Der Löwe im Winter

Premierenkritik Sebastian Hartmann inszeniert am Deutschen Theater das Psycho-Drama von James Goldman als düsteres Spiel um Macht und Liebe.

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Sebastian Hartmann hat bei seiner Rückkehr an die Spree einen ganzen Fanclub mitgebracht. Einhelliger Beifall und keine Buhs am Freitagabend nach seiner ersten Premiere im Deutschen Theater Berlin. Der Leipziger Schriftsteller Clemens Meyer ließ den Regisseur auf der Premierenfeier im DT sogar lautstark hochleben. Hartmann wirkte entspannt und erleichtert. Die neuerlichen Querelen um ein angebliches Defizit, mit dem er seine Leipziger Intendanz abgeschlossen haben soll, schienen sichtlich von ihm abgefallen. Aber was sind schon 400.000 Euro gegen ein Loch von mehreren Millionen, dem sich ein anderer Intendant mit Namen Hartmann nun in Wien gegenüber sieht. Für ein mittleres Stadttheater wie das Schauspiel Leipzig überlebenswichtig, ist es für die Burg scheinbar nur der Puderzucker auf den hohen Zinnen. Macht, Besitzgier, Selbstüberschätzung und Intrigen auf einer mittelalterlichen Feste - darum geht es auch in dem Broadwaystück Der Löwe im Winter von James Goldmann (1927-1998), mit dem Sebastian Hartmann, nun wieder freier Regisseur, seinen Einstand am Deutschen Theater gab.

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Sebastian Hartmann im Mai 2013

Foto: St. Bock

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Das 1966 in New York uraufgeführte Drama behandelt die familieninterne Fehde um die Krone des englischen Königs Henry II. Der alternde Löwe lädt Weihnachten 1183 auf die französische Höhenburg Chinon, um die Nachfolge unter seinen drei Söhnen zu regeln. Hoffnungen machen sich Henrys Liebling John und der nach dem Tod Henry jun. zweitälteste Sohn Richard. Geoffreys Aussichten auf den Thron sind eher schlecht. Das wissend, tendiert er zum Amt des Kanzlers. Mutter Eleonor hält Henry seit 10 Jahren gefangen, da sie mehrfach gegen ihn intrigiert hat, um Richard auf den Thron zu bringen. Nun sieht sie wieder eine Chance, ihren Einfluss geltend zu machen. Eine weitere Rolle spielt der junge französische König Philip II., dessen Schwester Alies am Hofe Henrys aufgewachsen ist und mittlerweile sein Bett teilt. Um den Frieden zwischen beiden Reichen zu gewährleisten, soll sie den englischen Thronfolger heiraten und bringt dafür die nicht unbedeutende französische Provinz Vexin als Mitgift in die Ehe. Dieses typisch amerikanische Psycho-Drama wurde gleich zweimal erfolgreich verfilmt. Peter O´Toole und Katherine Hepburn spielten 1968 in Hollywood die Hauptrollen. 2004 standen Patrick Stewart und Glenn Close für einen Fernsehfilm vor der Kamera. James Goldman heimste einen Drehbuch-Oscar ein und Glenn Close erhielt für die Rolle der Eleonore den Golden Globe.

Eine psychologische Spielführung wie etwa in Thomas Ostermeiers Ibsen-Inszenierungen oder seiner umjubelten Umsetzung von Lillian Hellmanns Familienkrieg Die kleinen Füchse ist die Sache von Sebastian Hartmann nun nicht gerade. Für sein bildgewaltiges, körperbetontes Schauspieler-Theater wurde er aber mit seiner Leipziger Inszenierung von Tolstois Krieg und Frieden im letzten Jahr zum Theatertreffen eingeladen. Am Deutschen Theater ist es nun zu Beginn stockdunkel. Nur die Stimmen von Michael Schweighöfer als Henry und Natalia Belitski als dessen Geliebte Alies sind zu vernehmen. Beim Beischlaf deklinieren sie die gesamte Klaviatur von Macht und Begierde genüsslich bis zum gemeinsamen Höhepunkt durch. Henry kokettiert damit, ein Händchen für Frauen mit Besitz zu haben. Seine Frau Eleonor hat Aquitanien mit in die Ehe gebracht. Nun hat er seine Hand auf Alies und dem Vexin. Menschen oder Provinzen, das kann man schon mal verwechseln. Als es etwas heller wird, erscheint eine Videoprojektion mit umherpixelnden Teilchen, die sich zu einer Landkarte fügen.

Viel lichter wird es aber auf Hartmanns Bühne den ganzen Abend nicht mehr werden. Ein gewaltiges, metallenes Mühlrad beherrscht die Szene. Aus dem Boden fahren immer wieder käfigartige Gestänge mit Gitterpritschen, auf und unter denen die Schauspieler auch mal akrobatisch agieren können. Der alte Löwe Henry ist bestrebt, das in vielen Kriegen Errungene zu sichern. Im zotteligen Pelzmantel schlurft er müde über die Bühne und sehnt sich nach Frieden. Ein Lear, der nicht vor hat sein Reich zu teilen, obwohl er weiß, dass seine Tage gezählt sind. Doch Henrys Familie besitzt in allem nur die Gabe, sich gegenseitig zu zerfleischen. „Wir lieben uns nicht, weil wir uns bekriegen“, stellt Eleonore (Almut Zilcher) auf die sehnsüchtige Frage Henrys fest. Sie ist es dann auch, die die entscheidenden Sätze des Dramas vom Dach des Käfigs aus spricht. „Wir sind der Ausgangspunkt aller Kriege. Weder die Vergangenheit zwingt uns noch die Gegenwart, nicht Gesetze, Ideologien, Religionen, Regierungen oder irgendetwas sonst. Wir selbst sind die Mörder, unsere Gier brütet Kriege aus. Wir tragen sie in uns, wie eine Seuche.“

