben die Revolution gewünscht, um die Privilegien des Adels und der Priester zu genießen und sich ihre Besitztümer anzueignen... Wenn die Sans-Culottes nicht ihrerseits die Früchte der Revolution genießen können, werden wir gegen die Reichen und Bankiers dieselbe Revolution wieder von vorne beginnen wie wir sie mit ihnen gegen den Klerus und den Adel gerichtet haben.“ („Le peuple depuis longtemps ne vit que de ses larmes. Le peuple lui seul a comabattu pour la liberté. Le peuple en a été le plus mal récompensé; les boutiqiers et les richards ont désiré la Révolution pour jouir des privilèges des nobles et des prêtres et pour s‘approprier leurs biens... si les sans-culottes ne jouissent pas à leur tour de la Révolution, nous recommencerons contre les riches et les financiers la même Révolution que nous avons faite avec eux contre le clergé et a noblesse.“ (Danton 1793 vor dem Jakobinerklub)
In dem Waida-Film findet sich meiner Erinnerung nach allerdings nichts von diesem Fanal Dantons, denn mit den Sansculottes und ihrem sozialen Radikalismus wollte die große Mehrheit dieser antikommunistischen Massenbewegung der Solidarność nun auch wieder nicht in einen Topf geworfen werden. Die ihr entwachsene neue Politische Klasse des post-kommunistischen Polens nun erst gar nicht.
drill, einschüchterung, angst-erfülltheit, die charakteristika der "gezähmten",
stoßen beim bruch der alten "ordnung" auf dauer-frustrierte,
macht-ferne intellektuelle,
in deren köpfen un-überprüfte gesellschafts-utopien
und rigide ordnungen wuchern.
reform-stau, aktions-zwänge sind keine gute zeit/gelegenheit
für rationale diskurse, erwägungen möglichst vieler,
besserungen in die praxis zu setzen.
mit druck konserviertes ist die basis für explosive, irrationale entwicklung
berufungen auf den un-artikulierten, vor-bewußten volks-willen
sind leicht konstruiert und dienen zu vielerlei möglichen brutalitäten.
"Historische Vorbilder à la carte", das trifft's. Wer es sich "erlauben" kann, wählt Würze, Zutaten und Beilage, wer nicht, muss mit dem Standardmenu zufrieden sein. Alles hängt dann vom Koch ab.
Wajdas Drehbuch liegt ironischerweise ein Theaterstück einer polnischen Sozialistin aus den Zwanzigern (glaube ich) zugrunde. Die war allerdings glühende Sozialistin und Robespierre-Bewunderin und bezog sich dabei auf den Historiker Mathiez, auch er ein "Robespierrist", der Danton verabscheute, als Vorzeige-Revolutionär der Dritten Republik. Er machte sich mit einer gewissen Freude daran, dessen Bestechlichkeit zu belegen. Die kommunistische Partei hat's ihm nicht gedankt, weil er die Partei schnell wieder verließ und einen Jakobinismus=Sozialismus à la francaise wollte. Die sozialistische Partei war allerdings auch von ganz anderem Kaliber als die heutigen Reste. Aber das wissen Sie ja.
Die Revolutionshistoriker der letzten Jahre sind trotz oder wegen Furet den Schülern (der Schüler) Sobouls verbunden - und haben wunderbare quellenbasierte Studien veröffentlicht. Auf Furet beziehen sich weniger die Historiker als die Journalisten und Rechtsaußen.
Historiografie vrs. Geschichtspolitik
Zitat @wwalkie:„Die Revolutionshistoriker der letzten Jahre sind trotz oder wegen Furet den Schülern (der Schüler) Sobouls verbunden - und haben wunderbare quellenbasierte Studien veröffentlicht. Auf Furet beziehen sich weniger die Historiker als die Journalisten und Rechtsaußen.“
Eine unvermutete, um so erfreulichere Mitteilung. Möge sie zutreffen, was bei wwalkie nach alldem, was von ihm hier bisher zu lesen war, wenig Anlaß zu Zweifel gibt. Ein schönes Beispiel für den Unterschied zwischen zweckgerichteter Geschichtspolitik und fachgerechter wissenschaftlicher Historiografie. Die Beschlüsse des EU-Parlaments hinsichtlich der Ursachen des 2. Weltkrieges sind aus ähnlichem Holz geschnitzt.
ja,
- historiografische studien folgen unterschiedlichen fragestellungen,
diese lassen sich auch akzeptierten schulen zuordnen,
die diesseits von spekulativen spinnereien/leugnungen
gelten gelassen werden müssen.
