Europa muss endlich Heimat werden

Rechtspopulismus Ob in der Schweiz, in Österreich, in Polen, in Deutschland oder in Frankreich - die rechten Parteien sind auf dem Vormarsch. Es wird Zeit, dass wir dagegen aktiv werden

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In der Schweiz wurde bei der Wahl letzte Woche die rechtspopulistische SVP wieder einmal stärkste Kraft und konnte noch einmal deutlich an Stimmen gewinnen. Bei der Wahl in Wien kam die rechtsradikale FPÖ auf über 30 Prozent. In Polen zeigte sich bei der Wahl ein ähnliches Bild. Auch in Frankreich führt erstmals der Front National in den nationalen Umfragen. In Ungarn haben wir uns längst an Viktor Orban gewöhnt. In Deutschland feiert die Pegida Bewegung ihr einjähriges Bestehen und wir können ein Wiedererstarken der AFD beobachten. Diese europäische Liste der Schande ließe sich noch lange fortsetzen. In fast allen europäischen Ländern lässt sich derzeit ein beunruhigendes Erstarken von rechten Parteien und Gedanken beobachten. Die aktuelle Debatte um den richtigen Umgang mit Flüchtlingen scheint diesen Aufschwung noch einmal deutlich zu befeuern. Es wird Zeit, dass wir uns in Europa mit diesem Problem befassen. Wenn wir es weiter ignorieren wird es immer nur noch größer. Doch wie kann man einem solchem Phänomen effektiv begegnen?

Wenn man diesem Phänomen wirklich auf den Grund gehen will dann kommt man nicht an Europa aber auch an einem längst verschmähten Begriff vorbei: den der Heimat. Nun ist es so, dass die Heimat, gerade in Deutschland, ein recht schwieriger Begriff ist. So gibt es die Heimatvertriebenen, die Heimatkultur, die Heimatfront oder den Heimaturlaub. Mit dem Begriff schwingt oft etwas Vergangenes, etwas Nationales oder etwas Anrüchiges mit. Doch trotz dieser schwierigen Vergangenheit ist der Begriff der Heimat zu wichtig um ihn einfach fallen zu lassen. Heimat definiere ich dabei nicht als geographischen Raum sondern als ein Gefühl, als einen Ort der Geborgenheit, des Dazugehören.

Viele Menschen kennen eine solche Heimat nicht mehr. Dabei brauchen wir sie alle egal ob in der Großstadt oder auf dem Dorf egal ob alt oder jung. Wir brauchen ein Gefühl des Dazugehören. Doch immer mehr Menschen fehlt dieses Gefühl der Heimat. Sie fühlen in sich eine große Verunsicherung. Diese Verunsicherung hat viele Ursachen: auf der einen Seite greift die Ökonomisierung und die Globalisierung der Gesellschaft diese Heimat an. Hinzu kommt eine digitale Revolution die mittlerweile die gesamte Bevölkerung erfasst hat. Aktuell spüren auch viele Menschen durch die ankommenden Flüchtlinge eine große Verunsicherung. Die wichtige Frage die sich nun daraus stellt lautet: kann Europa eine Heimat sein?

Bislang hat die EU die Heimat vor allem angegriffen. Trotz aller Weltoffenheit und Globalisierung verbinden viele den eigenen Nationalstaat noch mit Heimat. Dabei geht es den wenigsten wirklich um den Staat sondern vielmehr um Sprache, das sonntägliche Tatort schauen oder die kollektive Erinnerung an Ereignisse. Die EU mit ihren Bestrebungen der Vereinheitlichung greift zu allererst einmal diese Heimat an.

Doch die EU greift nicht nur die nationale Heimat an sondern sie steht auch für viele Gründe warum sich diese „Heimatlosigkeit“ und damit auch die große Verunsicherung in weiten Teilen der Bevölkerung so verbreiten konnte. Viele Menschen sehen, teils zu Recht, teils zu Unrecht, die EU als Treiber der Globalisierung, als Treiber der Digitalisierung und als Treiber eines zunehmenden ökonomischen Drucks innerhalb der Gesellschaft.

Die EU greift also das Gefühl von Geborgenheit, von Heimat an und kann dabei selber keinen Ersatz bieten. Dafür fehlt sowohl der materielle als auch die personelle Basis. Es fällt wohl den meisten Menschen schwer sich mit der EU-Kommission oder Jean-Claude Juncker zu identifizieren. Außerdem ist für die Identifikation wichtig, dass man selber daran beteiligt war, dass man selber dazu beigetragen hat. Doch Europa wurde in den letzten Jahrzehnten oft nur als rein ökonomisches Projekt von vielen betrachtet. Es ist dabei auch nicht verwunderlich, dass gerade in den Euro, also immer die Hoffnung einer stärkeren gemeinsamen Identität mitschwang. Und am Aufbau des Projektes Europa waren oft nur Politikerinnen und Politiker beteiligt. Es wurde leider im Laufe der Zeit vergessen auch die Bürgerinnen und Bürger in dieses Projekt einzubeziehen.

Dabei wäre jetzt ein guter Zeitpunkt der Wende. Europa wurde auf den Erfahrungen des 2. Weltkrieges aufgebaut. Hier wird die EU nun Opfer ihres eigenen Erfolges. Meine Generation und auch ich persönlich, kann mir einen Krieg unter europäischen Ländern einfach nicht mehr vorstellen. Für mich klingt das eher nach Science Fiction als nach einem realistischen Szenario. Da kann ich mir die Geschichte Europas auch noch so oft vor Augen führen. Historische Erfahrungen und vor allem die damit verbundenen emotionalen Erfahrungen verblassen immer weiter.

Wenn wir in Europa den rechtspopulistischen Parteien wirklich Paroli bieten wollen dann müssen wir den Menschen in Europa wieder eine neue Heimat bieten. Was erst einmal so leicht klingt ist allerdings sehr schwierig umzusetzen. Doch zwei wichtige Schritte sind für diese Entwicklung unerlässlich: erstens darf Europa kein rein ökonomisches Projekt mehr sein. Zweitens muss Europa zum erfahrbaren Projekt der Bürgerinnen und Bürger werden. Nur so lassen sich nicht nur die Symptome sondern auch die Ursachen für das Aufkommen der rechtspopulistischen Parteien in Europa bekämpfen. Es wird Zeit, dass wir endlich handeln.

Dieser Beitrag gibt die Meinung des Autors wieder, nicht notwendigerweise die der Redaktion des Freitag.
Geschrieben von

Yannick

Yannick Haan ist Sprecher des Forums Netzpolitik der Berliner SPD und Mitglied in der Netz- und Medienpolitischen Kommission beim SPD Parteivorstand.

Yannick

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