Eigentor

Bild Diese Woche ging es einmal mehr hoch her. Die Bild hat Christian Drosten auf die Titelseite verschleppt und der größte Teil der Republik ist empört. Zu Recht?

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Die Antwort hat zwei Teile. Fangen wir mit dem verneinenden Teil an. Drosten ist eine öffentliche Person. Seine Forschung wird weltweit beachtet, die Preprints seiner Arbeitsgruppe werden verschlungen. Fehler, oder vermeintliche Fehler werden entdeckt und lösen wiederum öffentliche Reaktionen aus. Jeder journalistische Lehrling kann so seinen Ranzen mit negativen Aussagen bezogen auf einen Preprint von Drostens Arbeitsgruppe (Drosten et al.) finden und daraus Zweifel, Ungereimtheiten, Fehlschlüsse etc.pp. destillieren. Das hängt mit der Funktion dieser Preprints zusammen. Eine von ihnen ist – neben dem Setzen vonwissenschaftlichen Duftmarken – dass die Arbeit einen Diskurs eröffnen möchte, de rggf. zu notwendigen Korrekturen an der Arbeit führt, bevor sie dem Begutachter Prozess zugeführt und veröffentlicht wird.

Insofern ist es auch völlig legitim, wenn sich Journalisten dieser Debatte bemächtigen und sie für eigene Artikel zur Aufführung bringen. Das setzt aber eine Auseinandersetzung mit der Arbeit voraus, weil nur so die Kritik korrekt eingeordnet werden kann.

Nun haben wir es mit der Bild zu tun und nicht mit Bild der Wissenschaft. Der Unterschied besteht grob in der Seriösität der beiden Druckprodukte. Das eine ist es, das andere nicht. Insofern ist jede Erwartungshaltung auf eine seriösen Berichterstattung ungefähr so, als würde man den Kindern keine Weihnachtsgeschenke kaufen, weil man ja den Weihnachtsmann auf dem Schlitten erwartet.

Zum Thema hat Wiglaf Droste(!) alles notwendige vor 10 Jahren zu Protokoll gegeben: „Wo Bild als Zeitung durchgeht, gelten Frisöre als Hirnforscher“. Damit ist eigentlich alles gesagt. Der Journalist als Frisör – ein ehrbares Handwerk – duldet keine anderen Forscher neben sich. Außer natürlich, sie lassen sich von der Agentur Storymachine vermarkten.

Das damit Drosten schon länger auf dem Speiseplan von Dieckmann-Nachfolger Julian Reichelt stand, darf eigentlich niemanden verwundern, der sich die Arbeit von Drosten als Wissens- und Wissenschaftsvermittler ernsthaft angeschaut hat. Seit fast einem Vierteljahr erklärt der Virologe im NDR-Info-Podcast den Stand seiner Wissenschaft und begleitet damit die Pandemie. Schon Ende März hatte der Podcast weit mehr als 15 Mio. Abrufe und gehört zu den beliebtesten Podcasts im deutschsprachigen Raum.

Drosten betreibt damit einen Aufwand zur Volksbildung, der ansonsten nur von Wissenschaftsjournalisten wie Ranga Yogeshwar, Mai Thi Nguyen-Kim und seinem Kollegen Harald Lesch geleistet wird. Dabei beteiligt er die Zuhörer:innen direkt am Forschungsgeschehen.

So sieht man, dass Forschungsfortschritt eine Mischung aus Gewissheiten, begründeter Spekulation und Falsifikation ist. Sehr häufig spricht er davon, dass er Dinge glaubt und führt dann aus warum er das tut. Dabei verwendet er eine Sprache, die sich nicht soweit simplifizierte, dass der wissenschaftliche Kern unscharf würde. Unterstützt wird er dabei von den Wissenschaftsredakteurinnen Korinna Hennig und Anja Martini, die bei schwierigen Wortschöpfungen schon einmal erklären, was damit gemeint ist, wenn ihnen nicht Drosten schon zuvor gekommen war. Dabei wird durchgehend ein sehr gutes Deutsch gesprochen und unvollendete Satzkonstruktionen wird man in den bislang gut 40 Stunden Sendung sicherlich so schwer finden, wie die Nadel im Heuhaufen.

