Arbeitsscheu Agentur

Hartz IV Über die brandgefährlichen Implikationen ''moderner'' Arbeitsmarktpolitik

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''Erwerbsfaehige, die angebotene Arbeitsplaetze zweimal ohne berechtigte Gruende abgelehnt oder die Arbeit zwar aufgenommen, aber ohne stichhaltigen Grund wieder aufgegeben haben, sind der Gestapo zu melden. (...) Diese Menschen sind in polizeiliche Vorbeugehaft zu nehmen. Vor allem sind hier zu beruecksichtigen:
Landstreicher, Bettler, Asoziale, Zigeuner und nach Zigeunerart herumstreunende Personen (...), die gezeigt haben, dass sie sich in die Ordnung der Volksgemeinschaft nicht einfuegen wollen.''

Heinrich Himmler in einem Schnellbrief-Erlass am 1.6.1938, zitiert aus Peter Longerich-''Heinrich Himmler-Eine Biographie''

Der Leser mag nicht erschrecken, dass zum Auftakt dieses Eintrages ein derart streitbarer Charakter zitiert wird. Dieses etwas krude Auftaktzitat darf der Leser in einem beißend grellen Lichte lesen, wenn er bedenkt, dass die ''moderne'' deutsche Arbeitsmarktpolitik anno 2011 weiterhin unbeirrt auf die massive Mobilisierung der von vornherein als ''arbeitsscheu'' Verdaechtigten durch den Staat setzt. Dem ''modernen'' Staat ist keine ''Arbeits-Maßnahme'' (die sich bereits im ''Dritten Reich'' haargenau so nannte) zu schade, den doch nach der reinen Lehre eigentlich muendigen, aber derzeit arbeitslosen Buerger zu schikanieren und zu maltraetieren. Der Hartz-IV-Empfaenger ist von vornherein verdaechtig und hat, ohne Chance auf eine faire Diskussion auf Augenhoehe, von allem Anfang an eine zweifelhafte Bringschuld. Eines der ersten Essentials, welches ihm der sogenannte Arbeitsvermittler beim Erst-Antrag beibringen wird, ist die Pflicht nach Sozialversicherungsgesetzbuch, dass er im Grunde unrechtmaeßige Leistungen bezieht, fuer deren Bezug er im Gegenzug unbedingt, schnellstmoeglich und unter maximaler Zumutung eine neue Arbeit zu finden hat. Unterschwellig wird dem Sozialgeldempfaenger suggeriert, dass er vom gesunden Volkskoerper zehrt und somit (und das Wort ist ''dank'' BILD und anderen Hetz-Blaettern wieder erstaunlich salonfaehig geworden): ein ''Sozialschmarotzer''. Auch wenn kein Mitarbeiter der Agentur fuer Arbeit das derart explizit ausdruecken wuerde.

1938 hatte der ''Reichsfuehrer-SS'' Heinrich Himmler eine famose Idee: zur Totalisierung der kurz vor dem Eintritt in den Krieg stehenden deutschen Wirtschaft gaelte es ALLE verfuegbaren Arbeitskraefte zu maximalisieren und auszuschoepfen. Ein Ansatz war auch, das Freisein von Arbeit zu einem Verbrechen qua definitionem auszuküren: wer also nicht arbeitete oder frei umherzog, wurde gebrandmarkt als ''Asozialer'', als und dies durchaus woertlich: ''Sozialschmarotzer'', ein gefaehrlicher Parasit am eigentlich gesunden ''Volkskoerper''. Im Zuge dieser Bemuehungen schuf Himmler ein Projekt, dem er sich nun mit Feuereifer zu wandte: das sogenannte ''Projekt'' mit der etwas krumm klingenden Bezeichnung: ''Arbeitsscheu Reich''.

