Festivaltagebuch, Tag 3: Dreierlei vom Film

Heute: Rund um die Welt via Couchsurfing, ein eindringliches Familienportrait und die Kaptn Lass Bros Achtung Prty im Berliner Underground-Club "Freudenreich"

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Vom Babylon aus in fünf Länder reisen – gestern feierte GLOBAL HOME seine Berlin-Premiere. Eva Stotz reiste via Couchsurfing nach Mali, Japan, USA, Westjordanland und Türkei, getrieben von der Neugierde auf fremde Menschen, fremde Kulturen und wie einfach es doch sein kann, kulturelle Barrieren zu überwinden, seine Tür zu öffnen für Fremde, eine gemeinsame Sprache zu finden, über gemeinsame Aktionen einen Ausgangspunkt zu schaffen für ein Miteinander in dieser sonst so profitorientierten globalisierten Welt.

Nur mit einer Kamera, einem Mann für den Ton und einem Produktionsleiter vor Ort für die Außenaufnahmen bereist Eva Stotz jedes Land für mehr oder weniger vier Wochen und lernt dabei fünf starke, selbstbewusste Persönlichkeiten kennen: den Tuareg, der in der Stadt lebt und arbeitet, aber weiß, dass es ihn sehr bald wieder in die Wüste und das Normadenleben ziehen wird; die Lehrerin, die sich wünscht, dass Tokyos nächste Generation die Wildnis wieder schätzen und lieben lernen wird; die Menschen, die ehrenamtlich für die Couchsurfing-Webseite arbeiten und den Mann, der dieses Projekt ins Leben gerufen hat; die Engländerin, die sich kulturübergreifend für eine bessere Ökologie des Westjordanlandes engagiert und die brasilianische Tänzerin Clara, die ohne Sprachkenntnis in die Türkei ging, um über traditionell türkische Tänze mehr über die Kultur zu lernen.

Die Produzentin beschreibt sich im anschließenden Publikumsgespräch als eine Frau aus der Zeit, in der man noch den Daumen herausstreckte um zu reisen. Sie sagte, heute würden die Menschen immer mehr das Gefühl verlieren, den eigenen Instinkten und anderen Menschen zu vertrauen. GLOBAL HOME ist sicherlich auch aus dem Wunsch heraus entstanden, dass Menschen in dieser ökonomisch zusammenwachsenden, aber kulturell und menschlich auseinanderfallenden und zerbrechenden Welt Vertrauen ein Stück weit wieder gewinnen.

Ein sehr sehenswerter Film, der mich in die Ferne zieht und zugleich Lust macht, meine eigene Tür für Fremde zu öffnen und einen kulturellen Austausch voran zu treiben.

Zu sehen ist GLOBAL HOME noch einmal am Montag, den 22. April um 19.45 Uhr im Babylon in Mitte.

Fünf andere, auch sehr starke Persönlichkeiten lernen wir in ALLEINE TANZEN kennen. In diesem schonungslosen Portrait der Familie Pilavci zeigt die zweitälteste Schwester Biene in einer Mischung aus alten Familienvideos und aktuellen Aufnahmen die Tragik ihrer Familiengeschichte. Wie sie mit 12 Jahren aus ihrer Familie flieht, in der der Vater die Mutter und seine fünf Kinder schlägt und diese Gewalt weitergibt; an die Mutter, die sich an ihren Kindern abreagiert, weitergibt an den einzigen Sohn, der sich an seiner Schwester rächt und sich die Gewaltspirale immer weiter dreht, von einer schrecklichen, „versauten“ Kindheit in ein trostloses, versautes Erwachsenenleben der fünf Geschwister. Doch wie versaut ist es wirklich? Was kann noch repariert werden? Und wo fängt man an?

Biene schnappte sich einen Kameramann und begab sich auf eine Reise in den tiefsten, schwärzesten Kern. Fing an, konkrete Fragen zu stellen, und auf ihre Antworten zu pochen. Ließ nicht locker, auch wenn die Gespräche zwischen Mutter und Kindern das eine und andere Mal aus dem Ruder zu laufen schienen. Und gibt am Ende ihrem Vater die Chance, dem monströsen Bild, das von ihm vom Rest der Familie erschaffen wird, etwas gegenüber zu stellen. Eine Art Frieden zu schließen. Sie reist mit dem entstandenden Videomaterial in die Türkei und trifft den aus dem Gefängnis entlassenen und abgeschobenen alten Mann.

Es gab einen langen, sehr herzlichen Applaus im Saal der Volksbühne, für die Frau, die uns so schonungslos und ehrlich ihr Leben und ihre Herkunft offenbart - Biene Pilavci. Mit ihrem sehr klugen, nüchternen Blick im Film und ihrer offenen, souveränen Art auf der Bühne ist sie mir unheimlich sympathisch und ich wünsche mir, dass ALLEINE TANZEN noch so viel mehr Zuschauer erreicht. Denn er bewegt tatsächlich, und regt an zum nach- und weiterdenken.

Zu sehen ist ALLEINE TANZEN noch einmal am Mittwoch, den 24. April um 19.15 Uhr in der Passage.

Im dritten Teil des Abends mache ich mich mit Kollegen auf in die Sonnenallee 67 – ins „Freudenreich“. Was von außen wie eine unscheinbare, fast langweilige Bar mit ein paar Tischen und leiser Jazz-Musik wirkt, führt durch einen langen Gang und eine schmale eiserne Wendeltreppe ins pulsierende Innere. In muffigen alten Kellerräumen befindet sich ein Club mit zwei Floors und einer Absinth-Bar. Hier steigt die Kaptn Lass Bros Achtung Prty. Mit ein paar Bieren und guter Musik tanze ich die Gedanken aus meinem Kopf – fürs erste.

Morgen geht es weiter mit den Filmen SUCHT und WOYZECK und dem Joroni-Filmbrunch.

Josefa Marxhausen
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Geschrieben von

achtung berlin

Der achtung berlin - new berlin film award ist ein Filmfestival, das sich mit Leib und Seele dem Hauptstadtkino verschrieben hat. 9.-16. April 2014

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