Florence Reece »Which side are you on?«

Protestsong Die Geschichte hinter dem Song »Which side are you on?« von Florence Reece

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Florence Reece textete 1931 mit »Which side are you on?« eine Hymne der Gewerkschaftsbewegung. Sie stellt nur eine einfache Frage. Aber weil die Antwort über so viel entscheidet, fesselt der Song bis heute

Am 15. Juli 1931 stürmt ein Dutzend Hilfssheriffs illegal das Haus von Florence Reece. Sie suchen ihren Mann Sam. Die Schergen des Sheriffs wollen ihn wegen seiner Streikaktivitäten einzuschüchtern. Es ist kein ungewöhnlicher Vorgang zu dieser Zeit und doch wird das Ereignis Florence Reece dazu bringen, ein Stück Musikgeschichte zu schreiben.

Sam ist Bergarbeiter und Organizer der United Mine Workers (UMW) in Harlan County, Kentucky, dem viertgrößten Kohlerevier in den USA. In den engen Schächten der Minen leisten 18.000 Bergleute körperliche Schwerstarbeit, um das »Schwarze Gold« aus der Erde zu holen. Niedrige Löhne und Zehnstundenschichten bringen den Kohlekonzernen Millionenprofite ein. Die Bergarbeiter hingegen gehören zu den schlechtbezahltesten Berufsgruppen in den USA. Zwischen 1929 und 1931 sinkt der durchschnittliche Jahreslohn eines Bergarbeiters in Harlan County von 1235 auf 749 Dollar. Weil sie nur knapp zwei Dollar am Tag verdienen, können viele Arbeiter ihre Familien nicht mehr ernähren.

In den ersten drei Jahren nach Beginn der Weltwirtschaftskrise von 1929 sterben in Harlan 231 Kinder an Unterernährung. Als im Frühjahr 1931 einige Zechenbetreiber erneut eine zehnprozentige Lohnkürzung durchsetzten wollen, beginnen die Arbeiter, sich zu wehren.

Hilflos, spontan und unorganisiert, im Wissen, dass sie »lieber kämpfend als arbeitend hungern«, wenden sich die Bergleute an die Gewerkschaft. Zuerst streiken nur die Arbeiter der »Black Mountain Coal Company«, aber innerhalb weniger Tage treten 3000 Bergleute in die Gewerkschaft ein und die Bewegung erfasst ganz Harlan County. Mittendrin in der Organisation des Streiks: Florence und Sam Reece.

Die Bosse der Kohleindustrie sind besonders gewerkschaftsfeindlich und haben eine ungeheure Macht in der Region. Etwa ein Viertel der Bevölkerung arbeitet in den Minen und fast jeder im Land ist von der Kohleindustrie abhängig. Nur etwa 12.000 der 70.000 Einwohner von Harlan County wohnen in freien Städten und selbst dort ist der Einfluss der Kohlekonzerne stark. Die anderen 58.000 leben in »Company Towns«. Das sind von den Zechenbetreibern aufgebaute und kontrollierte Siedlungen. Im Jahr 1938 widmete sich die New York Times der Situation in Harlan County. Die Menschen, so schrieb die Zeitung, »leben in firmeneigenen Städten, wohnen in firmeneigenen Häusern, gehen auf firmeneigenen Straßen, kaufen in firmeneigenen Läden, gehen zu firmeneigenen Kirchen und schicken ihre Kinder auf firmeneigene Schulen. Krankheiten werden von firmeneigenen Ärzten behandelt und das Gesetz wird oft von firmeneigenen Richtern vertreten, die über das Eigentum der Zechenbetreiber wachen. Eines der großen Unternehmen hatte bis vor kurzem sogar ein eigenes privates Gefängnis.«

Die Kohlebosse kontrollieren nahezu jeden Aspekt des gesellschaftlichen Lebens in den Bergbauregionen der USA. Jetzt nutzen sie ihre Macht, um den aufkommenden Protest der Bergarbeiter im Keim zu ersticken. Dafür ist ihnen jedes Mittel Recht: Einschüchterung, Zwang, Unterdrückung und Mord.

Sie stellen »schwarze Listen« auf, auf denen alle Arbeiter und deren Angehörigen vermerkt werden, die sich in der Gewerkschaft engagieren. Sie heuern bewaffnete Schläger an, die wahllos Menschen in den Bergarbeitersiedlungen angreifen, die sie für Gewerkschaftsmitglieder halten. Nicht selten werden der lokale Sheriff und seine Gehilfen direkt von den Kohlebaronen bezahlt, um gewerkschaftliche Aktivitäten zu stören. So auch in Harlan. Der diensthabende Sheriff John Henry Blair erklärt später, er habe während des Streiks von 1931-1932 »alles in [seiner] Macht stehende getan, um den Zechenbetreibern zu helfen«. Harlan County befindet sich während der Streikbewegung im Kriegszustand: Hunderte werden verletzt, elf Menschen sterben.

