Keiner liebt mehr die Partei?!

Parteien Ich gehe wählen. Aber Liebe ist es (wohl) nicht, was mich mit Parteien verbindet. Vielleicht mein Fehler. So eine Partei hat es ja nicht einfach. So ganz ohne Zukunft?

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Nun ist es also (fast) soweit:Das Buhlen hat (fast) ein Ende. Es wird bald Sonntag sein und Freund Wähler darf sich nur noch kurze Zeit als irgendwie bedeutender Teil jenes Demokratie genannten politischen Systems fühlen, das uns alle zur Urne führen möchte. Alle Parteien bitten um seine Stimme, bis auf die FDP: die bettelt. Und bis auf die CSU: Die muss nicht, weil Bayern und CSU untrennbar miteinander verschmolzen sind.

Ich werde also morgen wählen gehen und jemandem meine Stimme geben, sofern ich sie dann bis Montag wiederbekomme, weil ich sie noch brauche. Aber ich ganz persönlich mache die Sache dann wohl doch eher aus Pflichtgefühl gegenüber der Demokratie und weniger aus Leidenschaft, wenngleich ich mich ein ganz kleines bisschen freuen würde, wenn „meine“ Parteien siegreich wären, aber das wäre eine relativ schnell verpuffende Freude, etwa so wie ein Orgasmus. Liebe ist da nicht im Spiel, zumindest bei mir nicht.

Die Liebe ist futsch?

Die Überschrift des Artikels ist sicherlich etwas übertrieben. Es gibt Wähler, die Parteien wählen UND lieben. Und es gibt natürlich nach wie vor Menschen, die Partei-Mitglied werden und das sogar aus Überzeugung. Und es gibt – mehr noch – Menschen, die diese Überzeugung auch nach Jahren nicht verlieren. Wahnsinn! Aber vielleicht sind es nicht so viele? Weniger als früher?

Lassen wir das unbeantwortet im Raum stehen und hauen hier einfach einmal den Satz raus: So eine Partei hat es natürlich auch nicht so ganz einfach. Doch, doch, lassen wir das einmal so stehen, OK? Das ist so banal, das geht. :-) Da steht sie also da, diese Partei (oder jene), steht so da in der Öffentlichkeit und muss so tun, als würde sie für etwas stehen und würde auch nach der Wahl und vielleicht eine ganze Weile für etwas stehen und eigentlich kann sie das vielleicht gar nicht, zumindest, wenn es eine große Partei ist?

Parteien geben etwas vor und sind es nicht

Versetzen wir uns doch einmal in eine Partei OK? Machen wir das jetzt einmal. So eine Partei muss gegenüber dem Wähler ja möglichst so tun, als wäre sie eine runde Sache, als wäre sie quasi EINE Person mit EINER Meinung, auf die man sich verlassen kann, als würde sie hier, jetzt und morgen und Freitag nächster Woche für dieselben politischen Ziele stehen: für immer dieselben (Samstag nicht; Samstag ist frei). Kritische Wähler möchten wissen, was sie wählen. Aber genau das kann eine Partei vielleicht nur bedingt sagen! Sie kann es zumindest nicht garantieren, dass sie heute UND morgen UND übermorgen für dieselbe Sache steht, denn sie ist ja gar nicht quasi EINE Person.

Im Prinzip wissen wir es ja: Hinter der Fassade einer einheitlichen Meinung (Wir stehen für … Popcorn) gibt es Flügel von rechts nach links, Gruppen und Grüppchen, Cliquen und wenn man sich dann so innerhalb (!) einer Partei Meinungen zu verschiedenen politischen Themen anhört, dann meint man bisweilen, aus dieser Partei vier bis fünf machen zu können, die nahezu das gesamte politische Spektrum abdecken.

