Kommission zu reproduktiven Rechten: Gute Ideen für ein politisches Schlachtfeld
Selbstbestimmung Abtreibung, Eizellspende, Leihmutterschaft: Rund um die Schwangerschaft stellen sich schwierige Fragen mit hoher Sprengkraft. Eine Expertinnenkommission hat Lösungsvorschläge erarbeitet. Können sie Frieden bringen?
Die Kommission empfiehlt, den Abbruch in der frühen Schwangerschaftsphase vollständig zu entkriminalisieren
Foto: Panthermedia/Imago
Eine Schwangerschaft kann ein Notfall sein, ihr Ausbleiben auch. Beide Notfälle kann die Medizin äußerst effektiv behandeln, muss dafür aber tief in den Entstehungsprozess menschlichen Lebens eingreifen. Das sind die Vermessungen eines der größten politischen Schlachtfelder unserer Zeit.
Es war eine wahre Expertinnenkommission, die Ende März 2023 damit beauftragt wurde, ein bisschen Frieden herzustellen. Fünfzehn Frauen und nur drei Männer berieten ein Jahr lang über „reproduktive Selbstbestimmung und Fortpflanzungsmedizin“, also Schwangerschaftsabbrüche und Kinderwunschbehandlungen. Am Montag legten die Professorinnen und Professoren aus Disziplinen wie Recht, Medizin, Psychologie und Soziologie den Abschlussbericht mit ih
ziologie den Abschlussbericht mit ihren Empfehlungen vor. In der frühen Schwangerschaftsphase soll der Abbruch, anders als jetzt, vollständig entkriminalisiert werden. Für die sogenannte mittlere Phase bis zur Lebensfähigkeit außerhalb des Mutterleibes überlässt die Kommission die endgültige Einschätzung dem Gesetzgeber, erkennt die ethische und verfassungsrechtliche Vertretbarkeit eines Abbruchs aber grundsätzlich an. Selbst in der Spätphase empfiehlt die Kommission den legalen Abbruch, wenn andernfalls das Leben oder die „körperliche oder seelische Gesundheit“ der Schwangeren gefährdet sind.Das ist deshalb bemerkenswert, weil bei aller Kontroverse unbestritten sein dürfte, dass ein selbstständig lebensfähiger Embryo kein werdendes Leben mehr ist, sondern ein Leben. Dass die medizinische Indikation trotzdem nicht nur Lebensgefahr, sondern auch seelische Gesundheitsgefahren erfasst, ist eine klare Abwägung des austragenden Lebens gegen das auszutragende. Missbrauchte Kinder zum Gebären zwingenAus Frauenrechtsperspektive mag das eine Selbstverständlichkeit sein. Doch die gesellschaftliche Sprengkraft ist enorm. Wie es aussieht, wenn Lebensschützer ihre Logik zu Ende denken, lässt sich gerade in den USA beobachten. Dort werden nicht nur immer wieder Frauen zum Austragen von Totgeburten gezwungen. In manchen Staaten sind die Ausnahmen der Abtreibungsverbote so eng gefasst, dass selbst Kinder betroffen sind. 2022 ging der Fall einer Zehnjährigen um die Welt, die ihre durch Missbrauch entstandene Schwangerschaft in ihrer Heimat Ohio nicht beenden durfte und nach Indiana reisen musste. In Mississippi musste im August 2023 eine Dreizehnjährige eine Schwangerschaft austragen, weil die Ermittlungen gegen ihren Vergewaltiger ergebnislos geblieben waren und ihre Mutter die Reise in den Nachbarstaat nicht bezahlen konnte. In Argentinien hatte es 2019 einen ähnlichen Fall einer Elfjährigen gegeben, auch sie musste das Kind bekommen.Gesetze, die missbrauchte Kinder zum Gebären zwingen, sind Extrembeispiele. Sie bleiben jedoch die logische Konsequenz einer Ideologie, die in jedem Embryo ein bedingungslos zu schützendes Leben sieht. Aus dem Lager der Entscheidungsfreiheit gibt es Widerstand: Von „Zellhaufen“ ist dann manchmal die Rede, Bilder von wenigen Millimetern formlosem Gewebe machen die Runde. Die Botschaft ist klar, das hier ist kein Leben, das hier ist nicht schützenswert. Es sind nicht nur Abtreibungsgegner, für die diese Botschaft schmerzhaft ist. Ungewollt kinderlose Paare und vor allem Menschen, die eine herbeigesehnte Schwangerschaft verloren haben, leiden oft ihr Leben lang unter dem Verlust des vermeintlichen Zellhaufens. Auch um sie ging es im Kommissionsbericht – mit wenig aussichtsreichen Ergebnissen.Da ist zum einen die Eizellspende. Den Grund für das bisherige Verbot, die „Vermeidung einer gespalteten Mutterschaft“, betrachtet