Der explosive Pluralismus der Linken

Zoff In jüngster Zeit haben sich die Widersprüche in der Partei Die Linke zugespitzt, wie man durch den kürzlichen Streit in der Fraktion erfahren konnte.

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Katja Kipping - eine der Protagonistinnen dieses Zoffs - neigt aber nicht zum Streit und schon gar nicht mit offenem Visier. Sie streitet nicht gerne, sieht es aber auch nicht ungern, wenn Personen aus ihrem Umfeld für sie streiten. So haben sich im zurückliegendem Streit zwei Personen - mit denen Kipping im Institut Solidarische Moderne zusammen arbeitet - besonders hervorgetan.

Kippings Freunde

I.

Einer davon ist Stephan Lessenich, Professor für Soziologie an der Ludwig-Maximilians-Universität München wie auch an der Friedrich-Schiller-Universität Jena, sitzt im Kuratorium des Instituts solidarische Moderne, im Beirat von Attac und überall da, wo linke Politiker und Intellektuelle sich gegenseitig versichern, wie wichtig sie für die Fortentwicklung der Menschheit sein und wie gut es doch ist, dass es sie gibt.

„Linker“ Wahn

Jüngst hat er im Neuen Deutschland – 11.10.2017 -einen Artikel veröffentlicht, der schon im Titel deutlich macht, wohin die Reise gehen soll: „Der Rassismus im lafonknechtschen Wagentainment“. Im Weiteren vermeidet Lessenich mit „nationalsozial“ nur knapp „Nazi“ zu schreiben, schiebt aber – sicher ist sicher – noch nach, dass Leuten wie ihm gar nichts anderes übrig bleiben würde, als „zu glauben, dass auch all die Wagentaines und Lafonknechts in der LINKEN und um die LINKE herum nicht sauer sind, sondern Rassisten“.

Im Übrigen findet er auch, dass „diejenigen (vorherigen Linken-WählerInnen/Anm. AO), die der AfD-Propaganda gefolgt sind …selbst fremdenfeindlich und demokratieverachtend sind“.

Im Einzelnen mag das so sein und selbst wenn es in Gänze stimmen würde, wäre doch die einzig zielführende Frage, wie kommen wir an die wieder ran, die schon einmal bei uns waren?

Solidarität

Während es sich Stephan Lessenich und andere im linksgrünen Milieu gemütlich machen und einen gepflegten Diskurs auf bescheidenem Niveau führen, fühlen sich die gesellschaftlich an die Ränder Vertriebenen auch noch von den Linken im Stich gelassen. Nur die Wenigsten verirren sich dabei zur AfD. Die meisten klinken sich aus und gehen weder zur Wahl noch finden sie Möglichkeiten ihre Interessen zu artikulieren. Flüchtlinge ziehen in ihre Nachbarschaft, ihre Kinder bekommen zahlreiche neue Mitschüler und niemand ist da, der die Klammer zwischen den Alten und Neuen sein könnte. Der von Klassenkampf spräche, den momentan die besitzende Klasse recht erfolgreich gegen die „Armen“ führt. Der von der Notwendigkeit gemeinsamer Gegenwehr sprechen würde und von der Macht der Bildung und warum es wichtig ist, sich mit linker Theorie zu beschäftigen. Das man erst wissen muss, wer einen und warum am glücklichen Leben hindert, um sich hiergegen richtig wehren zu können.

Auf Stephan Lessenich braucht man dabei nicht hoffen. Was auch nicht schlimm ist. Er soll sich weiterhin der „politischen Soziologie sozialer Ungleichheit“ widmen. Das macht er sicherlich ganz gut, aber von der notwendigen Ausrichtung und Arbeit linker Parteien versteht er nichts. Lessenich sei hier aber nur am Rande besprochen. Viel interessanter ist ein anderer Kollege von Katja Kipping.

II.

Dr. Thomas Seibert, er ist Philosoph, Autor, Mitarbeiter von medico international wo er als Südasienreferent beschäftigt ist, Mitglied im Wissenschaftlichen Beirat der Rosa Luxemburg-Stiftung und Vorstandssprecher des Instituts solidarische Moderne und außerdem noch Mitglied bei der Interventionstischen Linken (IL).

Wer ihn nur einen „Vereinfacher“ nennt, macht es sich zu leicht. Wir haben es schon mit einem Denker zu tun, aber auch einen Rabauken der Dialektik, der es versteht, sich den Gedanken von hinten zu näheren, während sein Publikum noch einen Angang durch die Vordertür erwartet. Das schafft Überraschung und ihre scheinbare Auflösung besteht in Aha-Effekten, die der/die Überraschte gerne selbst als Zustimmung deuten, weil sie sich von Seibert von der Tiefebene des Konkreten weit hinauf zu den Höhen der Abstraktion führen ließen.

