Kämpfer für die Demokratie

Leseprobe Während Lula da Silvas Amtszeit erlebte Brasilien eine wirtschaftliche Blüte, seine Politik half Millionen Menschen aus bitterster Armut.Doch die PT erschütterte das Land auch mit Skandalen – Korruption zerstörten nachhaltig Hoffnungen und Vertrauen
Präsidentschaftskandidate Lula da Silva – umringt von Unterstützer*innen – während einer Wahlkampfveranstaltung im Jahr 1998.
Präsidentschaftskandidate Lula da Silva – umringt von Unterstützer*innen – während einer Wahlkampfveranstaltung im Jahr 1998.

Foto: MARIE HIPPENMEYER/AFP via Getty Images

Prolog

Es war ein mittleres politisches Erdbeben, was brasilianische Medien am 8. März 2021 vermeldeten: Edson Fachin, Richter am Obersten Gerichtshof, dem Supremo Tribunal Federal (STF), hatte die Urteile, die im Zuge der Antikorruptionsermittlungen Lava Jato gegen Ex-Präsident Luiz Inácio Lula da Silva, verhängt worden waren, annulliert. Oder präziser: Der entscheidende Teil des Urteils wurde mit dem Argument der angeblichen Unzuständigkeit des ursprünglichen Gerichts aufgehoben. Das Gericht in Curitiba, wo die Verurteilungen stattgefunden hatten, habe seine Kompetenzen überschritten. Deshalb müssten die Verfahren vor einem anderen Gericht im Bundesdistrikt, dem Distrito Federal in Brasilia, neu aufgerollt werden.

Die Entscheidung war bemerkenswert, auch wenn sie nicht als Freispruch zu verstehen war, als der sie von vielen Anhängern des nach wie vor beliebten Politikers gefeiert wurde. Grund zur Freude bedeutete es für sie dennoch. Die Aufhebung der Urteile bedeuteten für Lula zugleich, dass er sein passives Wahlrecht wiedererlangte, das ihm, so will es die brasilianische Verfassung, durch die früheren Urteile für einen Zeitraum von acht Jahren aberkannt worden war. Mit anderen Worten: Der Ex-Präsident, der im Präsidentschaftswahlkampf 2018 bis zu seiner Verurteilung aussichtsreich in Führung lag und von der Justiz jäh aus dem Rennen genommen wurde, könnte bei der Präsidentschaftswahl 2022 erneut in den Ring steigen und den Amtsinhaber, den rechtsradikalen Jair Bolsonaro, herausfordern. Es käme zum großen Showdown für den dann fast 77-jährigen Lula mit seinem Erzrivalen. Ein Sieg gegen Bolsonaro wäre die Krönung seiner beachtlichen Politkarriere – oder aber ihr definitives Ende.

Die Reaktionen kamen sofort. Der Dollar rauschte in den Keller, in den Umfragen schoss Lula aus dem Stand auf 18 Prozent und damit an die zweite Stelle. Mit diesem Ergebnis würde er in die Stichwahl gegen Bolsonaro einziehen.1 Für die Arbeiterpartei Partido dos Trabalhadores (PT), aber auch für viele andere Anhänger des linken politischen Spektrums herrschte seit der krachend verlorenen Präsidentschaftswahl 2018 Katzenjammer. Die Brasilianer hatten mit 57 Prozent Jair Bolsonaro gewählt. Statt geschlossen und über Parteigrenzen hinweg die Wahl Bolsonaros zu verhindern zu suchen, hatten sich die linken Kandidaten gegenseitig geschwächt und so den politischen Rechtsschwenk ermöglicht. Nun, nach der Entscheidung von Edson Fachin, witterten die PT und die gesamte Linke wieder Morgenluft – der Frust der letzten Jahre schien wie weggeblasen.

Auch wenn es selbst den eingefleischtesten PT-Fans klar gewesen sein musste: Der Sieg des Rechtsaußens war in Wirklichkeit eine Abwahl der PT. Jener Partei, die Lula 1980 mitgegründet hatte, die einen großen Beitrag zur Redemokratisierung Brasiliens nach der Militärdiktatur geleistet hatte und die von 2003 bis 2016 den Präsidenten bzw. die Präsidentin stellte. Die PT ist aber auch die Partei, die praktisch von Beginn ihrer Regierungsführung an in mehrere große Korruptionsskandale verwickelt war, die Brasilien erschütterten und der Glaubwürdigkeit der Arbeiterpartei massiven Schaden zufügten.

