Knallhart verfassungswidrig

Bürgergeld Im Tagestakt werden nach dem Vorstoß von Hubertus Heil aus der Union neue "Knallhart-Pläne" für den Entzug von Bürgergeld für bestimmte Personengruppen präsentiert. Bei näherem Hinsehen sind sie vor allem eins: knallhart verfassungswidrig.

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Es war absehbar. Seit Hubertus Heil eine gesetzliche Neuregelung der Sanktionen in der Grundsicherung (Bürgergeld) angekündigt hat, feuern CDU und CSU die öffentliche Debatte beinahe täglich mit neuen Vorschlägen für noch härtere Sanktionen an. Dem „Knallhart-Plan“ von Hubertus Heil, der via BILD Erwerblosen für den Fall der Verweigerung der Annahme eines Arbeitsangebots mit einer zweimonatigen Streichung des vollständigen Regelbedarfs (mit Ausnahme der Kosten der Unterkunft) droht, folgte schon gestern ein neuer „Knallhart-Plan“, diesmal von CSU-Landesrgruppenchef Alexander Dobrindt. "Es muss so lange Leistungsstreichungen geben, wie ein Bürgergeldempfänger sich weigert, zumutbare Arbeit anzunehmen", wird aus einer Beschlussvorlage der CSU-Landesgruppe zitiert. Mit anderen Worten: wer ein Arbeitsangebot ablehnt, verliert den Leistungsanspruch komplett und unbefristet. Auch die CDU will im Überbietungswettbewerb mitmachen und fordert, dass wehrfähige ukrainische Männer, die in Deutschland als Flüchtlinge anerkannt sind, kein Bürgergeld erhalten. Es sei „unfair“, dass rund 220.000 Ukrainer in Deutschland Bürgergeld beziehen, anstatt in der Ukraine Kriegsdienst zu leisten, wird der CDU-Verteidigungspolitiker Kiesewetter zitiert, der deswegen eine Kürzung für gerechtfertigt hält. „Knallhart-Pläne“ im Tagestakt. Aber was lässt das Grundgesetz eigentlich zu?

Dass der Heil-Plan eines Komplettentzugs des Bürgergeld-Regelsatzes nur dann mit den Vorgaben des Bundesverfassungsgerichts in Einklang zu bringen ist, wenn er praktisch auf so wenige Fälle begrenzt ist, dass das Gesetzgebungsverfahren dafür kaum lohnt, wurde hier schon dargelegt. Auch die Idee der CSU-Landesgruppe lässt sich im Licht des Urteils des Bundesverfassungsgerichts zu Sanktionen im Sozialrecht beurteilen. Die Vorgaben des Bundesverfassungsgerichts würden natürlich auch hier gelten. Ein vollständiger Entzug der Regelleistung lässt sich nur unter Bezug auf die Randnummer 209 des Karlsruher Urteils legitimieren, wo es heißt:

Wird eine solche tatsächlich existenzsichernde und im Sinne des § 10 SGB II zumutbare Erwerbstätigkeit ohne wichtigen Grund im Sinne des § 31 Abs. 1 Satz 2 SGB II willentlich verweigert, obwohl im Verfahren die Möglichkeit bestand, dazu auch etwaige Besonderheiten der persönlichen Situation vorzubringen, die einer Arbeitsaufnahme bei objektiver Betrachtung entgegenstehen könnten, ist daher ein vollständiger Leistungsentzug zu rechtfertigen.“

Wenn also ein unmittelbar verfügbares, zumutbares und existenzsicherndes (!) Arbeitsangebot, mit anderen Worten: ein unterschriftsreifes Arbeitsvertragsangebot abgelehnt wird, wäre nach diesen Vorgaben ein vollständiger Leistungsentzug gesetzlich umsetzbar. Aber könnte er auch unbefristet wirksam sein. Praktisch hieße das dann ja: Im Jobcenter wird ein Arbeitsangebot unterbreitet, und wenn es abgelehnt wird, entfällt der Anspruch auf Bürgergeld, und zwar vorerst unbefristet. Das Bundesverfassungsgericht hat auch zur Dauer von Sanktionen einige Anmerkungen gemacht. In Randnummer 208 heißt es:

„Unabhängig davon hat der Gesetzgeber auch hier dafür Sorge zu tragen, dass trotz Wegfalls des Arbeitslosengeldes II die Chance realisierbar bleibt, existenzsichernde Leistungen zu erhalten, wenn zumutbare Mitwirkungspflichten erfüllt werden oder, falls das nicht möglich ist, die ernsthafte und nachhaltige Bereitschaft zur Mitwirkung tatsächlich vorliegt.“. Und in Randnummer 213 wird angemerkt: „Auch hat der Gesetzgeber unterschiedliche Möglichkeiten, um außergewöhnliche Härten zu verhindern, die durch eine zwingende Sanktionierung entstehen können. Zudem kann er die Dauer einer Sanktion unterschiedlich ausgestalten, indem er nach Mitwirkungshandlungen oder auch zwischen nachgeholter Mitwirkung und der Bereitschaft, in Zukunft mitzuwirken, unterscheidet.“. Und schließlich wurde auch im Urteilsspruch selbst die Sanktionsregelung für unvereinbar mit dem Gebot der Menschenwürde und dem Sozialstaatsprinzip des Grundgesetzes erklärt, „auch wenn außergewöhnliche Härten vorliegen, und soweit § 31b Absatz 1 Satz 3 Sozialgesetzbuch Zweites Buch für alle Leistungsminderungen ungeachtet der Erfüllung einer Mitwirkungspflicht oder der Bereitschaft dazu eine starre Dauer von drei Monaten vorgibt.“.