Der „riot“ von Hamburg

Wie er’s macht ist nicht uninteressant. Seinen Vortrag zu „Was war da los in Hamburg? Riot. Theorie und Praxis der kollektiven Aktion“, den er am 14.09.2017 in Frankfurt hielt, soll hier einmal etwas ausführlich untersucht werden, denn er lohnt der intensiveren Betrachtung. Vor allem deswegen, weil Seibert in sich selbst das krude Bündnis der Wagenknecht-GegenerInnen abbildet, das sowohl Regierungslinke wie auch Linksradikale umfasst.

Das Recht der mehrheitslinken Kritik ist schon im Namen angezeigt“, sagt er am Anfang seines Vortrages und meint eigentlich das Gegenteil. Auch. Je nach Gefühl und Wellenschlag. Ja, sagt er. Das ist gut sich auf die Mehrheit zu beziehen. Die Linke sollte stark sein und der Prozess der Veränderung durch die vielen, sollte zugleich ja auch ein Prozess eigener Veränderung sein und deswegen grenzt er sich gegen elitäre Konzepte ab, wo die Minderheit der gesellschaftlichen Mehrheit das gute Leben aufoktroyieren will: „Wozu eine Linke fähig ist, die sich gegen die Gesellschaft stellt und sich gegen die Gesellschaft durchsetzen will, davon haben wir im 20. Jahrhundert wirklich und ein für alle Mal genug gesehen“ und er stellt zudem fest, dass es auch sinnlos wäre, weil sich die gesellschaftliche Klammer viel weniger durch Zwang, als durch das was in Gesellschaften wirkmächtig ist, die tägliche Praxis der Gewohnheiten herstellt und sich daher die Mehrheit eh durchsetzt. Und so, mitten im Terrain der „Mehrheitslinken“ singt er noch das hohe Lied der „immanenten Kritik“ was Marx einmal und ungefähr so, in das schöne Bild fasste, dass man den steinernen Verhältnissen die eigene Melodie vorspielen solle, um sie zum Tanzen zu bringen[1].

Bei Seibert kommt sogar noch ein Moment - neben der reinen Widersprüchlichkeit des Systems - hinzu: „dort an(zu)setzt(en), wo dieser Trend, wie gebrochen auch immer, von sich aus schon nach links weist“. So weit so gut, alles richtig und damit wollen wir es dann auch belassen, denn nun kommt das Lob auf den „riot“, den er als Korrekturfunktion gegenüber der Mehrheit auftreten lässt. Zwei Punkte führt es dafür an: erstens die Unfähigkeit einer auf Mehrheit ausgerichteten Politik alles zu berücksichtigen und zweitens des fehlenden Bewusstseins über diese Unmöglichkeit. Das ist natürlich trockene Theorie, aber deswegen nicht falsch, sondern erst einmal so allgemein wie richtig und er haucht dieser trockenen Materie sodann Leben ein, indem er einen Theoretiker des Surrealismus bemüht. André Breton (1896 - 1966), durch Heirat von materiellen Sorgen weitgehend befreiter französischer Schriftsteller wird so zitiert: „Die einfachste surrealistische Handlung besteht darin, mit Revolvern in den Fäusten auf die Straße zu gehen und blindlings so viel wie möglich in die Menge zu schießen. Wer nicht wenigstens einmal im Leben Lust gehabt hat, auf diese Weise mit dem derzeit bestehenden elenden Prinzip der Erniedrigung und Verdummung aufzuräumen, der gehört eindeutig selbst in diese Menge und hat den Wanst ständig in Schusshöhe“.

Hierauf bezieht sich Seibert nicht umstandslos positiv, sondern bezeichnet mit Bezug auf dieses Zitat den „riot“ von Hamburg, als Gegenstück zu jedem mehrheitslinken Ansatz nach Umgestaltung bzw. überhaupt von Gestaltung von Gesellschaft. Rebellion richte sich gegen Gesellschaft an sich, weil diese immer ein Zwangsverhältnis ist. Sie ist zugleich auch Revolte gegen sich selbst, als gedachter oder ungedachter Zwang für was für eine gute Sache – Revolution/Reform – auch immer. Ob das „links“ ist, da ist er sich nicht sicher, denn wo die Revolte sich von jedem Inhalt emanzipiert hat, außer dem, Ordnung per se abzulehnen, ist ein weitergehendes Motiv, dass sich revoltierend selbst aufhebt bestenfalls belanglos.

