Premieren - die Primaires der französischen Sozialisten

Bei diesem Beitrag handelt es sich um ein Blog aus der Freitag-Community.
Ihre Freitag-Redaktion

Viele feiern sie als wichtigen Schritt in die Zivilgesellschaft, die Primaries à la francaise, durch die der Präsidentschaftskandidat der sozialistischen Partei bestimmt werden soll, zumal dies innovativ geschehen wird: am 9. und 16. Oktober werden nicht mehr die Parteisoldaten allein festlegen, wen die Linken gegen den Omnipräsidenten Sarkozy ins Feld schicken, sondern alle, die eine "Charta linker Werte" unterschrieben haben und einen Obulus zum Wahlkampf errichten (mindestens 1 Euro).

Und es geht in der Tat um einiges, wenn man die Machtposition des französischen Präsidenten bedenkt. De Gaulle ließ sich 1958 in "seine" Verfassung schreiben, dass er den Ministerpräsidenten ernennen und entlassen, vom Parlament eine erneute Gesetzeserörterung verlangen und jedes "sich auf die Organisation der öffentlichen Gewalten" erstreckende Gesetz einer Volksabstimmung unterwerfen könne. 1962 wurde die allgemeine direkte Wahl des Präsidenten durch den Souverän institutionalisiert.

Nicht schon wieder soll diese Machtfülle einem Vertreter der Rechten überlassen werden, deren Parteien seit de Gaulles Tagen mehr oder weniger Präsidentenwahlvereine waren - und deren Mitglieder nach der erfolgreichen Wahl entsprechende Remunerationen erwarteten und erhielten. Die Linke hatte es hier traditionell schwerer. Ihre Parteien waren immer Partis de militants - die Kommunisten mehr, die Sozialisten weniger. Die vom Parteiapparat aufgestellten Kandidaten wurden fast blind unterstützt - faux ou juste, mon parti. Es kam schließlich auf die progressiven Ideen und deren historische Notwendigkeit an, und nicht auf charismatische Sonnyboys. 1981 beispielsweise wurde ein Francois Mitterand auf einem außergewöhnlichen Kongreß zum Kandidaten bestimmt - als einziger Bewerber, Rocard, laut Umfragen der "bessere" Kandidat, hatte aus Parteidisziplin verzichtet.

1995 erlebte die Primaires ihre Premiere. Die Mitglieder wählten Jospin mit fast 66 Prozent der Stimmen. Nach den katastrophalen Wahlen von 2002 - Le Pen kegelte Jospin im ersten Wahlkampf aus dem Rennen - , verstärkte sich der Prozess. Ségolène Royal, von den Medien als "präsidential" geadelt, wurde von gut 60 Prozent der Mitglieder aufgestellt, darunter allerdings auch zahlreiche "militants à 20 Euros" (zahlbar per Internet). "Rabattsozialismus" nannte der heutige Kandidat des Parti de gauche, Mélenchon, diese Methode. Aber es funktionierte recht gut: Royal lieferte dem "petit César" Sarkozy einen überraschend harten Wahlkampf (trotz mangelnder Unterstüzung durch einige Parteielephanten).

Doch wie hoch war - und ist - der Preis? Schließlich wurde immer evidenter, dass der Horizont vieler Sozialisten durch die nächsten Wahlen definiert wird. Die Parteimitglieder sind im Begriff, ihr Kandidatenmonopol zu verlieren. Gerade die jüngeren, hungrigen Parteielephanten zeigten und zeigen sich fasziniert vom Aufstieg eines Obama. Eine Delegation mit dem aktuellen Kandidaten Montebourg bereiste die USA, um zu lernen. Der Thinktank "Terra nova" und mit diesem verbundene Medien (Libération, Le Nouvel Observateur) bauten Erwartungen in der Öffentlichkeit auf: Umfragen bewiesen angeblich, dass die Mehrheit der Franzosen Primaires wolle. Argumentativ wird das Neue und die Alternativlosigkeit dieser "modernen Demokratie" hervorgehoben. Gewichtige linksliberale Intellektuelle (darunter B.-H. Lévy) setzten sich für die Vorwahlen ein. Deren Gegner sind natürlich "Konservative".

