Rigorose Abtreibungsverbote in den USA: Die Wähler*innen wollen das nicht
Abtreibung In einigen US-Bundesstaaten sind die rigorosen Abtreibungsgesetze bereits Alltag vieler Frauen. Doch sogar die Republikaner sind nicht mehr überzeugt von den Verboten
Vor dem Supreme Court im März 2023: Protest mit Uterus-Kostüm gegen die harten Abtreibungsregelungen
Foto: Madeleine Hordinski/NYT/Redux/Laif
Die Republikanische Partei hat ein Problem – eines, das ihr bei der im November anstehenden Präsidentschaftswahl einen Strich durch die Rechnung machen könnte. Denn die von den Republikanern in zahlreichen Bundesstaaten verabschiedeten drakonischen Abtreibungsverbote sind bei einer Mehrheit der US-amerikanischen Bevölkerung extrem unbeliebt. Selbst in republikanisch regierten Staaten wie Ohio und Kansas hatten Referenden Erfolg, die das Recht auf Abtreibung in den Verfassungen der Bundesstaaten verankern wollten. In Kentucky scheiterten Abtreibungsgegner mit dem Versuch, die Bundesverfassung zu ändern, um das Recht auf Abtreibung explizit abzulehnen.
Nur eine Handvoll Staaten wie Alabama oder Wyoming, das suggerieren Umfragen, sind konservativ genug, um tatsäc
atsächlich kollektiv gegen Abtreibungsrechte zu stimmen, sollten sie die Gelegenheit dazu erhalten.Jüngste Ereignisse führten zudem dazu, dass die Republikaner sich in einem Dauermodus der Schadensbegrenzung befinden: So hat beispielsweise der Arizona Supreme Court Mitte April geurteilt, dass ein effektiv absolutes Abtreibungsverbot aus dem Jahr 1864 heute noch gilt – damals hatten Frauen kein Wahlrecht und Arizona war noch kein Teil der Vereinigten Staaten. Möglich gemacht hatte diese Entscheidung das Urteil des Obersten Gerichtshofs im Juni 2022, das das landesweite Recht auf Abtreibungen kippte. Und der frühere republikanische Gouverneur Doug Ducey, der 2016 das höchste Gericht des Bundesstaates erweitern ließ, um derart eine rechtsreaktionäre Mehrheit zu sichern.Ein 160 Jahre altes GesetzAngesichts des öffentlichen Rückschlags distanzierte sich Ducey jetzt von dem Urteil, genau wie andere Republikaner, die – wenig glaubwürdig – versuchen, sowohl Schadensbegrenzung zu betreiben, was ihr Image angeht, als auch weiter auf ihren ideologischen Positionen zu beharren. Kari Lake, die 2022 das Rennen um das Gouverneursamt verlor und als mögliche Vizepräsidentschaftskandidatin Donald Trumps gehandelt wird, hatte noch vor zwei Jahren das 160 Jahre alte Verbot unterstützt. Sie behauptet nun, sie sei dagegen. Die demokratische Bundesstaatsanwältin in Arizona hat versprochen, dass das Gesetz in ihrer Amtszeit nicht durchgesetzt werden wird – ein schwacher Trost für die Schwangeren und das medizinische Personal, die in Angst leben müssen.Oft wird in der Debatte um Abtreibungsrechte dank des irreführenden „Pro Life“-Narrativs von Abtreibungsgegnern vergessen, dass Abtreibungsverbote auch die medizinische Versorgung von gewollt Schwangeren einschränken – mit lebensbedrohlichen Folgen: Anya Cook aus Florida hatte vorgehabt, ihre Tochter „Bunny“ zu nennen. Aber kurz vor der 16. Schwangerschaftswoche platzte ihre Fruchtblase – also sechs Wochen bevor ein Fötus außerhalb des Uterus überleben kann. Auch wenn klar war, dass Cooks Fötus zu früh geboren werden würde, um überleben zu können, verweigerte das Krankenhaus ihr die Behandlung, weil auf dem Ultraschall ein Herzschlag zu verzeichnen war. In Florida waren Abtreibungen zu diesem Zeitpunkt ab der 15. Schwangerschaftswoche verboten, mit einigen wenigen, in der Realität kaum durchsetzbaren Ausnahmen. In zahlreichen republikanisch regierten US-Bundesstaaten verlangt die verabschiedete Gesetzgebung zudem, dass das Leben der Schwangeren in Gefahr sein muss – nicht ihre Gesundheit –, um eine Ausnahme zu erlauben. Das hat zur Folge, dass medizinisches Personal mitunter gezwungen ist zu warten, bis die Patientinnen zum Beispiel