Franz Walter und Stefan Klecha haben heute in der taz einen inhaltlich ausgezeichneten Artikel veröffentlicht. Er hat nur einen Schönheitsfehler, oder je nach Sichtweise auch Vorteil: er erscheint eine Woche vor der Bundestagswahl und er betrifft in einer eher randständigen Bemerkung den Spitzenkandidaten der Grünen.
Damit ist zum einen der taz als Medium Aufmerksamkeit gewiss, wie auch den Autoren. Für die kommt hinzu, dass man seine Unabhängigkeit nicht eindrucksvoller demonstrieren könnte. Die Grünen, in Bayern geschwächt, in Umfragen auf dem Weg nach unten sind die Finanziers der Arbeit über die Walter und Klecha berichten. Ihnen, die das alles bezahlen die Freude eines Zwischenberichtes zuzumuten, indem der Spitzenkandidat Erwähnung findet, als scheinbar Verantwortlicher – im Sinne des Presserechts – für eine Forderung nach Straffreiheit einvernehmlichen Sexes zwischen Kindern und Erwachsenen, zeugt schon von großem Selbstvertrauen und wirklicher Unabhängigkeit.
Die taz greift das in Bezug auf die Aufklärung über die damalige Zeit unwichtigste Schlaglicht heraus und überschreibt einen Kommentar mit Jürgen Trittins Fehler.
Auch die taz hat jeden Anlass, sich als unabhängig in dieser Frage darzustellen. Sie wäre es auch ohne diese Bedienung eines Gesetzes ihrer Branche gewesen, aber natürlich kann man nachvollziehen, dass sie dem Reflex nachgegeben hat Nachrichten zu produzieren, die bei genauerem Hinsehen keine sind, aber das Bedürfnis des Publikums nach hohem Flug und tiefen Fall, in den Hauptüberschriften zumindestens für einen kurzen Moment entgegenkommen.
Bei Walter und Klecha heißt es: „In Göttingen übrigens verantwortete der heutige Spitzenkandidat der Grünen für die Bundestagswahlen, Jürgen Trittin, damals noch Student und einer der Göttinger Stadtratskandidaten, presserechtlich dieses Wahlprogramm der Alternativen-Grünen-Initiativen-Liste (AGIL)“.
Nun weiß jede und jeder, dass Parteiprogramme nicht vom Verantwortlichen im Sinne des Pressegesetz geschrieben und auch nicht verantwortet werden: „Der Programmabschnitt „Schwule und Lesben“ ist unterzeichnet mit „Homosexuelle Aktion Göttingen“.Die AGIL in Göttingen hatte damit also einfach den Forderungskatalog dieser Gruppierung übernommen – dieses Procedere ist nicht ungewöhnlich für die Grünen in dieser Zeit, die sich damals als Sammlungskraft für sehr unterschiedliche Bewegungen verstanden. Dazu gehörte es auch, verschiedensten Gruppierungen als Plattform zu dienen und ihnen Raum zu geben“, erläutern die Wissenschaftler.
Was bleibt ist der Umstand, dass Trittin, wie alle anderen Mitglieder der AGIL auch den Finger in der Endabstimmung für das Programm gehoben hat. Seine besondere Verantwortung besteht nach § 8 Niedersächsisches Pressegesetz darin, dass nur er die Verantwortung für alle ggf. gegen die Gesetze der Bundesrepublik Deutschland verstoßende Teile des Programmes übernommen hat. Sehr wahrscheinlich ist übrigens, dass ein Programm das schließlich durch demokratische Willensbildung in die Welt gesetzt wird, nicht durch einen „V.i.S.d.P“ verantwortet werden muss. Da Jürgen Trittin dem Kommunistischen Bund (KB) entstammt, ist anzunehmen, dass er es so gemacht hat wie er es von da kannte. Beim KB wurde grundsätzlich eine Person als Verantwortlicher im Sinne des Presserechts (V.i.S.d.P.) benannt. Das diente dazu, dass nicht jeder Verteiler einer Druckschrift zugleich Verantwortlich für den ggf. strafrechtlich relevanten Inhalt gewesen wäre.
