Blubberblasen

Kunst Von schwarzen Löchern, Kuckucksuhren und dem ganzen Schnee von Gestern. Über die neuen Arbeiten von Florian Haas

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“Blubberblasen. Von schwarzen Löchern, Kuckucksuhren und dem ganzen Schnee von Gestern” ist der Titel der Ausstellung. Zu sehen sind Arbeiten von Florian Haas: Großformatige Linolschnitte, die an Agitprop Protestplakate der 70er Jahre erinnern, sowie eine surrealistisch naive Wandtapete und eine Gruppe virtuos figurativ gemalter Gemälde. Auf den ersten Blick scheint die Spanne ungewöhnlich gross, in der sich diese Arbeiten bewegen . Die Werke sind formal sogar so unterschiedlich, wären da nicht die wiederkehrenden Moitive – Natur, Pilze und Bienen – man käme kaum auf die Idée, dass es sich bei all diesen Arbeiten um ein und den selben Künstler handelt.

Der Maler und Projektkünstler Florian Haas beschäftigt sich seit geraumer Zeit mit seiner eigenen Familiengeschichte. Den Berlinern ist er sicher noch durch Projekte wie “Evolutionäre Zellen” (NGBK 2002) in Erinnerung geblieben. Voller Ironie beschreibt Florian Haas sich immer wieder scherzend als “Heimatkünstler”. Für History Blog, seine neue Werkgruppe, hat Haas über Jahre in privaten und öffentlichen Archiven Details und Ereignisse recherchiert. Er verarbeitet die Briefe, Personalakten und Manuskripte seiner Vorfahren. Das auf der Tapete verwendete Bildmaterial wie z.B. Kinderbilder, botanische Zeichnungen, historische Postkarten, Buchillustrationen, Abbildungen aus dem Internet oder Familienfotos überträgt er mittels eines Grafikprogramms akribisch in minutös detailierte Illustrationen.

Die gegenständliche, illustrative Methodik, welche der Werkgruppe zugrunde liegt, wird durch die Verknüpfung historischer Ereignisse wunderbar anschaulich. Wie beispielsweise im Bild des Rechtshistorikers und Urgroßvaters Claudius von Schwerin, um dessen Porträt sich ein Schwarm weißer Rosen gelöst hat. Die Vorlage für eben diese weißen Rosen stammt wiederum von der Briefmarke "Verfolgung und Widerstand 1933 - 1945" der deutschen Bundespost von 1983. So entsteht ein direkter Verweis auf die Widerstandsgruppe um die Geschwister Scholl.

Die Brisanz der Szene erklärt sich aus dem unveröffentlichten Briefwechsel zwischen Wolfgang Simon und dem Rechtshistoriker Prof. Hans Thieme in dem es heißt:

» [...] Was nun die Geschwister Scholl betrifft, so wissen Sie vermutlich, daß Herr v. Schwerin zufällig an jenem 18.2.1943 durch das zweite Treppenhaus der Münchner Universität schritt, als die Flugblätter der Geschwister Scholl von oben herunter flatterten, und daß er den gerade vorbeikommenden Pedell (Hausmeister) anwies, dies abzustellen [...]«


Wie der berühmte Schmetterlingflügelschlag grosse Ereignisse auslösen kann führt hier die zufällige Überlagerung zweier Ereignisse – der Abwurf der Flugblätter verbunden mit dem Auftreten des Rechtshistorikers von Schwerin – zu einer Katastrophe.

Wir sehen Geschichte gerne vor dem Hintergrund großer Strukturen. Aber an den Wendepunkten der Geschichte wirkt immer der Einzelne. Was wäre, wenn …? Die Kausalität der Geschichtsschreibung ist nie so eindeutig, wie es den Anschein haben mag. »Die Frage: ›Was wäre geschehen, wenn das und das nicht eingetreten wäre?‹ wird fast einstimmig abgelehnt, und doch ist sie gerade die kardinale Frage.« (1)

Durch das visuelle Geflecht aus Grafiken, Bildern und Illustrationen entsteht auf den Tapeten eine eigenwillige Form der "Historienmalerei", deren Grundgerüst immer das Quellenstudium und die Recherche bildet. Die 3 großformatigen Wandtapeten gliedern sich nach den Themen: Familiengeschichte, Pubertät und dem regionalgeschichtlichen Kontext am Beispiel der Geschichte des Elsass.