An genau dieser Stelle scheint die entscheidende Bruchlinie zu verlaufen – zwischen großen Errungenschaften für Brasilien durch die PT und Lula und den Verstrickungen in Korruptionsskandale. Die entscheidende Frage, die dieses Buch klären will, lautet deshalb: Gibt es so etwas wie eine gute Korruption?

War die Politik Lulas und der PT Ausdruck einer Art von »Pragmatismus«, für den Lula von Kommentatoren immer auch gelobt wurde, weil es in Brasilien ohne Korruption nicht geht? Wann war der Knackpunkt, als aus möglicherweise notwendigen Zugeständnissen an die korrupten Strukturen Gier wurde?

Im Allgemeinen scheint man von außen etwas nachsichtiger in Sachen Korruption zu sein, weil Lula sie anscheinend nicht nutzte, um sich selbst zu bereichern, sondern als Mittel zum Zweck einer Politik, die vielen Minderprivilegierten der brasilianischen Gesellschaft zugute kam.

Eine der Personen, die die PT großgemacht hat, ist Luiz Inácio Lula da Silva. Der Mann aus ärmlichen Verhältnissen, der mehrere Schicksalsschläge zu erdulden hatte und über die Metallergewerkschaft in die Politik einzog, prägte und führte die Partei über Jahrzehnte hinweg. Lula bearbeitete Politikfelder, die von außen immer ein Thema waren, weswegen man sich politisch für die sogenannten Entwicklungsländer interessierte: Armutsbekämpfung, soziale Gerechtigkeit (Landfrage) oder Bildungschancen – dieser Ansatz, den in Brasilien kein Präsident vor ihm so konsequent zu verfolgen schien wie Lula, hievte ihn auf einen hohen Sockel. Lula wurde zur Ikone, zu einer regelrechten Marke und einem international anerkannten Exportschlager der politischen Linken Brasiliens in Lateinamerika und auf der ganzen Welt. Und bestimmt wurde und wird die Sicht auf das Erreichte in manchen Fällen verklärt und romantisiert.

Nach seiner Amtszeit als Präsident geriet er jedoch ins Visier der Korruptionsermittler des Lava Jato und des jungen und ehrgeizigen Ermittlungsrichters Sergio Moro, der alles daransetzte, Lula Verwicklungen in korrupte Machenschaften nachzuweisen, und damit zunächst Erfolg zu haben schien. Lula wurde erstinstanzlich zu mehr als neun, später sogar zu mehr als zwölf Jahren Haft verurteilt. Und das zu einem für ihn denkbar ungünstigen Zeitpunkt: wenige Monate vor der Präsidentschaftswahl 2018, bei der es so aussah, als könnte er zum dritten Mal nach 2003 und 2007 in den Präsidentenpalast einziehen. Über Sergio Moro wird zu reden sein. Nicht nur, weil er mit dem Lava Jato einen der größten Korruptionsprozesse in der Geschichte Brasiliens in Gang setzte, durchzog und sich zu Beginn durchaus Meriten verdiente – sondern auch über seine eigenen politischen Ambitionen. Neben Lula und Bolsonaro könnte er die dritte wichtige Figur der kommenden Präsidentschaftswahlkampf werden.

Lulas Politikkarriere glich stets einer Achterbahnfahrt. Erfolgen folgten Niederlagen und Schicksalsschläge. Für die Linke ist er weit über Brasilien und Südamerika hinaus eine Ikone, ähnlich wie Fidel Castro in Kuba, Hugo Chávez in Venezuela oder Evo Morales in Bolivien. US-Präsident Barack Obama nannte ihn im Vorfeld des G20-Gipfels 2009 den »beliebtesten Politiker des Planeten«2 – damals lagen Lulas Zustimmungswerte bei 80 Prozent.

Wer ist der Mann, der wie kein zweiter Politiker Brasiliens den langen Weg aus der unteren Bevölkerungsschicht bis ins Präsidentenamt schaffte? Der die Politik des größten Landes Südamerikas über Jahrzehnte mitprägte? Der vom Helden der Linken zur Hassfigur wurde, um am Ende vielleicht einmal mehr politisch aufzuerstehen?

1950er- und 60er-Jahre

Das Stehaufmännchen aus kleinen Verhältnissen

Die Biografie von Luiz Inácio Lula da Silva liest sich wie ein Filmdrehbuch: Ein kleiner Junge aus einfachsten Verhältnissen im armen Nordosten des Landes schlägt sich durch und wird am 1.1.2003 zum 35. Präsidenten des fünftgrößten Landes der Erde gewählt. Dazwischen liegt ein langer, von Rückschlägen geprägter Weg.

