Das Recht auf Abtreibung war schon immer ein fauler Kompromiss

Meinung Zeit, sich ehrlich zu machen: Der Paragraf 218 muss reformiert werden. Eine Kommission hat dazu Vorschläge gemacht. Sie weisen in die richtige Richtung
Ausgabe 16/2024
Erster Handschlag in eine neue Zukunft des deutschen Abtreibungsrechts?
Erster Handschlag in eine neue Zukunft des deutschen Abtreibungsrechts?

Foto: Imago / epd

Die Botschaft, die sowohl Gesundheitsminister Karl Lauterbach (SPD), sein Justizkollege Marco Buschmann (FDP) als auch Familienministerin Lisa Paus (Grüne) bei der Übergabe des Berichts zur reproduktiven Selbstbestimmung und Fortpflanzungsmedizin verkündeten, ließ an Deutlichkeit nichts zu wünschen übrig. Was man nicht brauche, sei eine Debatte, die die Gesellschaft spalte, so die unisono vorgetragene Botschaft. Alle drei wissen um den politischen Zündstoff insbesondere im ersten Teil des Berichts, in dem es um die Neujustierung des Schwangerschaftsabbruchs geht. Doch wenn Abtreibungsgegner vor Arztpraxen aufmarschieren, um Frauen und Gynäkolog:innen zu nötigen oder das konservative Spektrum eine wissenschaftliche Expertise zum Anlass nimmt, um daraus parteipolitisches Kapital zu schlagen, bedroht der Spaltpilz die trügerische Einheit. Der von der CDU/CSU beschworene, vor vielen Jahren geschlossene „Kompromiss“ zum Paragrafen 218 war von jeher faul.

Manche der ergrauten Kolleginnen, die der ausführlichen Vorstellung des Berichts in der Bundespressekonferenz lauschten, dürften sich noch an die paradoxen Formeln erinnert haben, mit denen das Bundesverfassungsgericht 1973 und 1994, als es um die in der DDR geltende Fristenregelung ging, das Recht auf Abtreibung stranguliert hatte. Abtreibung ist seither zwar rechtswidrig, bleibt aber dennoch straffrei. Schwangere Frauen sollten „zielorientiert, aber ergebnisoffen“ bei einem Abtreibungswunsch beraten werden, um dem Lebensschutz Geltung zu verschaffen.

Empfehlung der Kommission: Straffreies Recht auf Abtreibung

Dahinter verschanzte sich die Politik bislang. Doch „die Konsistenz der beiden Entscheidungen“, so Kommissionsmitglied Frauke Brosius-Gersdorf, sei „überschaubar“ und von „verfassungs-, europa- und völkerrechtlichen Vorgaben“ längst überholt. Wenig überraschend empfiehlt die 18-köpfige Kommission deshalb das straffreie Recht auf Abtreibung in den ersten zwölf Wochen einer Schwangerschaft und fordert gleichzeitig den Gesetzgeber auf, auch einen Zeitpunkt über diese Frist hinaus zu bestimmen, bis zu dem der Abbruch noch rechtens ist, um Frauen aus der Strafzone zu bringen. Das würde auch bedeuten, dass die Krankenkassen die Kosten für den Eingriff übernehmen müssten.

Ein Abbruch in der Spätphase einer Schwangerschaft soll dagegen strafbewehrt bleiben, mit Ausnahme der Fälle, bei denen Frauen vergewaltigt wurden oder ihr Leben aus gesundheitlichen Gründen auf dem Spiel steht. Für diese Fälle wünscht sich die Kommission verbindliche Leitlinien. Außerdem regt sie an zu prüfen, ob die bisherige verpflichtende Beratung nicht besser durch ein flächendeckendes, niedrigschwelliges Beratungsangebot zu ersetzen sei. Gerade hat eine Studie die schlechte Versorgung ungewollt Schwangerer, vor allem auf dem Land, offenbart. Die Folgen des „Abtreibungsfriedens“ hatten bislang die betroffenen Frauen zu tragen.

Die Kommission legt ein seit Jahrzehnten schwelendes Ärgernis nun wissenschaftlich offen. Dass sich die Expertinnen für die Freigabe der Eizellenspende und – möglicherweise – der Leihmutterschaft ausgesprochen haben, dürfte ebenfalls noch für Debatten sorgen. Die FDP-Frauen, die sich dafür stark machen, haben allerdings weniger Hausmacht als Verkehrsminister Volker Wissing. Und in Bezug auf den Paragrafen 218 hat Justizminister Marco Buschmann schon angekündigt, das sei eine „Abwägungsfrage“. Zu viel, das wissen vor allem Frauen, sollte man von dieser Koalition nicht mehr erwarten.

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Geschrieben von

Ulrike Baureithel

Redakteurin „Politik“ (Freie Mitarbeiterin)

Ulrike Baureithel studierte nach ihrer Berufsausbildung Literaturwissenschaft, Geschichte und Soziologie und arbeitete während des Studiums bereits journalistisch. 1990 kam sie nach Berlin zur Volkszeitung, war im November 1990 Mitbegründerin des Freitag und langjährige Redakteurin in verschiedenen Ressorts. Seit 2009 schreibt sie dort als thematische Allrounderin, zuletzt vor allem zuständig für das Pandemiegeschehen. Sie ist außerdem Buchautorin, Lektorin und seit 1997 Lehrbeauftragte am Institut für deutsche Literatur der Humboldt Universität zu Berlin.

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