"Nacht und Tag"

Fotografie Der Künstler Eike Laeuen lässt an der Schnittstelle zwischen Malerei, Photographie und Zeichnung aus den Spuren des menschlichen Alltags ein Werk entstehen

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Foto: Eike Laeuen, Brache Tempelhof, 2011

Tagsüber wird gemalt. Nachts entstehen Tuschezeichnungen. Auf nächtlichen Spaziergängen die Handyfotos, und unterwegs – auf Reisen – werden Schwarzweißfotos gemacht. Mit virtuoser Leichtigkeit wechseln die Arbeiten des ­Berliner Künstlers Eike Laeuen zwischen Malerei, Fotografie und Zeichnung. Sujets der Arbeiten sind urbane Brachen. Verlassene, dunkle Winkel; die anonymen Nicht-Orte der Großstadt. Das, was andere übersehen – eines Bildes nicht für wert erachten –, Eike Laeuen hält es in seinen Werken fest.

Laeuens Bilder sind allesamt Wirklichkeitskommentare: Sie erzählen ­Geschichten, provozieren Emotionen, setzen sich mit der Wirklichkeit ­auseinander. In einer Zeit, in der eine wachsende Anzahl künstlerischer ­Positionen mit Kunst die Wirklichkeit nur noch als Bühne aufzubereiten und zu inszenieren versteht, schaffen Eike Laeuens kraftvolle Arbeiten eine fast magische Verbindung zwischen Werk und Betrachter. An den Schnittstellen und Grenzbereichen zwischen Malerei, Photographie und Zeichnung – den ­ältesten, traditionellen, die Bildsprache prägenden Medien –, lässt der Künstler ein beispielloses Werk aus den Spuren des menschlichen Alltags entstehen.

Eike Laeuen (*1964) studierte Photographie bei Herbert Schwöbel und ­Malerei bei Christa Näher an der Frankfurter Städelschule. In Laeuens Werk geht der sinnliche Blick der Schwarzweiß-Photographie Herbert Schwöbels eine Synthese mit Christa Nähers magischen Bildwelten ein.

„Meinen Namen bitte nicht hinzufügen. Es sind nur Dokumentationsfotos, die ich gemacht habe“, hat der französische Fotograf Eugène Atget einmal gesagt.

Dieses etwas mehr als hundert Jahre alte ­Zitat ­eines der Pioniere der künstlerischen Fotografie verdeutlicht für mich eine zunehmend seltene Verfahrensweise, bringt es doch ganz nüchtern die künstlerische Haltung zum Ausdruck, die auch heute der von Eike Laeuen vielleicht am meisten entspricht: Der Künstler als Beobachter. Der Fotograf, ein Medium durch und durch. Bescheidenheit statt Selbstinszenierung. Anstelle des Willens zur Bedeutsamkeit begegnet uns hier die leidenschaftliche Neugier auf eine Welt hinter dem Kameraobjektiv. Der Blick ist das bedeutende Handwerkszeug, die Kamera lediglich ein Hilfsmittel.

Beide, Eugène Atget sowie Eike Laeuen teilen den Drang Vergänglichkeit zu bannen. Der Versuch, das im Verschwinden begriffene festzuhalten und über diese Flüchtigkeit dem, was unser Leben ausmacht, Gestalt zu verleihen. In Laeuens Fotos schimmern die lustvollen Entdeckungen der Orte immer noch hindurch. Die Freude an der fast absurden Choreographie zwischen Illusion und Realität, wo sich das ­Surreale in der Realität verbirgt, sich in ihr offenbart, wie die Nacht, in der Wände eines dunklen Tunnels Stimmen erklingen lassen.

Vielmehr noch als Malerei oder Zeichnung ist Fotografie das Medium der Gegensätzlichkeiten und Widersprüche. Es braucht Dunkelheit um das Licht zu sehen, ein Negativ um das Positive zu fixieren und ein umgedrehtes Bild auf dem Kopf, um die Welt so zu zeigen wie sie ist. Eike Laeuen greift dies sowohl in seiner Arbeitspraxis, als auch mit seinem Ausstellungs- und Buchtitel »Nacht und Tag« auf.

Liegt die Erfindung der Fotografie zwar weniger als 180 Jahre zurück, so ist das Verlangen Bilder festzuhalten wahrscheinlich so alt wie die Menschheit. Die Camera Obscura führt uns immer wieder vor ­Augen – bei allem Staunen und Magie der Bilder –, das Phänomen Fotografie ist eine vollkommen natürliche, optische Erscheinung.