Alles beginnt in Caetés, einer Kleinstadt mit heute 28000 Einwohnern im Hinterland des Bundesstaats Pernambuco im Nordosten. Dort kommt am 27. Oktober 1945 Luiz Inácio Lula da Silva zur Welt. Er ist das siebte von acht Kindern von Aristides Inácio da Silva und Eurídice Ferreira de Mello, Spitzname: Donna Lindu. Damals noch viel mehr als heute war der Nordosten eine wirtschaftlich, vor allem industriell unterentwickelte Region, die kinderreichen Familien kaum eine Perspektive bot. Dort eine zehnköpfige Familie zu ernähren, zumal ohne formelle Schulbildung, war mehr als schwierig. Darum zog Aristides während Lulas Kleinkindalter mit einem der älteren Söhne in Richtung Süden. Sein Ziel war der Großraum São Paulo. Die dort angesiedelte und entstehende Industrie war ein Magnet für viele Arbeitsuchende, versprach Lohn und Brot.

Damit teilt der Ex-Präsident einen prägenden Teil seiner Biografie mit vielen Millionen Brasilianern. Er hat am eigenen Leib die Armut erfahren, die auch Jahrzehnte später noch charakteristisch für Brasilien sein sollte, vor allem in den Bundesstaaten des Nordens und Nordostens. Mit Blick auf die Strukturen der brasilianischen Politik ist Lula, der Aufsteiger aus einfachen Verhältnissen, eher eine Ausnahme. Nur der aktuelle Präsident Jair Bolsonaro kann auf eine ähnliche Aufsteigerbiografie verweisen. Ansonsten ist die politischen Klasse Brasiliens ein durch Familiendynastien geprägter closed shop.3 Durchaus treffend nannte die Filmemacherin Denise Paraná einen Film über Lula »Son of Brazil«, »Sohn Brasiliens«. Später, als Präsident, sollte er seine Herkunft als Joker ziehen, um die Gunst der einfachen Wähler zu gewinnen.

Viele Brasilianer machten sich in den 1950er-Jahren in der Hoffnung auf Arbeit und sozialen Aufstieg aus dem trockenen und kargen Nordosten in den reichen und weiterentwickelten Südwesten Brasiliens auf. Ein Brief des Bruders, von einem der Brüder Lulas allerdings nicht ganz wortgetreu vorgelesen, sorgte dafür, dass auch der Rest der Familie die Koffer packte und sich auf die Reise nach São Paulo machte. Auf der Ladefläche eines Pick Ups, wie sie in ländlichen Regionen Brasiliens benutzt wurden, um Obst, Gemüse und Tiere auf den Markt zu bringen, rumpelte 1952 der siebenjährige Lula 13 Tage gen Süden. Allerdings: Der Brief des Bruders war missverstanden worden. Er war keinesfalls als Aufruf zum Nachzug der Familie gemeint gewesen. Denn daran hatte Vater Aristides wenig Interesse. Er hatte mit einer Cousine der Mutter eine neue Familie gegründet. Somit waren Lula, seine Mutter und die weiteren Geschwister sich selbst überlassen und mussten sich von da an auf eigene Faust durchschlagen.

Zwar soll der Vater die zurückgelassene Familie finanziell unterstützt haben, ein guter Vater war er aber wohl nicht. Die älteren Brüder, die bei ihm aufwuchsen, wurden immer wieder mit Schlägen traktiert. Lula musste praktisch in Abwesenheit des Vaters aufwachsen, wurde von der Mutter katholisch erzogen, wie es damals in Brasilien durchaus üblich war. Der Katholizismus war bei weitem die verbreitetste Religion. Bis heute ist Brasilien eines der wichtigsten und mitgliederstärksten Länder der Katholischen Kirche, auch wenn evangelikale Pfingstkirchen inzwischen einen fulminanten Siegeszug angetreten haben und, so sehen es Prognosen, die Katholische Kirche schon um das Jahr 2030 als mitgliederstärkste Glaubensrichtung abgelöst haben wird.4

An eine formale Schulbildung war da kaum zu denken, die Familie lebte in einer Favela in der Stadt Guarujá, an der Küste des Bundesstaats São Paulo. Jedes der Kinder musste einen wirtschaftlichen Beitrag zu leisten. Lula steuerte als Schuhputzer ein paar Cruzeiros zum Familienunterhalt bei. Als Jugendlicher schaffte Lula es, eine Ausbildung als Dreher zu absolvieren und so den Schritt aus der informellen in eine geregelte Beschäftigung zu finden.

