Die Umwelt als Gefahr

Klima Die wenigsten Menschen migrieren freiwillig. Der Klimawandel mit seinen verheerenden Folgen zwingt immer öfter Menschen dazu, ihre Heimat zu verlassen. Aber auch die Suche nach Arbeit veranlasst Menschen, sich auf den Weg zu machen
Die Umwelt als Gefahr

Illustration: Rosa Luxemburg Stiftung/Atlas der Migration

Wetterbedingte Ereignisse, die auf den Klimawandel zurückzuführen sind, vertreiben Millionen Menschen. Doch der Status Klimaflüchtling oder Umweltmigrant:in ist bisher nicht anerkannt.

Der Klimawandel verändert die Migration in allen Regionen der Welt. Wetterextreme wie Überschwemmungen, Wirbelstürme und der Anstieg des Meeresspiegels sind die Ursache für Flucht und Vertreibung. Trotz ihrer relativ geringen CO2-Emissionen sind dabei Länder mit niedrigem Einkommen und marginalisierte Bevölkerungsgruppen unverhältnismäßig stark betroffen. Extremwetterereignisse wie Dürren zerstören ihre Lebensgrundlagen und zwingen Menschen zu gehen – nicht nur auf der Suche nach Arbeit, sondern um ihr Überleben zu sichern.

Die meisten Migrations- und Fluchtbewegungen spielen sich innerhalb des eigenen Landes ab. Wenn das nicht ausreicht und das Land verlassen werden muss, ziehen Menschen meist zunächst in Nachbarländer. Die Weltbank geht davon aus, dass die Auswirkungen des Klimawandels bis 2050 bis zu 216 Millionen Menschen dazu zwingen könnten, innerhalb ihres Landes umzuziehen.

Allein 2020 wurden 30,7 Millionen Menschen aufgrund wetterbedingter Ereignisse vertrieben. Das waren dreimal so viele, wie durch Konflikte oder Gewalt entwurzelt wurden. Die meisten Klimaflüchtlinge gibt es in Asien, wo im Jahr 2021 über 57 Millionen Menschen betroffen waren. Eine*r von drei Migrant*innen weltweit stammt von dem Kontinent. Ländliche Ortschaften leeren sich, Megastädte wie Indonesiens Hauptstadt Jakarta sind bedroht. Einige Regionen, die derzeit dicht besiedelt sind, werden unsicher oder unbewohnbar werden, heißt es im Bericht des Weltklimarates. Gründe sind Wassermangel und Ernteausfälle, Sturmfluten, Überschwemmungen in Flusstälern und andere Katastrophen.

Ob und wann eine Person den einschneidenden Schritt geht, ihr Zuhause zu verlassen, hängt allerdings nicht allein von den äußeren Gefahren ab. Ebenso sind soziale Faktoren wie Schutz durch die Gemeinschaft oder die individuelle finanzielle Situation maßgeblich. Migration, auch vorübergehende oder saisonale, kann eine wichtige Strategie sein, um den Auswirkungen des Klimawandels zu trotzen. Doch wenn die zuständigen Stellen direkt Betroffene nicht bei der Anpassung unterstützen, laufen sie Gefahr, in noch schlimmere Situationen zu geraten. Während das Recht zu migrieren universell ist, muss auch das Recht, nicht zu migrieren, geschützt werden, denn klimabedingte Migration ist meist erzwungene Migration.

Es gibt bis heute keine allgemein anerkannte Definition für eine Person, die vor dem Klimawandel flieht. Obwohl der Begriff «Klimaflüchtling» weitverbreitet ist, sind umweltbedingte Fluchtgründe von den UN bisher nicht formal als eigenständige Fluchtursache anerkannt. Dazu bedarf es einer Entscheidung der Mitgliedstaaten. Das UN-Flüchtlingshilfswerk UNHCR hat lediglich angeregt, über einen verbesserten Schutz für Menschen zu diskutieren, die im Zusammenhang mit Katastrophen und dem Klimawandel vertrieben werden. 2018 haben die UN den Globalen Pakt für Migration verabschiedet. Er sollte den Klimawandel als Migrationsursache anerkennen. Am Ende aber fiel die Formulierung so aus, als sei klimabedingte Migration freiwillig. Die Internationale Organisation für Migration verwendet den Begriff «Umweltmigrant*in», aber auch dessen Eignung ist umstritten, denn der Begriff Migrant*in hat keine rechtliche Definition.

