Blogbeiträge wikifizieren oder Zur Nachhaltigkeit des Bloggens

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Bloggen leitet sich bekanntlich von Web-Log ab, also dem Führen eines Logbuches im Internet. Seit den ersten Blogs Mitte der 1990er ist die Anzahl der Blogs explodiert. Momentan gibt es über 200 Millionen Blogs. Zudem ist Bloggen schon lange nicht mehr auf das Führen von (Reise-)Tagebüchern beschränkt.

Blogbeiträge rutschen nach unten weg

Erstaunlich ist die hohe Zahl von Blogs und die Blogger_innen (8,4% der Internet-Nutzer_innen betreiben eigene Blogs) im Vergleich zur Mitarbeit in strukturierten Internetplattformen wie Wikipedia oder anderen Wikis. Blogs stehen zwar nicht im luftleeren Raum, durch Verlinkungen, Tags und Suchfunktionen können Blogbeiträge auch in größeren Zusammenhängen gelesen werden. Aber wer schon öfter versucht hat, Informationen aus älteren Blogbeiträgen zu erhalten, der wird sicherlich zustimmen, dass es sich um ein zeitraubendes Unterfangen handelt. Oftmals findet man die Information, von der man nur noch ungefähr wusste, in welchem Beitrag von welcher/m Autor_in diese stand, gar nicht wieder. Auch wiederholen sich Blogs und die Kommentare drehen sich im Kreis. Blogbeiträge rutschen nach unten weg. Oben ist immer nur der aktuelle Blogbeitrag, es gibt keine Horizontalität. Dies hat zumindest den Nachteil, dass das Wissen nicht mit anderen Beiträgen systematisch abgeglichen und somit auch nicht zwingend präzisiert wird. Neue Blogbeiträge haben keine Auswirkungen auf alte Blogbeiträge. Letztere sind heilige Dokumente, Momentaufnahmen, die nachträglich nicht geändert werden, auch wenn neue Aspekte deren Änderung vernünftig erschienen ließe. Blogs sind in Stein gegossen.

Blogs wikifizieren

Als die ersten Blogs entstanden, ist bereits das Wiki-Prinzip erfunden worden. 2003 berichtete Erik Möller über das Wiki-Prinzip:

"Um auch das Setzen von Verweisen auf andere Seiten zu ermöglichen, erfand Cunningham ein Schema namens "CamelCase" (wegen der Großbuchstaben, die wie Kamelbuckel hervorstehen). Zeichenfolgen, die einen Großbuchstaben am Anfang und innerhalb der Folge enthalten - z.B. "WikiWiki", "DesignPattern" - werden als Verweise auf andere Seiten mit diesem Namen interpretiert. Existiert die Seite noch nicht, kann sie durch Anklicken eines kleinen Fragezeichens neben dem Link angelegt werden. Da man eine Seite erst auf einer anderen Seite eintragen muss, um sie anzulegen, ist sichergestellt, dass neue Seiten mit bereits im Wiki vorhandenen vernetzt werden."Erik Möller, Das Wiki-Prinzip

Und dieses Prinzip wurde dann umgehend genutzt, um eine Enzyklopädie mit dem Namen Nupedia voranzubringen. Ursprünglich sollte die Möglichkeit eher für den internen Austausch der jungen Enzyklopädie dienen, war dann aber so erfolgreich, dass es als Programm-Software Mediawiki weiterentwickelt wurde und die Enzyklopädie forthin Wikipedia heißen sollte. Neben diesen Wikipedias existieren tausende weiterer Wikis auf Grundlage der Mediawiki-Software und weitere Wikis, die ein anderes Editierprogramm nutzen. Der Vorteil von Wikis gegenüber Blogs liegt in der Horizontalität der Wikibeiträge. Wikibeiträge rutschen nicht nach unten weg, sondern werden ständig aktualisiert, verbessert - oder sollten dies zumindest vom Anspruch her. Wikibeiträge müssen dabei nicht einem "neutralen Standpunkt" folgen - dieses wissenschaftstheoretisch bedenkliche Modell gilt nur für Wikipedia - sondern jeder Beitrag kann ein Wikibeitrag sein. Das heißt, man könnte auch Blogbeiträge in einem Wikiformat schreiben. Dies ergibt dann einen Sinn, wenn man den Beitrag aktuell halten und in eine größere Wissensstruktur einbeziehen möchte. Es ist dabei unerheblich, ob es sich um ein geschlossenes privates Wiki handelt, welches man nur für sich als Zettelkasten nutzt, um Informationen zu strukturieren, oder ob es sich um ein geschlossenes öffentliches Wiki oder um ein offenes öffentliches Wiki handelt. Der Unterschied bleibt bestehen: während mit Blogbeiträgen immer nur neu Wissen rausgehauen wird, wird mit Wikibeiträgen das Wissen strukturiert und aktualisiert.