In der Summe darf man die Ausführungen des Bundesverfassungsgerichts folgendermaßen auslegen: starr befristete Sanktionen, die auch dann weiter wirken, wenn Mitwirkungspflichten (wieder) eingehalten werden, sind nicht mit dem Grundgesetz vereinbar, ebenso wenig, wie Sanktionsregelungen, die es den Betroffenen unmöglich machen, ihre Mitwirkungspflichten wieder zu erfüllen. Eine unbefristete Streichung der Bürgergeld-Regelleistung bei Nichtannahme eines Arbeitsangebots wäre mit diesen Vorgaben jedenfalls nicht vereinbar, wenn die von einer solchen Streichung betroffenen Menschen keinerlei Chance haben, mit eigener Mitwirkung wieder einen Anspruch auf den Bezug der Regelleistung zu erhalten. Was aber hieße das praktisch bei Nichtannahme eines konkreten Arbeitsangebots, wenn das Arbeitsangebot nicht mehr vorliegt, also gar nicht mehr angenommen werden kann? Was folgt, wenn ein/e Betroffene/r (in der Sprache der Sanktionswelt) „zur Einsicht kommt“ und dieses oder ein anderes Arbeitsangebot annehmen will, mitwirkt, aber kein aktuelles Arbeitsangebot mehr vorliegt? Ein vollständiger und unbefristeter Ausschluss vom Leistungsbezug kann es jedenfalls im Einklang mit den Karlsruher Vorgaben nicht sein. Dieser „Knallhart-Plan“ aus München wäre offenbar schon mal verfassungswidrig.

Und wie sieht es mit dem aktuellen Knallhart-Plan der CDU aus. Wäre es möglich, wehrfähigen ukrainischen Männern, die in Deutschland als Flüchtlinge anerkannt sind, den Anspruch auf Bürgergeld zu verweigern? Der Anspruch auf Bürgergeld für diese Männer leitet sich aus ihrem Aufenthaltsstatus ab. Nach Artikel 24 Aufenthaltsgesetz genießen Menschen Anspruch auf vorübergehenden Schutz und Aufenthalt, die von der Massenzustrom-Richtlinie der EU erfasst sind. Diese gilt nach wie vor für Flüchtlinge aus der Ukraine. Damit erhalten auch wehrfähige ukrainische Männer vorübergehenden Schutz und einen Aufenthaltstitel. Dieser Aufenthaltstitel berechtigt sie zur Arbeitsaufnahme und seit dem 1.6.2022 zum Bezug von Leistungen nach dem SGB II und SGB XII (Bürgergeld und Sozialhilfe). Die entsprechende Regelung wurde mit dem Einmalzahlungsgesetz im Mai 2022 verkündet. Wo wäre also der gesetzliche Hebel, um wehrfähigen ukrainischen Männern den Anspruch auf Bürgergeld zu verweigern? Wäre es möglich, ihnen vollständig das Aufenthaltsrecht nach Artikel 24 Aufenthaltsgesetz zu verweigern? Das könnte die Bundesrepublik jedenfalls nicht allein machen, sondern müsste auf europäischer Ebene eine Einschränkung der Geltung der Massenzustrom-Richtlinie auf nichtwehrfähige Personen erreichen. Das wäre auf europäischer Ebene ein Vorgehen ohne Präzedenzfall mit kaum kalkulierbaren Folgen für die Zukunft. Wäre es möglich, wehrfähigen Ukrainern, den Anspruch auf Bürgergeld und Sozialhilfe zu verweigern, auch wenn ein Aufenthaltsrecht vorliegt. Gesetzestechnisch wäre es nur ein Nebensatz („mit Ausnahme von…“), praktisch kaum umsetzbar, weil den Jobcentern und Sozialämtern nicht die Aufgabe zugewiesen werden kann, jenseits der Staatsangehörigkeit, einer pauschalen Zuordnung zum Geschlecht „männlich“ und der Feststellung der Zugehörigkeit zu einer bestimmten Alterskohorte den tatsächlichen Status der Wehrfähigkeit festzustellen. Ein Datenaustausch zwischen deutschen Sozialbehörden und ukrainischen Wehrbehörden existiert nicht, weil es schlicht keine Rechtsgrundlage gibt, die es deutschen Jobcentern und Sozialämtern ermöglicht, in der Ukraine den Wehrstatus von ukrainischen Männern abzufragen, die hier Leistungen beantragen. Eine solche Rechtsgrundlage wäre schon unter dem Gesichtspunkt des Sozialdatenschutzes auch kaum vorstellbar. Es müssten dann also ukrainische Männer einer bestimmten Altersgruppe per Gesetz vollständig vom Bürgergeld-Bezug in Deutschland ausgeschlossen werden. Eine solche Regelung dürfte mit dem Sozialstaatsgebot des Grundgesetzes kaum in Einklang zu bringen sein. Im richtigen Leben gibt es nicht einfach 220.000 wehrfähige ukrainische Männer im Bürgergeld-Bezug, sondern 220.000 Einzelbiografien mit ihren jeweiligen Eigenarten. Aber selbst wenn man all dies außen vor lässt, gibt es noch Artikel 3 Absatz 3 des Grundgesetzes: „Niemand darf gegen sein Gewissen zum Kriegsdienst mit der Waffe gezwungen werden.“. Mit den abwägenden Worten des amtierenden Bundesjustizministers Marco Buschmann klingt das so: "Ich kann mir nicht vorstellen, da unsere Verfassung ja für deutsche Staatsbürger vorsieht, dass niemand gegen seinen Willen Dienst an der Waffe leisten muss, dass wir Menschen anderer Staaten dann dazu zwingen können.“). Auch der „Knallhart-Plan“ der CDU ist also vor allem eins: knallhart verfassungswidrig.

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Geschrieben von

Alexander Fischer

Alexander Fischer. Mensch. Historiker. Vater.

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