Brodelnder Melting Pot

Uraufführung an der Oper Köln Frank Pescis "The Strangers" thematisiert eindringlich Rassismus nach realen Begebenheiten. Die Kritik an wachsendem Nationalismus erscheint zeitlos aktuell. Einfühlsames Spiel und akzentreiche Musik fesseln, wirken jedoch teils artifiziell

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Eingebetteter MedieninhaltDie Besucher sind kreisrund ebenerdig vor unterschiedlichen Schauplätzen platziert. Teilweise sitzen sie so unmittelbar nah oder eher fern zum Geschehen. Zeitweise werden mehrere Bühnenorte gleichzeitig bespielt, später auch Bühnenelemente zu neuen Schauplätzen verschoben. Inmitten der Bühne musiziert das mit etwa fünfzehn Instrumentalisten eher klein besetzte Gürzenich Orchester Köln. Der Brite Harry Ogg übernimmt die musikalische Gesamtleitung des Einakters in sieben Bildern. Die kanadische Regisseurin Maria Lamont inszeniert die Geschichte und gibt mit The Strangers, wie Harry Ogg auch, ihr Debüt an der Oper Köln. Ensemblemitglieder und Statisten tragen auf der Bühne Kleidung der Jetztzeit, die Solisten hingegen eher altertümlich wirkende Gewänder, Kostüme oder Uniformen aus dem 19. Jahrhundert (Bühne & Kostüme: Luis F. Carvalho). So wird die Geschichte als zeitlos und trotzdem historisch bebildert.

Figurenkonstellationen deuten auf der Bühne soziale Spannungen nach dem Bürgerkrieg und Wiederaufbau der Südstaaten in den USA an. Eingangs beklagen entschieden auftretende Figuren, wie insbesondere der politisch einflussreiche und wohlhabende William Parkerson (David Howes), die zunehmende Armutszuwanderung. Vor dem Hintergrund einer wachsenden nationalistischen Bewegung schwellen in der Oper Konflikte und Spannungen zwischen armen Einwanderern, der bereits etablierten Bevölkerung – wie den nur wenige Jahre zuvor eingewanderten, ebenfalls katholisch sozialisierten Iren - und der Justiz an. Intrigen, Vorurteile und soziale Verrohung fordern ihren Tribut.

In der prosperierenden Hafenmetropole New Orleans arbeitet Polizeipräsident David Hennessy (Miljenko Turk) daran, ein Verbrechersyndikat rivalisierender Gruppen italienischer Einwanderer, bekannt als „Mafia“, aufzudecken. Er wird am 15. Oktober 1890 auf offener Straße von Unbekannten aus einem Hinterhalt erschossen. Es werden sizilianische Immigranten als mögliche Attentäter verdächtigt. Auch Emanuele Polizzi (John Heuzenroeder) wird brutal inhaftiert. Er kam zusammen mit seiner Verlobten Iania Costa (Emily Hindrichs) voller Hoffnung nach New Orleans, um dort eine von Rassismus zersetzte Gemeinschaft vorzufinden. Aufgrund mangelnder Beweise wird Emanuele freigesprochen. Am Morgen nach der Urteilsverkündung dringt ein wütender und bewaffneter Mob zu ihm vor, um ihn zu lynchen.

Die Vorführung lockern harmonische Szenen auf, in denen die sizilianische Immigrantin Iana Costa zusammen mit ihrer Schwester Catarina (Maria Koroleva), Zia Francesca (Adriana Bastidas-Gamboa) und Mama Costa (Dalia Schaechter) über ihre sizilianische Familientradition und die neue Lebensweise, einhergehende Normen und Werte in Amerika nachdenken. Ängste und Hoffnungen werden thematisiert. Wir sehen aufgewühlte, fassungslose und verzweifelte Figuren. Eine mögliche Korruption in der Polizei wird angedeutet.

Dramaturgisch wird das sizilianische Einwanderungsmilieu der etablierten Bürgerschaft von New Orleans gegenübergestellt. In der Oper selbst wird das Nebeneinander verschiedenen Zugehörigkeiten nur wenig deutlich: verschiedene soziale Gruppen sind nach Amerika eingewandert, und nur der relativ geringe Unterschied von einer Generation macht aus den Iren „Alteingesessene“ im Vergleich zu den Italienern. Im Libretto des Amerikaners Andrew Altenbachheißt es, dass die Sizilianer auch deswegen so verdächtig seien, weil ihre Hautfarbe weder richtig schwarz noch richtig weiß sei. Damit wird die Verunsicherung der führenden Bevölkerungsschicht nach Abschaffung der Sklaverei erkennbar. Die neuen Zuwanderer sind ihnen gefährlich ähnlicher als die aus Afrika stammenden Sklaven. Nicht nur in Bezug auf die Hautfarbe, sondern auch hinsichtlich ihrer Religion (römisch-katholisch) sind beide Gruppen eine Minderheit in den USA. Für den jung verstorbenen David Hennessy, Nachkomme irischer Katholiken, gibt es einen entsprechenden Trauerzug mit Weihraucheinsatz durch den Bühnenraum, der dann immerhin in eine Jazz-Beerdigung übergeht.