Das ist ja einerseits irgendwie auch gut, also vielleicht, weil es für parteiinterne Demokratie stehen könnte. Andererseits wird es für politisch interessierte Menschen möglicherweise schwierig, sich mit seinen politischen Ansichten von einer Partei vertreten zu fühlen, weil Parteien – spätestens, wenn man sie auf der Zeitachse betrachtet – politisch zwar nicht beliebig austauschbar werden, aber sich doch teils mit so verschiedenen Facetten präsentieren und in so unterschiedlichen Rollen probieren, dass ihr Profil nur noch schlecht erkennbar ist.

Wie kann man so etwas lieben? Der Wähler, der heute der Partei X seine Stimme gibt, ahnt zumindest, dass sie a) nicht komplett seine politischen Positionen vertritt (wie soll das auch gehen?) und dass b) vielleicht bereits in zwei Jahren (also noch vor der nächsten Wahl) beim internen Gewimmel in der Partei völlig andere Positionen dominant werden als heute und die Partei dann gar nicht mehr so richtig „seine“ Partei ist. Kritische Wähler können beispielsweise darauf reagieren,

  • indem sie Nichtwähler werden,

  • indem sie ein einmal entwickeltes Bild von ihrer favorisierten Partei zu jeder Wahl hervorholen, „Passt schon“ flüstern und ihr Kreuzchen machen und damit von kritischen zu Schäfchen-Wählern werden,

  • in dem sie bei jeder Wahl erneut leiden, bevor sie dann ihr Kreuzchen bei irgendeiner Partei machen, die sie als kleinstes Übel bezeichnen.

Und Parteien? Parteien könnten wiederum auf diese möglicherweise tatsächlich vorhandenen Entwicklungen reagieren, indem sie sich ins Unpolitische flüchten, wo sie wieder greifbarer werden, wo man über Rauten und Stinkefinger diskutieren kann oder via Gesang (meist) misslungene Imagepflege betreibt und wo politische Kandidaten [mit gelungenen Aktionen] vielleicht viel eher Stimmen fischen können als mit jeder noch so gelungenen Aktion auf der politischen Arena? Wenn die doofe Politik draußen bleibt, ist es sowieso viel gemütlicher? Wir wählen Raute, nicht Stinkefinger? Wir wählen Stinkefinger, nicht Raute?

Wir Wähler sind ja nicht blöd, glaube ich, aber vielleicht hat manch einer von uns wirklich dieses Gefühl, sich im Dilemma zu befinden, trotz aller schönen Bekenntnisse von Stimmensammlern nur sehr bedingt eine Wahl zu haben. Und dann kramt manch einer vielleicht tatsächlich das einmal entwickelte Bild der von ihm irgendwie doch noch immer ein bisschen (leidenschaftslos) favorisierten Partei wieder heraus, weil er kein anderes hat und kein anderes entwickeln möchte, weil das das Wählen erschwert.

Und so interpretiert er „Raute“ eventuell als Beständigkeit und Stinkefinger möglicherweise als Durchsetzungsvermögen oder Rebellion und bastelt sich so Gründe für seine Wahl. Es ist ja nun nicht so, als seien alle Parteien auf dem Weg ins Nicht-Politische. Aber der Weg dorthin ist zumindest im Wahlkampf sehr verführerisch.

Parteien können politische Inhalte natürlich auch dem Wunsch nach (durch Wähler) verliehene Macht unterordnen und Populismus zur Kunst erheben und/oder Geschenkpackungen basteln, die sie gerne nach der Wahl alle wieder zurück hätten, könnten jedes Thema aufgreifen, das irgendwie ein bisschen zur politischen Färbung passt und Stimmen verspricht, um gewählt zu werden.

Das alles bringt vielleicht Stimmen. Aber bringt das überzeugte Wähler? Oder gar verliebte? Vielleicht meinen es Parteien auch manchmal wirklich ernst mit der Politik? Kann sein. Aber bisweilen geht das ziemlich unter im Getöse.

