In Italien macht dieser Tage ein Prozess Schlagzeilen, der viel über das Selbstverständnis italienischer Männer verrät. Ein Friedensrichter hat Vittorio G. aus Tarent in Apulien recht gegeben, der seinen Cousin Alberto wegen eines „Non hai le palle!“ (Du hast keine Eier!), ausgesprochen vor Arbeitskollegen, verklagt hatte.
Das ist äußerst ungewöhnlich. Dazu muss man wissen, dass Beleidigungen unter italienischen Männern eine wichtige soziale Funktion erfüllen: Vielen dient die deftige Beleidigung nämlich als Ausdruck tiefer Zuneigung. So ist es im Süden des Landes etwa keineswegs unüblich, enge Freunde mit einem herzlichen „Uè, ricchion‘!“ (Hallo Schwuchtel!) zu empfangen. Wenn mann sich gegenseitig beschimpft, ist mann sich nah.
Unentschlossenheit und Inkompetenz?
Warum also reagierte Vittorio G. so dünnhäutig auf den alltäglichen Liebesbeweis seines Cousins Alberto? Gut möglich, dass die Beleidigung allen Gepflogenheiten zum Trotz einen wunden Punkt traf. Davon ging auch der Richter aus: Der Beschimpfende unterstelle dem Opfer nicht nur sexuelle Defizite, sondern auch Unentschlossenheit und Inkompetenz. Kurz: Vittorio bringt es angeblich nicht.
Vittorios Klage zeigt, dass er noch an den italienischen uomo forte, den starken Mann, glaubt. Nur: Woher kommt dieses Ideal des entscheidungsstarken, kompetenten Mannes mit unerschöpflichem Elan überhaupt? In der jüngeren italienischen Geschichte gaben zwar meist Männer den Ton an, denen man diese Eigenschaften nachsagte. Ihnen allen gemein ist aber auch ihr Versagen. Das gilt für den Faschisten Mussolini ebenso wie für den Chauvinisten Berlusconi – auch wenn bei Letzterem weiß Gott kein Zweifel an seinem privaten Elan besteht.
Zentraler Glaubenssatz
Auch der momentane Hoffnungsträger Mario Monti mit all seiner Unaufgeregtheit wird keinen Erfolg haben, wenn er nicht am zentralen Glaubenssatz der italienischen Gesellschaft rüttelt: Männer wissen und können es besser.
‚Starke Männer‘ haben Italien jahrzehntelang mit Seilschaften, Korruption und Ignoranz mit Anlauf gegen die Wand gefahren. Und dann seelenruhig den Rückwärtsgang eingelegt, um mit neuem Elan wieder vor derselben Wand zu landen. Es ist Zeit, andere ans Steuer zu lassen. Denn: Starke Männer bringen’s nicht. Auch wenn Vittorio G. aus Apulien das noch nicht wahrhaben möchte.
Angelo D’Abundo ist Halb-Italiener und ärgert sich über den gesellschaftlichen Stillstand Italiens
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