White Boy Realness

Coming-of-Age-Film Danielle Lessovitz erzählt in „Port Authority“ von einem zwanzigjährigen Mittel- und Obdachlosen, der sich in der New Yorker Ballroom-Szene in eine Transfrau verliebt

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Autorin und Regisseurin Danielle Lessovitz eröffnet mit ihrem einfühlsamen Filmdebüt einen zeitgemäßen Blick auf die amerikanische Transgender Ballroom-Szene. Die sensibel porträtierte Drag- und Tanz-Subkultur entstand im Harlem der 70er und 80er Jahre in einer überwiegend schwarzen LGBTQ-Community. In dem, von Martin Scorsese koproduziertem Drama trifft ein weißer Außenstehender auf die queere Gemeinschaft. Er lernt die Community als familiäres Refugium wertzuschätzen. Er begehrt eine Transsexuelle aus der Gruppe, zunächst ohne zu wissen, auf wen er sich einlässt. Bald hinterfragt er eigene Geschlechts- und Identitätskonzepte. Der Film zeichnet die Annäherung zweier Menschen aus unterschiedlichen unsicheren Milieus.

Port Authority beginnt am titelgebenden, stark frequentierten Busbahnhof in New York. Hier trifft Paul (Fionn Whitehead) aus Pittsburgh nahe dem Times Square ein. Eine frisch verheilte Schramme prangt auf seiner Wange. Der vorbestrafte Jüngling lebte zuletzt bei Pflegeeltern. Er hofft auf einen Neuanfang. Doch seine Halbschwester, die ihn abholen sollte, erscheint nicht. Verloren wartet er an der Haltestelle.

Er sieht eine junge und schöne Frau, Wye (Leyna Bloom), auf den Stufen zum Bahnhof bei ihrer selbst gewählten queeren Familie. Einige junge Männer aus der Gruppe um Wye tanzen zu Madonnas „Vogue“. Ihre elegante Moves sind theatralisch affektiert, dabei jedoch stolz, kraftvoll und geschmeidig. Paul staunt. Sein Blick trifft auf den von Wye, doch die Gruppe geht alsbald.

Später hat Paul über der Nase eine neue klaffende Wunde. Er wurde in der U-Bahn von zwei Typen verprügelt, die ihn anpöbelten. Ein Zufallsbekannter, Lee (McCaul Lombardi), hilft ihm und bringt ihn zu einer Notschlafstelle. Früh muss Paul erkennen, dass Schwule in der Notunterkunft von Lees rau gesitteter und chauvinistischer Clique verachtet werden. Die Männer um Lee stehen für veraltete Vorstellungen von Männlichkeit. Lee vermittelt Paul einen Job. Er hilft fortan bei Schuldeneintreibungen und Zwangsräumungen.

Paul zieht es alsbald abends wieder zur queeren Community der Ballroom-Performer*innen. Loyalitätskonflikte scheinen vorprogrammiert.

Eingebetteter Medieninhalt

Die Ballroom-Dancer*innen organisieren ihre eigene vertrauensvolle Familienstruktur selbst. Das jeweilige „House" begründet den Teamnamen und die solidarische Heimat unter Geschwistern im Geiste. Gemeinsam schützen sie sich als Gruppe so vor Herablassung und aggressiven Angriffen von außen. In einigen Szenen besprechen sie, wer bei Tanzwettbewerben in welcher Kategorie antritt und wofür mögliche Preisgelder aufgewendet werden. Die Ballroom-Wettbewerbe erscheinen im Film authentisch mit Jury und Publikum.

Die mögliche Geborgenheit, die Paul in der queeren Subkultur erfährt, kennt er als Heimatloser und Getriebener nicht. Ihr Zusammenhalt entflammt in ihm, dem Außenstehenden, eine unbestimmte Sehnsucht. Er überlegt, ob er als heterosexueller Weißer selbst an möglichen Tanzwettbewerben teilnehmen könnte und Wye schlägt als Motto "White Boy Realness" vor. Doch Paul ist nicht ehrlich. Er erzählt wilde Lügen, um Wye seine Wohnungslosigkeit und um gegenüber Lee Wyes Transexualität zu verheimlichen.

Fionn Whitehead (bekannt aus Dunkirk, 2017) verkörpert Paul als eine zutiefst verunsicherte und trotzige Figur. Paul lässt sich in einer besonders erschütternden Szene von einem Fremden vermöbeln, um so seine emotionale Aufgewühltheit nach einer Auseinandersetzung mit Wye zu überdecken, zu verdrängen oder sich zu bestrafen. Mit Leyna Bloom wurde für die Rolle der feinfühligen und anmutigen Wye eine Transfrau gecastet.

Port Authority gewinnt durch viele Verwicklungen und Zufälle an Tempo und lebt vom Kontrast der unterschiedlichen prekären Lebenswirklichkeiten. New York erscheint als hartes Pflaster, in dem teilweise selbst wohnungslose Männer rücksichtslos Zwangsräumungen durchführen. Gleichzeitig ist da stets die schillernd fremde Welt einer unerschrockenen Subkultur, marginalisierte Randfiguren der Ballroom-Szene, die ihre Selbstbehauptung in furiosen Tanzszenen zelebrieren. Das Drama wurde 2019 in Cannes in der Sektion „Un certain regard“ gezeigt. Ungewöhnlich und sehr sehenswert!

Weitere Infos siehe auch: https://www.salzgeber.de/portauthority (Film-DVD erschienen am 17.12.2020)

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Geschrieben von

Ansgar Skoda

Redakteur& Kulturkritiker u.a. bei der "TAZ" & "Kultura Extra" http://about.me/ansgar.skoda Webentwickler und Journalist

Ansgar Skoda

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