Das Dilemma von Parteien und Politikern

Parteien sind eine Ansammlung vieler kleiner und großer, für die Partei wichtiger und weniger wichtiger Politiker. Zugleich gilt auch bei Parteien: Das Ganze ist mehr als die Summe der Teile (Danke für die netten Worte, Herr Aristoteles). Die Partei wird als eigenständiges Etwas wahrgenommen. Zugleich lebt sie aber in der Öffentlichkeit auch nur (oder vor allem) durch das Tun ihrer prominenten Mitglieder, was zu einem gewissen Spannungsverhältnis „Partei vs. Politiker“ führt. Damit der Wähler zumindest von den aktuellen politischen Positionen der Partei doch irgendwie ein halbwegs deutliches und einheitlich wirkendes Bild bekommt, wurden Dinge wie Parteidisziplin und Fraktionszwang entwickelt.

Fraktionszwang und Parteidisziplin bedeuten: Der Einzelne ordnet sich dem Mehrheitsbeschluss nicht nur unter, was in einer Demokratie wohl so sein sollte (wenn die Entscheidungsfindungsprozesse komplett durchlaufen sind), er macht sie sich zu eigen, wird quasi zum Vertreter einer Meinung, die er vielleicht nie vertreten hat. Das kann schmerzhaft sein und je wichtiger einem ein politischer Inhalt ist, desto schmerzhafter kann die Sache sein, wenn die Partei einem einen anderen Inhalt verordnet. Das macht eine Parteimitgliedschaft bisweilen schwierig, wenn man wirklich politisch interessiert ist.

Dinge wie Fraktionszwang wurden daher bereits zur politisch aktiven Zeit des Autors ebenso irgendwie als Notwendigkeit gesehen wie kritisch diskutiert. EINSCHUB: Der Autor war vor einem halben Jahrtausend für die Partei XXX tätig, als Rosenverteiler und Verteiler von Jutetaschen (ohne Aufdruck) mit Infomaterial, wobei die Jutetaschen heiß begehrt waren und eifrig genutzt wurden, sobald erst einmal das Papier in ihnen entsorgt war. EINSCHUB Ende.

Stromlinienkopf, Rebell, König

Politiker müssen sich natürlich irgendwie zu ihrer Partei stellen, so oder so, auch zur möglichen unausgesprochenen und doch vorhandenen Forderung, dass der Politiker im Zweifelsfall selbst auf Kosten der eigenen Meinung zur Profilierung der Partei beiträgt. Politiker, die sich dem Wunsch der Partei nach einheitlichem Auftreten allzu sehr unterordnen, entwickeln dann irgendwann jene Stromlinienform, die sie selbst profillos wirken lässt und die bisweilen so weit führt, dass es zumindest den Anschein hat, als seien ihre eigenen politischen Ziele und Ideen für sie fast Nebensache, wenn nur die Partei gut dasteht und ein netter Posten bei der Sache herausspringt.

Und dann gibt es wieder andere Politiker, die sich bisweilen gegen die eigene Partei stellen, was dann ihr eigenes Profil schärft, das der Partei dann aber wieder schwächt. Und es gibt Politiker, die so dominant sind, die ihre Meinung parteiintern so durchsetzen, dass ihre Meinung auch als die (derzeit herrschende) offizielle Position der Partei in der Öffentlichkeit wahrgenommen wird, sodass Partei und Führungskraft in der Öffentlichkeit praktisch eins werden. Das könnte bei der „CS Seehofer“ der Fall sein. Das ist dann vielleicht effektiv, zumindest in Sachen Profilierung, aber vielleicht nicht sehr demokratisch, weil man die Partei eigentlich auch weglassen und einen Wahlkönig auf Zeit mit Hofstaat berufen könnte.

Die Partei ist nicht mehr zeitgemäß?

Das darf wahrscheinlich nicht sein (denke ich derzeit)! Sie wird gebraucht, weil sie irgendwie ein wichtiger, weil Struktur bildender Bestandteil unserer Demokratie ist. Ich liebe sie nicht (mehr) unbedingt, die Parteien, was auch an mir und weniger an ihnen liegen könnte, was die Parteien aber dann zum Nachdenken anregen sollte, wenn sie auch von vielen anderen nicht mehr die Liebe spüren, die sie sich eigentlich wünschen. Dann wird es nämlich ein bisschen kalt ums Herz. Und das macht dann nicht nur die Parteien krank, sondern vielleicht auch die Demokratie.

