Auf dem warmen Sofa

Pazifismus in der Zeitenwende Man mag nicht mehr so recht diskutieren. Über den Ukrainekrieg ist fast alles gesagt. Und doch bleibt er ein Menschen-Schlachthaus, das keiner schließen will. Wie kann es sein, dass der Pazifismus im 21. Jahrhundert so schwach ist?

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Maschinen sind auf uns gezückt. Wir laufen ja nur gegen Maschinen an. Und die Maschine triumphiert in unser Fleisch hinein. Schon liegen hinter uns die Angeschossenen in Reihen hingemäht und wälzen sich in ihren Wunden. Und doch stürmt es von hinten nach, zu hunderten, junges gesundes Menschenfleisch, das die Maschine schlachten wird.

Wilhelm Lamszsus „Schlachthaus“ erschien 1912. Das Buch wurde ein Bestseller, nicht nur im Deutschen Reich. Exakt beschrieb Lamzsus den vierjährigen Horror, der die Soldaten des Ersten Weltkriegs erwartete. Bewirkt hat das Buch … nichts. So wie alle anderen Warnungen vor den Katastrophen des 20. Jahrhunderts. Das „Nie wieder Krieg!“ wurde in trauriger Regelmäßigkeit vom Kriegsgeschrei übertönt. Und wenn die Kriegspanzer einmal rollen, sind sie bekanntlich kaum zu stoppen. Ja, sie zwingen die jeweils Überfallenen gar zu einem „gerechten Krieg“. Aber auch diesem ist die Unmenschlichkeit inhärent. wie der Zweite Weltkrieg zur Genüge gezeigt hat. Es kann keine „sauberen“ Kriege geben.

Die zweite Hälfte des 20. Jahrhunderts begann mit dem Versprechen eines „Goldenen Zeitalters“(Hobsbawm). Welch ein Irrtum! Selbst viele belächelte Anhänger des „Make love not war“ wurden in der Mitte ihres vom Krieg unberührten Lebens zu glühenden Befürwortern der Todesmaschinen. Eingesetzt wurden (und werden) diese gegen die deutschen Feinde von einst, zunächst gegen Serbien, jetzt gegen Russland. Gerne verwenden die Bellizisten ein Argument Heiner Geißlers und behaupten bis heute, aus der Geschichte der pazifistischen Zahnlosigkeit gegenüber Hitler die Konsequenzen zu ziehen: "Nie wieder Krieg, aber auch nie wieder Auschwitz" (Joschka Fischer). Seit dem Kosovokrieg 1999 hat in Deutschland „die Kraft der historischen Berufung auf das Nazi-Regime und seine Verbrechen nachgelassen“ (Ulrich Herbert). Wer nicht vom völkerrechtswidrigen genozidalen Angriff des Diktators Putin reden will, soll vom Krieg schweigen, so lautet die heutige Botschaft. Dass der russische Präsident seine „militärische Operation“ mit einem drohenden von ukrainischen Nazis begangenen Genozid begründet hat, wird geflissentlich übersehen. Dass Fischer und Scharping die deutsche Beteiligung am NATO-Krieg gegen Serbien mit ähnlichen Worten legitimierten, will kaum jemand wissen.

Eine faire Diskussion findet nicht statt, auch dies eine Konsequenz bisher jedes Krieges. Die wenigen bewussten und zahlreichen unbewussten Adepten Carl Schmitts können triumphieren. Sie geben – mit den Worten ihres Meisters – eine „innerstaatliche Feinderklärung“ ab,

versteckte Arten der Ächtung, der Proskription der Friedloslegung, hors-la-loi-Setzung.