Die Revolte ist deshalb auch niemals konkret, sie stellt deshalb auch niemals eine pragmatisch begründete Forderung – sie will, wie Che Guevara richtig sah, das Unmögliche[2] und ist so verstanden immer abstrakt“. Seibert nennt es „abstrakte Negation“. Die Berufung auf die Freiheit in einem absoluten Sinn, nämlich frei von jeder Nützlichkeitserwägung zu sein. Revolte als reinen Selbstzweck, als gewalttätiges Fanal gegen jedwede ordnende Struktur. Ohnmacht, die sich für den Moment absolut setzt, weil ihre zweckbefreite Gewalt für einen kurzen Moment über die zweckmäßige Gewalt triumphiert. Diese Momente ergeben sich situativ, ihre Zielgerichtetheit ergibt sich zufällig aus dem Moment, der den „riot“ möglich macht. „(D)ie Revolte ist, gerade im Bruch der Kommunikation, ein kommunikativer Akt: sie kommuniziert das Nichtkommunizierbare“.

Soweit gerade und eben noch nachvollziehbar. Die konkrete Randale wird zur Abstraktion und als solche gut konsumierbar. Aus den aus dem Ruder gelaufenen Ichs wird ein „Wir“. Die Egoismen konstituieren ein Verlangen nach Freiheit, natürlich abstrakt, denn konkret wollen sie Action, Randale und „Bullen die weglaufen“ sehen.

Konkret ließe es sich aber nicht mit dem Anspruch der Linken nach Gestaltung vereinbaren und auch abstrakt gelingt das nur mit dialektischen Taschenspielertricks. So macht man erst einmal aus Nichtkommunikation Kommunikation, weil sie das „Nichtkommunizierbare“ kommuniziert. In der taz - 12.07.2017 - schrieb Seibert: „Doch ist der Aufruhr nicht unpolitisch, sondern eine Grenzposition des Politischen. Er verweigert die Kommunikation, und er kommuniziert diese Verweigerung“. Die Effekthascherei funktioniert, wenn der Effekt goutiert wird. Ein kurzes Nachdenken über den Inhalt und das dialektische Souffle fiele in sich zusammen.

Was hat wirklich stattgefunden?

Besttrainierte europäische Autonome – nicht aus Deutschland! – haben deutsche Polzeibeamte aus dem Schanzenviertel getrieben. Diese zog sich zurück, ein Hinterhalt auf einem Dach wurde von der Polizei behautet und die Polizei ließ sich fortan einige Stunden im Viertel nicht mehr blicken. Das wiederum war vielen Menschen Anlass - ohne unmittelbare Repression fürchten zu müssen – zu randalieren und/oder zu ihrem Vorteil selbsttätig umzuverteilen. Soweit, so banal. Ein Hauch von Expropriation der Expropriateure bei denen „die ihre Flachbildschirme …nach Hause geschleppt haben“, im Gegensatz zu „denen, die sie ins Feuer warfen“, will Seibert sehen und weiß gleichwohl, dass die zur „Revolte“ aufgeblasene Randale und linke Politik im Verhältnis eines unüberbrückbaren Widerspruchs stehen.

Hier nun fühlt sich Seibert aber mehr herausgefordert als in der Revolte nach artfremden, mithin gerade noch linken Tun zu fanden. Er möchte zusammenbringen, was nicht zusammengehört: „Wenn es einen Fortschritt der Linken des 21. über die des 20. Jahrhunderts gibt, dann verdichtet er sich im Verhältnis der moderat-mehrheitsgesellschaftlichen und der radikal-minderheitsgesellschaftlichen Linken zueinander“, schreibt er und meint damit, dass da wo der Antagonismus in der Aktion nicht aufhebbar ist, soll man ihn bestehen lassen, weil die Bejahung des Verhältnisses – Linke zu Gefühlslinken, Letztere von ihm verklärt zur „Minderheitslinken“ – den höheren Wert darstellt.

Er misst diesem Verhältnis einen denkbar hohen Wert bei. Aus seiner Sicht eröffnet die Kritik, die sich aus den jeweiligen – gegensätzlichen – Praktiken ergibt und sich nicht bei so profanen Dingen wie richtig und falsch aufhält, eine Möglichkeit, die sich aus der affirmativen, jeweiligen Grundhaltung gegenüber „den Anderen“ ergibt, irgendwie etwas ähnliches – und sei es in weiter Ferne - zu wollen. So liegt bei ihm „der Sinn von Kritik und Gegenkritik in der Herausforderung jeder der beiden Seiten zur Selbstkritik“.