Assoziationen von Wikis

Wenn von Wikis die Rede ist, dann ist meistens Wikipedia gemeint. Die "Wikipedia" gibt es jedoch nicht. Bei Wikipedia handelt es sich um eine Assoziation von hunderten von verschiedensprachigen Wikipedias. Gemeinsam ist ihnen, dass sie von der Wikimedia-Foundation herausgeben werden, die letztlich auch das Sagen hat, während sich länderspezifisch verschiedene Chapter, Vereine, um das Vorankommen der einzelnen Wikipedias sorgen und die jeweiligen Wikipedia-Communities die Regeln und Inhalte festlegen (also die Regeln neben den Grundsatzregeln wie dem Neutralitäts-Grundsatz).

Neben den Wikipedia-Wikis existieren wie bereits gesagt etliche andere und sehr viel bescheidenere Wikis. Diese werden entweder bei einem Anbieter wie Editthis oder Wikia betrieben, wo man sich nur anmelden muss und losstarten kann, oder als eigene Websites, indem man bspw. das kostenlose Open-Source-Programm Mediawiki herunterlädt und installiert. Es kostet also keine großen Anstrengungen, bei Editthis ein eigenes privates geschlossenes Wiki anzulegen und dort seine Blogbeiträge hineinzukopieren, um sie dann nach und nach systematisch zu verbessern. Das alleine hätte schon eine Wert. Für die Allgemeinheit wäre der Nutzen größer, wenn diese Wikibeiträge offentlich einsehbar sind. In diese Wikis könnten dann auch weitere Autor_innen mitarbeiten, sporadisch und/oder als festes Team. Und noch sinnvoller wäre es, an Assoziationen von Wikis mitzuarbeiten, um Artikel auszutauschen und gegenseitig von einander zu lernen oder sich anderweitig zu unterstützen.

Wikis aktiv nutzen

Wikis sollten stärker genutzt werden. Wer bloggt, kann auch Wikis schreiben. Eine Möglichkeit, sofort anzufangen, sind Wikifarmen wie das oben verlinkte Editthis, oder bestehende Wikis wie Wikipedia. Eine Liste von sozialen linken Wikis, die gerne ergänzt werden darf, findet sich hier: Liste sozialer Wikis. Während das deutschsprachige Wikipedia bereits über 1,3 Millionen Artikel beinhaltet, führen andere Wikis eher ein Schattedasein. Das im letzten Jahr gestartete Soziale Wiki feiert gerade seinen einhunderttausendsten Seitenaufruf. Das ist im Vergleich zum Global Player Wikipedia nicht viel, aber ein guter Anfang. Auch hier kann man direkt starten, wobei alle Artikel willkommen sind, die nicht als Spam oder Diskriminierung gelten und keinen Trouble mit der deutschen Rechtssprechung einbringen. Ich habe dort diesen Artikel hier ebenfalls publiziert

Dieser Beitrag gibt die Meinung des Autors wieder, nicht notwendigerweise die der Redaktion des Freitag.
Geschrieben von

Andreas Kemper

Ich arbeite als Soziologe kritisch zu Klassismus, Organisiertem Antifeminismus und die AfD

Andreas Kemper

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