Menschen, die als ''Asoziale'' stigmatisiert wurden, die nach heutigen Begriffen psychisch krank waren, wurden demgemaeß in KZ's zur Zwangsarbeit eingezogen (eben den sogenannten ''Maßnahmen'' und man beachte uebrigens wie inflationaer die Agentur fuer Arbeit diesen Begriff in ihren Info-Broschueren benutzt), sie waren vogelfrei und konnten jederzeit nach einem ''Sondererlass'' (oftmals sogar ohne einen solchen aus reiner Willkuer) wegen Faulheit (!) erschossen werden.

Meine eigene Erfahrung mit der Agentur ist zB, dass ich damals, als ich mich fuer ein halbes Jahr selbst auf Hartz IV begeben und mir irgendwann die Schmach antun musste, meiner ''Vermittlerin'' zu erklaeren, dass mir aus psychischen Gruenden das ganze Verfahren absolut gegen den Strich geht (ich hatte zuvor allerdings auch ganz offen, unbedarft und ueberzeugt politisches Widerstreben ins Rennen gefuehrt), sie mir erklaerte, ich muesse erkennen, dass ich fortan vorrangig den Fokus auf den Erwerb eines neuen Jobs zu legen habe oder auf klardeutsch uebersetzt:
''dass es Ihnen angeblich psychisch nicht gutgeht, habe ich ueberhoert, Sie fauler Sack, suchen Sie sich einen Job und es geht Ihnen wieder besser.''

Ja, da habe ich sofort bei mir bemerkt: vielleicht ist aufgezwungene Arbeit doch ein wahres Therapeutikum, vielleicht macht Arbeit, zumal nach allen Gesetzen des Neoliberalismus, doch frei und unbeschwert. ''Arbeit macht frei'', dieses ermutigende Spruchband koennte nach der bestechenden Alleinstellung der Arbeit doch ueber allen Agentur-Eingaengen stehen, so dachte ich mir.

Absolut gaensehauterregend ist die (wenn auch unbewusste) Kontinuitaet quasi-faschistischen Denkens, das hinter dieser Glorifizierung der Arbeit als politisch-soziales Allheilmittel steckt und die strenge und konsequente Sanktionierung bei Nicht-Beachtung des auferlegten Prinzips. Heutzutage fuehrt der Weg der sanktionierten Faulheit zwar nicht mehr ins Arbeitslager und zur Gestapo, sondern in die kalte Ueberlassenheit der Markt-Gescheiterten, man wird dann eben zum Paria, zum Ausgestoßenen, zum Vagabunden und Landstreicher. Man wird nur abgestempelt und von den Medien stigmatisiert und marginalisiert als asozialer Einzlfall, als Schaedling am bundesrepublikanischen und doch eigentlich so gesunden Volkskoerper. Vorzeige-Asoziale werden als gewuenschte Marionetten dieses Zerrbildes im Fernsehen vorgefuehrt, quod erat demonstrandum. Die wiederum schueren einen Zorn der immer so leicht zu erregenden Mittelschicht, die sich absolut bestaetigt sieht in ihrer beschraenkten Weltsicht: fuer sie ist der Hartz IV-Empfaenger per se asozial, die alleinerziehende Mutter, die ''Leistung'' bezieht, eine arbeitsscheue Halbmutter, die schon das naechste asoziale Individuum auf Staatskosten heranzieht.