genug Blut verloren haben, um sie behandeln zu können, ohne dabei strafrechtliche Verfolgung fürchten zu müssen.Cook hatte Schmerzen – und war sich sicher, dass sie die Geburt des Fötus nicht überleben würde, berichtet der Guardian: Am nächsten Tag gebar sie den nicht lebensfähigen Fötus allein auf der Toilette eines Friseursalons. Sie verlor fast die Hälfte des Bluts in ihrem Körper. Eine anwesende Krankenschwester rief einen Krankenwagen – die Sanitäter mussten trotzdem nach Ankunft im Krankenhaus noch mit dem Personal diskutieren, ob die verblutende Frau wirklich in Lebensgefahr sei.Anya Cook ist eine von vielen Frauen, denen aufgrund des Grundsatzurteils im Fall Dobbs im Sommer 2022 durch den Supreme Court der USA und den daraufhin eingesetzten Abtreibungsverboten in republikanisch regierten Staaten lebenswichtige Gesundheitsversorgung verweigert wurde – egal, ob die Schwangerschaft gewünscht war oder nicht. In North Carolina war eine Schwangere gezwungen, in einem Auto die Geburt zu durchleiden, weil das Krankenhaus ihr einen Ultraschall verweigerte. Das Baby starb.Diese Beispiele zeigen, was Expert*innen und Aktivist*innen, die für reproduktive Rechte von Frauen und Schwangeren kämpfen, seit Langem sagen: Der selbst ernannten „Pro-Life“-Bewegung geht es nicht um „Leben“, sondern darum, Schwangere zum Gebären zu zwingen – egal, wer dabei stirbt. Das Ziel ist die patriarchale Kontrolle von Frauen und Menschen mit Uterus. Mittlerweile hat Floridas Landesparlament ein noch strengeres Abtreibungsverbot ab der sechsten Schwangerschaftswoche (gezählt wird ab der letzten Periode) verabschiedet, das dank einer jüngsten Entscheidung des Florida Supreme Court ab Mai dieses Jahres in Kraft treten wird. Da viele Frauen und Menschen mit Uterus in der sechsten Schwangerschaftswoche noch nicht wissen, dass sie schwanger sind, ist Floridas neues Gesetz im Endeffekt ein vollständiges Abtreibungsverbot – eines der drakonischsten im ganzen Land.Die Auswirkungen gehen über den Sunshine State hinaus: Mit dem Urteil des Supreme Court in Florida schwindet dieser letzte Zufluchtsort für Abtreibungen im Süden. Allein 2023 wurde eine von drei Abtreibungen im Süden der USA in Florida durchgeführt, mehr als 9.000 Menschen aus anderen Bundesstaaten waren angereist, um die Prozedur durchführen zu lassen – mindestens doppelt so viele wie 2020. Wer in Florida – oder im Süden der USA – eine Abtreibung jenseits des ersten Trimesters benötigt, muss bis nach Virginia oder Washington D.C. reisen, da auch North Carolina Abtreibungen nur noch bis zur zwölften Schwangerschaftswoche erlaubt.Ein schmaler Silberstreif am Horizont, zumindest für Florida: Im November werden die Wähler dort nicht nur darüber abstimmen, wer der nächste US-Präsident wird, sondern auch darüber, ob das Recht auf Abtreibung in der Verfassung des Bundesstaats verankert werden soll.67 Prozent der Einwohner*innen Floridas sprachen sich 2023 für das Recht auf Abtreibung in allen oder den meisten Fällen aus, nur zwölf Prozent unterstützten ein komplettes Verbot. Das Problem: In Florida muss bei diesem Referendum die 60-Prozent-Marke geknackt werden – eine höhere Hürde als in anderen roten (republikanisch regierten) oder lilafarbenen (Swing States) Bundesstaaten wie Montana, Kentucky, Ohio und Kansas, in denen Abtreibungsrechte zuletzt durch Referenden geschützt wurden. Es wird sich zeigen, ob die Demokraten es schaffen, im November Menschen zu motivieren, für Joe Biden zu stimmen, um das Recht auf Abtreibung und körperliche Selbstbestimmung für Schwangere zu schützen.Bisher konnten Demokraten Wahlen, in denen Abtreibungsrechte auf dem Spiel standen, für sich entscheiden. Doch selbst wenn das gelingen sollte, werden bis dahin zahlreiche Frauen und Personen mit Uterus bereits einen viel zu hohen Preis gezahlt haben.
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