Das Problem der sich mit den sizilianischen Zuwanderern in New Orleans tatsächlich etablierenden Mafia wird lediglich als Vorurteil der selbst korrupten Bürger angedeutet. Tatsächlich widmete sich Hennessy diesem Problem in der damaligen Zeit. Einige Bilder, wie die Liebesgeschichte zwischen Iania und Emanuele oder, wenn die sizilianische Gemeinde Emanueles Freilassung feiert, wirken ein bisschen aufgesetzt und artifiziell. Demgegenüber erreichen die gewaltsame Ablehnung der Einwanderer und die Anti-Einwanderungs-Rhetorik das Publikum eher.

Der amerikanische Komponist Frank Pesci lebt heute in der Domstadt. Seine sechste Oper war ein Auftragswerk für die Oper Köln. Musikalisch werden Einflüsse von sakraler Kirchenmusik und Volksmusik deutlich. Pesci zitiert so die hymnischen Spirituals „Deep River“ und „We are climbing Jacob’s ladder“ oder während der Beerdigungs-Szene die römisch-katholische Requiem-Messe. Während der Trauerszene verweist Klavierspiel nach der baptistischen Hymne „Shall we gather at the river“ auf eine Flussüberquerung als Todes- und Fluchtmetapher. Klassische Musik scheint energisch vom New Orleans-Jazz beeinflusst; mit rhythmischen Blechbläsern, Dissonanzen und eindrücklichen Percussion-Klängen. Besinnlich-eindrückliche Akzente setzt Regina Richter mit einer berührenden Arie als Mutter des ermordeten Hennessy. Auch Emily Hindrichs sorgt als Iania atmosphärisch mit Emma Lazarus’ Gedichtversen von 1883, welche die Identität der Vereinigten Staaten in der Aufschrift der Freiheitsstatue als Einwanderungsnation ausweisen, gegen Ende für versöhnliche Momente. Später stimmt der versammelte Cast mit ein.

Ein eindringlicher, intensiver Opernabend über Fremdenfeindlichkeit, der verdeutlicht welchen Sprengstoff globale Flüchtlingskrisen bergen, die sich auch heute vorhersehbar aus großer Armut, Klimawandel und Krieg entwickeln. Erst am 12. April 2019 hat sich die Bürgermeisterin von New Orleans, LaToya Cantrell, bei den sizilianischen Opferfamilien entschuldigt, 128 Jahre nach den Morden als Gipfel trauriger anti-italienischer Stimmung – eine Geste der Hoffnung.

THE STRANGERS (Staatenhaus Saal 3, 30.09.2023)

Musikalische Leitung: Harry Ogg
Inszenierung: Maria Lamont
Bühne & Kostüme: Luis F. Carvalho
Licht: Andreas Grüter
Dramaturgie: Svenja Gottsmann, Stephan Steinmetz

Besetzung:

Iania Costa … Emily Hindrichs
Emmanuele Polizzi … John Heuzenroeder
David Hennessy … Miljenko Turk
Margaret Hennessy … Regina Richter
Billy O'Connor … Martin Koch
William Parkerson … David Howes
Mama Costa … Dalia Schaechter
Catarina Costa … Maria Koroleva
Zia Francesca … Adriana Bastidas-Gamboa
Ensemble … Armando Elizondo, Michail Kapadoukakis, Kevin Moreno, Anthony Sandle
Klavierdienst … Michael Avery
Statisterie der Oper Köln
Gürzenich-Orchester Köln

Premiere war am 30. September 2023 an der Oper Köln.

Nächste Termine: 4., 6., 12., 14. + 15.10.2023

Weitere Informationen siehe auch: https://www.oper.koeln/de/programm/the-strangers/6567

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Geschrieben von

Ansgar Skoda

Redakteur& Kulturkritiker u.a. bei der "TAZ" & "Kultura Extra" http://about.me/ansgar.skoda Webentwickler und Journalist

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