Lob der Dialektik. Weil die Aktionen der Minderheitslinken völlig unvereinbar mit der der Mehrheitslinken sind, was er am „Kleinwagen“ selbst illustriert, soll der Antagonismus in friedlicher Koexistenz aufgehoben werden. „Nicht zufällig kann man diese Differenz an den Kleinwagen sichtbar machen, die am Freitagabend abgefackelt wurden – das Moment, das die Mehrheitslinken am meisten empört hat: Was aus mehrheitslinker Sicht zu recht eben nicht zu rechtfertigen ist, bleibt aus der Position der Revoltierenden schon deshalb geboten, weil Kleinwagen nichts als die Gratifikation bilden, die den Subalternen fürs Dazugehören zugesprochen wird: Sie stellen derart kein bloß kontingentes, sondern ein essenzielles Symptom der freiwilligen Knechtschaft dar, mit der die Revolte bricht“.

Die Methode ist nicht neu, aber immer wieder in Bezug auf den erzeugten Effekt beeindruckend. Der denkbar größte Widerspruch führt so geradezu zu Vereinbarkeit. So wie Geburt und Tod das Leben ausmachen, so sollen „Revolte/riot“ und „Reform“ linke Politik bestimmen, ohne dass die gegensätzlichen Konzepte sich darüber ins Bild setzen sollen, dass sie sich ausschließen, denn das würde den „Fortschritt der Linken des 21. über die des 20. Jahrhunderts“ womöglich infrage stellen. Der darin besteht, dass sich einzelne Linke, nicht mehr anstelle „der Linken“ setzen, sondern die vorhandene Pluralität akzeptieren. Seibert macht allen Ernstes glauben, dass es dafür den „riot“ braucht, der „die Mehrheitslinke über ihre Grenze und damit über ihre Unwahrheit aufklärt: eben die Linke zu sein“. An der Mehrheitslinken läge es dann, „diese Einsicht anzunehmen – und für sich selbst produktiv zu machen“, indem sie begreift, dass Gesellschaft – wie befreit auch immer – unterhalb der freien Assoziation der Individuen immer mit Zwang verbunden sein wird.

Braucht es dafür den „riot“?

Wer meint, sich durch Leute belehren lassen zu sollen, die im Kleinwagen ein „Symptom der freiwilligen Knechtschaft“ erblicken hat m.E. „nicht mehr alle Tassen im Schrank“.

Mindestens zwei Dinge werden hier durcheinander gewürfelt. Das Aufbegehren gegen Verhältnisse, die als unerträglich einengend empfunden werden und gegen die sich Protest gewalttätig entlädt und verquaste, elitäre Ideologen, die sich als „links“ bezeichnen und gerne gewalttätige Hoffnungslosigkeit in das Morgenrot besserer Verhältnisse umlügen. Meist waren sie nicht selbst dabei und wenn doch, dann am Rande als stumme oder laute Sympathisanten ungestümer, jugendlicher Gewalttätigkeit.

Statt solches zu feiern und es als Teil einer wünschenswerten linke Pluralität darzustellen, ist das Gegenteil richtig.

Entweder es gibt tatsächlich eine „Riot“, dann wird über die auslösende Gründe und Verantwortung zu reden sein, oder es ist wie im Schanzenviertel, dass die Polizei durch demonstrative Abwesenheit Ausschreitungen und Gewalt provoziert.

In solchen Situation wünscht man sich, dass die „Mehrheitslinke“ den Einfluss hätte solches zu unterbinden. Insbesondere da, wo es sich gegen BewohnerInnen und deren Eigentum gerichtet hat.

Wenn Seibert von Kritik am „Riot“ redet, meint er stets Selbstkritik der zu „Rebellen“ verklärten Militanten. Sie sollen sich über sich selbst klar werden, indem sie begreifen möchten, dass sie zwar keine Strategie haben, aber doch ein strategisches Moment aller Kämpfe sind/sein können (die Rebellion an sich), weil im Moment des Gelingens ein unvergessliches Erleben erzeugt wird. Die Interventionistische Linke - der Seibert angehört - beschreibt es so: „Die Tage von Hamburg gingen tiefer als die Meinungsumfragen und medialen Stimmungshochs. Sie werden noch lebendig sein, wenn niemand mehr weiß, wer eigentlich Olaf Scholz war. Sie tragen uns in die Kämpfe, die noch vor uns liegen, bis endlich alles ganz anders wird“ (Die rebellische Hoffnung von Hamburg: Eine erste, vorläufige Bilanz).

