Knastbrüder-Geplänkel

Autobiografie, Neuauflage Brendan Behan erzählt in 'Borstal Boy' von eigenen Aufenthalten in der Jugendhaft. Die unterhaltsamen Memoiren des IRA-Aktivisten geben ein oft zu verklärtes Zeitzeugnis.

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Der in knapp vier Wochen angedachte EU-Austritt Großbritanniens hat weitreichende Konsequenzen, nicht nur für das Vereinigte Königreich und Europa. Er dürfte auch uralte Konflikte mit unmittelbaren Nachbarn neu entfachen. Während Irland zur EU gehört ist Nordirland ein Teil von Großbritannien. Über 90 Jahre kämpfte die Irisch-Republikanische Armee, kurz IRA, mit brutalen Bombenanschlägen für eine Unabhängigkeit ihres Landes. Ziel der Terrororganisation war die Loslösung Nordirlands von Großbritannien und eine Vereinigung mit dem Süden der Insel, der Republik Irland. Der jahrzehntelange Nordirlandkonflikt könnte im Falle eines harten Brexits erneut brenzlig werden, wenn eine inner-irische Grenze das Land wieder über 500 Kilometer teilen sollte, etwa durch Kontrollen, Stacheldraht, Wachtürme oder bewaffnete Polizisten.

Der irische Schriftsteller Brendan Behan (1923-1964) war in seiner Jugend IRA-Aktivist. Sein Vater und weitere Familienangehörige engagierten sich in der irischen Unabhängigkeitsbewegung, noch bevor Behan geboren wurde. Mit 16 Jahren ließ sich Behan selbst von der IRA anwerben, um in England Sprengstoffanschläge zu verüben. Vor der Ausübung eines geplanten Sprengstoffattentats in Liverpool wurde er gefasst. Er wurde zu drei Jahren Jugendhaft verurteilt. Diese Zeit verarbeitete er in seinem autobiografischen Roman Borstal Boy (2019 in der deutschen Übersetzung von Curt Meyer-Clason neu aufgelegt; Original: 1958). Behan erlangte auch durch diesen Roman, der 1967 Vorlage für ein preisgekröntes Theaterstück und 2000 für eine Verfilmung war, internationale Bekanntheit. Auch in späteren Schriften und in den Bühnendramen The Hostage (1957) oder The Square Fellow (1954) verarbeitete Behan eigene Gefängniserfahrungen.

In Borstal Boy beschreibt der irische Dramatiker seinen Aufenthalt in der Haftanstalt Walton Gaol, die Zeit im Feltham Boys’ Prison und schließlich den langwierigsten Verbleib in der Besserungsanstalt Hollesley Bay Borstal. Zur Zeit der Erstveröffentlichung wurde das Werk von der staatlichen Zensurbehörde in Irland verboten, vermutlich aufgrund romanimmanenter Kritik an der katholischen Kirche und dezenter Anspielungen auf homosexuelle Praktiken verschiedener Figuren in den jeweiligen Einrichtungen.

Behan erzählt sehr lebendig aus der Perspektive seines heranwachsenden jüngeren Ichs, auch indem er oftmals irische Songtexte in das Erzählte einbindet. Der erst 16jährige, bald 17jährige Behan lebt stets in der unmittelbaren Gegenwart. Behan stellt das eigene Tun und mögliche vergangene Verbrechen nie infrage. Es wird nicht reflektiert, warum er die Resozialisierungsmaßnahme wahrnehmen muss. Es wird auch nicht thematisiert, wie sich der Ich-Erzähler die eigene mögliche Zukunft nach dem Jugendstrafvollzug vorstellt. Das eigene Tun im Augenblick, die Möglichkeiten des Zeitvertreibs und das intensive Erlebnis der Gemeinschaft mit den anderen Jungen stehen im Vordergrund.

