Gesundheit am Fließband

Ärztepfusch Eine neue Statistik der Bundesärztekammer zeigt, wie hoch die Zahl der Behandlungsfehler ist. Was passiert, wenn Medizin sich ökonomischer Rationalität unterwerfen muss
Ausgabe 26/2014

Warum war nicht der nette Dr. Heilmann zur Stelle? Oder zumindest Dr. Munroe, der zwar ein ziemlicher Zyniker ist, seinen Patienten aber in den Kopf schauen kann und sich für sie umbringen würde? Das unverwüstliche TV-Format „Krankenhausserie“ ist nicht nur auf die Dramatik ärztlicher Eingriffe zurückzuführen; der Erfolg hängt sicherlich auch mit der durchaus angenehmen Vorstellung zusammen, in einer Situation des absoluten Ausgeliefertseins einen guten Engel neben sich zu haben. Einen Chirurgen mit goldenen Händen, der nie danebenschnippelt, kein Besteck irgendwo im Körper vergisst und auch sonst keine Missgeschicke fabriziert, die man euphemistisch „ärztliche Kunstfehler“ nennt. In der Bevölkerung kursieren sie dagegen salopp unter „Ärztepfusch“.

Dieser Wunsch ist umso verständlicher, wenn man sich die gerade veröffentlichte Statistik der Bundesärztekammer vor Augen hält, die Beschwerden über Behandlungsfehler auflistet – wohlgemerkt nur die, die überhaupt bei der Gutachterkommission landen, denn viele Patienten wenden sich an die Krankenkasse oder ziehen gleich vor Gericht, wenn sie nicht schon im Vorfeld kapitulieren. Von den von der Ärztekammer gezählten rund 12.000 Patienten, die sich im vergangenen Jahr an das Gremium gewandt haben, bekamen, soweit begutachtet, 2.243 Recht. 77 Menschen werden von einem Schadensausgleich nicht mehr profitieren, weil sie an den Folgen des Behandlungsfehlers gestorben sind.

Andreas Crusius, der Vorsitzende der Kommission, weist beschwichtigend darauf hin, dass die Zahlen relativ konstant bleiben, obwohl die Anzahl der Krankenhausbehandlungen und Operationen steigt. Doch die Daten sind auch mit Vorsicht zu genießen, denn der Medizinische Dienst der Krankenkassen, der seine Statistik bereits veröffentlicht hat, weiß von 14.600 Fällen zu berichten, bei denen sich in 3.700 Fällen der Verdacht eines Behandlungsfehlers bestätigte. Deshalb fordert die Deutsche Stiftung Patientenschutz ein nationales Register, in dem alle bundesweit bekannt gewordenen Fälle dokumentiert werden.

Ärztepfusch im Krankenhaus ist nach wie vor ein Tabu. Insbesondere in Zeiten, in denen die Kliniken in gnadenlose Konkurrenz gegeneinander getrieben werden, machen sich Fehlerlisten nicht gut im Portfolio. Zwar wurden von vielen Einrichtungen Anstrengungen zur Fehlervermeidung unternommen. Man bemüht sich, ein Klima zu schaffen, in dem die Ärzte mit Kunstfehlern offen umgehen können. Aber wenn sich gleichzeitig die Arbeitsbedingungen in den Kliniken verschlechtern und die Arbeitsbelastung immer weiter steigt, dann nützt das nur bedingt – und den meisten Patienten, die Opfer von Behandlungsfehlern werden, überhaupt nicht.

Auffällig ist, dass Ärztepfusch im orthopädischen Bereich besonders häufig auftritt. Der Hauptgrund dafür ist die Masse der Behandlungen, die, wie aus anderen Untersuchungen bereits bekannt ist, oft gar nicht medizinischem Rat, sondern ökonomischer Rationalität gehorchen. Dahinter steht eine Haltung, für die die Heilung einer Krankheit so etwas ist wie die Herstellung einer Ware. Und Fließbandproduktion, das weiß man ja, bedingt Ausschuss. Schlimm, wenn es sich um Menschen handelt.

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Geschrieben von

Ulrike Baureithel

Redakteurin „Politik“ (Freie Mitarbeiterin)

Ulrike Baureithel studierte nach ihrer Berufsausbildung Literaturwissenschaft, Geschichte und Soziologie und arbeitete während des Studiums bereits journalistisch. 1990 kam sie nach Berlin zur Volkszeitung, war im November 1990 Mitbegründerin des Freitag und langjährige Redakteurin in verschiedenen Ressorts. Seit 2009 schreibt sie dort als thematische Allrounderin, zuletzt vor allem zuständig für das Pandemiegeschehen. Sie ist außerdem Buchautorin, Lektorin und seit 1997 Lehrbeauftragte am Institut für deutsche Literatur der Humboldt Universität zu Berlin.

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