- die historiografische forscher-gemeinschaft als be-urteilende community
ist allerdings keine ohne wandel.
- die zweck-gerichtet heit von geschichts-forschung ist unhintergehbar
und valide nur durch fach-gerechtheit.
= die schluß-folgerungen des eu-parlaments sind nicht zurecht-geschnitzt
oder aus faulem holz.
sie verlassen nicht das ernsthafte spektrum fach-gerechter deutung der quellen.
oda?
das vergleichen von revolutionären stadien aus verschiedenen zeiten mit
gewandelten sozialen lagen, hat seine schwierigkeiten.
die annahme, sozio-ökonomische konstellationen/parteiungen
dauern über die jahrhunderte, filtert sehr viel konkretes aus.
das konstruieren von kontinuitäten/traditions-linien führt immer weg von
historischen befunden auf das feld gesellschafts-politischen,
abstrahierenden system-vergleichs, sozio-psychologischen abstraktionen,
wie ich sie oben versuchte.
sorry, sollte an wwalkie adressiert werden.
"das konstruieren von kontinuitäten/traditions-linien führt immer weg von historischen befunden auf das feld gesellschafts-politischen, abstrahierenden system-vergleichs, sozio-psychologischen abstraktionen"
Sicher. Die Gefahr falscher oder auch fruchtloser Abstraktion ist lauert immer. Ich fürchte sogar, wir "abstrahieren" in alltäglicher "Theorie und Praxis" mehr als wir wahrnehmen. Das ist etwas anderes als die berühmte Reduktion von Komplexität. Im Fall der "Schwarzen Legende" Robespierres und des so genannten Jakobinismus (der wirklich oft, nicht immer, ein Muster falscher Abstraktion ist - dazu etwas im nächsten Beitrag) ist die Kontinuität aber ziemlich offensichtlich, da reicht schon eine kleine Umfrage oder eine Sich-Befragung. Ich z.B. denke vor bewussster Einschaltung der grauen Zellen bei R. sofort an das Fallbeil, an das soignierte Äußere, an Danton (und zwar in Gestalt von Dépardieu). Aufgrund meiner politischen Sozialisierung assozisiere ich nicht sofort Marie-Antoinette oder ihren armen Gemahl. All diese Bilder sind, das hoffe ich im Ansatz plausibel dargelegt zu haben, in unterschiedlichen Konstellationen einsetzbar und wirksam. Ansätze sind allerdings allgemein und laufen die oben erwähnte Gefahr. Aber eine schlüssige Konkretisierung würde wohl die Textsorte politischer Blog sprengen. Wer liest schon gerne Quellenanalysen - und interpretationen?
Danke für Ihre Kommentare!
Aus einem anderen Blog:
||Psychisch-intellketuelle Konstellation des Zeitgeistes, auf welche hinzuweisen meiner Auffassung nach signifikanten Wertes ist, erwärmt sich aus vermeintlichem Selbstschutz heraus je weiter weg von heißem Brei sie mäandern darf.
Vorzügliche Petrischale für privilegierte Minderheit, zu deren goldenem Löffeln der Brei angerichtet ist.
Von daher werde ich denselben Link in benachbartem Blog ganz beachtlicher Kenntnis in Politgeschichte posten. Da er ergo (in Stiefmütterlichkeit zu zeitgenössischem Fakelaki) die Frage aufwirft, wozu die Intelligenz taugt.||
Eine Frage gestellt mit Hinblick auf den Karst in wiederum einem Anderen, welcher eine Petition promotete, die an einem Kern des Status quo rührte.
https://www.freitag.de/autoren/knossos/komm-den-kern-der-korruption-killen
-
Wozu also ist von mir aufrichtig geschätzte Belesenheit in Polithistorie und Dialektik gut, wenn man sich zugleich profaner Unmittelbarkeit wie in besagter Petition enthält?