Flapsige, anzügliche oder widerliche Sprüche tragen zusammen mit deftigen Raufreien zu einer explosiven Atmosphäre bei. Es wird andauernd geraucht, denn die Jugendlichen werden oft mit Tabak oder Zigaretten für erbrachte Leistungen belohnt. Im Mittelteil des Romans könnte man die Jugendlichen in der Borstal-Besserungsanstalt zuweilen beneiden. Sie haben einen geregelten Tagesrhythmus und arbeiten draußen in einer vertrauten Gemeinschaft. Abends oder am Wochenende erzählen sie sich Geschichten, singen und musizieren einträchtig. Sie schwimmen im Meer oder spielen zusammen Rugby. Behan leiht in der Gefängnisbibliothek Bücher und berichtet über eindrückliche Lektüreerlebnissen wie etwa von Elizabeth Gaskells Roman Cranford (1853).

Tatsächlich wird insbesondere die Borstal Besserungsanstalt, die auch heute noch im englischen Dorf Hollesley Bay besteht, von Außenstehenden oft nicht als Strafvollzugsanstalt für Mörder und andere Verbrecher betrachtet. Einmal hält ein einflussreicher Oberst und Großgrundbesitzer aus der Umgebung bei Feierlichkeiten des Gefängnisses eine Rede. Der Ich-Erzähler nimmt wahr, dass der Oberst dabei anscheinend eher Schüler eines Internats als die vor Ort versammelten Inhaftierten adressiert, schenkt diesem Eindruck jedoch gewohnheitsmäßig nur wenig Beachtung:

Der Oberst sprach über unsere Traditionen. Dabei verwechselte er die Borstal-Anstalt mit den englischen Internaten und hielt eine Rede, die er bestimmt schon oft bei ähnlichen Gelegenheiten gehalten hatte. Da aber die meisten Leute, die sich eine offizielle Ansprache anhören, diese als Rezitation im Sinne eines Kirchengebets betrachten, ging vieles von den Ausführungen des Obersten verloren, während anderes ebenso gut auf ein Internat wie auf ein Borstal passte.“ (S. 370)

Im Lektüreverlauf wird immer augenfälliger, dass Behan gut integriert ist, weil er peinlich genau darauf achtet, sich mit Niemanden zu überwerfen und für seine Kumpels im Zweifelsfall einzustehen. Er teilt gewissenhaft mit den Kameraden, schmiedet für kleine Verschönerungen seines Aufenthalts geschickte Allianzen, schlichtet Spannungen und lässt brenzlige Situationen gekonnt deeskalieren. Wiederholt erklärt er einem Mithäftling, wie „höchstanständig“ er ihn findet. Dabei sagt er oft nicht, was er eigentlich denkt.

Ganz am Rande schildert Borstal Boy auch Situationen des Machtmissbrauches durch Wärter und Diskriminierungen homosexueller Inhaftierter. Nie ist es jedoch Behan selbst, der den Herausforderungen des Alltags in der Zwangsgemeinschaft entfliehen möchte oder einen Gruppenkoller erleidet. Vielmehr bemitleidet Behan Kumpel, die Reißaus nehmen:

Armer alter Ken, musst die Hosen gestrichen voll gehabt haben, als du ausgerückt bist. Obgleich die meisten Leute meinen, nur die schweren Jungs verdrücken sich, trifft das Gegenteil zu. Meist sind es Typen wie Ken, der im Grunde ein empfindsamer Bursche ist und als solcher liebenswert und bei den anderen beliebt sein könnte, wenn er ihnen die Möglichkeit gäbe, ihn kennenzulernen. Natürlich gab es einige, mit denen überhaupt nicht auszukommen war, aber diese Sorte traf man überall.“ (S. 322)

Insgesamt erscheint Borstal Boy wie eine Rückerinnerung voller Wehmut, durchsetzt mit allerlei mehr oder minder originellen gälischen Wendungen. Der Abgesang auf eine harmonische Jugend unter erschwerten Umständen erscheint als historisches Zeugnis jedoch reichlich schöngefärbt und verklärt. Pointierte Spannungsmomente halten sich hier mit weitschweifigen Wiederholungen recht angenehmer Alltäglichkeiten die Waage.

Dieser Beitrag gibt die Meinung des Autors wieder, nicht notwendigerweise die der Redaktion des Freitag.
Geschrieben von

Ansgar Skoda

Redakteur& Kulturkritiker u.a. bei der "TAZ" & "Kultura Extra" http://about.me/ansgar.skoda Webentwickler und Journalist

Ansgar Skoda

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