Zur Symbiose von Politik und Staatsapparat

Es fehlt eine Aufsicht. In Europa kommen den Parteien die Mitglieder abhanden. Warum das so ist, meine persönliche Einsicht und ein utopischer Entwurf eines Rechtsstaats im 21. Jahrhundert

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Warum bin ich eigentlich nicht Mitglied einer Partei? Ich bin ja durchaus ein politischer Mensch, habe auch manchmal mit dem Gedanken gespielt, Mitglied zu werden, es aber stets wieder verworfen. Warum?

Die Finanzkrise, verursacht von durchgeknallten Politikern, die wirklich geglaubt haben, dass ein schlanker Laisser-faire-Staat, also ein Staat ohne Aufsicht über das ökonomische Geschehen, größeren Erfolg hätte, als ein Staat, der sich der ökonomischen Risiken bewußt ist und Chancen und Risiken miteinander abwägt, um politische Handlungsfähigkeit zu leben. Obwohl sich der Staat an der heißen Herdplatte verbrannt hat, steht er heute immer noch davor und hält seine Hand drüber.

Die Krise von Exekutive und Judikative beim faschistischen Terror. Schaut euch doch bitte den Tagesthemenbeitrag vom 9.6.2004 an, der Tag des Nagelbombenattentats in Köln, dort werden bereits alle Hintergründe der Tat so aufgezeigt, wie es auch die Opfer gesehen haben und wie es der Realität entsprach. Vielleicht möchte der WDR den Beitrag mal wiederholen und mal die richtigen Fragen an Bosbach stellen. Erstaunlich nun, dass ein Politiker namens Bosbach, dessen Wahlkreis benachbart zum Anschlagsort liegt – von der Keupstraße nach Bergisch Gladbach sind es kaum 10 km, der als stellvertretender Fraktionsvorsitzender für den Bereich Innenpolitik zuständig ist, seit 2009 sogar Vorsitzender des parlamentarischen Innenausschusses, sich selbst ganz offensichtlich nicht für faschistischen Terror interessiert. Selbstverständlich habe ich den Anspruch, dass ein Politiker in einer solchen Position nicht selbst Initiative ergreift und nachfragt. Hätte er seine Pflicht erfüllt, indem er die Täterfotos genommen und sie mit Polizeiakten von terroristischen Bombenbauern abgeglichen hätte, gäbe es diese Staatskrise nicht. Dass dieser Mann nun zu einem der beliebtesten Unionspolitiker gehört, obwohl er aus meiner Sicht politisch komplett versagt hat, ist ein Grund, warum ich nicht einer Partei angehören möchte. Als politischer Mensch bin ich in einer Partei nicht souverän, sondern nur Abnicker einer Symbiose von Staatsapparat und Politik, wobei der Staatsapparat der Hegemon ist. Politiker machen sich selbst zu Apparatschiks, wobei der Fall Bosbach zeigt, wie fatal diese selbstverschuldete Unterwerfung z.B. im Kampf gegen Terror ist.

Bei der Infrastrukturkrise denken jetzt viele an marode Straßen oder den Flughafen Schönefeld. Das zeigt auf, wie stark die Propaganda doch wirkt. Denn der Höhepunkt dieser Krise markiert der Einsturz des Kölner Stadtarchivs am 3. März 2009. Denn anders als die im internationalen Vergleich sehr teuren öffentlich-rechtlichen Medien behaupteten ist nicht der Karneval schuld oder die Mentalität der Kölner, sondern die neoliberale Politik, die davon ausgeht, dass es selbst beim Bau keinerlei Aufsicht bedarf. Seit den Anfängen der Zivilisation ist aber das Wissen darum, dass es wichtig ist, wenn einer baut, ein anderer den Werkprozess begutachtet und gegebenenfalls korrigiert. Dass dieses uralte Wissen im schlanker-Staat-Wahn der Parteien und des Staatsapparats verloren gegegangen ist, man also in einem Erdbebengebiet Zerstörungen von Bausubstanz durch Tiefbau auch juristisch hinnimmt, lässt daran zweifeln, ob wir uns wirklich in einem Rechtsstaat befinden. Warum sollte ich da Mitglied einer Partei werden, die den Rechtsstaat, die Stadt und die Kultur zerstört?

Ich war gestern im Film „Colonia Dignidad“. Zusammen mit dem historischen Fall von Elisabeth Käsemann frage ich mich, was mir eigentlich die deutsche Staatsangehörigkeit bringt. Denn wenn ein Staat sich auf die Seite von lateinamerikanischen faschistischen Militärjuntas stellt, mich den Mordbuben ausliefert, anstatt mir als deutschen Bürger in Not zu helfen, wie es ja verfassungsmäßige Pflicht wäre, dann sehe ich den Vertrag zwischen mir und dem Staat gebrochen. Wenn ich nun sehe, wie Schäuble und andere Politiker im Falle der Schuldenkrise eine griechische Militärdiktatur dem demokratischen Modell vorzieht, erkenne ich die Kontinuitäten des Parteien- und Staatstotalitarismus. Um so widerlicher die Selbstgerechtigkeit, die sich in einer ungeheuren behaupteten Monstranz von Rechtstaatlichkeit, Antitotalitarismus und Demokratie der Parteien ausdrückt. Warum sollte ich mich daran beteiligen?

Um mich als Souverän beteiligen zu können, bedarf es tiefgreifender Staatsreformen. Ziel der Reformen sollte sein, den Totalitarismus der gegebenen Verfassungsrealität zu überwinden. Ich könnte mir vorstellen, mich in einem Staat als Aufsicht zu beteiligen, nur dann ist es mir möglich, meine Souveränität zu bewahren. Meine Idee ist die Organisation von räterepublikanischen Strukturen, parallel neben den "demokratisch"-traditionellen, die ein Korrektiv zum Totalitarismus des Staatsapparats bilden. Das bedeutet eine radikale Umkehr der Idee des schlanken Staates, der die Aufsicht abschaffen möchte. Diese Gremien sind föderal strukturiert, also haben kommunale, landes- und bundesmäßige Präsenz. Sie haben viele Befugnisse, z.B. Ermittlung von ungeklärten Terrorakten, Kontrolle der Botschaften im Ausland, Kontrolle der Finanzpolitik, Kontrolle der Polizei und Geheimdienste. Als Organ sollten sich die Räte sowohl an politischen Diskursen beteiligen, als auch Bußgelder, sowie Einleitung von Disziplinarverfahren gegen jegliche Beamte.

Naja, eine politische Utopie, die mir die Souveranität als Bürger zurückgeben würde. Denn ohne diese Souveranität ist eine politische Beteiligung in einem eher feudal-faschistisch als demokratisch orientierten Staat sinnlos, am Ende bedauere ich bloß, dass ich beim gegebenen politischen Wahnsinn mitgemacht habe. Es gibt leider keine Partei, die ansatzweise diese Perspektive eröffnet. Dabei ist die derzeitige Abspaltung der Nationalkonservativen von der CDU/CSU eigentlich ein Zeichen, um demokratische Forderungen zu stellen, gegen den Geist des 19. Jahrhunderts, wie es ihn die AfD verkörpert.

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Geschrieben von

4711_please

Seit jeher verfolge ich kritisch die Politik und kommentiere meine Analysen seit Jahren in diversen Medien online.

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