Besorgniserregend ist beim Blick auf die ''moderne'' Arbeitsmarktpolitik der Bundesrepublik, dass der freie Buerger als souveraenes Individuum als Empfaenger staatlicher Transferleistungen von einem Moment auf dem anderen zum verwalteten und zur Disposition stehenden Objekt verkommt. Die Transferleistung ist ploetzlich nicht mehr ''Wohlfahrt'' und somit eine saekularisierte Form staatlicher milder Gabe, sondern eine Art von Minimal-Alimentation, die von vornherein grobe Verdaechtigungen gegen das verwaltete Objekt, den Transferempfaenger, aussendet.
Zur Disposition steht der Transferempfaenger in ALLEN Belangen: fast jeder Job ist zunaechst einmal zumutbar, die Wahrscheinlichkeit ist hoch, dass er Leih-/Zeitarbeiter wird und von dem Personaldienstleistungsunternehmen nach freier Verfuegung hin und her disponiert wird und, sollte der Empfaenger partout nicht arbeiten koennen/wollen, steht er zur gesellschaftlichen Disposition: dann erfolgt die Leistungssperre, der unausgesprochene Ausschluss aus der Gesellschaft, die ''dispositio'', die der Lateiner mit ''Entfernung'' uebersetzt. Man beachte auch, dass ''waste disposal'' im Englischen ''Muelldeponie'' bedeutet. Der Mensch ist zu Muell geworden, seine Arbeitskraft erschoepft und womoeglich ausgebeutet, das nunmehr asoziale Element wird der kalten und ''bereinigenden'' Hand des Marktes ueberlassen. Diesselbe Hand wischt den nunmehr Verfemten leichterdings an den alleräußersten Rand der Gesellschaft.

Zuvor muss(te) sich der Arbeitslose einem inquisitorischen Verfahren stellen, dass ihm explizit mitteilte, dass er auf Staatskosten, ja: auf Kosten seiner Mitbuerger lebt. Er musste gewaltige voluminoese Antraege ausfuellen, die ihm Schikane duenkten und immer wieder Termine erdulden (''wir ueben jetzt mal wieder Fruehaufstehen'') und Maßnahmen mitmachen, die seiner Disziplinierung und dem unausgesetzen ergonomischen Training dienten (die Wehr-Ertuechtigung fuer den Arbeitsmarkt). Jede Bewegung aus der Heimatstadt sollte, nach der reinen Lehre, der Agentur mitgeteilt werden und die Erlaubnis eingeholt werden. ''Unerlaubtes Fernbleiben'' oder ''nichtmitgeteilte Fremdortaufenthalte'' werden umgehend mit Leistungseinschraenkung nach Paragraph XY Sozialgesetzbuch oder Leistungsentzug geahndet.

''Die öffentliche und private Fürsorge hatte sich in der NS-Zeit grundlegend gewandelt. Immer mehr ging von Fürsorgeinstitutionen nicht mehr Schutz, sondern Bedrohung für Hilfesuchende aus.''

zitiert aus: Wolfgang Ayaß, ''Die Aktion Arbeitsscheu Reich''

Wenn ein demokratischer Staat beginnt, die Arbeitslosigkeit zwar nicht ausgesprochen, aber doch im fortwaehrend stummschweigenden Sub-Kontext zu kriminalisieren und man dann sieht, dass sich Regierungs- und Oppositionsparteien (im uebrigen weiterhin ergebnislos) um eine Erhoehung des Hartz IV-Regelsatzes um 5 Euro (Regierung) oder 11 Euro (juppieh! Opposition) streiten und NICHT etwa um den generell gewaltigen Aenderungs- und Abschaffungsbedarf dieses absolut fehlgeschlagenen und menschenverachtenden Projektes ''Agenda 2010'', drohen unserer Gesellschaft rohe und duestere Zeiten. Wir hatten das alles schon einmal...

"F. ist ein arbeitsscheuer Mensch. Er lebt planlos im Lande herum und lebt vom Betteln. Einer geregelten Arbeit ist er bisher noch nie nachgegangen. Die Allgemeinheit muss vor ihm geschützt werden." So lautete die vollständige Begründung der Kriminalpolizeistelle Kassel im Haftbefehl gegen einen 27-jährigen Bettler im Juni 1938. Die vier knappen Sätze waren ein Todesurteil. F. starb drei Jahre später im Konzentrationslager Gusen, einem Nebenlager von Mauthausen.''

Zitiert aus: Wolfgang Ayaß, ''Die Aktion Arbeitsscheu Reich''

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Geschrieben von

Paul Duroy

Der Weg in die neu aufgeklaerte und entspannte Gesellschaft ist moeglich und noetig

Paul Duroy

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