die Kommission als überholt. Trotzdem formuliert sie enge Voraussetzungen für eine Legalisierung, etwa das Recht des Kindes auf Informationen zu seiner Abstammung, Versicherung und Aufwandsentschädigung für die Spenderin, die Begrenzung der Zahl der so gezeugten Kinder. Wenn die Kardashians sich ein Baby kaufenWeiterhin verboten bleiben kann den Expertinnen zufolge die Leihmutterschaft, bei der eine dritte Person das genetische Kind eines Paares austrägt. Die Kommission hat sich ihrem Prüfauftrag gemäß nur mit der altruistischen Variante beschäftigt. Kommerzielle Leihmutterschaft, obwohl nur in wenigen Ländern zugelassen, schießt derweil in die Höhe: Einer Schätzung von 2022 zufolge soll das Marktvolumen binnen zehn Jahren von 14 auf 129 Milliarden US-Dollar ansteigen. Die altruistische Leihmutterschaft scheint der humane Mittelweg: Wenn jemand die eigene Gebärmutter einfach so zur Verfügung stellen will, soll der Staat nicht im Weg stehen. Oder?Die Kommission gibt die besondere Abhängigkeit, „in gewissem Grade sogar die Zwangslage“ der Leihmutter zu bedenken. Keine Schwangerschaft ist völlig risikofrei, und dieses Risiko muss die behandelnde Ärztin verantworten können, ohne den hippokratischen Eid zu brechen. Außerdem sei ein Missbrauch einer vordergründig altruistischen Vereinbarung für wirtschaftliche Zwecke zu befürchten. Die „Zwangslage“ einer Leihmutter wurde der Welt vor einigen Jahren wirkungsvoll vor Augen geführt. In einer Folge „Keeping Up With The Kardashians“, der Realityserie, die die Kardashian-Schwestern berühmt und vor allem reich machte, ließ sich Khloé Kardashian mit ihrem Partner bei einem vorbereitenden Gespräch für die geplante Leihmutterschaft filmen. Auf die Frage, was sie von fetaler Reduktion oder Schwangerschaftsabbruch bei einer überraschenden Mehrlingsschwangerschaft hielte, antwortete Kardashian, wenn sie mit Mehrlingen „gesegnet“ seien, sei das eben „Gottes Wille“ und sie seien mit der Mehrlingsgeburt einverstanden. „Und was wäre, wenn Ihre Leihmutter damit nicht einverstanden wäre?“, fragte die Therapeutin, woraufhin Kardashian eine verräterische Rückfrage stellte. „Müssen sie sich nicht nach unseren Wünschen richten?“Lauterbach dankt für „Anregungen zur Debatte“ Sicher, wieder ein Extrembeispiel. Aber was garantiert eigentlich, dass dieses Problem nicht auch in der altruistischen Variante auftaucht? Der Kommission zufolge muss der Gesetzgeber, sollte er die Legalisierung beschließen, die volle Selbstbestimmung der Leihmutter über Verlauf und Beendigung der Schwangerschaft gewährleisten. Auch über die Geburt hinaus.Zu den Voraussetzungen für eine vertretbare Legalisierung zählt die Kommission die Möglichkeit für die Leihmutter, „sich innerhalb einer kurzen Frist nach der Geburt entgegen der getroffenen Elternschaftsvereinbarung dafür zu entscheiden, das Kind zu behalten und selbst rechtliche Mutter zu sein“. Für Paare, denen die letzte verzweifelte Hoffnung auf eine Familie mitsamt ihrem genetischen Nachwuchs genommen wird, eine Horrorvorstellung. Im umgekehrten Fall würden Leihmütter, die doch Elterngefühle für das neun Monate ausgetragene und zur Welt gebrachte Kind entwickeln, zur Trennung auf Nimmerwiedersehen gezwungen. Im Gegensatz zu solchen praktischen Problemen fängt feministische Kritik an der Leihmutterschaft weit vor der Geburt an. Parallel zur innerfeministischen Prostitutionsdebatte gibt es zwei Argumentationslinien: Die Leihmutterschaft als autonome und deshalb schützenswerte Entscheidung auf der einen, als Selbstausbeutung eines zum Mietobjekt degradierten Frauenkörpers auf der anderen Seite. So oder so, pragmatisch oder prinzipiell: Die Fragen sind noch lange nicht beantwortet, auch nicht durch den Bericht der Kommission. Bindend zur Umsetzung ist er nicht. Passend bezeichnete Gesundheitsminister Karl Lauterbach die Vorschläge in der Pressekonferenz als „Hilfe“. Der Kommission, die durchaus konsensfähige Lösungen erarbeitet hatte, dankte er für die „Anregungen zur Debatte“. Mehr nicht.
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