»Vor Jahren habe ich mich auf die Suche nach dem brüchigen Gewebe meiner eigenen Familiengeschichte gemacht. Ich habe in Archiven gegraben und die Personalakten, Doktorarbeiten und Vorlesungen meiner Vorfahren gelesen. Und dann waren da noch die in alten Schuhkartons verwahrten Briefe und vergilbten Fotos. Die Kinderlocke meines Urgroßvaters fand ich zwischen den Blättern einer Speisekarte aus den unschuldigen Jahren vor dem Krieg. Mein größter Fund aber war eine Mappe mit den Kinderzeichnungen meines Vaters und seiner Geschwister.« (Florian Haas)


Florian Haas hat auf seinen Tapetenbahnen die Splitter der Vergangenheit in Seifenblasen gepackt, die sich wie Mikrosysteme leicht tänzelnd in die Lüfte erheben. Ahnte man nicht den Schrecken hinter manchen der fröhlichen Illustrationen, leicht könnte man auch an eine Tapete in einem Kinderzimmer denken.

Immer wieder treffen die Ereignisse auf den Tapeten von Florian Haas auf den großen Strom der deutschen Geschichte. Der Betrachter wird Zeitzeuge, der Schleier der Vergangenheit lüftet sich und vergessen Geglaubtes wird zu neuem Leben erweckt. Hier berührt private Familienhistorie für einen kurzen Moment den Rockzipfel der Weltgeschichte.

Der Betrachter bekommt in dieser Ausstellung erstmals die Möglichkeit, das den Wandarbeiten von Florian Haas zu Grunde liegende Konstruktionsprinzip in all seinen historischen Bezügen nachzuvollziehen. So sind die gesammelten Werke aus Haas' History Blog am Ende doch nichts weniger, als der Versuch einer neuen Geschichtsschreibung in den eng umrissenen Mikrosystemen der eigenen Herkunft.

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About: Florian Haas hat Malerei an der Akademie der Bildenden Künste in Karlsruhe bei Peter Dreher studiert (1983-88). Während des Booms der neoexpressionistischen Malerei in Deutschland beschäftigte er sich mit der politisch-dokumentarischen, kontextorientierten Arbeit in Künstlergruppen. So entstanden ab ’88 zahlreiche dokumentarische Porträts von Gegenden und Orten, von Mikrokosmen. 1998 zum Beispiel führte er zusammen mit Martin Schmidl in den sachsen-anhaltinischen Dörfern Tornitz und Werkleitz mit den Bewohnern Interviews zur DDR-Vergangenheit und den Umwälzungen nach der Wende. 1998 schlossen sich Florian Haas und Martin Schmidl mit Andreas Wolf und Martin Brandt zur Künstlergruppe finger zusammen und begannen mit der Herausgabe der gleichnamigen Zeitschrift, die bis 2005 insgesamt 14-mal erschien. Seit 2007 betreibt Florian Haas das Kunstprojekt Stadtimkerei finger zusammen mit Andreas Wolf. (2)

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Arbeiten von Florian Haas’ Projekt Stadtimkerei finger sind auf dem Dach des Museum für Moderne Kunst (MMK), in Frankfurt zu sehen oder in der Galerie Heike Strelow.

Die nächste Möglichkeit auf’s Dach des MMK zu den Bienen zu gehen ist am 29. August um 19 Uhr. Treffpunkt Foyer MMK, Frankfurt.


In der Berliner Prinzessinengärten ist ebenfalls eine Arbeit der Stadtimkerei finger bis zum 30.9.2012 ausgestellt.

(1) Friedrich Nietzsche, 1875 (IV 1, 132)

(2) Holger Kuber-Ventura “Gruppenprojekte und Autorenwerke” in Florian Haas – Bilder und Projekte, 2009, KANN-Verlag, Frankfurt am Main

Die webseite des Künstlers mit vielen Bildern und Informationen über die Arbeit www.bilderhaas.de

Seit 2007 betreibt Florian Haas das Kunstprojekt stadtimkerei finger zusammen mit Andreas Wolf. Spannende Geschichten und Infos zur stadtimkerei finger.

Bücher zu den Arbeiten von Floian Haas sind erschienen im Gutleutverlag und im KANN-Verlag, Frankfurt am Main

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