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Foto: St. Bock


Bei James Goldmann heißt es weiter: "Wir alle haben Messer. Es ist 1183 und wir sind Barbaren." Eine schrecklich nette Familie aus lauter machtgeilen Raubtieren in Leder und Pelz. Nur ihre äußerlich noch halbwegs zivilisierten Umgangsformen halten sie im Käfig. Man schleift die Worte wie die Messer und fällt verbal mehr oder weniger grunzend übereinander her. Ein zynischer Kreislauf um die Macht im Hamsterrad der Gewalt beginnt. Sebastian Hartmann lässt es laufen, und die machthungrigen, entmenschlichten Zombies rennen um die Wette. Die psychologische Kriegsführung seiner Protagonisten übersetzt Hartmann in Bilder der Bewegung. Physische Aktion statt Psychologie. Er nutzt dabei ganz performativ die gewohnte Palette aus Slapstickeinlagen und die sich ebenfalls in ständiger Bewegung befindliche plastische Bühnenmaschinerie. Mit Live-Sounds, Lichteffekten und psychedelischen Videobildern lädt Hartmann die Szenerie zusätzlich emotional auf. Das Zusammenwirken von verschiedenen künstlerischen Medien als ästhetischer Ausgleich für die fehlende Möglichkeit der direkten Personenidentifikation. Alles zusammen soll auf den Zuschauer wirken und eigene Assoziationen auslösen. So sollte es im besten Falle sein.

Hartmann gelingt das hier streckenweise auch sehr gut. Die Charaktereigenschaften der Protagonisten treten bildlich hervor. Der John des junge Benjamin Lillie ist ein greinender, verzogener Schlappschwanz, Felix Goesers kampferprobter Richard (später wird man ihn Löwenherz nennen) klettert am Bühnenrad und wirkt archaisch, wie aus einem Mad-Max-Film entsprungen. Die Verschlagenheit des ständig taktierenden Geoffrey zeigt Peter Moltzen als vielsprachiger Dirigent und Vokalakrobat. In einer weiteren Schlüsselszene versammeln sich die Brüder nacheinander beim französischen König Philip, ihm immer wieder neue Allianzen anbietend. Andreas Döhlers Philip, der sich dem englischen König kräftemäßig unterlegen fühlt, spielt abwartend seine Jugend aus. Als er sich von Henry übertölpelt sieht, outet er Richard kurzerhand als Schwulen, und die Kette der gegenseitigen Denunziationen lassen den Löwen in Henry noch einmal aufheulen. Seine Raserei und der Plan mit Alies eine neue Dynastie zu gründen, münden in ein bildgewaltiges Soundgewitter, an dessen Ende Natalia Belitski eine sofort platzende Weltkugel gebiert. Als kriegerische Furie imitiert sie das streitende Ehepaar und ihre Machtphantasien.

Hartmann nimmt dann die Fahrt aus dem Spiel und stoppt abrupt alle Bewegungen. Die nun gemeinsam gegen den Vater aufbegehrenden Brüder erstarren in ihrem Rechtfertigungschor wie eingefroren. Sieger gibt es letztendlich keine. Der Löwe schläfert seine missratene Brut einfach ein, und Sebastian Hartmann schaltet die Bühnenmonster, die er schuf, wieder ab. Dass diese Untoten der Macht nach kurzer Rekonvaleszenz zu neuem Leben erwachen werden, steht außer Frage. Eine fehlgeschlagene Kultivierung im Bühnenkäfig? Mitnichten. Auch wenn nicht jeder Funke an diesem Abend überspringt und manche Bewegung wie mit angezogener Handbremse wirkt, ist Der Löwe im Winter doch ein gutes Beispiel für die Bildgewitter, die Hartmann in Leipzig bereits gezündet hat. Dem DT kann das nur gut tun. Oder wie Hartmanns Löwe am Beginn des Stückes sagt: Mit Perfektion bringt man es nicht weit im Leben.”

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Zuerst erschienen am 02.03.2014 auf Kultura-Extra.

DER LÖWE IM WINTER (Deutsches Theater Berlin)
Regie und Bühne: Sebastian Hartmann
Kostüme: Adriana Braga Peretzki
Musik: PC Nackt
Video Transforma: Simon Krahl, Luke Bennet und Baris Hasselbach
Dramaturgie: Sonja Anders
Mit: Natalia Belitski, Andreas Döhler, Felix Goeser, Benjamin Lillie, Peter Moltzen, Michael Schweighöfer und Almut Zilcher

Premiere war am 28. Februar 2014
Weitere Termine: 4., 6., 12., 23. 3. / 3, 9., 13., 15. 4. 2014

Weitere Infos siehe auch: http://www.deutschestheater.de

Dieser Beitrag gibt die Meinung des Autors wieder, nicht notwendigerweise die der Redaktion des Freitag.
Geschrieben von

Stefan Bock

freier Blogger im Bereich Kultur mit Interessengebiet Theater und Film; seit 2013 Veröffentlichung von Kritiken auf kultura-extra.de und livekritik.de

Stefan Bock

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