Utopische Träume im Thinktank.

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Ginge alles mit vernünftigen Dingen zu, würden in der gegenwärtigen Krise die "neoliberalen" und konservativen Parteien sukzessive abgewählt, und unser Schicksal läge in den Händen von Regierungen links von der Mitte. Doch ist die Wirklichkeit eine andere. Schon Wilhelm Reich ärgerte sich faschismustheoretisch über die Wahl rechter und rechtsextremer Parteien in einer "objektiv linken" Situation. Das präokkupiert natürlich auch die Thinktankmen der sich links verstehenden Parteien. Brainstorming ist angesagt. Die neue Gretchenfrage lautet: Wie hast du's mit dem guten Leben? Klingt fast wie Bloch: Jedem sein Huhn im Topf und zwei Autos im Stall, das ist auch ein revolutionärer Traum, nicht bloß ein französischer oder amerikanischer oder "allgemein menschlicher" (Prinzip Hoffnung, Erster Band). Gehörte mir der Suhrkampverlag (keine schöne Vorstellung), würde ich vielleicht einen Sampler vorbereiten lassen mit dem Titel: "Bloch for the 21st Century" oder so ähnlich.

Wie auch immer. Utopie scheint angesagt, besser:angedeutet als "Vision". In den Blättern 8/11 äußern sich Thinktankwarte von SPD, Grünen und Der Linken in unterschiedlichen Beiträgen zu Grundsätzlichem (1). Grund, genauer hinzuschauen. Ich beziehe mich im Folgenden paradigmatisch auf den SPD-Strategen.

Benjamin Mikfeld, ehemaliger Juso-Vorsitzender, Leiter der Abteilung "Politik und Analyse" im Willy-Brandt-Haus und seit kurzem Inhaber eines eigenen Strategie-Instituts, beschäftigt sich mit der Zukunft der "pluralen Linken" und fragt, warum angesichts der Bankenkrise keine politische "Zeitenwende" erfolgte, warum also das "hegemoniale Pendel" nicht in die linke Richtung schlage (als Leser frage ich mich darüber hinaus, warum Mikfeld ausgerechnet die recht konservative Pendel-Metapher benutzt). Die Gründe für den "konservativen Backlash" sieht er in "Unsicherheiten" und erwähnt Krisenerfahrungen, Politikmüdigkeit, Komplexität der Sachfragen (die der eher unbedarfte Wähler wohl nicht versteht) und das Fehlen einer "Leitidee" alias "Vision". Mikfeld folgt hierin den Referenzautoren Judt und Negt.

Was also tun? wie auch radikalere Linke bekanntlich gerne fragen. Von Glotz lernen, sagt Mikfeld, der bekanntlich von Gramsci lernte, dass der "historische Block" entscheidend sei. Und von Boltanski/Chiapello lernen, dass der gegenwärtige "(dritte) Geist des Kapitalismus" hegemonial sei (und wohl nicht "der Herren eigener Geist", wie ein Geheimrat einmal formulierte) und "Subjektivierung der Arbeit" bedeute, inklusive Kreativität, Improvisationstalent, Emotionalität oder Kommunikationsfähigkeit im Arbeitsprozess. Oder: Hegemonie entspringt nicht mehr der Fabrik, sondern der Arbeit in Netzwerken und Projekten. Man ist zur Ergänzung verleitet: ... als Praktikanden und Leiharbeiter. Als Handwerker, Industriearbeiter, Bauer, Landarbeiter, als Beamter gar, sieht man ganz schön alt aus. Mikfeld definiert also das Problem Gramscis neu: Was folgt aus dieser Entwicklung für ein "neues hegemoniales Projekt"?

Zunächst wieder Prinzipielles: Die Linke ist nicht gegen die Wirtschaft, sondern für ein besseres Wirtschaften. Ich versuche ironisch die sympathischste Interpretation: Die Linke ist also für postmoderne Sowjetmacht plus nachhaltig produzierter Elektrizität? Dafür - und nun beginnen die strategischen Mühen der Ebenen, am besten bedient man sich neu gegründeter Institute - müssen aber die "Noch-Nicht-Überzeugten" für das hegemoniale Projekt gewonnen werden. Dabei hilft Sloterdijk mit der Erkenntnis der "kreativen Vielfalt" der gesellschaftlichen Mitte. Richtig gelesen. Es geht einmal mehr um die Mitte, allerdings die "kreative". Mikfeld geht nämlich davon aus, dass die Menschen in ihrem Handeln - und wer würde da widersprechen? - nicht widerspruchsfrei sind, zeigt aber zur Illustration der These sein Politikverständnis ausgerechnet am Beispiel dessen, der für Mindestlöhne, aber gegen Ausweitung der Mitbestimmung ist (also doch keine Sowjetmacht, schade).

Was aber konkret tun? Mikfeld entwickelt "strategische Denkaufgaben", darunter die "Leitidee", also "Vision" (wohl doch nicht Utopie), vom guten Leben und vom Gemeinwohl. Und hier in der Tat nichts "Blochisches" mehr erkennbar. Zum "Gemeinwohl" gehöre nämlich ein "Wir" jenseits alter Gruppen- und Klassenidentitäten (Adieu Sozialismus? Nicht nur als Name?), ein "Wir" aus "wechselnden Diskurskoalitionen". Er weiß auch, dass dieses "Wir" ein "Die" braucht - und hier wird es spannend (denn die Kapitalisten als Klasse meint er nicht, den Kapitalismus auch nicht, weil er in dessen Rahmen, pardon, "frame", sich weiter bewegen will, um "besser wirtschaften" zu können), nein, "Die", das sind diejenigen,die die dem Gemeinwohl entgegenstehende Logik ... zementieren und auf Kosten anderer von ihr profitieren. Meint er das so? Dass Gemeinwohl vor Eigennutz gehe? Gab es nicht schon einmal eine ähnliche Parole? Und wie kommt es, dass ausgerechnet an dieser Stelle die unsägliche Heuschreckenmetapher (die 1819 erstmalig von Antisemiten geprägt wurde) als positives Beispiel für politische Anschaulichkeit gepriesen wird? Aber wenn "wir" schon einmal dem Volke ohne Klassenidentität aufs Maul schauen: Mikfeld kritisiert sowohl die BWL-Speech der Agenda-Politik als auch den linken "Negativismus" ("apokalyptisch-pessimistisch"). Denn: so gewinnt man keine "Meinungsführerschaft" mittels "organischer Intellektueller".

Ich fasse resignierend zusammen. So richtig utopisch ist das wohl nicht. Es geht auch Mikfeld um die strategische Mitte. Die muss nur richtig angesprochen und eingebunden werden - aber flexibel. Fürs Volk bleiben wir bei den Heuschrecken. Vielleicht erfinden wir noch andere einprägsame Bilder. Ist es eine linke Opposition mit einer konkreten Utopie, die hier entworfen wird? Doch eher eine sich links rufende "Apposition", wie Peter Rühmkorf das einmal nannte. Und Bloch wird weiter in den Regalen verstauben. Denn auch die Thinktankmen der beiden anderen Parteien ... ach, lassen wir das.

(1) André Brie, Die Linkspartei: Ideologie oder Politik, Reinhard Loske, Effizienz versus Suffizienz: Das grüne Schisma, Benjamin Mikfeld, Auf der Suche nach dem Gemeinsamen, in: Blätter für deutsche und internationale Politik, 8/2011

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