Blick nach Deutschland (4) - Hartz IV

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In Jordanien gibt es kein Hartz IV.

Gestern freute ich mich mit den Klägern über das Urteil des Bundesverfassungsgerichts, auch wenn noch nicht klar ist, ob am Ende die Menschen mehr Geld zur Verfügung haben werden. Ich habe seit 2005 genug von den Auswirkungen miterlebt, um nicht die menschenunwürdigen Effekte des gut gemeinten Gesetzes hassen zu lernen.

Aber irgendwie finde ich selbst meine Reaktion etwas schizophren. Würde ich mir denn so etwas in Jordanien wünschen? Natürlich, ausreichend Geld fürs Essen sollte jeder haben. Dafür. Nur, ob die Menschen hier bereit wären, den Preis dafür zu zahlen, wenn sie ihn den kennten? Ich habe da so meine Zweifel.

Denn es scheint hier auch so zu gehen. Es gibt Armut, wirkliche Armut. Dagegen muss noch mehr getan werden, das will ich gar nicht abstreiten. Überregulierung müsste ich aber ablehnen.

Wenn ich das deutsche System erkläre, finden das zwar viele auf den ersten Blick gut, aber nicht die Schattenseiten. Damit meine ich nicht einmal so sehr die Behandlung bei den ARGEn, sondern die eingeschränkten Möglichkeiten, selbst tätig zu werden. Hier verdienen viele Menschen Kleinbeträge fürs tägliche Leben auf der Straße, Händler sitzen mit einer Miniauswahl an Waren auf den Bürgersteigen. Ich denke nicht, dass die Gewerbescheine haben, oder Umsatzsteuererklärungen abgeben müssen. Sie versorgen sich selbst. Sicher, viele würden sich auch gerne jeden Monat einen Betrag in die Hand zahlen lassen – aber um den Preis, dann über jeden Dinar Rechenschaft ablegen zu müssen?

Ich denke oft darüber nach, woran es in Deutschland krankt, warum es so schwierig ist, einfach Kleineinkommen selbst zu verdienen. Und da komme ich immer wieder auf den Bürokratiewust, der es einfachen Menschen nicht erlaubt, mit einfachen Tätigkeiten sich selbst zu versorgen. Stellt euch doch mal einen Schuhputzer vor, der etwas Geld in eine paar Tuben Schuhcreme, Bürsten und einen Stuhl mit Fußbank investiert. Sagen wir, es sind insgesamt 50 Euro. Der stellt nun seinen Stuhl irgendwo in die Fußgängerzone und bietet seine Dienstleistung an. Was passiert? Wissen wir alle. Geht nicht. Da könnte ja jeder kommen. Da gibt es doch Verbote, Genehmigungen …

Was wäre, wenn es ginge? Einmal Schuhputzen, 1 Euro. Zwanzig Kunden täglich würden ihm 600 Euro bescheren.

Damit will ich jetzt nicht alle ALG II-Bezieher zum Schuhputzen schicken, bitte nicht falsch verstehen. Aber ich sehe hier sehr viele Menschen, die im Kleinen verdienen können, dürfen und es tun – und sehe die Papierwände, die in Deutschland Selbstständigkeit ersticken.

Soweit mein Bauchgefühl bei der Hartz IV-Debatte – aus der Ferne.

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Geschrieben von

Alien59

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Alien59

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