Schreiadler vor verschlossenen Türen

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Das Andreas-Dresen-Lachen ist ein sehr schönes Lachen, es liegt in ihm eine große Fröhlichkeit (beim Lachen vielleicht nicht zu verwunderlich) und eine ungemeine Sympathie. Das Andreas-Dresen-Lachen ist kein Auslachen, und das kann man in seinem jüngsten Dokumentarfilm Herr Wichmann aus der dritten Reihe sehen.

Vor bald zehn Jahren war Dresen, dessen Spielfilme wie Halbe Treppe oder Wolke 9 zu den wenigen Regisseuren gehört, die bei aller Ernsthaftigkeit auch ein gutes inszenatorisches Gespür für Komik haben, schon einmal mit einem Dokumentarfilm auf der Berlinale vertreten. Herr Wichmann von der CDU zeigte den aussichtslosen Kampf eines modernen Don Quijote, der in der bevölkerungsdürren Uckermark versuchte, dem prominenten SPD-Kandidaten Markus Meckel den Wahlkreis abzunehmen.

Nun sitzt Henryk Wichmann im Potsdamer Landtag, und Dresen hat ihn zwischen zwei Sommerpausen (und zwei Geburtstagen) bei der Arbeit begleitet. Herr Wichmann aus der dritten Reihe funktioniert wie ein Gegenstück zu Romuald Karmakars Demokratieverteidigungsfilm: Während dort Publizisten und Intellektuelle Worte und Haltungen zur globalen Kapitalismuskrise verlautbaren, sind die Märkte hier weit weg. Als bei einer Vorführung auf der Berlinale ein Zuschauer Wichmanns Haltung zu Eurokrise und Stabilitätspakt erfragen wollte, antwortete dieser selbstironisch, er könne ihm erklären, wie man einen Kindergarten eröffnet, Bürgersorgen ernstnimmt und für die Aufrechterhaltung von Polizeidienststellen kämpft.

Super in Nassenheide

Dresens Film ist Ernüchterung und Ermutigung zugleich. Das, was der Landespolitik als Handlungsspielraum bleibt, ist eine Art Kummerkastenseelsorge für die Bevölkerung. Wo die Großpolitik sich fragen lassen muss, wie sie das Primat des Handelns wiedergewinnen kann, gehört zu den großen ungelösten Fragen, mit denen sich Herr Wichmann beschäftigt, warum Segler nicht zwischen Oberem und Unterem Uckersee passieren können. Als er in dieser Frage einen Anlauf nimmt, mit Ministerpräsident Platzeck und anderen Abgeordneten spricht, winken alle nur ab: Seit 15 Jahren beschäftigt das Land diese Frage, und eine Lösung scheint genauso ausgeschlossen wie eine stärkere Regulierung der Märkte.

Die Gegenspieler von Herrn Wichmann sind Schreiadler, deren Horst zwischen Autobahn und einem auszubauenden Fahrradweg liegt. Es ist die Prignitzer Eisenbahn, die beim Halt in Vogelsang die Türen nicht öffnet, weil es eine Verordnung gibt, die Gefahr erkennt, wenn am anderen Gleis die Deutsche Bahn ihre Fahrgäste aussteigen lässt. Man kann darüber leicht hinwegsehen, über diese unendlich absurden Details, die verschiedenen Interessengruppen, die Langwierigkeit von Problemlösungen, die scheinbar banale Fragen betreffen. Man kann hier aber auch verstehen, wie schwer Demokratie ist.

Henryk Wichmann gehört, wie er sich im Film präsentiert, zweifellos zu einem ihrer Verfechter, auch wenn er bei Abstimmungen im Landtag fast das Händeheben vergisst, weil er seinem Nachbarn vom Motorschaden am eigenen Auto erzählt, nachdem er Super statt Diesel getankt hatte, weil in Nassenheide Super einen roten Zapfhahn hat wie sonst der Diesel. Herr Wichmann aus der dritten Reihe ist ein vergnüglicher Film über die Mühen der Ebene, der durchaus kritisches Potential birgt. An den Abläufen im Parlament, den routinierten Streitereien zwischen den Fraktionen, was verdrossen machen kann. Wichmann selbst in seinem geduldigen, humorvollen Engagement ist ein Antidot zu dieser Verdrossenheit: Schon weil man bei einem Politiker wie ihm merkt, wie gering die Unterschiede zwischen Parteien in der Konkretion der Landes- und Kommunalpolitik sind.

Und weil er über sich selbst lachen kann.

(Foto auf der Startseite: Peter Hartwig))

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Geschrieben von

Matthias Dell

Filmverantwortlicher

Matthias Dell

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