Das Leben Lulas – abseits der Gewerkschaft und später der Politik – war geprägt von Schicksalsschlägen, von denen er sich immer wieder aufrappeln musste. Mit 14 Jahren verlor er bei einem Arbeitsunfall in einer Schraubenfabrik den kleinen Finger der rechten Hand. Am 24. Mai 1969 hatte Luiz Inácio Lula da Silva Maria de Lourdes geheiratet. Unweit der Wohnung seiner Mutter hatten sie ihre erste kleine gemeinsame Wohnung. 1971 wurde Maria schwanger, der erste Sohn war unterwegs. Doch sie fing sich eine Hepatitis-Infektion ein. Ein tragischer Fall, denn die junge Familie hatte nicht genügend Geld, um die Behandlung zu bezahlen – Maria starb am 7. Juni.

Es sollte nicht die einzige Partnerin sein, die vorzeitig verstarb. Lulas zweite Ehefrau, die fünf Jahre jüngere Marisa Letícia, erlitt 2017 einen Schlaganfall, an dessen Folgen sie kurz darauf am 3. Februar mit 66 Jahren verstarb. Sie stammt, ähnlich wie Lula, aus einfachen Verhältnissen, aus einer Familie mit elf Kindern. Ihre Eltern waren italienische Immigranten aus der Provinz Bergamo in der Lombardei. 1973 lernten die beiden einander kennen und heirateten nur sieben Monate später. Marisa gehörte zu den Gründungspersonen der am 10. Februar 1980 von Lula mitgegründeten Arbeiterpartei PT. Sie soll es auch gewesen sein, die die erste Parteifahne – ein weißer Stern auf rotem Grund – genäht haben soll. Während der ersten Wahlkampagnen Lulas 1989, 1994 und 1998 trat sie jedoch weniger in Erscheinung. Sie kümmerte sich stattdessen um die drei gemeinsamen Kinder Fábio Luís (geboren 1975), Sandro Luís (geboren 1978), Luís Cláudio (geboren

1985) sowie um Marcos Claudio (geboren 1971). Letzterer stammte aus ihrer ersten Ehe. Ihr erster Ehemann Marcos Claudio, nach dem sie den Sohn benannte, starb bei einem Überfall. Marisa Letícia war vom 1.1.2003 bis zum 31.12.2010 die First Lady Brasiliens. Als sie starb, ordnete Staatspräsident Michel Temer eine dreitätige Staatstrauer an.

Lulas fünftes Kind, Tochter Lurian Lula da Silva (geboren 1974), stammt aus einer unehelichen Verbindung mit der Krankenschwester Miriam Cordeiro. Öffentlich bekannt wurde die Affäre, als Lula 1989 zum ersten Mal Anlauf auf das Präsidentenamt nahm. Lulas Gegenkandidat, der konservative Fernando Collor de Mello, zauberte plötzlich mitten im Wahlkampf Mutter Miriam aus dem Hut. Öffentlich erklärte sie, Lula habe sie seinerzeit zu einer Abtreibung zwingen wollen,5 um die Liaison zu vertuschen. Lurian selbst hätte sich diese Art, sie war zu dem Zeitpunkt der Enthüllung gerade 15 Jahre alt, gerne erspart. Auch später noch wurde sie immer wieder mit dieser Geschichte in Verbindung gebracht oder wurden Gerüchte gestreut, sie habe eine NGO gegründet und mehrere Millionen Reais von der Regierung ihres Vaters als Finanzierung erhalten. Ohnehin gilt diese Episode als eine der schmutzigsten, die Präsidentschaftswahlkämpfe in Brasilien je gesehen haben – bislang zumindest. Und sie zeigt den Konservatismus der damaligen Gesellschaft und in gewisser Weise auch einen falschen Moralismus. Heute ist die Moral eher evangelikal, und es gibt auch einen falschen erzkonservativen Moralismus.