Das Unverträgliche wird vereinbar, wenn man es auf seine psychische Wirkung bei sich selbst verkürzt, sofern man zugleich dem Zweiten Manifest des Surrealismus anhängt, das eine Neudefinition des Surrealismus als eine sozial-revolutionäre Bewegung als Synthese von sozialer wie individueller Revolutionierung versuchte und das schon mal Gewaltphantasien, wie zielloses Feuern in eine Menschenmenge zulässt. Soweit soll es natürlich nicht gehen, aber Enthemmung und Emanzipation von jedweder Nützlichkeitserwägung sollen eine feine Sache sein, solange die Enthemmten sich unter die Bedingung setzten lassen, das nicht für Strategie zu halten und dabei akzeptieren, dass es selbst auch nicht Strategie werden kann. Als Feier fürs linke Gemüt taugt es allemal und Scheiß auf Kollateralschäden. Wo gefeiert wird, da brennt schon mal ein Kleinwagen oder Flachbildschirme werden - so sie nicht auch brennen und „puff“[3] „machen - umverteilt.

Schön wäre es für Seibert, wenn es gelänge, dass „die Revolte“ sich kritisch reflektiert: „das Zusammenschlagen eines Betrunkenen durch zwei Militante, die in diesem Augenblick nichts anderes als Bullengewalt verübt haben: mit eben dem Genuss am Zuschlagen, den wir an vielen Bullen wahrnehmen“. Das geht natürlich nicht. Das ist „bloße Gewalt“ die Seibert im Unterschied „zur fundamentalistischen Gewalt“ wohl zu unterscheiden weiß.

Seiberts letzte Anmerkung belehrt uns darüber, dass Sinn der Revolte nicht und niemals aufs konkrete Ansinnen der Handelnden zu reduzieren sei. Das hat dann den Vorteil, dass man die Sache schön abstrakt machen kann, aber auch die kommt nicht ohne romantische Bilderwelten aus und so werden wir entführt in die Welt der edlen Wilden und den rational agierenden Trappern. So erklärt er den Unterschied: „zum Beispiel zwischen denen, die ihre Flachbildschirme ins Feuer warfen, und denen, die sie nach Hause geschleppt haben. Letztere bezogen den radikalsten Posten der Mehrheitslinken, erstere kommunizierten das Nichtkommunizierbare: das nie zu bestreitende Recht der Furie des Verschwindens“.

Das ist jetzt ganz großes Kino, mit einer Anleihe aus Hegels Phänomenologie des Geistes[4]. Wo es im hintergründigen Beziehen auf die französische Revolution heißt: „Kein positives Werk noch Tat kann also die allgemeine Freiheit hervorbringen; es bleibt ihr nur das negative Tun; sie ist nur die Furie des Verschwindens“.

Die Frage die bleibt: warum blähen intelligente Leute wie Seibert kriminelle Ausschreitungen auf den Hintergrund fehlender unmittelbarer Repressionsandrohungen zur Revolte auf?

Neben einem Hang zur romantischen Verklärung, zeigt sich hierin auch eine große Portion Feigheit innerhalb der Linken, sich mit anderen Linken anzulegen. Man scheut die Debatte wie der Teufel das Weihwasser, weil man sich in einem bräsigen Leben mit Glaubenssätzen eingerichtet und eine stillschweigende Vereinbarung geschlossen hat, die besagt: wir belästigen uns gegenseitig nicht mit abweichenden Meinungen zum Handeln der Anderen (Linken).

Glaubensgewissheiten

Diese Vereinbarung wird aber sofort aufgekündigt, wenn Glaubensgewissheiten dieser koexistierenden Linken infrage gestellt werden. Wenn beispielsweise eine nationale Position eingenommen wird, die nicht der linken Dogmatik entspricht, dann geht´s sofort hoch her. National darf es ruhig sein: „Deutschland hat eine besondere Verantwortung gegenüber Schutzsuchenden“ geht, aber „Deutschland muss seine Leistungsfähigkeit in Bezug auf sein humanitäres Engagement definieren“ geht nicht. Warum? Weil man Hilfsbedürftigen helfen muss. Aber natürlich nicht im Sinne des marxschen Imperativs, „alle Verhältnisse umzuwerfen, in denen der Mensch ein erniedrigtes, ein geknechtetes, ein verlassenes, ein verächtliches Wesen ist“, sondern im Sinne einer Weltverantwortung Deutschlands, dass wenn es schon nicht das Elend beendet, zumindest denjenigen hilft, die sich auf den Weg nach Deutschland machen. Der nationale Schornstein darf schon ordentlich rauchen, wenn es um die Verantwortung für die Welt geht.

Damit hat sich das „am Deutschen Wesen, soll die Welt genesen“ zwar erneut in die Welt gesetzt, aber nun in seiner sympathischen Form. Nicht Deutschland geht in die Welt und zwingt dieser ihren Willen auf, sondern die Welt kommt nach Deutschland und sein Wille ist, dass die Herkommenden genesen mögen. Das Problem ist nur, dass es hierüber keine Vereinbarung in der Gesellschaft gibt und dass die Folgen einer Einladung an die Mühseligen und Beladenen nicht von allen gleichermaßen zu tragen sind, sondern wieder einmal den Schwächsten die größten Lasten auferlegt, während starke Schultern geschont werden. Letzteres wird zwar kritisiert, aber zugleich auch als Bedingung für`s eigene gute Befinden akzeptiert.

