Erzbischof Zollitsch redet am Kern der Sache vorbei

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Erzbischof Zollitsch sagt in einem Interview mit der Welt: „Sexueller Missbrauch von Kindern ist kein spezifisches Problem der katholischen Kirche. Es hat weder etwas mit dem Zölibat zu tun, noch mit Homosexualität, noch mit der katholischen Sexuallehre.“

Zollitsch relativiert. Er verallgemeinert das priesterliche Fehlverhalten und stellt es als gesamtgesellschaftliches Phänomen dar. Das ist sicher richtig. Sein Ziel ist jedoch, mit diesem Argument die katholische Kirche zu entlasten. Es ist Zollitsch auch zuzustimmen, wenn er sagt, Homosexualität und sexueller Kindesmissbrauch hätten nichts miteinander zu tun. Es ist jedoch sicher nicht zufallsbegünstigt, dass unter dem Dach der katholischen Sexuallehre sich derart viele Männer versammeln, die es augenscheinlich nicht geschafft haben, zu einer sexuellen Reife zu gelangen, die ihnen erlaubt, mit erwachsenen Partnerinnen oder Partnern Beziehungen zu leben. Würde das Diktum der römisch-katholischen Sexualmoral innerhalb der kirchlichen Mauern bestandslos werden, wäre die Anziehungskraft, die eigenen psychischen Defizite hinter der vermeintlichen Rationalität des Glaubens zu verbergen, statt sich therapeutischer Behandlung zu unterziehen, deutlich geringer.

Die in Wellen bekanntwerdenden Skandale um sexuellen Missbrauch haben immer wieder die Beteuerungen der Kirchenoberen auf Besserung zur Folge. Jedoch: Verordnungen und Richtlinien, auf katholisch “Instruktionen der Kongregation“, nützen wenig bis nichts, da diese Maßnahmen an den grundlegenden Problemen katholischer Sexualmoral vorbeizielen.

Als im Jahr 2002 der Bischof von Boston, Kardinal Bernhard Law, zugab, einen pädophilen Pfarrer gedeckt zu haben und damit ungewollt einen Enthüllungssog in Gang setzte, kostete das die Kirche Entschädigungszahlungen in Höhe von mindestens 2,8 Milliarden Dollar. Trotz dieses riesigen finanziellen Verlustes der katholischen Bewegung, der teilweise von Versicherungen übernommen wurde, änderte sich nichts im Sinne einer grundsätzlichen Problemlösung.

Bevor im Jahre 2004 die Schließung des St. Pöltener Priesterseminars von dem Visitor des Papstes veranlasst wurde, sprach der zuständige österreichische Bischof Kurt Krenn noch von „Buben-Dummheiten“ und sagte, es handele sich „in keiner Weise um Dinge, die etwas mit Homosexualität zu tun haben.“ Gefunden wurden auf den Computer-Festplatten des Seminars mehr als 40.000 Fotos und Filme, auf denen neben Sex mit Kindern auch sexuelle Handlungen zwischen Seminaristen und deren Vorgesetzten zu sehen waren.

Weitere Eingeständnisse werden wir nach den jetzigen Vorfällen von den obersten katholischen Vertretern hören und lesen. Doch sie sind relativierend, weil sie eingebunden werden in gesamtgesellschaftliche Phänomene, oder sie sind gar exkulpierend, weil sie als persönliches Fehlverhalten auf Einzelne reduziert werden. Die offizielle Abschaffung des Zölibats würde nicht nur den Priestermangel verringern, sie würde auch zu Autoritätsproblemen der katholischen Machtelite führen. Reifere Persönlichkeiten würden Männern gegenübertreten, die ihren Sexualtrieb ersatzweise mit Machtausübung kompensieren. Das könnte die Grundfeste dieser Männervereinigung ins Wanken bringen.

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Geschrieben von

Achtermann

Ich lass' mich belehren. Jedoch: Oft wehre ich mich dagegen.

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