Gewiss, in Russland und der Ukraine hat die Repression der „inneren Feinde“ eine ganz andere Dimension. Aber Vorsicht: Noch sind „wir“ keine direkten Kombattanten, es kommen also (noch) keine Zinksärge mit toten Soldatenkörpern aus der Ukraine (oder, was wir momentan nicht annehmen wollen den Nachbarstaaten) zurück. Aber, so unsere Chefdiplomatin und Völkerechtlerin, wir „kämpfen einen Krieg“. Zumindest sind wir zunehmend „wehrbereit“ und betrachten mit Elternstolz die Filmchen mit unserem Leo. Aber das reicht nicht, sagt ein (Fernseh-)Experte der Bundeswehr und fordert

ein neues, anderes Verständnis von militärischer Macht und Verteidigung in der deutschen Politik und Gesellschaft. Deutschland muss wehrhafter werden.

Für Carlo Masala ist das Dogma des Krieges als ultima ratio Schnee von gestern. Die reale Kriegsdrohung soll ein gängiges Mittel der Diplomatie werden, gleichwertig gegenüber Verhandlungen, Sanktionen und anderen Strafen. Mit anderen Worten: mit Krieg soll der Krieg verhindert werden können. Das wäre ein Schritt weiter in Richtung Militarismus. Einer, der fast unbemerkt gegangen wird, weil öffentliche Kritik kaum stattfindet.

Wir lernen schmerzhaft, was ein Meinungsmonopol bedeutet. Die bürgerlichen Medien, ob fein oder grob, machen das, was die französischen „Poilus“ des Ersten Schlachthauses, die einfachen Soldaten, „Hirnstopfen“ nannten. Vom warmen Journalisten-Desk aus wird dem Pöbel (der ja ,immer Chips essend, auf dem warmen Sofa sitzt“) dekretiert, was er zu denken hat. Zum Beispiel, dass Angriffswaffen Leben retten. Die Behauptung ist absurd, wie alle vorangegangenen Kriege belegen. Und doch wirft man sich in die Brust und erklärt jeden Kritiker dieser Absurdität zum Knecht des Gotteseibuns. Der macht in seinem Machtbereich das gleiche, nur skrupelloser, was wiederum als Argument für Waffenlieferungen genommen wird. Doch den Vernichtungswillen des Diktators wollen wir Pazifisten auf dem warmen Sofa ja nicht sehen, so die Anklagevertreter der wehrhaften Öffentlichkeit. Wir könnten entgegnen, dass mehr und objektivere Berichte über Russland statt der billigen Propagandastreifen und -texte uns das Urteil erleichtern würde, wenn man dies nicht schon wieder als Putin-Propaganda auslegen würde.

Aber haben wir nicht dieses einzigartige Denkinstrument, unsere Vernunft? Wie kann jemand nicht wissen, dass nach den Panzern zwangsläufig die Kampfjets geliefert werden (müssen), dann Mittelstreckenraketen, dann Bomber. Im Moment sind wir in der Kampfjet-Phase. Wahrscheinlich müssen kurz vor dem Finale der Menschheit „unsere“ Soldatinnen und Soldaten „ran“. Wie kann man überhaupt mit dem Leben anderer spielen? „Gute“ Leben von „bösen“ Leben unterscheiden, wie einst die Propagandisten der Kreuzzüge in der Tradition von Augustinus. Die Antwort ist einfach: Vor der Akzeptanz des Kosovokrieges 1999 standen die Bilder und Leiden der vor den serbischen Horden flüchtenden Menschen. Viele Kinder und einfache alte Frauen mit Kopftüchern. Bilder der Hilflosigkeit. Wir sehen sie heute nicht (mehr), die Leiden der Soldaten, sehen nicht, wie sie sich vor Schmerzen krümmen, hören nicht ihre Schreie, ihr Wimmern, hören und sehen ihre Frauen, Mütter und Väter nicht weinen. Wir erfahren die Zahl der Toten nicht. Es sollen Hunderttausende sein. Und ihre Zahl nimmt täglich zu. Wir sehen ukrainische Helden, die „unseren“ Journalisten zeigen, wie deutsche Panzerhaubitzen funktionieren. Perfekt. Das Investment lohnt sich also. Das Verdecken des Schlachthauses erleichtert den Kriegsstreibern ihr Geschäft. Und das boomt. Krieg ist immer ein Geschäft. Die Winner werden alles tun, sich dieses Business nicht nehmen zu lassen. Und das fällt ihnen nicht so schwer. It's capitalism, stupid. Antimilitarismus ist darum immer Gesellschaftskritik – oder noch wirkungsloser, als er jetzt schon ist.

