Belästigung bei Schwangerschaftsabbruch: „Ich war total am Ende“
Selbstbestimmung Abtreibungsgegner sprechen von Hilfe für ungewollt Schwangere – Betroffene von Belagerung. Nun sollen Protestaktionen vor Beratungsstellen und Praxen verboten werden. Der „Freitag“ hat mit Frauen gesprochen, für die das Gesetz zu spät kommt
Ungebetene Belästigung durch Mitglieder der Gruppe „Helfer für Gottes kostbare Kinder“ in München
Foto: Imago/Zuma Wire
Wie weit darf jemand gehen, der glaubt, ein Leben zu schützen? Ende Januar beantwortete die Bundesregierung diese Frage in einem Gesetzesentwurf zur sogenannten Gehsteigbelästigung vor Schwangerschaftsabbrüchen. Die gezielte Ansprache Schwangerer vor Beratungsstellen und Praxen soll mit einem Bußgeld belegt werden, ebenso Mahnwachen, Schilder, jedes Verhalten, das den Zugang zu den Einrichtungen beeinträchtigt. 100 Meter Abstand müssen sie halten, die sogenannten Lebensschützer, wenn sie lautstark beten, Schockfotos zeigen oder Plakate hochhalten, auf denen ein glückloser Embryo fragt: Mama, warum wolltest du mich nicht? Die Protestformen sind unterschiedlich und oft kreativ, das Ziel immer das gleiche: Den Schwangerschaftsabbruch, zu dem sich die An
ormen sind unterschiedlich und oft kreativ, das Ziel immer das gleiche: Den Schwangerschaftsabbruch, zu dem sich die Angesprochene entschieden hat oder noch entscheiden könnte, zu verhindern. „Juristisch schwammig und faktisch unnötig“ nennt Alexandra Linder den Gesetzesentwurf in einer Pressemitteilung. Die Vorsitzende des Bundesverbands Lebensrecht engagiert sich seit über dreißig Jahren gegen die Entscheidungsfreiheit bei Schwangerschaftsabbrüchen. Keine der Gehsteig-Gruppen gehöre dem Verband an, betont sie. Eine Bedrohungslage liege aber „offensichtlich“ nicht vor, Berichte über belagerungsartige Aktionen, Bedrängen, Übergriffe seien „sachlich schwer nachvollziehbar“.Statistische Daten gibt es zu den Protesten nicht. Woher Linder weiß, wie Gruppen vorgehen, die nichts mit ihrem Verband zu tun haben, ist der Mitteilung nicht zu entnehmen, eine entsprechende Anfrage des Freitag bleibt unbeantwortet. „Wenn Menschen freundlich und respektvoll ein Gespräch oder Hilfe im Schwangerschaftskonflikt anbieten“, heißt es in der Mitteilung weiter, „kann jeder dies frei annehmen oder ablehnen“. Das Verbot sei unnötig, „jeder, der sich bedrängt oder bedroht fühlt“, könne „die Polizei rufen oder Anzeige erstatten“. „Wir sind gerannt, so schnell wir konnten“Freundlich und respektvoll – so haben es die Betroffenen, mit denen der Freitag gesprochen hat, nicht erlebt. „Ich war total am Ende“, erinnert sich Nadja aus München, die ihren Nachnamen nicht in der Zeitung lesen will. Inzwischen ist die 45-jährige Innenarchitektin Mutter einer vierjährigen Tochter. Ihr Schwangerschaftsabbruch ist über zwanzig Jahre her, ihr ist jedes Detail präsent. Die Beratung verlief problemlos, später begleitete sie eine Freundin nach München-Westend zu einem Arzt, der bekannt war für sein Angebot. Die Praxis lag in einem Hinterhaus, sie mussten durch eine enge Einfahrt, zwei junge Mädchen. Eine „Truppe von Abtreibungsgegnerinnen“ stand da, drei Frauen, eine hochschwanger, eine mit Kleinkind an der Hand, und zeigte Bilder von unrealistisch weit entwickelten Föten mit der Aufschrift „Kind in der achten Woche“. Die Freundin verstand, was los war. „Sie hat mich abgeschirmt und die Frauen angeschrien, sie sollen abhauen, uns in Ruhe lassen.