Unvergessen

Zurück zu Seiberts Versuch, linksradikales Abenteurertum, unpolitischen Krawall und mehrheitslinkes Agieren zu versöhnen. Es muss alleine schon deswegen scheitern, weil es keine Strategie, sondern das individuelle Bemühen saturierter Linker darstellt, die von der Affirmation zur militanten- bzw. eher Krawall - Szene nicht lassen mögen, auch wenn sie wissen, dass sich beides beißt. Klar ist, dass das nicht zusammen geht. Auch Seibert weiß dies und macht deswegen aus der konkreten Aktion ein Abstraktum, dass das Recht auf Negation darstellen soll. Auch wenn die einzelnen Beteiligten (Rebellen) ein völlig anderes Bewusstsein hatten, so soll es doch ein von seinen Schöpfern befreites Bewusstsein der Revolte geben, dass sich durch bloße - gelingende - Revolte ins Recht setzt und sich damit gerade der „Furie des Verschwindens“, erfolgreich entgegenstellt, denn auch wenn die Rebellion „stets die Sache eines Augenblicks bleiben muss – (so doch) eines Augenblicks .., der sich im gelingenden Fall nicht mehr vergisst“, sagt Seibert.

Bleibt als Substanz das gute Gefühl seiner GenossInnen und insbesondere der Interventionstischen Linken und wohl auch sein eigenes. Good feelings weisen mithin einer politischen Sinnlosigkeit[5] positive Qualität zu. So funktioniert der Mensch. Der Bauch sagt ihm, was er mit dem Kopf tun soll. So auch hier und so auch, wenn Seibert gleich seinem Kollegen Lessenich Wagenknecht „Rassismus“ vorwirft. In einem Interview in der taz - 15.10.2017 - kritisiert er erst Oskar Lafontaine - wir erinnern uns des „lafonknechtschen Wagentainment“ seines Kollegen , weil dieser als Ministerpräsident 1992 federführend an der Verschärfung des Asylrechts mitgewirkt hat und sagt dann: „Wagenknecht schließt daran an[6] und verstärkt gezielt die Stimmung, in der der Abbau der Rechte nichtdeutscher Menschen fortgesetzt wird und noch weiter radikalisiert zu werden droht. Das alles in einer Situation, in der die Kanzlerin durch ihr „Wir schaffen das!“ einen umgekehrten Weg eröffnet und unsere Gesellschaft damit vor ein Entweder-Oder gestellt hat: Ja, wir schaffen das und schaffen damit auch eine andere, eine weltoffenere Gesellschaft – oder nein, wir schaffen und wollen das nicht, wollen unter uns bleiben. Wagenknecht hat dieses Entweder-Oder für sich nach der zweiten Option entschieden,..

Auch hier wieder überhöht er ein singuläres Ereignis, diesmal den berühmten Satz der Kanzlerin und macht daraus ein Symbol für Weltoffenheit an und für sich[7], gegen das Wagenknecht national engstirnig opponiert und sich damit in dieser entscheidenen Situation gesellschaftlicher Entwicklung nach links oder rechts, für die rechte Varianten entscheidet und damit sich damit mit dem Rassismus verbündet, indem sie selbst Rassistin - gleich ihrem Mann - wird.

Es geht „um Merkels Entweder-Oder und die Zukunft unserer Gesellschaft. Geben wir dem rassistischen Viertel weiter Raum, oder sammeln wir eine Mehrheit für das „Wir schaffen das!“ Hier ist die Rose, hier tanze![8]

Ganz am Anfang hat Seibert schon definiert, was „Rassismus“ ist: Er „liegt dort vor, wo Menschen nach entsprechenden Merkmalen selektiert werden: in solche, die hierher gehören, und solche, die hier nur geduldet sind und bald wieder wegsollen“. Man könnte das auch kürzer fassen: Jeder Staat, der seine Staatsbürger anders behandelt, als Angehörige anderer Staaten, handelt rassistisch, man wäre dann aber um das Vergnügen gebracht, das Wort „selektiert[9]“ zu benutzen.