Schon im alten Rom erzählte Plinius von dem Versuch eines Mädchens, den Schatten ihres Geliebten zu bannen. Viele der Themen der Romantik, beispielsweise die Sehnsucht nach der Essenz des Augenblicks, Vergänglichkeit und Zeit, werden von dem Medium der Fotografie geradezu exemplarisch verkörpert. So ist es sicher kein Zufall, dass ausgerechnet in der Epoche der Romantik die Mittel erfunden wurden Zeit anzuhalten, Bewegung einzufrieren, den Moment im Bild zu verewigen und Schatten endgültig zu fixieren. Zeit wird manipulierbar. Wenn bis dahin der Strom der Zeit langsam dahinplätscherte, so bricht gleichsam mit der Erfindung der Photographie die Moderne über die Welt herein.

Obwohl sie inzwischen zu unser aller Alltag gehört, ­obwohl sich unsere Wahrnehmung beschleunigt hat und die Auflösung von Zeit und Raum allgegenwärtig ist, der Photographie haftet doch umso mehr etwas Magisches an. Die gefrorene Fremdheit, die über der Welt der Erscheinungen liegt, bringt dieses Medium wie kein zweites zum Ausdruck. Vor allem aber ist ein großartiges Foto in der Art wie es den ewigen Zeitfluss durchtrennt bis ­heute ein Ereignis. Sogar vielleicht irgendwie immer noch eine Ungeheuerlichkeit.

Ähnlich wie Eugène Atget fotografiert Eike Laeuen nicht mit neuesten technischen Geräten. Vorherrschend ist der Blick des Menschen mit der ­Kamera sowie ein spielerischer, konzentrierter Umgang mit der Schnappschussfotografie kleiner beweglicher Apparate. Oft baut der Künstler sich oder seinen Schülern sogar Camera-Obscura Geräte, mit denen dann selbst blutigen Amateuren – unter Laeuens Anleitung – atemberaubend sinnliche Bilder gelingen. Licht, ein gestaltendes Element, durchzieht alle Werke des Künstlers; zu finden in der Fotografie ebenso, wie in der oft unvollendet anmutenden Malerei.

Zeit ist denn auch das verbindende ­Thema aller Arbeiten. Zeitverläufe in Form von Tag-Nacht- und Hell-Dunkel-Motiven. Oder dramatischen Lichtkegeln, die Bilder aus dem Dunkel zu schälen scheinen. Zeit und ihr Gerinnen, Vergänglichkeit – Natura Morte, wiederkehrende Motive im Werk des Künstlers.

Mit den Mitteln des Lichts, der Linie und der Farben werden Eindrücke ­gebannt. Vielschichtige Überblendungen und Überlagerungen finden in Eike Laeuens Werk ebenso auf technischer, wie auf semantischer Ebene statt. So entstehen magische, visuelle Formen künstlerischer Wahrnehmung, gleichsam seismographische Zeugnisse des menschlichen Alltags. Überschneidungen und Beeinflussungen innerhalb des jeweiligen Mediums – ganz gleich ob ­Photographie oder Malerei – werden in Laeuens Arbeiten zu Abbildern innerer Zustände.

Bei der Gestaltung seines Künstlerbuchs, im Layout der einzelnen Seiten, lässt der Künstler neue zusammenhängende Bildschöpfungen aus den Verschränkungen unterschiedlicher Bildelemente entstehen. Drei Bilder auf einer Seite eingebettet in Weißraum fügen sich in ein größeres Ganzes. So wird aus der anfangs dokumentarischen Buchidee eine eigenständige künstlerische Arbeit.

Mit dem Schritt der Veröffentlichung in Buchform verändert sich nicht zuletzt auch der Umgang mit dem eigenen Werk. Aus einer chronologischen Abfolge wird durch scheinbar zufällige Aufteilung und Gewichtung eine eigenständige Arbeit. Die unterschiedlichen Facetten einzelner Werkgruppen werden in ein beziehungsreiches Spiel gebracht. Die Reproduktion wird zum eigenständigen Bild. Wie beiläufig, ganz still und leise, wandelt sich der Künstlerkatalog zu einer komplexen, dialektischen Plattform. Aus der dann im nächsten Augenblick schon wieder ein neues Werk emportaucht. Aus ­Alltag wird Kunst, aus Fotos Malerei. Aus Abbild wird Buch, negativ wird positiv. Aus Nacht wird Tag.

Weitere Informationen zu den Arbeiten von Eike Laeuen http://www.eike.laeuen.de/Fotografie/Fotografie.html

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