Die Industrieländer, die für den größten Ausstoß von Kohlendioxid verantwortlich sind, sind auch die größten Grenzschützer der Welt. Sieben der größten Treibhausgasemittenten – unter anderem die USA, Deutschland und Frankreich – geben zusammen im Schnitt 2,3-mal so viel für Grenzkontrollen und kontrollierte Einwanderung aus wie für die Finanzierung klimawirksamer Maßnahmen.

In Deutschland forderte die Fluchtursachenkommission die Regierung 2021 auf, den Klimawandel als eine der Ursachen für künftige Migration zu berücksichtigen. Sie empfahl, die Länder des Globalen Südens bei der Bekämpfung des Klimawandels zu unterstützen, um Vertreibung und eine daraus resultierende Flüchtlingskrise in Europa zu verhindern. Dort, wo Migration am besten zur Anpassung und zur Rettung von Menschenleben geeignet ist, schlug das Expert*innengremium eine regionale und globale Zusammenarbeit vor, um Neuansiedlungsprogramme, reguläre Migrationswege und sogar Klimapässe für Menschen in Hochrisikogebieten zu schaffen. Dies sei ein starkes Symbol für den Flüchtlingsschutz auf der Grundlage der Menschenrechte. Deutschland müsse in die Anpassung an Klimarisiken im Globalen Süden investieren, etwa in Form widerstandsfähiger Infrastruktur, Frühwarnsystemen, Katastrophenschutz, humanitärer Hilfe, Entschädigungen und Wiederaufbau.

Hier liegt der Weg in die Zukunft. Ein menschenrechts- und migrationsbasierter Ansatz in der Politik der Länder des Globalen Nordens müsste anerkennen, dass niemand gezwungen werden will, seine Heimat zu verlassen. Solange die der Migration zugrunde liegenden Faktoren nicht in fairer und gerechter Weise angegangen werden und der Globale Norden an seiner Politik der Eindämmung und Zurückdrängung von Migration festhält, werden Migrant*innen gezwungen sein, andere und oft gefährliche Wege zu suchen, um zu überleben.

Autorin: Amali Tower, Mitarbeiterin der Menschenrechtsorganisation Climate Refugees in New York

30.11.2022, 18:46

Buch: Weitere Artikel


Den Blick auf Migration verändern

Den Blick auf Migration verändern

Leseprobe Die wenigsten Menschen migrieren freiwillig. Der Klimawandel mit seinen verheerenden Folgen zwingt immer öfter Menschen dazu, ihre Heimat zu verlassen. Aber auch die Suche nach Arbeit veranlasst Menschen, sich auf den Weg zu machen
Schutz für Millionen

Schutz für Millionen

Ukraine Kein anderer Krieg der Neuzeit hat so schnell so viele Menschen zu Flüchtlingen gemacht wie der russische Überfall auf die Ukraine. Offene Grenzen erleichterten vor allem Frauen und Kindern die Suche nach Schutz
Im Dienste der Mächtigen

Im Dienste der Mächtigen

Karten Je mehr Institutionen georeferenziertes Wissen über Migration produzieren, umso wichtiger wird es, sich mit der Macht von Karten, kartografischem Denken und den von ihnen vermittelten Repräsentationen von Raum zu beschäftigen

Rosa Luxemburg Stiftung | 30 Jahre

Video Es ist leicht eine Institution, die seit 30 Jahren existiert als selbstverständlich hinzunehmen, die Energie nicht mehr zu sehen, die es braucht um sie zu erhalten und mit Leben zu füllen. 100 Publikationen und über 2000 Veranstaltungen jedes Jahr


Rosa Luxemburg Stiftung | Zwangsarbeit

Video Die Annahme, es gäbe heutzutage keine Sklaverei mehr, geht an der Realität vorbei. Tatsächlich sind heute mehr Menschen versklavt als jemals zuvor in der Geschichte. Die Internationale Arbeitsorganisation der UN spricht von «moderner Sklaverei» ...


Rosa Luxemburg Stiftung | Migration

Video Anika Taschke und Albert Scharenberg sprechen mit Dr. Edith Pichler über die APO in Berlin, mit Murat Çakır über die Selbstorganisation türkischer Gastarbeiter*innen und mit dem Historiker Dr. Patrice Poutrus über Vertragsarbeiter*innen in der DDR


Rosa Luxemburg Stiftung | Interview

Video Tanja Tabbara, Referatsleitung für Afrika und Referentin für Nordafrika bei der Rosa-Luxemburg-Stiftung, im Gespräch mit der algerischen Filmemacherin Ager Oueslati über Migration und Frauen auf der Flucht