Vollendete Globalisierung

Seibert und andere „Linke“ nehmen die vollendete Globalisierung vorweg. Die vollständige Aufhebung der Nationalstaaten zugunsten von reinen „Standorten“, in denen sich ins Recht setzt, wer es kann. Und weil neoliberale Projekte bisweilen nicht so gut ankommen, wenn sie das freie Fließen von Geld und Kapital propagieren, versucht es die Gefühlslinke mit dem, was Kapital im Überfluss produziert, Arbeitskraft, die sich vor Ort nicht hinreichend vermarkten kann oder Menschen, die vorm Krieg flüchten. Das ist das Material, aus dem ein Imperativ gezeugt wird, der einerseits durch nationale Gesetze - Hartz IV - für die eigenen Bürger nicht mehr gilt und andererseits für alle anderen aber Geltung beansprucht: Wer Hilfe braucht, dem muss geholfen werden!

Man muss sich die repressiven Bedingungen der Hartz-IV-Gesetze für ALG-II-BezieherInnen, wie aber auch für potentiell hiervon Betroffene verdeutlichen und zugleich deren besondere Betroffenheit durch die Aufnahme von Flüchtlingen, um die Doppeldeutigkeit von „wir schaffen das“ zu verstehen. Die gute Idee: „wer Hilfe braucht, dem muss geholfen werden“, klingt da wie Hohn. Solange die marktwirtschaftliche Ordnung den Verkehr regelt, werden Flüchtlingsunterkünfte dort geschaffen, wo die Wahlergebnisse von Union und FDP eher bescheiden sind und Grund und Boden verhältnismäßig preiswert. Flüchtlingskinder gehen dort in die Stadtteilschulen – von Gymnasien schweigen wir -, wo eh schon zu wenige LehrerInnen auf zu viele SchülerInnen kommen.

Für Seibert sind das rassistische Überlegungen, weil er nicht die Eigentumsordnung umgestalten möchte, sondern gerne „R2G“ im Bund hätte und ab und an einen schönen „riot“, also Rebellion ohne Sinn und Zweck. Wobei letzteres nicht stimmt. Sinn und Zweck läge gerade in seiner Ventilfunktion und der Ansage: lasst uns, wir wollen ja nur spielen.

Quo vadis Linke?

Die Linke wird sich entscheiden müssen, ob sie weiterhin Sammlungsbewegung für Unvereinbares sein möchte, oder zuvörderst Interessenvertreterin von Kleinverdienern und Arbeitslosen. Das heißt ja nicht, dass man sich gegen ein eher großstädtisch und liberal geprägtes Milieu abschottet, sondern nur, dass man diesem die Priorität deutlich macht. Wichtig wird vor allem sein, sich an die eher proletarischen Milieus tatsächlich anzubinden und sich in ihnen zu verankern. Denn Sahra Wagenknecht versucht zwar „diejenigen im Wahrnehmungshorizont linker Politik zu halten, die gefühlt als Einzige für die »Willkommenskultur« bezahlen müssen“ (Christian Baron im ND vom 21.10.2017), aber sie kann die reale Verankerung in diesen Milieus nicht substituieren.

Das geht aber nur, wenn das nicht als „nationalsozial“ denunziert wird. Vor den Weltstaat oder besser die globale Gesellschaft, hat die Geschichte noch die Nationalstaaten gesetzt, in denen sich Politik bis hinunter in die Kommunen konstituiert.

Wer das nicht begreift und aus diesem blinden Fleck ein Moralsternchen macht, dass ihn besonders aus der Masse der nationalen Trotteln hervorhebt, bewirkt eigentlich nur eines, nämlich dass das Notwendige unterbleibt: die Arbeit an der Basis.

Weswegen auf der anderen Seite der Zustand friedlicher Koexistenz einer im Kern neoliberalen Linken, die gefühlig oder abstrakt philosophisch daherkommt und einer, der es wirklich um Sozialismus und Ökologie geht umgehend und aktiv beendet werden muss.

Es ist kein Ausweis von Liberalität, wenn in der parteieigenen Stiftung jede Menge Menschen herumlaufen oder sitzen, die der Spitzenkandidatin und Fraktionsvorsitzenden Nähe zu Nationalsozialismus und Rassismusvorwerfen. Das sind die Ideologien, die das größte Menschheitsverbrechen möglich gemacht haben und mit solchen Vorwürfen spielt man nicht. Wer so etwas zulässt, lädt geradezu zur Beliebigkeit ein[10].

Die andere Seite ist, dass sich diejenigen, die sich um die Verbesserung der Lebensverhältnissederjenigen bemühen, die hier leben und arbeiten bzw. arbeitslos sind, sich ständig dafür rechtfertigen müssen, dass sie die Welt nicht im Blick haben und ihnen die internationale Solidarität nichts wert sei. Solange die Kugeln von vorne kämen, wäre das sicherlich kein Problem, aber der Dauerbeschuss von hinten aus den eigenen Reihen ist zermürbend und bewirkt auch die eine oder andere falsche politische Richtungsbestimmung.

