Junge Russen rebellieren

Russland ohne Putin Bei den Anti-Korruption-Demos in ganz Russland protestieren Tausende junge Russen. Die Proteste gehen weiter, diesmal richten sie sich direkt gegen Putin.

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Auslöser der Proteste gegen Korruption war ein Skandal um den russischen Premierminister Dmitri Medwedew. Und wie reagiert der Premierminister auf die Demonstrationen? Ein junger Instagram-Nutzer @ispiridonoff wollte es genauer wissen und fragte ihn, wie sein Tag gewesen sei. Der Ministerpräsident antwortete: "Nicht schlecht, ich bin Ski gefahren."

Auch eine Reaktion der russischen Regierung bleibt aus. Es gibt keinen Skandal, keine Presseerklärungen, nur wenige Kommentare, in denen die Anschuldigungen zurückgewiesen werden. Auf eine Debatte über die Ursachen der Demonstrationen lässt sich im Kreml keiner ein, stattdessen lobt man den Polizeieinsatz. Zur Erinnerung: Mehr als 1000 Demonstranten wurden nach Angaben von Menschenrechtsorganisationen in Russland festgenommen, darunter Schüler und Studenten unter 25.

Das empört die jungen Menschen. Ihr Aufbegehren hat moralische Ursprünge, geprägt von jugendlichem Idealismus. Sie wenden sich gegen Korruption, die sie in ihrem Land ausmachen, auch und vor allem in der Regierung unter Russlands Präsident Wladimir Putin. Sie protestieren, weil sie darauf aufmerksam machen wollen, dass sich etwas in ihrem Land ändern muss. Es geht dieser neuen, jungen Generation um Gerechtigkeit: Sie wollen Antworten von den Politikern. Deswegen gehen die Proteste weiter.

Vor einigen Wochen hat der russische Ex-Oligarch Michail Chodorkowski ein provokantes Foto vom russischen Präsidenten Wladimir mit dem Hashtag #надоело (#genug) und die Facebook-Community dazu aufgerufen eine russlandweite Protestaktion am 29 April, die von zwei jungen Mitgliedern der Bewegung Offenes Russland initiiert wurde, zu teilen und zu unterstützen.

Die jungen Russen unter Putin sind gut vernetzt. Das Foto machte in den sozialen Netzwerken VK, Twitter und Facebook die Runde. Auch Gruppen, um die Aktion in einzelnen Städten besser zu koordinieren wurden in VK & Co. gegründet. Nicht nur in Moskau und St. Petersburg, sondern zum Beispiel auch in Novosibirsk und Kaliningrad

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Diese junge Generation galt bislang immer als unpolitisch, deren politischer Beeinflussung der Kreml zuletzt wenig Aufmerksamkeit gewidmet hat. Doch die Jugend wehrt sich gegen die Staatsmacht. Viele von ihnen sind der Meinung, dass die Regierung ihnen nichts zu bieten hat. Traditionelle Werte? Die Annexion der Krim? Junge Demonstranten sehen darin den russischen Zerfall. Sie wollen das Märchen von Russland der Weltmacht und Putin dem starken Mann nicht mehr mitspielen.

Die Propaganda an Schulen und Hochschulen hat ein geradezu groteskes Ausmaß erreicht. Doch sie scheint bei den vielen jungen Leuten keine Wirkung gezeigt zu haben, sie sind trotz Warnungen der russischen Regierung zu den Anti-Korruption-Demos gekommen. Politologen und Soziologen sind elektrisiert und wollen wissen was sie dazu bewegt hat.

Die Politologin Jekaterina Schulman sieht darin folgende Gründe: Den Jungen werde der soziale Aufstieg verwehrt, Nawalny spreche ihre Sprache und: "Nicht, dass sie gar nicht fernsehen. Sie sehen fern, aber anders. Sie sehen im Internet nur einzelne Sendungen. Ich glaube, selbst wenn sie sich staatliche Propaganda-Sendungen anschauen, wirken diese auf sie nicht, weil diese Sendungen von sowjetischen Menschen für sowjetische Menschen gemacht werden. Deswegen nutzen sie für Unterhaltung Youtube, für Information soziale Netzwerke. Die jungen Leute haben eine ganz andere Agenda."

Auf Grundlage eines umstrittenen Gesetzes hat die russische Justiz vor Kurzem alle Nichtregierungsorganisationen, die vom Kreml-Kritiker Michail Chodorkowski unterstützt werden verboten, drei Tage vor den Anti-Putin Protesten zu denen die Bürgerbewegung Offenes Russland aufgerufen hat. Die NGOs dürfen nun keine Publikationen mehr veröffentlichen, ihre Bankkonten können eingefroren werden, und Bürger, die mit ihnen zusammenarbeiten, können mit Strafen belegt werden.

Doch diese jungen Russen von St. Petersburg bis Wladiwostok haben keine Angst und bisher verhielten sie sich im Großen und Ganzen friedlich und zivilisiert. Die neue Protest-Generation unter Putin lebt und sie ist auch unter Gefahr bereit auf die Straße zu gehen. Sie wollen nur, dass sich etwas ändert und zwar möglichst bald.

Dieser Beitrag gibt die Meinung des Autors wieder, nicht notwendigerweise die der Redaktion des Freitag.
Geschrieben von

Andreas Rossbach

Als freier Journalist schreibe ich aus Russland für russische und deutsche Medien über Politik, Kultur & andere Dinge, die mich interessieren.

Andreas Rossbach

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