Pazifisten sind Partei: gegen den Krieg und seine Profiteure. Der Frieden ist der „Ernstfall“ (Gustav Heinemann). Gleichzeitig schweben sie nicht über den Wolken, sondern stehen mitten im Leben eines Landes, in unserem Fall eines Landes, das sowohl das Zarenreich als auch die Sowjetunion mit einem verheerenden Krieg überzogen hat. Für die Nazis und die Wehrmacht waren Ukrainer wie Russen „Untermenschen“. Das hinderte sie nicht daran, ukrainische Nationalisten (und Faschisten) für den Krieg gegen die SU zu instrumentalisieren. Ist das kein Grund, um gegen die militärische Intervention Deutschlands in der Ukraine zu sein? Sollen schon wieder deutsche „Tierpanzer“ durch die Ukraine und vielleicht auch noch durch Russland rollen? Soll das Szenario des zweiten Weltkriegs noch einmal gespielt werden? Haben wir nicht die moralische Pflicht, alles, wirklich alles, für den Frieden zu tun? Im Gegenteil, antworten die Waffenbefürworter. Unsere Geschichte ist ein Grund mehr, um auf Seiten der Ukraine gegen den Aggressor zu intervenieren. Aus dem Dilemma kommt man nur durch Waffenstillstand und Verhandlungen heraus, sagen die Pazifisten. Das bedeutet Anerkennung von Annexion und Kriegsverbrechen, entgegnen die Waffenbefürworter. Je schneller das Schlachthaus geschlossen wird, so die Pazifisten, desto größer ist die Chance, dass die Gräuel aufhören. Der Krieg macht die Menschen immer auch zu Tätern. Und das Menschenleben steht über der Nation und ihrer angeblich so einzigartigen Kultur. Denken wir an bitteren Satz von Karl Kraus über die berühmte „Idee“, nennen wir sie "Nation", "Freiheit", "unsere Werte":

Man kann sogar für sie sterben und wird trotzdem nicht gesund.

Pazifisten werden von beiden kriegsführenden Seiten sorgsam beäugt und bekämpft. Sie sind fast immer in der Minderheit, vielleicht entwickeln sie deshalb bestimmte Formen von Verfolgungsangst. Auch der Hass auf den Krieg ist Hass. Und der verengt manchmal den Blickwinkel. Auch wenn keine Propagandakommandos auf sie angesetzt sind, fühlen sie sich - à la guerre comme à la guerre – unter unfriendly fire. Dazu gehört des Argument der Weltfremdheit (hinter dem sich der alte kriegerische Vorwurf der Feigheit verbirgt). Auf einem „warmen Sofa sitzen sie“, so der permanente Vorwurf,... übrigens oft vom warmen Sofa aus erhoben. Sie predigen eine bequeme Moral, die sich einen feuchten Kehricht um das Martyrium der ukrainischen Bevölkerung kümmere. "Waren Sie schon mal da?" lautet die Frage, die an das „Haben Sie gedient?“ erinnert. Muss man das? Natürlich nicht. Die Gegenfrage müsste lauten: Und Sie? Und falls ja: Und was haben Sie dort getan, um den Wahnsinn zu beenden? Oder haben Sie ihn angefacht?

Eigentlich sollte in dieser Frage die Vernunft ausreichen. Auch die Vernunft des Herzens. Wir können doch beide nicht verloren haben.

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