“Ja, inhaltlich sei die Ansprache zugewandt gewesen, „nichts von wegen ,Du kommst in die Hölle’ oder so, eher ,Wir können dir helfen’.“ Aber Nadja wollte die Hilfe nicht. Es war nicht ihr erster Abbruch. „Ich hatte mir geschworen, dass es nicht nochmal passiert. Ist es aber leider.“ Sie fühlte sich schlecht, entschied sich trotzdem dafür. Und dann die Frauen mit ihren falschen Bildern. „Wir sind gerannt, so schnell wir konnten. Am Empfang der Praxis stand ich total unter Strom, habe gezittert und geweint. Ich dachte, was wollen die von mir? Ich habe mich doch schon entschieden.“ Die Arzthelferin verstand, was passiert war, die Gruppe stand dort oft. Sie gab ihr ein Beruhigungsmittel und sagte, es tue ihr leid, aber sie könnten leider nichts dagegen tun. Bald können sie. Aber sollten sie auch? Zahlen hat niemand, die Beratungsstelle Pro Familia bestätigt in einer Pressemitteilung nur die „regelmäßige Präsenz“ vor den Einrichtungen. Die Humanistischen Beratungsstellen erleben bisher keine Belästigungen, erklärt Projektleiterin Chris Heike Lau auf Anfrage des Freitag, sind aber alarmiert und haben einen „präventiven Handlungsleitfaden“ entwickelt. Auf Häufigkeit oder Intensität der Aktionen beruhen die neuen Regelungen nicht. Eva Maria Bredler, Doktorandin des Öffentlichen Rechts an den Universitäten Münster und Oxford, analysierte den Entwurf im Verfassungsblog. Rufe nach einem Verbot rührten vor allem daher, dass „individueller Rechtsschutz“, also etwa das vom Bundesverband Lebensrecht vorgeschlagene Polizeirufen oder Anzeigeerstatten, „in solchen Situationen zwangsläufig zu spät kommt.“ Dabei spiele Zeit eine entscheidende Rolle im Schwangerschaftskonflikt.Der Abbruch ist noch immer eine Straftat, die nur dann nicht verfolgt wird, wenn die staatlichen Vorgaben eingehalten sind. Zwölf Wochen hat die Schwangere, in dieser Zeit muss sie die Schwangerschaft feststellen – bei unregelmäßigem Zyklus können hier schon sechs bis acht Wochen vergehen – das Für und Wider des Abbruchs abwiegen, die Finanzierung klären, sämtliche Konflikte mit dem Sexualpartner, dem Umfeld und sich selbst aushandeln. Und drei Tage vor dem Eingriff muss sie sich von einer staatlich anerkannten Stelle beraten lassen. In der Begründung zum Gesetzesentwurf heißt es: „Erlegt der Staat der Schwangeren diese Pflicht auf, so muss er dafür Sorge tragen, dass sie dieser ohne wesentliche Hindernisse nachkommen kann.“„An der Entkriminalisierung führt kein Weg vorbei“Für die Juristin Eva Maria Bredler hält der Entwurf „überwiegend, was er verspricht“. Menschenrechtlich sei Deutschland verpflichtet, einen „ungehinderten, sicheren und diskriminierungsfreien Zugang“ zu Beratung und Praxis sicherzustellen, unter anderem aufgrund der UN-Frauenrechtskonvention und der Europäischen Konvention für Menschenrechte. Um das Stigma zu beenden und den Gegnern der Entscheidungsfreiheit den Boden zu entziehen, führe aber „kein Weg an der Entkriminalisierung des Schwangerschaftsabbruchs vorbei.“Nadja, die ihr Kind mit 40 bekommen hat, weil sie das genau so wollte, ist erleichtert über das neue Gesetz. Für ihre Tochter würde sie sich nicht wünschen, diese Entscheidung treffen zu müssen, aber „sollte es dazu kommen, soll sie so etwas nicht durchmachen.“ Viele Jahre habe sie die Wut auf die Gruppe vor der Praxis begleitet. Manchmal habe sie „zehn Liter Schweineblut nehmen, da vorbeifahren und über denen auskippen“ wollen. Warum? „Weil sie alles so viel schlimmer gemacht haben.“
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