Flüchtlingsberater: Keine Unschuldsvermutung

Flucht und Migration Der Aachener Flüchtlingsberatung droht nach 25 Jahren das Aus, weil einem Mitarbeiter Schleusung vorgeworfen wird. Anklage wurde bisher nicht erhoben

Bei diesem Beitrag handelt es sich um ein Blog aus der Freitag-Community.
Ihre Freitag-Redaktion

Die Berater haben dieses Jahr schon fast 1.200 Beratungsgespräche allein für unbegleitete, minderjährige Flüchtlinge geführt
Die Berater haben dieses Jahr schon fast 1.200 Beratungsgespräche allein für unbegleitete, minderjährige Flüchtlinge geführt

Foto: Louisa Gouliamaki/AFP/Getty Images

Die Staatsanwaltschaft Aachen wirft einem Mitarbeiter einer Beratungsstelle für Flüchtlinge gewerbsmäßige Schleusung von Ausländern vor. Nun droht der Einrichtung nach 27 Jahren die Schließung, weil die Stadt Aachen und das Land Nordrhein-Westfalen die Förderung beenden. Und das obwohl die Staatsanwaltschaft sagt, dass die Einrichtung an sich nicht Gegenstand der Ermittlungen sei.

Die Vorsitzende des Trägervereins der Einrichtung, Elisabeth Hodiamont, sagt: „Eine Anklage des Mitarbeiters erfolgte bis heute nicht“. Jetzt steht allerdings die Förderung durch die Stadt Aachen und das Land Nordrhein-Westfalen in Gänze auf der Kippe. Hodiamont: „Wir erhielten am 8.6. nach Monaten, in denen die weitere Förderung der nicht betroffenen MitarbeiterInnen nie in Frage gestellt wurde, die abschlägige Antwort!“. Auch die Nicht-Beschuldigten Mitarbeiter werden nun nicht weiter gefördert. Der Beratungsstelle, die in zwei Büros Erwachsene und unbegleitete, minderjährige Flüchtlinge berät, droht nun das Aus. Die Berater haben dieses Jahr schon fast 1.200 Beratungsgespräche allein für unbegleitete, minderjährige Flüchtlinge geführt. Im letzten Jahr fanden insgesamt 9.000 Beratungsgespräche für Kinder und Erwachsene statt.

Schon Dobrindts (CSU) Kommentar, dass es eine „Anti-Abschiebe-Industrie“ gäbe, hat Flüchtlingsberater in die Nähe von Kriminellen gestellt. Die Ereignisse um die Beratungsstelle in Aachen zeigen, dass es nicht bei Populismus bleibt. Und so muss die Frage erlaubt sein: Gilt die Unschuldsvermutung auch für Flüchtlingsberater?

Auch in der Pfalz scheinen Beratungsstellen vor Herausforderungen bei der Erneuerung der Förderung zu stehen. Und in Oberbayern versucht die Bezirksregierung, den Verfahrensberatern den Zugang zu Flüchtlingen zu erschweren (hier).

Fehlerhafte Bescheide des BAMF machen Beratung unentbehrlich

Schon im März 2017 berichtete die ZEIT, dass das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge (BAMF) in seinen Ablehnungen Textbausteine benutzt und auf Empfehlungen der Unternehmensberatung McKinsey zwar eine „Hochleistungsbehörde“ wurde, die allerdings mehr als schlampig arbeitet. Im zusammengesparten BAMF herrscht ein ungeheurer Zeitdruck und sogenannte „Entscheider“ beurteilen Asylanträge ohne die Flüchtlinge je gesehen zu haben, wodurch sie keine Rückfragen zu deren Fluchtgeschichte stellen können (hier und hier). Innerhalb der Behörde kursiert sogar ein anonymer Brief von Mitarbeitern: „Der Mitarbeiter als Mensch, der Asylbewerber sowieso (…) spielt keine Rolle mehr. Die Zahlenfetischisten regieren durch – Rechtsbrüche sind vollkommen egal“ (hier). Leidtragende dieser Reformen sind nicht nur die MitarbeiterInnen des BAMF, sondern vielmehr noch die Flüchtlinge. Ihr Schicksal wird zu einer bloßen Statistik, die es zu „optimieren“ gilt.

Allein in den ersten neun Jahren des letzten Jahres gab es 273.000 Klagen gegen Entscheidungen des BAMF. 100.000 der Klagen waren erfolgreich (hier), was veranschaulicht, dass die Ablehnungen des BAMF häufig gegen geltendes Recht verstoßen. Diese Zahlen zeigen die Notwendigkeit einer juristischen Beratung. Die Beratung von Flüchtlingen, vor allem auch von minderjährigen Unbegleiteten, ist ein grundlegendes Recht dieser Menschen.

Anbei die Pressemitteilung aus Aachen im Wortlaut:

Café Zuflucht vor dem Aus – Dringender Appell um Unterstützung!

Pressemitteilung vom 11.06.2018:

Die Aachener Flüchtlingsberatungsstelle Café Zuflucht steht vor dem Aus. Dies betrifft sowohl die Beratungsstelle für erwachsene Geflüchtete und Familien in der Wilhelmstraße 40 als auch die für unbegleitete minderjährige Flüchtlinge in der Wilhelmstraße 59.