Pluralität innerhalb der Linken ist ein hoher Wert, gerade deswegen muss mit der Überdehnung Schluss gemacht werden. Wenn ernsthaft Sara Wagenknecht und MitstreiterInnen für eine Abteilung des Nationalismus und Rassismus innerhalb der Linken gehalten wird, dann ist der Punkt gekommen, an dem sich eine solche Partei im wohlverstandenen Interesse aller Beteiligten auseinander sortieren muss.

Gerade das gemeinsame Ziel einer Gesellschaft der freien Assoziation, in der weder Klassen und erst recht nicht nationale oder ethnische Zugehörigkeiten eine Rolle spielen, sondern nur noch die gleiche Freiheit und die gleichen Bedingungen eines und einer jeden entscheidend sein sollen, lässt nicht zu, dass Teile einer solchen Utopie heute zu einer Bedingung des Handelns umdefiniert werden. Das sind sie nicht. Die heutige Welt ist eine von Nationalstaaten. Selbst wenn die EU dereinst als Nationalstaat 2.0 den deutschen - faktisch - aufgehoben haben sollte, bleibt der Bundesstaat EU, als abgegrenztes Staatssubjekt, in dem die Bedingungen für StaatsbürgerInnen andere sein werden, als für Staatsangehörige anderer Nationen.

Die wesentlichste Lehre hieraus: Die Politik muss im Kern in Übereinstimmung mit der eigenen Bevölkerung entwickelt werden, wenn sie denn auf potentielle Mehrheitengewinnung abzielt. Über den richtigen Weg kann man, muss man streiten, aber nicht darüber, dass die kurzfristige kulturelle Hegemonie in bestimmten Milieus, einen Verzicht des Kampfes um Zustimmung bei der traditionellen Bevölkerungsbasis der Linken zuließe.


[1] MEW 1, 381 „man muß diese versteinerten Verhältnisse dadurch zum Tanzen zwingen, daß man ihnen ihre eigne Melodie vorsingt!“

[2] der Bezug auf Che Guevara ist natürlich reiner Blödsinn. Guevara ging es nicht um Revolte an sich, sondern bekanntermaßen um reale Veränderungen.

[3] Der Anteil der Anteillosen. Artikel von Thomas Seibert, taz vom 12.07.2017

[4] Kapitel 67 Die absolute Freiheit und der Schrecken

[5] die - so ganz nebenbei - die Existenzbedingungen der Roten Flora nachhaltig verschlechtert hat.

[6] Der Bundestag hat am 25.02.2016 das sogenannte Asylpaket II der schwarz-roten Regierungskoalition beschlossen. In namentlicher Abstimmung votierten alle Abgeordneten der Linken gegen den entsprechenden Gesetzentwurf der CDU/CSU- und der SPD-Fraktion „zur Einführung beschleunigter Asylverfahren“ (18/7538, 18/7645, 18/7685). Zahlreiche grüne und SPD-Abgeordnete stimmten dafür.

[7] Der Satz der Kanzlerin fiel das erste Mal am 31. August 2015 in der Bundespressekonferenz. Bereits am 18. März 2016 schlossen die EU und die Türkei das Abkommen zur Begrenzung des Flüchtlingszuzuges. Alle Flüchtlinge, die ab dem 20. März irregulär nach Griechenland kamen, sollten zurück in die Türkei geschickt werden. Die Rückführungen begannen am 4. April. Zuvor war die Balkan-Route geschlossen worden, was Merkel kritisiert hatte, weil nun jeden Abend die Fernsehbilder gestrandeter Flüchtlinge in Griechenland zu sehen sein. Das könne auf Dauer nicht gut gehen. Deswegen kam es dann zum Flüchtlingsabkommen mit der Türkei. Soviel zur Weltoffenheit.

[8] Wie Hegel in der Vorrede der „Grundlinien der Philosophie des Rechts“, den Satz: „Hic Rhodus, hic salta!“ zu variieren weiß. Was sich dann auch bei Marx MEW 8, 118 wiederfindet.

[9] Jeder Mensch in Deutschland mit Geschichtsbewusstsein wird bei dem Wort „Selektion“ automatisch an das Sortieren an der Rampe von Auschwitz-Birkenau denken, an der die arbeitsfähigen und arbeitsunfähigen Häftlinge getrennt wurden. Erstere zur Arbeit ins Lager, letztere ins Gas. Natürlich sagt er davon kein Wort. Er braucht es auch nicht, weil „selektieren“ diese Assoziation entweder bewusst auslöst oder aber unterschwellig in den Kopf bringt.

[10] Einmal abgesehen davon, dass er den Eindruck erweckt, dass Rassismus und Nationalsozialismus tendenziell harmlos wären.

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