Die Hausdurchsuchung bei Florence und Sam Reece endet für die Hilfssheriffs erfolglos. Sie treffen nur Florence und ihre sieben Kinder an. Nachdem die Polizisten abgezogen sind, schreibt sie den Song »Which Side Are You On?« (»Auf welcher Seite stehst du?«), eine kompromisslose Aufforderung, sich dem Kampf der Bergarbeiter anzuschließen:

Come all you good workers, Good news to you I’ll tell / Of how the good old union / Has come in here to dwell.

(Kommt ihr Arbeiter, ich erzähle euch eine gute Nachricht / Wie die gute alte Gewerkschaft sich hier heimisch gemacht hat.)

Which side are you on, boys? / Which side are you on? / Which side are you on, boys? / Which side are you on?

(Auf welcher Seite steht ihr, Jungs? / Auf welcher Seite steht ihr? / Auf welcher Seite steht ihr, Jungs? / Auf welcher Seite steht ihr?)

My daddy was a miner, And I’m a miner’s son, And I’ll stick with the union / ‘Til every battle’s won.

(Mein Vater war Bergarbeiter und ich bin der Sohn eines Bergarbeiters, ich stehe zu der Gewerkschaft / Bis alle Schlachten gewonnen werden.)

They say in Harlan County / There are no neutrals there. / You’ll either be a union man / Or a thug for J. H. Blair.

(Sie sagen, in Harlan County / Es gibt keine Neutralen hier / Entweder bist du Gewerkschafter / Oder ein Schläger für J. H. Blair.)

Oh workers can you stand it? / Oh tell me how you can? / Will you be a lousy scab / Or will you be a man?

(Oh, ihr Arbeiter, haltet ihr das aus? / Oh, sagt mir, wie schafft ihr das? / Wirst du ein lausiger Streikbrecher oder wirst du ein Mann sein?)

Don’t scab for the bosses, Don’t listen to their lies. / Us poor folks haven’t got a chance / Unless we organize.

(Mach nicht den Streikbrecher für die Bosse, Höre nicht auf ihre Lügen / Wir Armen haben keine Chance / Es sei denn, wir organisieren uns.)

»Which Side Are You On?« basiert auf einer Melodie, die die Arbeiter aus den Gottesdiensten kennen. Das Lied verbreitet sich über Mundpropaganda von Streikposten zu Streikposten, auf Gewerkschaftsversammlungen und Protestkundgebungen in Harlan County. Der Song gewinnt schnell an Popularität, weil überall in den USA Arbeiter gegen die Auswirkungen der Weltwirtschaftskrise, für höhere Löhne, bessere Arbeitsbedingungen und die Anerkennung ihrer Gewerkschaften kämpfen. Alleine im Jahr 1934 sind 1,5 Millionen Arbeiter im Streik – »Which Side Are You On?« trifft den Nerv der Zeit. Der Text wird je nach Arbeitskampf verändert und so findet das Lied immer weitere Verbreitung. Im Jahr 1940 lernt der Folksänger Pete Seeger das Lied von einem Bergarbeiter. Mit seiner Band, den Almanac Singers, bringt er es 1941 erstmals auf Platte heraus. In den 1960er Jahren wird der Song von der schwarzen Bürgerrechtsbewegung neu interpretiert.

Florence Reece bleibt bis zu ihrem Tod im Jahr 1986 aktiv. Sie ist nie professionelle Musikerin. Vielmehr stellt sie ihr Können in den Dienst der US-amerikanischen Gewerkschaftsbewegung, die vor allem in den 1930er und 1940er Jahren Musik bei der Aufbauarbeit einsetzt: So entstehen eine ganze Reihe bekannter Songs wie »I Am A Girl Of Constant Sorrow« von Sarah Ogan Gunning oder »I Am a Union Woman« von Aunt Molly Jackson.

Als es im Jahr 1973 eine weitere große Streikwelle in Harlan County gibt, unterstützt Florence Reece die Bergarbeiter und singt »Which Side Are You On?« a capella vor Tausenden auf einer Gewerkschaftsversammlung. Ihr Lied ist zum Klassiker geworden.

Bis heute inspiriert es Musiker und ist lebendiger Teil der Widerstandskultur. Billy Bragg sang seine Version in den 1980er Jahren in Großbritannien vor streikenden Bergarbeitern. Ein Jahrzehnt später vertonte es die Punkband Dropkick Murphys und spielte es auf ihrer Tour vor tausenden Jugendlichen. Vor fünf Jahren schuf die Hip-Hop-Band Rebel Diaz eine Rapversion und die mit dem Grammy ausgezeichnete Folksängerin Ani DiFranco setzt den Ton für 2012. Ihr neues Album heißt: »Which Side Are You On?«

Der Song: »Which Side Are You On?« von Florence Reece entsteht 1931

Die Künstlerin: Florence Reece (geb. Patton, *12. April 1900, 3. August 1986) war eine amerikanische Gewerkschaftsaktivistin und Sängerin. Bekannt wurde sie durch den Song »Which Side Are You On?« geschrieben im Jahre 1931 während des Harlan County Streik der United Mine Workers of America und der National Miners Union.

Dieser Beitrag gibt die Meinung des Autors wieder, nicht notwendigerweise die der Redaktion des Freitag.
Geschrieben von

YPA

äh wie jetzt...

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