„Die Zuschüsse vom Land Nordrhein-Westfalen und der Stadt Aachen wurden in diesem Jahr nicht, wie bisher üblich, bewilligt. Am 08.06.2018 wurden wir vom zuständigen Ministerium informiert, dass eine Landesförderung wegen des anhängigen Ermittlungsverfahrens gegen einen unserer Mitarbeiter nicht bewilligt wird. Am 13.06.2018 muss der Vorstand die Eröffnung des Insolvenzverfahrens beantragen“, so Elisabeth Hodiamont, die Vorsitzende des Trägervereins REFUGIO e.V.

Zur Erinnerung: Am 14.12.2017 durchsuchte die Bundespolizei die Räume des Café Zuflucht in der Wilhelmstraße 40, weil gegen einen Mitarbeiter wegen des Verdachts der gewerbsmäßigen Schleusung von Ausländern ermittelt wird. Die Staatsanwaltschaft Aachen betonte nach der Durchsuchung in ihrer Presseerklärung, dass das Café Zuflucht selbst nicht Gegenstand der Ermittlungen sei. Der Vorstand von REFUGIO e.V. erklärte, das Café Zuflucht beteilige sich in keiner Weise an Schleusungen und ist von der Unschuld des Mitarbeiters überzeugt. Dem Vorstand ist sehr an einer Aufklärung interessiert und unterstützt die Ermittlungen im Rahmen seiner Möglichkeiten.

Hodiamont: „Über den Stand der Ermittlungen haben wir keine Kenntnis. Eine Anklage erfolgte bis heute nicht. Wir haben alle Geldgeber/innen sofort nach der Durchsuchung informiert, um Transparenz und Offenheit zum Dialog für alle zu schaffen. Alle Fragen der Geldgeber haben wir umgehend beantwortet, alle Forderungen erfüllt. Wegen des Ermittlungsverfahrens gegen einen Mitarbeiter stehen beide Beratungsstellen vor dem Aus. Wir erhielten am 8.6., nach Monaten, in denen die weitere Förderung der nicht betroffenen Mitarbeiter/innen nie in Frage gestellt wurde, die abschlägige Antwort!“

Denn bis Mai 2018 hatte es seitens des Landes keinerlei Signale für einen Förderstopp gegeben. Die zuständige Bezirksregierung hatte zwar deutlich gemacht, dass für einen der Schleusung verdächtigten Mitarbeiter bis zur Klärung des Sachverhaltes keine Fördermittel ausgezahlt werden, für die unbelasteten Mitarbeiter/innen ist die Förderung jedoch wie bisher in Aussicht gestellt worden. Erst durch telefonische Nachfragen - fünf Monate nach der Antragstellung und nach der Mitteilung an alle Geldgeber über die erfolgte Durchsuchung - hatte der Verein Mitte Mai erfahren, dass die Förderung von Stadt und Land NRW in Gänze auf der Kippe steht.

In einem Klärungsgespräch am 22.05.2018 im Ministerium für Kinder, Familie, Flüchtlinge und Integration (MKFFI) in Düsseldorf, in dem nochmals auf die hohe Dringlichkeit der Fördermittel für das Überleben des Café Zuflucht hingewiesen wurde, stellte die zuständige Referatsleiterin dem ehrenamtlichen Vorstand von Refugio e.V. eine baldige Entscheidung in Aussicht. Eine Antwort der Referatsleiterin blieb aus. Aufgrund der unermüdlichen aber leider vergeblichen Versuche des Vorstandes in der vergangenen Woche, die Referatsleiterin zu kontaktieren, nahm sich der zuständige Abteilungsleiter unseres Anliegens an und teilte noch am 08.06.2018 mit, dass die Landesmittel aufgrund der laufenden staatsanwaltlichen Ermittlungen nicht bewilligt werden.

Die Beratungsstelle ist hoch frequentiert: Allein 2017 besuchten mehr als 3.000 Ratsuchende die beiden Anlaufstellen für erwachsene und unbegleitete minderjährige Flüchtlinge. Es fanden fast 9.000 Beratungsgespräche statt. In den ersten fünf Monaten 2018 haben die fachkundigen Berater/innen bisher mehr als 1.200 Ratsuchenden weitergeholfen. Noch vor zwei Jahren, anlässlich des 25-jährigen Jubiläums, beteuerten Oberbürgermeister Marcel Philipp und Vertreter der Ratsfraktionen und der Verwaltung die Wichtigkeit des Café Zuflucht für Aachen. Sie versicherten der Einrichtung jedwede Unterstützung.

Der Trägerverein wird mit Eröffnung des Insolvenzverfahrens handlungsunfähig!

Deswegen wenden wir uns nun an die Öffentlichkeit und bitten unsere Netzwerkpartner, politisch Verantwortliche, Unterstützer/innen und Bürger/innen dieser Stadt sich mit Solidaritätsbekundungen und Appellen an Ministerpräsident Armin Laschet und den zuständigen Minister Dr. Joachim Stamp für den Erhalt des Café Zuflucht einzusetzen. Einen unverbindlichen Entwurf für den Appell finden Interessierte hier:

http://www.cafe-zuflucht.de/

Dieser Beitrag gibt die Meinung des Autors wieder, nicht notwendigerweise die der Redaktion des Freitag.

Was ist Ihre Meinung?
Diskutieren Sie mit.

Kommentare einblenden