Unmissverständlich ist bei Walter und Klecha, dass die Urheberschaft für den inkriminierten Programm Teil bei der „Homosexuellen Aktion Göttingen“ lag. Was beide in ihrem Artikel – auch bezogen auf Trittin beklagen – ist die Zurückhaltung beim Nachvollziehbar machen von Bedingungen, die zu dieser zeitweisen offensiven Toleranz gegenüber päderastischen Forderungen führte. Dabei nähren sie sich interessanterweise einer Methode mit der Bertrand Russel seinen Studenten empfahl sich scheinbar Absurden zu nähren. Die Einstellung dürfe weder aus Ehrfurcht noch aus Geringschätzung bestehen, „Wenn ein intelligenter Mensch eine Ansicht vertritt, die uns offensichtlich unsinnig erscheint, sollten wir nicht zu beweisen suchen, dass doch etwas Wahres daran sei, uns vielmehr um die Einsicht bemühen, warum diese Anschauung jemals richtig erscheinen konnte. Diese Übung in historischer und psychologischer Einfühlung erweitert den Bereich unseres Denkens; außerdem können wir uns dann leichter vorstellen, wie töricht viele unserer eigenen, uns liebgewordenen Vorurteile einem Zeitalter von anderer geistiger Veranlagung erscheinen mögen“ (B. Russel. Philosophie des Abendlandes. Zürich, 1950. 4. Kapitel, Heraklit. Seite 61). Bei Walter und Klecha hört sich das so an:
„Und ob man will oder nicht, man hat einige der Erörterungen jener Jahre, die den meisten von uns heute nachgerade absurd erscheinen, erst einmal wieder zu rekonstruieren und aus dem kulturell-historischen Kontext, vor allem aber auch aus der rechtswissenschaftlichen Diskussion der 1960er und 1970er Jahre zu begreifen“.
Kommentare 12
Wird Ihnen eigentlich nicht schlecht dabei, diesen absoluten Missgriff der Grünen noch zu verharmlosen und zu verteidigen?
Wer solche Leichen im Keller hat, wie Cohn-Bendit, die Grünen und Trittin, der muss eben damit rechnen, dass die irgendwann mal stinken und entdeckt werden.
Wahlkampf ist kein Streichelzoo :-)
Georg von Grote, wird Ihnen nicht kotzübel, wenn Sie in Bezug auf Trittin von stinkenden Leichen schreiben, die jetzt entdeckt werden. Es geht um ein Impressum eines Programmes, das bezüglich der §§ 174ff. StGB die Formulierungen aus dem Bundesprogramm der Grünen übernommen hatte.
Das Wahlkampf kein Streichelzoo ist, ist so allgemein wie richtig. Damit ließe sich aber auch rechtfertigen, dass man jeden Maßstab der Redlichkeit bis zum Wahltag im Schrank versteckt.
Das mögen Sie goutieren, ich tue es nicht. Im Gegenteil, es mir völlig egal wer mich verarschen will. Es kommt überhaupt nicht infrage hierzu auch noch ein freundliches Gesicht zu machen.
Auch in anderen Parteien
Schlimm. Wir sind so, die Gesellschaft ist so, ob grün oder FDP oder die Kirche oder nette Pädagogen oder der ganz normale Familientyrann. Übergriffig, gewalttätig, machtmissbrauchend.
Woher das übernommen wurde, wer es irgendwann einmal verfasst oder "verbrochen" hat, ist völlig egal. Trittin hat es genehmigt und unterzeichnet als Verantwortlicher und das bekommt er jetzt aufs Butterbrot geschmiert und zwar in meinen Augen zurecht. Die Grünen haben in dieser Sache so dermaßen herumgeeiert bis heute, dass sie sich das nun jetzt selbst zuschreiben müssen.
Wenn ich im Wahlkampf, zudem noch so kurz vor der Wahl dem Gegner eine derartige Steilvorlage liefere, darf ich mich nicht wundern und vor allem nicht beschweren, wenn der den Ball mit voller Wucht auf und ins Tor knallt.
...aus dem kulturell-historischen Kontext, vor allem aber auch aus der rechtswissenschaftlichen Diskussion der 1960er und 1970er Jahre zu begreifen.
Diese Passage von W&K ist unglücklich gewählt. Weder damals noch heute gibt es zu diesem Thema etwas zu begreifen!
Nun, dass ´ausgerechnet´ die taz dieses Thema in der Vorwahlwoche bedient, spricht für sich. So isses nun mal, statt Solibekundungen, Wählermotivation & Ball (ggf. umsonst) flach halten, lieber noch ein paar Reisser unters Volk mischen...Aber wie GVG bereits erwähnte, das langjährige Rumgeeiere der Grünen war in dieser Angelegenheit kontraproduktiv & es rächt sich nun mal, dass sie nicht schon vor 30 oder zumindest vor 20 Jahren eine klare Postion diesbezüglich formulierten. Heute gibt es nahezu kein Erbarmen für äußerst fragwürdige Eskapaden, _ seien sie auch Kompromisse gewesen, um Basisunterstützer & -wähler nicht zu vergraulen.