Kurz nachdem Lula das Amt an seine Nachfolgerin Dilma Rousseff übergeben hatte, ereilte ihn der nächste Schicksalsschlag: Im Oktober 2011 diagnostizierten Ärzte beim früheren Kettenraucher Kehlkopfkrebs. Der Ex-Präsident hatte Glück. Zwar musste er sich einer Chemotherapie unterziehen, verlor das Haupthaar und auch seinen charakteristischen Vollbart. Aber die Behandlung schlug an. Nur wenige Monate nach der Diagnose kündigte er im Frühjahr 2012 sein politisches Comeback an. »Ich werde ins

Leben zurückkehren, weil ich glaube, dass Brasilien weiter wachsen, Jobs schaffen und das Leben von Abermillionen Brasilianern weiter verbessern muss, die den Aufstieg in die Mittelschicht geschafft haben, und auch für die, die davon träumen, bald zur Mittschicht zu gehören.«6

1970er-Jahre

Lula, der Gewerkschafter –
Vom Dreher zum Streikführer

Im Jahr 1960, mit 14 Jahren, kam Lula erstmals mit der Metallindustrie in Kontakt. Er ergatterte einen Job als Metallarbeiter in der Schraubenfabrik Marte. Das Unternehmen gestattete es ihm, sich weiterzubilden. So schrieb er sich an der Industrie-Fachschule Serviço Nacional de Aprendizagem Industrial (SENAI) ein und schloss dort die Sekundarschule ab. Nach der Ausbildung zum Dreher begann er im Schichtbetrieb bei Metalúrgica Independencia zu arbeiten. Dort erlitt er eines Nachts einen folgenreichen Arbeitsunfall. Ein schweres Maschinenteil fiel ihm auf die Hand und zertrümmerte den kleinen linken Finger. Ob aus Pflichtbewusstsein oder Angst um den Arbeitsplatz – Lula soll bis zur Ankunft des Fabrikbesitzers am Morgen gewartet haben, ehe er die Verletzung meldete und zum Arzt ging. Für Gegner sollte die Behinderung im weiteren Verlauf immer wieder Angriffsfläche für Hänseleien und Witze werden. Für Lula wurde sie auch zum Markenzeichen. Als 2009 vor der Küste Brasiliens große Tiefsee-Erdölvorkommen gefunden wurden, das sogenannte Pre-Salt-Oil, und Brasilien davon träumte, sich künftig selbst mit Energie versorgen zu können, hielt Lula im Präsidentschaftswahlkampf 2010 bei einem Pressetermin auf einer Bohrinsel medienwirksam seine linke Hand in das schwarze Gold und drückte seiner späteren Amtsnachfolgerin Dilma Rousseff diesen Abdruck auf den leuchtend orangenen Overall.7

[…]

––––––––––

1 Vgl. Oliveira, Wesley, Atrás de Bolsonaro, mas isolado em 2.o: o que dizem as pesquisas sobre Lula para 2022, https://www.gazetadopovo.com.br/republica/ lula-o-que-dizem-as-pesquisas-eleitorais-2022/, Gazeta de Povo, aufgerufen am 14. März 2021.

2 Miranda, José Wilson, Brazil’s Lula Called Planet’s Most Popular Politician by Obama, https://www.brazzil.com/10645-brazils-lula-called-planets-mostpopular-politician-by-obama/, in: Brazzil.com, aufgerufen am 14. März 2021.

3 Vgl. Bragon, Ranier, Dinastias políticas do Brasil lançam mais de 60 candidatos nas eleições, https://www1.folha.uol.com.br/poder/2018/08/dinastiaspoliticas-do-brasil-lancam-mais-de-60-candidatos-nas-eleicoes.shtml, in: Folha de São Paulo, aufgerufen am 9. April 2021.

4 Vgl. Zylberkan, Mariana, Evangélicos devem ultrapassar católicos no Brasil a partir de 2032, https://veja.abril.com.br/brasil/evangelicos-devem-ultrapassarcatolicos-no-brasil-a-partir-de-2032/, in: Veja, aufgerufen am 12. April 2021.

5 Vgl. Paiva, Fred Melo, Sinto medo de falar de meu pai, diz filha de Lula, https://www.cartacapital.com.br/politica/lula-nao-recebera-visitas-no-natale-reveillon-diz-filha-lurian/, in: Carta Capital, aufgerufen am 12. April 2021.

6 Vgl. BBC Brazil, Brazil ex-President Lula’s cancer treatment ›a success‹, https://www.bbc.com/news/world-latin-america-17541649, in: BBC Brazil, aufgerufen am 12. April 2021.

7 Vgl. https://www.conversaafiada.com.br/brasil/2010/10/29/petrobras-de-luladobra-o-pre-sal, aufgerufen am 17. März 2021.

27.05.2022, 18:38

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