Ursound vom Underground

Musik Jim Jarmusch hat mit „Gimme Danger“ eine Rock-Doku über Iggy Pop gedreht
Ausgabe 17/2017

In der offiziellen Geschichtsschreibung begann Punk, als Malcolm McLaren ein paar Teenager in Fetisch-Klamotten und Nazi-Devotionalien aus dem Modegeschäft seiner damaligen Freundin Vivienne Westwood steckte und die Kids dazu brachte, das Ende der Monarchie zu besingen. Pophistoriker wissen, dass die wahre Geschichte des Punk weiter zurückgeht – zu jenem Moment, in dem Jim Osterberg in einem Tierfachgeschäft in Los Angeles ein rotes Hundehalsband entdeckte und kurz darauf als Iggy Pop, bekleidet mit dem Halsband und einer hautengen Lederhose, devot und aufreizend vor seinen Fans kroch, um mit jeder Sehne seines von Drogen ausgemergelten Körpers I Wanna Be Your Dog zu skandieren. 1969 waren die Feindbilder der Protopunks The Stooges die Singer-Songwriter und Hippiebands von der Westküste, Restposten des Summer of Love. „Wir haben die 1960er Jahre zerstört“, erklärt der gerade 70 Jahre alt gewordene Iggy in einem Fernsehinterview, das Jim Jarmusch für seine Rock-Doku Gimme Danger ausgegraben hat.

Die Stooges veröffentlichten zwischen 1970 und 1973 drei wegweisende Alben, die auf zwei Einflüssen basierten: den Stahlpressen in den Autofabriken von Detroit, zu deren hydraulischem Hämmern der kleine Jimmy abends im Wohnwagen der Eltern einschlief. Und dem Ratschlag des Komikers Soupy Sales aus dem Kinderfernsehen: Haltet eure Briefe kurz, nicht mehr als 25 Wörter. Iggy schuf mit den Asheton-Brüdern Ron und Scott einen lyrischen Stahlfabrik-Minimalismus, der als „Motorcity Sound“ bekannt wurde. Gimme Danger zeichnet den Weg der Band mit allen absurden Um- und Nebenwegen nach. Die Stooges verloschen nach drei Alben auf selbst für die 1970er Jahre spektakuläre Weise in einem destruktiven Rausch aus Drogen und Nihilismus.

Diesen breakdown stellt Jarmusch seinem Film als Prolog voran, bevor er die kurze, bewegte Geschichte der Stooges, inklusive Iggys erster Bands, chronologisch nacherzählt. Viele der Anekdoten in Gimme Danger kennt man aus Legs McNeils Oral-History-Collage Please Kill Me von 1996. Jarmusch liefert nun das Bildmaterial nach: Gigs mit den MC5, deren Manager John Sinclair den Stooges ihren Major-Deal besorgte, der blutverschmierte Iggy, vom Publikum auf Händen getragen – und wo sich keine Bilder mehr fanden, müssen Ausschnitte aus Trashfilmen herhalten. Oder James Kerrs kurze Gaga-Cartoons, um bloß den schwerwiegenden Ton vieler Rock-Dokus im VH1-Format zu vermeiden.

Gimme Danger ist das Zeugnis einer hedonistischen Selbstdemontage. MC5 stilisierten sich mit ihrem Radical-Chic zur politischen Band, während die Stooges als quasi-kommunistische Endzeit-Kommune tatsächlich in einem Abbruchhaus lebten. Der Film entwickelt einen morbiden Charme, weil viele der Interviewten im Laufe der Drehzeit starben. Zuletzt Scott Asheton nach der großen Reunion, die Gimme Danger als wundersame Wiedergeburt feiert – als hätte es Iggy Pops 30-jährige Solokarriere dazwischen nicht gegeben.

Für solche Ungereimtheiten ist Jarmusch zu sehr Fan. Die Stooges waren der Ursound für den New Yorker Underground, dem er selbst entstammt. Unter anderen Umständen wäre der Mangel an Distanz problematisch, aber um eine Entmythifizierung geht es hier nicht. Die hellsichtigen Beobachtungen des alten, weisen Iggy, des ledrigen Punkreptils in geringelten Clownshosen, lassen die Jahre chemischer Selbstentgrenzung kaum noch erahnen. Als Jugendlicher habe er mit weißen Jungs kaputten Pseudo-Blues gespielt. Bis er bei einem Joint realisierte, dass er gar nicht schwarz sei. Also gründete er eine eigene Band. Treffender kann man den unwiderstehlichen Antrieb, aus dem Vergangenen Neues zu schöpfen, kaum beschreiben.

Info

Gimme Danger Jim Jarmusch USA 2016, 108 Minuten

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