Wenn ihn die demokratischen Procedere geläufig sein sollten, so wüssten Sie oder könnten zumindest wissen, dass Parteien, auch solche die sich Liste nennen ihre Programme durch Delegierte oder die Mitglieder verabschieden lassen. Die Verantwortung dafür trägt die Partei, die sich wiederum durch einen Vorstand vertreten lässt, der ggf. auch den Namen Sprecherrat oder „grüner Papagei“ haben kann.
Derjenige, der im Impressum als für das Druckwerk Verantwortlicher ausgewiesen wird, verantwortet den Inhalt in Hinblick auf mögliche Rechtsverletzungen. Hierum geht es faktisch bei Programmen regelmäßig nicht. Es kann dahingestellt bleiben, ob hier überhaupt ein verantwortlicher Redakteur i.S.d.P. zu benennen war, nur verbohrte Realitätsverweigerer können ernsthaft annehmen, dass eine Verantwortung i.S.d.P. mit der inhaltlichen Verantwortung für ein Programm gleichzusetzen wäre.
Davon völlig unberührt ist die Frage, ob es tatsächlich vor 32 Jahren ein Skandal war, Sexualstrafrechtsnormen liberalisieren zu wollen? Die konkrete Formulierung lautete: "Der entgegen weit verbreiteter Ansicht noch immer bestehende § 175 muß ersatzlos aus dem Strafgesetzbuch gestrichen werden. Die §§ 174 und 176 StGB sind so zu fassen, daß nur Anwendung oder Androhung von Gewalt oder der Mißbrauch eines Abhängigkeitsverhältnisses unter Strafe stehen."
Wäre es auch damals schon skandalös gewesen, so hätte man doch irgendwelche Versuche der Skandalisierung bemerken müssen. Erinnern sie welche? Ich auch nicht. Lediglich Bettina Röhl versucht etwas änliches mit der Causa Cohn Bendit vergeblich seit etwa 10 Jahren. Die 20 Jahre zuvor aber gab es solche Versuche nicht. 1980 kam der Film „Zärtliche Cousinen“ in die Kinos und David Hamilton wurde auch mit seinen Aktfotos von Kindern verehrt. Erst Ende des Jahrtausend hat sich zumindest in den USA die Einstellung zu Hamilton verändert.
Bei den Grünen gibt es nach deren Angaben seit etwa 24 Jahren keine Liberalisierungsforderungen zu den §§ 174 und 176 mehr in den Programmen.
Die Verantwortung hierfür tragen die Grünen gemeinsam. Eine Herausstellung des Spitzenkandidaten entbehrt also jedes Sachgrundes. Etwas anderes wäre es, wenn der Spitzenkandidat tatsächlich mit irgend einer individuellen Äußerung oder Handlung in das Thema involviert wäre. Das ist erkennbar nicht der Fall.
Sie machen es sich schon ziemlich einfach :-) Ich weiß nicht, in welchem Umfeld Sie damals gelebt haben, ich jedenfalls kann mich an ziemlich intensive Diskussionen über dieses Thema erinnern. So intensiv, dass sich damals Klaus Roxin, mein Strafrechtsprofessor sich bemüßigt fühlte, das zu einem Seminarthema zu machen. So normal und harmlos, wie Sie es jetzt darstellen, wurde das damals nicht aufgenommen. Zumal wir das allein schon deswegen diskutiert haben, weil wir damals auch als Jugendbetreuer und Jugendreiseleiter unterwegs waren.
Und Hamilton mit seinen Weichzeichnerorgien ging auch nicht so kritiklos durch. Notgeiler Lustmolch war noch eine der zahmsten Bezeichnungen für ihn nach seinen Nymphen. Ihm kam nur der Kunstfaktor zugute und an dem Thema haben sich Maler, Schriftsteller etc schon immer versucht, nicht nur Nabolov mit seiner Lolita.
Und zum Verhalten von Trittin und anderen kann ich nur sagen, dann hätten sie es nicht unterschreiben dürfen, bzw. hätten sich dazu öffentlich äußern können, dass sie in den Punkten anderer Meinung sind.