-Was ich an dieser Stelle zugegeben aus rhetorisch gelegenem Grund unterstelle.
(Fände es dabei großartig, wenn einer der Diskutanten hier besagten Blogs seinerzeit tatsächlich gewahr geworden wäre, ohne zu unterzeichnen, und zu der Entscheidung Stellung bezöge.)
Danke!
..."Die Schlussfolgerung daraus ist die bekannte zynische Weisheit, Korruption sei besser als ethische Reinheit, schlichter Machthunger besser als die Zwangsvorstellung einer historischen Mission."...
Davon kann ich dir ein Lied singen, und ich weiss auch ganz genau wie das endet, 1-2% kann Jubeln, die anderen 98% sind am Arsch geleckt. Schon Bewiesen.
:-(
Ich bin mit den beiden Artikeln zur Genese des Unbestechlichen und seiner Parteigänger … nunja, nicht so ganz glücklich. Die wechselhafte Rezeption von Robespierre und den Seinen ist kenntnisreich aufgespießt. Die Hauptlinie der Beiträge – dass die historische Beschäftigung mit dem Sujet (die Revolutionsphase 1791 bis 95) stark interessengeleitet war (und ist) – würde ich so unterschreiben; einschlägige Kostproben dieser Form Wahrheitsumschreibung (etwa den, dass bei den Covioten-Demos »Linksextreme« in erklecklicher Zahl mitgemacht haben, wie uns Frau Hayali vom ZDF weißmachen möchte) bekommt man ja auch heute in ausreichender Anzahl mit.
Umgekehrt ist das Beste, was eine (gesellschafts)kritische Historie leisten kann, nicht eine Vollauf-Rehabilitation von Robespierre, Saint Just & ihrer Fraktion, sondern vielmehr eine Beschreibung des historischen Kontext ohne Schwarz- oder Weißmalerei. Soboul hat es bei Robespierre mit marxistischen Schablonen versucht; der Versuch hat mich schon in den Siebzigern nicht überzeugt. Das in kurzer Abfolge exekutierte Blutgericht erst an den »linken« Montagnards um Hébert, dann das an den »rechten« Dantonisten ist nicht nur eines der schlimmsten Beispiele dafür, die wie Revolution ihre Kinder frisst (und Schablone für den Umgang der Bolschewiki mit ihren linken Weggenossen). Der Grande Terreur, im Verlauf des Jahrs 1794 immer schlimmer geworden, führte geradewegs zur einzig möglichen Notwehr-Abhilfe: den »Unbestechlichen« und seine Leute seinerseits dem Tod auf der Gouillotine zuzuführen.
Der Terreur – ebenso wie seine späteren Wiederholungen in noch größerem Stil – markiert schlicht die Grundfrage jeder (potenziell) sozialistischen Gesellschaft: Wie viel Meinungsfreiheit, wie viel Partizipation und wie viel auszuhaltende Widersprüche ist sie bereit, nicht nur hinzunehmen sondern sogar – quasi als sozialistische Wesenseigenheit – essentiell zu garantieren? 1794 gab es auch in Bezug auf den weiteren Verlauf entscheidende Weggabelungen. Hätten sich Hébert und Danton (die aus demselben Jakobinerclub-Verbund, den Cordeliers, kamen) zusammengerauft (vielleicht sogar unter Einbeziehung des Unbestechlichen), hätte sich die französische Republik vielleicht in eine linksdemokratische Richtung hin entwickelt – etwa wie die Jefferson-USA mit zusätzlichen sozialen Komponenten.
Man weiß es nicht. Da auf Maximilien Robespierre bereits genug Dreck gekübelt worden ist, ist der Weg, dass bürgerliche bis reaktionäre Gerüst der Verteufelung einer kritischen Analyse zu unterziehen, vielleicht nicht verkehrt. Obwohl Danton mit seinem Kurs der Vermittlung vielleicht tatsächlich ein humaneres Konzept gehabt hat. Abgesehen davon, dass Waidas Film ein prägnantes Standbild der Epoche und ihrer Probleme liefert – anders als der neofeministisch aufgeschminkte Popkultur-Schund zu Marie Antoinette & Co. Mein persöniches Fazit: Grautöne sind im Bereich historischer Einordnungen immer noch am angemessensten – speziell bei einer umstrittenen Gestalt wie Maximilien Robespierre.
