Sie haben es geschafft: Alle schreiben über sie. Selten haben so viele Medienhäuser gleichzeitig vorab über eine Aufführung berichtet. Plötzlich schauen alle auf Thüringen. „Die Hundekot-Attacke als Theaterstück: Premiere ausverkauft“ titelte ein Onlinemedium. Ein Schelm, wer Böses dabei denkt. Ist das noch Journalismus? Oder schon Public Relations? Clickbaiting? Egal. Wenn es um Kot geht, geht es rund. Da wird geklickt, geglotzt und gegiggelt. Und das wissen Regisseur Walter Bart und das Ensemble von Die Hundekot-Attacke am Theaterhaus Jena.
Es war einer der Skandale des Jahres in der Kunst- und Kulturbranche: der Angriff des ehemaligen Ballettdirektors des Staatsballetts Hannover Marco Goecke auf die FAZ-Journalistin Wiebke Hüster.
und Kulturbranche: der Angriff des ehemaligen Ballettdirektors des Staatsballetts Hannover Marco Goecke auf die FAZ-Journalistin Wiebke Hüster. Am Rande einer Premiere schmierte er, bekannt für das Mitschleppen seines alten Dackels, der Kritikerin den gesammelten Kot seines Vierbeiners ins Gesicht. Er habe damit auf eine Rezension der Kritikerin über eines seiner Stücke reagieren wollen. Das Ergebnis: Hüster stellte Strafanzeige. Und Goecke? Wurde vom Dienst suspendiert. Das hielt ihn allerdings nicht davon ab, in der Presse mehrfach lang und breit zu erklären, wer oder was ihn zu der Tat führte.Erstmal kein Hundekot auf der BühneGlänzende Vorlage für ein Theaterstück, das größtmögliche Aufmerksamkeit bekommt! Oder nicht? Die Premiere von Die Hundekot-Attacke im Theaterhaus Jena ist jedenfalls ausverkauft, und nicht nur das: Zahlreiche Kritiker sind angereist, haben sogar ausgeschilderte Plätze mit Reservierungen erhalten. Doch wer von denen erwartet hatte, heute Abend würden die Tat und die Umstände der Kacke-Attacke gemimt, der irrt. Denn auf der Bühne zu sehen ist zunächst einmal ein Ensemble, das sich selbst spielt. Bis heute haben sie kein richtiges Stück auf die Beine gestellt, sondern einfach viel diskutiert. Zeugnis dessen sind die zahlreichen E-Mails, die sie dem Publikum für die nächste Stunde vortragen werden.Im Stile eines fiktionalen Dokumentartheaters sitzen Leon Pfannenmüller, Henrike Commichau, Anna K. Seidel, Pina Bergemann, Nikita Buldyrski und Linde Dercon also dort vorne nebeneinander auf ihren Stühlen vor dem Mikrofon – und beharken sich. Fünf Jahre habe man gute Stücke gemacht, sagt Nikita, nach Jena gekommen ist trotzdem niemand. Ein Stück über die Hundekot-Attacke soll das nun ändern? Nicht alle aus dem Ensemble lassen sich von der Idee sofort überzeugen: Nikita will lieber ein regionales Thema auf die Bühne bringen und Anna hält den ganzen Vorfall schlicht für einen „misogynen Angriff, der vor Gericht“, aber nicht auf die Bühne gehört. Doch sie haben die Rechnung ohne Leon gemacht. Der hat sich schon so sehr ins Thema eingearbeitet, dass er nicht mehr loskommt. Große philosophische Themen möchte er anhand des Falls verhandeln. Es soll nicht nur um das Verhältnis von Kunst und Kritik gehen, oh nein! Für Leon ist die Attacke eine Frage der Gewalt – nicht nur seitens des Künstlers.Schnell werden die Sichtweisen der einzelnen Ensemblemitglieder auf „den Choreografen“ und „die Kritikerin“ deutlich. Es geht um Frauenhass, Vorstellungen von Männlichkeit und das Prinzip der Täter-Opfer-Umkehr, aber auch darum, welche alternativen Ausgänge die Attacke hätte haben können. Wäre es im Angesicht des Schmerzes über die schlechte Kritik nicht ein ausdrucksstärkeres Zeichen gewesen, sich die Scheiße selbst ins Gesicht zu schmieren? Träumen kann man ja mal. Aber auch die Eigenheiten der Kulturbranche, fragwürdige Jurys und Preise, prekäre finanzielle Verhältnisse oder die Kulturkritik werden mal bissig, mal verständnisvoll kommentiert. Zusehends entfalten sich aber auch die Unzulänglichkeiten der Egos auf der Bühne und entlarven damit die eigene Verstrickung in die Umstände, die sie zu kritisieren versuchen: Als Pina ein attraktives Konkurrenzangebot bekommt, wird schnell klar, dass sie dem Geld und dem Ruhm solidarischer gegenübersteht als der Gruppe. Henrike hingegen offenbart plötzlich ihre Faszination für den Choreografen und scheint bald gar nicht mehr so kritisch eingestellt.Kunst und KritikFreiwillig oder unfreiwillig entbehrt die Gruppe dabei nicht einiger Ironie, beispielsweise, wenn Leon dem Ensemble zum gefühlt hundertsten Mal sein Leid über die gemeinen Kritiken der Vergangenheit klagt. Wie soll er jemals wieder auf die Bühne gehen, ohne an die mahnenden Worte zu denken? Er kommt einfach nicht darüber hinweg.Die Hundekot-Attacke ist im Grunde ein langes Wortgefecht, das immer wieder neue Fragen an das Verhältnis von Kunst und Kritik aufwirft, niemals aber urteilt oder den Zeigefinger erhebt. Das Stück ist aber auch ein Feuerwerk der Pointen, die ironischerweise von den männlich gelesenen Darstellern Nikita Buldyrski und Leon Pfannenmüller getragen werden, weil sie mit so überzeugender stereotyper Inbrunst ihren Stiefel durchziehen. Erfrischend offen und ohne Hemmung werden schließlich auch die „Schattenseiten der Industrie“ von Nikita Buldyrski berappt. Und am Ende gibt es sie dann doch noch, die Performance der Hundekot-Attacke.Was war echt? Was war fake? Völlig egal. Nach dem Besuch dieses Stücks hat man den Eindruck, dem Trick eines guten Magiers beigewohnt zu haben: Man ist beeindruckt von der Täuschung. Und zweifelt an der Realität.Placeholder infobox-1