Das hat Trittin aber nicht gemacht, sondern er stand ja selbst voll dahinter, wie er heute zugeben musste. Diese Flucht nach vorne kommt aber viel zu spät, zumal sie nicht freiwillig, sondern unter Druck erfolgt.
Und ich sag es ihnen ganz offen, bei Kindern, vor allem Kindesmißbrauch, und um den handelt es sich hier, gibt es für mich keine Kompromisse und kein Pardon. Egal, ob jemand nur in seinen Gedanken damit spielt, oder es in die Tat umsetzt.
Wäre es auch damals schon skandalös gewesen, so hätte man doch irgendwelche Versuche der Skandalisierung bemerken müssen...1980 kam der Film „Zärtliche Cousinen“ in die Kinos und David Hamilton wurde auch mit seinen Aktfotos von Kindern verehrt...
Sollen das nun Argumente sein? Welche Einstellung haben Sie eigenttlich diesbezüglich? Natürlich war es auch ´damals´ Thema, aber diejenigen, die dieses artikulierten, wurden entweder als unzeitgemäße Spießer oder prüde Emanzen tituliert. Erst als der Mißbrauch von Kindern auch & vor allem in der Offentlichkeit die entsprechende Aufmerksamkeit erhielt, begann die Sensibilisierung _ vielleicht auch weil Dank der sexuellen ´Liberalisierung´, Pornoindustrie & Sextourismus immer mehr Kinder & Heranwachsende betroffen waren.
So sehe ich das auch.
Tatsache bleibt, dass es weder in den 80ern noch den 90ern erfolgreiche Skandalisierungen gab. Daraus darf man schlussfolgern, dass obwohl natürlich Gegner der inkriminierten Programmpassagen existierten (siehe Georg von Grote), es keinen gesellschaftlicher Nährboden dafür gab, diese Programmatikvorstellungen zu marginalisieren und in der Folge für die Grünen und andere zum Tabu zu machen.
Da mussten erst die Brüder und Schwestern aus Bündnis 90 hinzutreten, um die Forderung dem Müllhaufen der Geschichte zu überantworten.
In direkterer Nähe zur Hochzeit der antiautoritären Bewegung wäre es nicht möglich gewesen, weil zum Recht des Kindes im Zweifel auch gehören sollte, sich Sexualpartner bei den Erwachsenen zu suchen und umgekehrt.
Weil ich gefragt wurde: ich halte die Ideen der antiautoritären Erziehung in Teilen für ein Verwahrlosungsprogramm. Ferner sind Kinder alles, aber niemals Erwachsene. Es gehört zur Freiheit des Kindseins hinzu, dass Erwachsene für Kinder Verantwortung tragen, dass schließt einvernehmlichen Sex zwischen Kindern und Erwachsenen aus. Die Sache ist für mich nicht verhandelbar. Diese Einstellung hindert mich aber nicht daran, zu versuchen zu verstehen, warum so etwas Absurdes wie das damalige Programm der Grünen/Jungdemokraten usw. als akzeptabel erschienen oder zu mindestens nicht so unvernünftig, als es einen Aufschrei gegeben hätte.
Tatsache bleibt, dass es weder in den 80ern noch den 90ern erfolgreiche Skandalisierungen gab. Daraus darf man schlussfolgern, dass obwohl natürlich Gegner der inkriminierten Programmpassagen existierten (siehe Georg von Grote), es keinen gesellschaftlicher Nährboden dafür gab, diese Programmatikvorstellungen zu marginalisieren und in der Folge für die Grünen und andere zum Tabu zu machen.
Hallo!?! Braucht der gesunde Menschenverstand vor allem das Herz (s. links unterhalb der Brust) erfolgreiche Skandalisierungen & gesellschaftlichen Nährboden? Geht es hier immer nur darum, was angeblich noch bei dem Wählernährboden durchgeht? Also mit Ihrer Argumentation tun Sie den Grünen keinen Gefallen, falls Sie das vorhatten...
Ich argumentiere zumindest und fabuliere nicht von einem Automatismus des gesunden Menschenverstandes/Herzens. Im Übrigen hat der, oder auch nur die politische Vernunft vor knapp einen Viertel Jahrhundert für die Entfernung der inkriminierten Programmteile gesorgt.
Aber ich habe durchaus Verständnis für diese vor allem einen selbst überhöhende Haltung, um aus schwindelnder Höhe andere zu besprechen. Die Grünen laden aufgrund ihrer penetrant zur Schau getragenen Haltung: wir sind die Guten, nachgerade dazu ein. Falsch ist es trotzdem.