Bei den Grautönen stimme ich natürlich zu. Vielleicht male ich ein wenig heller. Mir ging es aber vor allem um diese unglaubliche Dominanz der "schwarzen Legende", die in den einzelnen Kontexten noch genauer zu analysieren wäre, und die immer wieder aufgewärmt wird, wenn's für die Herrschenden/Regierenden etwas brenzliger wird.
Beim "Blutgericht", zunächst gegen die Hébertisten (die "Übertreiber"), dann gegen Danton , Desmoulins u. a. (die "Indulgenten") sollten wir vieleicht mehr "Verständnis" zeigen. Ich folge da Historikern wie Martin, Belissa/Bosc und Annie Jordan. Héberts Einfluss auf die Sektionen, sein Aufruf zum Sturz des Konvents (den er dann kleinlaut zurücknahm), zu einer erneuten Revolution und sein Krieg gegen die Dantonisten in einer dramatischen Ausnahmesituation der Republik, die Gefahr, dass die Politik der "Gnade" Dantons und nicht immer so sanften Desmoulins, der sich nicht scheute, publizistisch ständig Öl ins Feuer zu gießen, die Gegenrevolution stärken (und damit die Kriege und den - aus der Sicht der Montagnards - nötigen Schrecken verlängern) würde, war sehr real. Es gab wider die gängige Meinung eine Anzahl von Vermittlungsversuchen zwischen den "Faktionen", auch von Robespierre, der zeitweilig auch noch erkrankte. Nichts zu machen. Und dann geschah das aus Sicht der Protagonisten in ihrer ideologischen Limitierung Unvermeidliche. Im Konvent, der von Robespierre nicht so dominiert wurde, wie immer dargestellt, fand dies allgemeine Akzeptanz, schuf aber auch latente Ranküne über den 9. Thermidor hinaus. Heute würden wir sagen, ein "Lehrstück", wie man's lieber nicht machen sollte. Aber wir alle machen lieber gar nichts.
Ein großes Problem ist übrigens die Quellensituation. Die Thermidorianer haben eine Menge manipuliert.
Ich möchte nachschieben, daß man für Erhellung klassischer Klitterung wie in diesem Blog nur dankbar sein kann. Das ist wertvolle Arbeit. (Auch wenn sie wenig aufbereitet, die Wenigsten erreicht.)
Der Anlaß zu meinem Einwand bleibt jedoch weiter bestehen.
mir fehlt eine auseinandersetzung mit der prädikation:
"der unbestechliche".
wir wissen: viele sind durch macht-zuwachs und /oder finanzielle zuwendungen:
bestechlich.
aber es gibt auch weniger-bestechliche, die aus höchst-eigenen kräften/ideen:
schreck-lich wirken.
das zusprechen einer unbestechlichkeits-qualität
mag streng-moralisch daherkommen, sagt aber nur unzureichendes aus:
aus ihm spricht nur der glaube/die hoffnung, es möge gerechter zugehen.
eine mögliche, gestrenge fehl-leitung schließt das nicht aus.
aber "tugendhafte" (ich-lose?)lebens-führung sollte ja garant sein
für den besitz der wahrheit/der volonté générale.
gemein-wohl-orientierung konnte so nicht in die irre führen! ?
"L'Incorruptible" taucht als Begriff 1791 mit dem Ende der Constituante auf. Robespierre ragte wirklich aus einem Sumpf von Lobbyarbeit (zum Beispiel der Kolonialherren in der Karibik, Geldanleger u.a.m.) hervor. Wie heute erschienen die Politiker "alle verfault". Populisten leben davon. Selbst der so große und mutige Mirabeau ließ sich gerne bestechen. Das Übel sollte sich in der Revolution fortsetzen.
Mathiez hat den Fall Danton genau untersucht und leider eine gewisse Geldsucht festgestellt. Interessanterweise macht das den "Giganten der Revolution" in gewisser Weise "menschlich", "lebensgierig", "hedonistisch", also ein ideales Gegenbild zu Robespierre (über dessen Privatleben wir aber wenig Quellen haben). Und diese tugendhafte Unbestechlichkeit hat ja nun wirklich auch etwas Abschreckendes. Instinktiv sind wir bei Moralaposteln misstrauisch. Oft nicht zu Unrecht. Beispiele gib's genug.
