Was suchen Erntemaschinen im Weinberg?

Der Trinker Die Mechanisierung macht auch vor dem Rebberg nicht Halt. In seiner letzten Kolumne erklärt uns der Trinker die Vor- und Nachteile dieser Entwicklung
Was suchen Erntemaschinen im Weinberg?

Illustration: Otto

Kirpy und gut. So wirbt eine deutsche Firma für ihren „Spargelvollernter“ und verspricht vor allem Zeitgewinn, Kostenersparnis und Personalunabhängigkeit. Tatsächlich verringern sich die reinen Erntekosten für unser liebstes Saisongemüse beim Einsatz moderner Erntemaschinen auf ein Fünftel. Diese Reduktion zeitintensiver Arbeit durch technische Neuerung hat das zuständige Bundesministerium unlängst dazu bewogen, die Kirpy mit dem Innovationspreis für Gartenbau auszuzeichnen.

Was für die Spargelernte durchaus ein Novum ist, wird bei der Weinernte schon lange praktiziert. Vor etwa 50 Jahren fanden in den USA erste maschinelle Weinlesen statt. Auch hier war Wirtschaftlichkeit, war das Kurz-und-gut der entscheidende Grund der Umstellung.

Was bei der Handlese rechnerisch mehrere Arbeitstage in Anspruch nimmt, leistet die Maschine unterdessen in einigen Arbeitsstunden. Kostenrückgang: mindestens um die Hälfte. Die Mechanisierung erspart dem Winzer zudem die Suche nach Saisonarbeitern und die Sorge um deren Zuverlässigkeit. Hinzu kommt die Möglichkeit einer zügigen Lese zur optimalen Zeit.

Mittlerweile ist der Einsatz des slapper, einer Vollerntemaschine mit diversen Ernteprogrammen und vielen Funktionen, überall da verbreitet, wo Weinbergsverhältnisse und getroffene Regelungen es zulassen. Verteidigt wird diese Entwicklung nicht nur aus Kostengründen, sondern auch mit dem Hinweis auf die Qualität der neuen Erntemaschinen. Die richtige Einstellung des Mechanismus ihrer Schüttelstäbe verspricht einen schonenden Umgang mit den Reben, und ihre Trennsysteme stellen die Beseitigung von Blättern und Verunreinigungen aus dem Lesegut in Aussicht.

Der Maschine fehlt der Kennerblick

Dass die grapeliner auch nachts eingesetzt werden können, kommt den hitzeanfälligen Trauben zugute. Der bei der Maschinenernte vormals übliche Qualitätsverlust, so meinen deren Befürworter, gehe deshalb heutzutage gegen null.

Unbestritten ist allerdings, dass der Maschine Kennerblick und Fürsorglichkeit abgehen. So schließen ihre Hersteller Schäden an Böden und Rebstöcken sowie Fremdanteile und austretenden Most im Lesegut nicht aus. Wegen des Anteils beschädigter Trauben ist oftmals eine sofortige Schwefelung zum Schutz vor einsetzender Gärung oder Oxidation unerlässlich. Längst haben sich aus diesen Gründen Gegner der Maschinenernte formiert. Sie verweisen vornehmlich auf die Ungleichzeitigkeit der Traubenentwicklung in den Parzellen oder am einzelnen Rebstock und favorisieren deshalb mehrfache, selektive Handlesen. Dem Vollernter dagegen ist Selektion unter solchen spezifischen Aspekten oder nach rigorosen Qualitätskriterien nicht möglich. Noch immer gilt daher Handlese als ein Markenzeichen hochwertiger Weine.

Ich erinnere mich daran, wie ein Bordeaux-Winzer mit den Tränen zu kämpfen hatte, als er mir von der Umstellung seines Betriebs auf maschinelle Lese erzählte. Er litt offensichtlich an der bitteren Erfahrung, sich aus finanzieller Not von ureigenen Vorstellungen verabschieden zu müssen. Allein das war für ihn ein Qualitätsverlust, und allein deshalb sah er in der Maschinenernte keine gleichwertige Alternative. Sein Misstrauen galt im Übrigen wohl der inneren Leere von Apparaturen generell. Vermutlich bedingt eine solche Skepsis auch die gelegentliche Behauptung, maschinell geernteten Weinen mangele es an Authentizität und Charakter.

Es stellt sich da aber die Frage, ob solche Attribute lediglich dem Metaphernbestand eines romantischen Traditionalismus entstammen, der sich blauäugig gegen notwendige technologische Innovation sträubt.

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