Das die Bild das als potentiellen Anschlag auf ihr Geschäftsmodell empfindet ist ebenso klar, wie die Verwunderung darob bei den moralischen Kompetenzteams dieser Republik. Hatte man sich doch schon längst eingeredet, dass Bild eine Zeitung wie viele andere ist. Zwar las man sie nicht, aber ihrer Reichweite bediente man sich bei Bedarf ebenso, wie man mit Bild Redakteuren auf Podien saß oder sich einfach so unterhielt, als wären es ganz normale Menschen, die ihr Geld nicht mit der Niedertracht, Lüge und Manipulation verdienen würden. Das es dabei genau dieses Anscheins von Normalität brauchte und deswegen nette Redakteure Artikel schrieben und schreiben werden, die auch in Zeitungen stehen könnten, ist konstitutiv für das Funktionieren des Systems Bild.

Somit lautet der erste Teil der Antwort auf die Frage, ob die Empörung zu Recht erfolgte: Nein. Der zweite Teil kommt genau zur gegenteiligen Auffassung. Natürlich ist es richtig sich zu empören!

Die Bild, als nicht nützlicher Teil der Gesellschaft, stürzt sich auf einen Professor, der nicht nur Spitzenwissenschaft betreibt, sondern neben der Politikberatung auch noch die Zeit findet, sein Denken und Handeln der interessierten Öffentlichkeit transparent zu machen.

Das ist selbst für ein Produkt, dass für sich seit Jahrzehnten die menschlichen Niederungen als Weideplatz erfolgreich ausbeutet eine Umdrehung zu viel. Die gleichen Menschen, die es lieben, wenn mit Schmutz und Dreck geworfen wird und Menschen fertig gemacht und an den Pranger gestellt werden, sind empört, wenn es einem widerfährt, der es nach Meinung des Publikums nicht verdient hat. Vor allen Dingen dann, wenn dieser die Distanz zu Bild gehalten hat. Mit dem Satz: „Ich habe Besseres zu tun“, hat er klar gemacht, was er von diesem Produkt hält. Denn ansonsten gibt es in dieser Republik wohl keinen Wissenschaftler, der aktuell mehr mit Journalisten redet als Christian Drosten und wohl auch keinen, der seine Verachtung subtiler zum Ausdruck bringen kann als er.

Bei aller Empörung über die Bild sollte man deswegen nicht übersehen, dass sich Deutschlands größte Boulevardzeitung an Drosten schwer überhoben hat. Deswegen ist die Begründung des Direktors des Instituts für Medizinische Mikrobiologie des Universitätsklinikums Halle, Alexander Kekulé der selbst Arzt und Biochemiker ist, „Drosten liefert der „Bild“ eine unnötige Angriffsfläche“ (Zwischenüberschrift in seinem Gastbeitrag: „Warum Drosten die Studie nicht zurückzieht, ist schwer nachvollziehbar“, Tagesspiegel, 28.05.20209), nichts weiter, als die Flankierung des Bild-Angriffs auf Drosten durch vermeintlich wissenschaftliche Kompetenz auf Augenhöhe mit Drosten.

Zwar ist es einigermaßen geschickt, Drosten nicht in der Bild, sondern im seriösen Tagesspiegel anzugreifen. Zu vermuten ist gleichwohl, dass sich Kekulé damit keinen Gefallen getan hat. Das ist allein schon daran zu erkennen, dass er sich einerseits auf den Postcast Nr. 43 von Drosten bezieht und andererseits dabei ausblendet, dass Drosten dort davon sprach, dass die Übernahme statistischer Kritik und eine verbesserte Methode in der mathematischen Auswertung, die Aussage der Studie eher noch bestärkt hat. Stattdessen schreibt er: „Drosten will nun weitere Daten auswerten und die Statistik neu berechnen. Doch das kann die aktuelle Arbeit nicht retten. Warum Drosten die Studie nicht einfach zurückzieht, ist schwer nachvollziehbar. Der im Umgang mit den Medien versierte, erfahrene Forscher und Politikberater gibt stattdessen der „Bild“ eine unnötige Angriffsfläche“.

Man muss kein Wissenschaftler sein, um eins und eins addieren zu können. Wenn der Bild aus der virologischen Wissenschaftshochburg, der Martin-Luther-Universität Halle-Wittenberg Hilfe zuteil wird, während sich der forschende Teil der Wissenschaft hinter Drosten versammelt und sich mit ihm gegen die Bild solidarisiert, dann sind die Zeiten erfreulicherweise noch fern, wo Frisören die Durchführung von Operationen im Salon gestattet sein wird.

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