Es ist schlimm mit den Revolutionaeren: Hier die Guillotine, da die Guillotine
..."Schröder: Für mich war Studium ein ungeheures Privileg"...
..."Die neue rot-grüne Bundesregierung nimmt 1999 einige der schlimmsten Verschlechterungen durch die letzten BAföG-Novellen zurück und verspricht, mit der nächsten Novellierung eine grundsätzliche Reform durchzuführen.
Aus der grundsätzlichen Reform wird aber nichts. Insbesondere hatte sich das sog. „Drei-Körbe-Modell“ nach Vorschlag des Deutschen Studierendenwerks (DSW) in der Debatte durchgesetzt - nicht aber in der Regierung (und hier vor allem bei Bundeskanzler Schröder, der sich besonders darum verdient gemacht hat, eine mögliche Reform zu verhindern). Stattdessen wird mit einem Teil der Gelder aus der Versteigerung der UMTS-Lizenzen die Gesamtfördersumme um 1 Mrd. DM und damit u.a. die Freibeträge erhöht, der Kreis der Anspruchsberechtigten wächst wieder. Das Reförmchen bleibt jedoch weit hinter den selbst gesteckten Erwartungen und dem von Studierendenvertretungen, GEW und DSW als notwendig erachteten zurück"...
Immer der gleiche Schnee mit den Revoluzzern.
:-(
Aus schnödem –wenn gleich tres en voguem- Synkretismus heraus Idealisten die Existenz abzusprechen, ist aber weder der Weisheit letzter Schluß, noch gebührlich gegenüber Abertausenden, die alles Erdenkliche bis in den Tod hinnahmen, um das Maß tatsächlicher und formaler Freiheit zu erringen, das heute gilt oder gelten soll.
|| mag streng-moralisch daherkommen, sagt aber nur unzureichendes aus: aus ihm spricht nur der glaube/die hoffnung, es möge gerechter zugehen.||
|| Instinktiv sind wir bei Moralaposteln misstrauisch. Oft nicht zu Unrecht. Beispiele gib's genug.||
Hier sollte man nicht von sich, in einer Zeit, in der zum einen das Ableben gefürchteter ist als einst, wie zum anderen Idealismus perfide verpönt und zugunsten eigener Wendigkeit verrufen ist, nicht von sich auf alle Haltung schließen.
Abgeklärte Periode steht längst nicht immer für Realismus, und ist oft auch nur Verklärung.
Daran ändert häufige Beobachtung von Bigotterie so wenig, wie Retardierung letzter Jahrzehnte Nihilismus rechtfertigt.
"Anarchisten wie Michel Onfray"? Wenn man sich dessen Äußerungen zum Klimawandel, der EU, dem Islam, dem Maskentragen während Pandemien, zu Sartre, Nietzsche und Wagner anschaut, dann gehört er vielleicht doch eher in die Schublade "Querfront", auch wenn er sich selbst trotz gelegentlicher Zustimmung zu Ansichten von Chefideologen der französischen extremen Rechten dort wohl nicht einordnen würde.
Darum geht's unter anderem im nächsten Beitrag.
hartmut v.hentigs robespierre-studie von 1924:
"der instinkt des volkes hat schnell herausgefühlt,
daß es keinen großen produktiven geist vor sich hatte.
nach all den enttäuschungen...wollte es keine genies mehr,
nur noch männer, in deren schoß es ruhig seinen kopf legen zu können vermeinte.
darum gab es seinem liebling den ehrentitel des unbestechlichen.
es wollte charakter, keinen geist."
(in: h.v.h.,terror, zur psychologie der machtergreifung.
robespierre. saint-just. fouché. 1970, ullstein)
s.o.
Danke für den Literaturhinweis. Ich werde mal nachforschen. Klingt sehr nach 20er jahre - und später! Ich habe hier vor Jahren ja mal einen Beitrag zu von Hentig verfasst, in einem ganz anderen Kontext.