"Unermüdlich setzte er sich ein..." Kollegenabschied

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Kleiner ist er geworden. Das früher so volle lange Haar ist fast weiß und kurz geschnitten. Etwas ungelenk steht er auf der Bühne, um sich in die Rente loben zu lassen. Unermüdlich, liebe Kolleginnen und Kollegen, dröhnt mikrophonverstärkt die Chefstimme durch den Saal, unermüdlich setzte er sich für seine Schüler ein. Alle stehen auf. Langer Applaus. Ich kann nicht mitklatschen. "Unermüdlich", wie passt das zu diesem müden Mann? Müde für immer ist er. Und da ist dieses "Er -setzte-sich-ein". Hat man also nur das Recht auf ein "Lebenswerk", wenn man sich über den "normalen" Einsatz hinaus engagiert hat? Muss man dieses permanente Mehr erbracht haben, um "verdient" und arbeitsfrei die Rente "genießen" zu dürfen?

Es reicht wohl nicht die normale Verausgabung der Arbeitskraft. Dieser objektive Einsatz führt noch nicht zu einer lobenden Erwähnung durch den Anstaltsleiter und rechtfertigt erst recht keine stehenden Ovationen der Kollegen, inlusive wehmütige Tränchen. Was uns begeistert, ist das Subjektive, das Wollen, das reflexivpronominale Sich-Einsetzen. Dieses Allzeit-bereit-Sein-Wollen.

Der Applaus hat sich gelegt. Der Kollege lächelt uns traurig und etwas hilflos durch den Blumenstrauß an. Und ich versuche, Begriffe aus meinem Hirn zu scheuchen: "Arbeitseinsatz", "Einsatzleiter", "Ausländereinsatz", "Einsatzgruppen..." Sei nicht obsessiv, sage ich mir. Was hat das mit einer Verabschiedung zu tun? Gar nichts! Und schließlich gibt es doch auch den Einsatz für das Gute, "Hilfseinsätze" etwa.

So wie der Kollege - hat er sich nicht über den vorgeschriebenen Einsatz hinaus - für die Benachteiligten eingesetzt, die wir großmütig die "Bildungsfernen" nennen? Und doch. Das konnte ganz schön nerven.Wie oft hörte man aus des Kollegen Mund: Aber, aber, da muss man doch 'was tun! Und schon brach er auf - zum Einsatz. Als ob ein innerer Zwang ihn beherrschte. Er merkte dann gar nicht mehr, dass das Spiel "Manpower-Einsatz" nicht nach seinen Spielregeln lief. Und er nahm kaum war, dass mit der Zeit das Reflexivpronomen verschwand: der freiwillige Einsatz wurde Teil des erwarteten Einsatzes, wurde Gesetz. Der Raum für das "Sich-Einsetzen" wurde immer kleiner, weil er schonTeil des Einsatzraumes war. Die Avantgarde, zu der der Kollege gehört hatte, musste sich anstrengen, nicht Nachhut zu werden.

Also, wenn ich die Macht hätte, würde ich den normalen Einsatz verringern, damit die Leute sich mehr einsetzen müssen, sage ich meinem Nachbarn, doch der macht "Psst!" und zeigt zur Bühne. Der nächste Kollge wird verabschiedet.

Unermüdlich, liebe Kolleginnen und Kollegen, unermüdlich hat er sich eingesetzt...

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