Wer sind die Kandidaten? Am präsidentabelsten war - den Umfragen zufolge - Dominique Strauss-Kahn. Selbst (?) ein Cohn-Bendit erklärte im "Express": Man muss wissen, was man will: entweder links sein und verlieren, oder man will Sarkozy schlagen. DSK erschien als Kandidat des "medianen Wählers", einer, der gleichermaßen Stimmen von rechts und links holt. Die hohen Umfragewerte Marine Le Pens ließen DSK als Verhinderer eines erneuten 21. April 2002 erscheinen. Doch dann kam die Verhaftung.

Francois Hollande, der sehr fleißige, aber bieder wirkende ehemalige Parteisekretär, wurde schnell ins Spiel gebracht - im neuen, medienwirksameren Outfit: Je suis neuf, verkündet er Ende August im "Journal du Dimanche", sich als Vertreter "haushälterischer Tugend" gebend. Wie Sarkozy will er die "Règle d'or" - bei uns prosaischer als "Schuldenbremse" bezeichnet - in Verfassungsrang erheben. Von Martine Aubry unterscheide ihn, dass man nicht alles machen und nicht alles versprechen könne. Prognose Ende August: 41 Prozent bei den Primaires.

Martine Aubry, politisch ähnlich verortet wie Hollande, verweist auf ihre Erfolge als Bürgermeisterin von Lille. Während Hollande alle Bevölkerungsschichten anspricht, rekrutiert sie ihre Anhänger vor allem aus Jüngeren und Angestellten. Prognose: 31 Prozent.

Ségolène Royal - immer noch charismatisch, aber im Hintergrund agierend - käme laut Umfragen auf 13 Prozent.

Bleiben die jungen "Outsiders": Manuel Valls, der Bürgermeister von Evry, der einst auf das Attribut "sozialistisch" im parteinahmen verzichten wollte, gibt sich als Vertreter der Sicherheit und strikter Haushaltsdisziplin (6 Prozent), während der Reformator und Anti-Globalist Arnaud Montebourg auf 5 Prozentpunkte käme.

Der oft verkrampft wirkende Kampf um Alleinstellungsmerkmale macht deutlich, wie weit die Personalisierungstendenzen im politischen Prozess reichen. Der Politikwissenschaftler Rémi Lefèbvre stellt einen Zusammenhang her zwischen einer neuen "Soziodizee" der Partei (die "offener" und "flexibler" erscheinen möchte) und postmodernen Werten der so genannten Zivilgesellschaft. Die Partei wird so zu einer "professionialisierten politischen Maschine für Wahlperformanzen". Der Militantismus der Mitglieder geht geschwächt aus diesem Prozess hervor. Lefèbvre spricht von einem neuen "E-Militantismus", der eher flüchtig und konsumieristisch Position bezieht. Die Zielgruppen sind die üblichen auch in deutschen Diskussionen hervorgehobenen (Frauen, Hochschulabsolventen, urbane Schichten, Minderheiten), nicht mehr die Arbeiterklasse(n). Der Begriff "Hegemonie" wird auch hier zum Leitbegriff. Der erwähnte Mélenchon weist mit Recht darauf hin, dass aufgrund des Medieninteresses an den Primaires-Kandidaten alle anderen Kandidaten der Linken vernachlässigt werden.

Mit den Primaires im Oktober unternimmt die sozialistische Partei Frankreichs also einen gewichtigen Schritt. Ob es ein weiterer in die Bedeutungslosigkeit des Parti socialiste ist, ist nicht auszuschließen.

Dieser Beitrag gibt die Meinung des Autors wieder, nicht notwendigerweise die der Redaktion des Freitag.
Geschrieben von

Was ist Ihre Meinung?
Diskutieren Sie mit.

Kommentare einblenden