Vielleicht sollten sich Parteien mit all ihren Flügeln und Gruppen und Mini-Gruppen und Flügelchen sowie den von ihnen vertretenen politischen Zielen, die über Machtpolitik hinausgehen, daher doch einmal zumindest eine kurze Zeit der Selbstanalyse gönnen, sobald dieses ganze Wahlkampfgetöse vorbei ist und der (nervige) Wähler wieder etwas in den Hintergrund rückt, also quasi … ins nahezu Unsichtbare. Vielleicht sollte man überlegen, ob man die Nervensäge tatsächlich nach der Wahl wieder in den Mottenschrank steckt oder wie man sich ihr ZWISCHEN den Wahlen widmen möchte.

Andere Fragen: Welche Bedeutung hat Partei heute wirklich für Demokratie? Wie sehr eignet sie sich als Zuhause für politisch Motivierte? Sinkt ihre Bedeutung als solch ein Zuhause möglicherweise in Zukunft, weil das Einordnen in das Gewimmel einer Partei, das Mitgliedern bisweilen abverlangt, Positionen zu tragen, die sie nicht tragen möchten, nur noch bedingt in eine Individualismus geprägte Gesellschaft passt? Das ist nur eine Frage, ohne implizierte Antwort. Als politische Organisation haben Parteien ja schon seit langer Zeit Konkurrenz in vielen NGOs. Aber sie existieren heute in einer Zeit, in der es dank Internet einfacher als je zuvor geworden ist, politischen Willen kundzutun und zu einer mächtigen Stimme zu bündeln, was Organisationen wie Avaaz tun.

Das ist zugleich ein Indiz dafür, dass die Gruppe derer, die die Partei nicht (mehr) so richtig lieben, nicht zwangsläufig gleich der Gruppe derer sein muss, für die Politik und politische Beteiligung keine Bedeutung (mehr) haben. Ersetzen können Gruppen wie Avaaz Parteien nicht. Aber Parteien sollten vielleicht zum Wohle der Demokratie darüber nachdenken, wie sie im verstärkten Zusammenspiel mit solchen und anderen Akteuren das System beleben, weil Demokratie a) mehr sein sollte als eine hohle Nuss und b) als politisches System tief in der Gesellschaft verankert sein muss, um auch Stürme zu überstehen. Und niemand hat je behauptet, dass es nie wieder stürmen wird: oder?

Wir sollten uns vielleicht bewusst werden, dass die heutige Parteiendemokratie möglicherweise nicht das Endprodukt der demokratischen Entwicklung in Deutschland sein darf, dass es neue politische Gestaltungsmöglichkeiten für Bürger geben muss, die auch in die „offizielle“ Politik Einzug halten und nicht zuletzt, dass man allen zeigt, dass a) Mitgestaltung machbar ist und b) sich lohnt: Kindern und Jugendlichen möglicherweise durch ein sehr praxisorientiertes Schulfach wie „Mitbestimmung“ (nicht Politik mit überwiegend reiner Wissensvermittlung). Das hier Geschriebene ist nicht der Stein der Weisen. Bestenfalls ist es ein Denkanstoß. Vielleicht ist es auch Nonsens. Halten wir vielleicht einfach fest: Gehen wir wählen. Dann sehen wir weiter. Aber das mit der Gestaltung von Demokratie, das sollten wir vielleicht nicht einfach aussitzen, so wie NSA und so. Habe fertig.

Dieser Beitrag gibt die Meinung des Autors wieder, nicht notwendigerweise die der Redaktion des Freitag.
Geschrieben von

Ansgar Sadeghi

Ein neugieriger Mensch, der gerne im 3-Länder-Eck D-BE-NL lebt, andere Menschen spannend findet und sich (manchmal) gerne so seine Gedanken macht.

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