Erst das Land, dann die Partei

Grüner Patriotismus "In den Verhandlungen werden wir nicht überlegen was gut für Bündnis 90/Die Grüne ist. In den Verhandlungen werden wir überlegen was gut für unser Land ist“

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So informierte uns vor acht Wochen am 30. September der grüne Umweltsenator von Hamburg begeistert über Göring-Eckhardts Einlassungen im "Grünen Länderrat" auf seiner Facebook-Seite. Nicht nur für Jens Kerstan hatte die evangelische Christin damit die Schlagzahl vorgegeben. Erst das Land, dann die Partei hieß es in den letzten Wochen allerorten.

Am am 20.11. postet der grüne Senator Kerstan - gleiche Stelle, gleiche Welle: „Jetzt ist die schöne PR- Maske gefallen. Der Liberalismus ala Lindner: Nackter Eigennutz ohne jeden Gedanke an das große Ganze. Das ist ganz und gar die alte Mövenpick FDP. In dieser Situation wäre Verantwortung für das Land statt Egoismus gefragt gewesen.“ Auf dem grünen Parteitag unterstreicht am Samstag - 25. November - noch einmal der Cem Özdemir, dass für die Grünen nun wirklich gelte „Erst das Land, dann die Partei“.

Zur gleichen Zeit, am 23.11. schickt sich Andreas Voßkuhle, Präsident des Bundesverfassungsgerichts und Direktor des Instituts für Staatswissenschaft und Rechtsphilosophie der Universität Freiburg in der FAZ an, wider die „populistische Homogenitätsthese“ anzuschreiben: „Wenn etwa dreißig Prozent der befragten Bundesbürger einer jüngeren Studie der Bertelsmann-Stiftung zufolge einer solchen apolitischen Vorstellung eines überparteilichen Gesamtinteresses zuneigen, muss uns dies – bei aller gebotenen Vorsicht im Umgang mit Umfragen – Anlass zum Nachdenken geben“. Weswegen das Grundgesetz von der Pluralität der Gesellschaft ausgeht „und folgerichtig von einer Meinungsvielfalt in politischen Fragen… Oder, um es mit Jürgen Habermas zu sagen: Das Volk des Grundgesetzes pflegt im Plural aufzutreten“.

Natürlich hatte Vosskuhle nicht Die Grünen, sonder andere, "Populisten von links und rechts" vorm geistigem Auge, aber am Ende ist es völlig egal ob man sich auf das Land oder das Volk beruft, wenn man das egoistische Einzelinteresse der Volonté générale unterwirft.

In jedem Fall konstituiert die Behauptung, man sei dem Gemeinwohl, dem Volk oder dem Land verpflichtet, dass der Pluralismus, also der volonté de tous diesen Gemeinwillen nicht hervorzubringen vermag. Weswegen es - in diesem Falle - der Grünen bedarf, um diesen Gemeinwillen gegen den Egoismus - z.B. von FDP und SPD - zu verteidigen. Damit begibt man sich auf sehr dünnes Eis. Während man bei den anderen - der FDP zum Beispiel- klar den Versuch zu erblicken meint, wie diese sich an die WählerInnen der AfD heranpirscht „AfD light: Die neue FDP“ (Sven Kindler grüner MdB), begibt man sich mit dem Schlachtruf „erst das Land…“ in unmittelbare Konkurrenz mit den Nationaltrotteln von der AfD. Es ist der Abschied vom Kern von Politik, der darin besteht, dass man Interessen vertritt und sich dafür mit den divergierenden Interessen in einen konkurrenten Austausch begibt.

Dabei ist schon die Partei oder Fraktion eine Ansammlung von konkurrierenden Interessen. Weswegen Voßkuhle auf Artikel 38 Abs. 1 Satz 2 und dasin ihm niedergelegten Leitbild der Abgeordneten ,als Träger eines „freien Mandats“ verweist. Durch die Gewissensbindung sieht er ihre politische Verantwortung für das Gemeinwohl als gewährleistet an, weil der Abgeordnete an Aufträge und Weisungen nicht gebunden ist, sind sie auch Vorgaben Dritter – und sei es der Parteibasis – entzogen, so ihnen ihr Gewissen etwas anderes aufgibt. Wie man sieht, kommt auch Vorkühle nicht ohne abstrakten Bezug aufs gemeine Wohl aus, dass er jedoch im freien Mandat und in der Pluralität der Meinungen am Werke sieht.

So spricht er von der „Notwendigkeit, um Zustimmung „in den eigenen Reihen“ zu werben, also politische Richtungsentscheidungen innerhalb einer Fraktion mit allen Abgeordneten – also auch den sogenannten Hinterbänklern – zu erörtern und die von ihnen eingebrachten Gemeinwohlerwägungen zu berücksichtigen“. Allerdings dadurch, dass „das freie Mandat der Abgeordneten (..) – im Gleichklang mit der Verpflichtung der Parteien zu innerparteilicher Demokratie – letztlich die Pluralität und Offenheit des parlamentarischen Willensbildungsprozesses gegen die tatsächlich bestehende Gefahr oligopolistischer Entwicklungen innerhalb von Parteien und Fraktionen (sichert)“.

Da ist kein Platz für populistische Parolen, die den Nationalismus nur scheinbar dadurch zähmen, dass sie nicht davon sprechen: erst einmal kommt Deutschland und dann die Partei, sondern scheinbar neutral „Deutsch“ weglassen und nur vom Land sprechen. Zwar sollen nicht, wie es Hitler und die Nationalsozialisten wollten die anderen Parteien beseitigt werden: „Insbesondere mir rechnet man das als schlimmste Absicht an. Sie sagen: Der Mann will auch die anderen Parteien nicht mehr dulden. Ja, sie haben Recht. Sie haben es erkannt! Wir wollen es nicht länger dulden; Deutschland soll nicht in dreißig Gruppen und Parteien zerrissen sein“. Aber gegen die Idee Hitlers: „Wir wollen einen Willen an Stelle dieser Zerreißung setzen!“ hat man im Prinzip nichts mehr einzuwenden, wenn man das Land vor die Partei stellt (Zitate Kieler Zeitung vom 21.7.1932, „Adolf Hitler in Kiel“). Wenn man empfiehlt - gleich Wilhelm II. 1914 - nur noch „das Land“ und seine Bewohner zu kennen, indem man „erst das Land und dann die Partei“ postuliert, dann hat man der Pluralität als Granaten für die beste Lösung ade gesagt und einen zumindest moralischen Zwang zum Gesetzt erhoben. Nämlich in sich jedwedes egoistische Interesse zu meucheln, um so dem Land zu dienen. Voßkuhle sagt dazu, allerdings mit Blick auf die AnruferInnen des Volkes, dass „es einen einheitlichen Volkswillen in Wahrheit nicht gibt, sollte schon deutlich geworden sein. Wenn populistische Politiker gleichwohl behaupten, sie würden – im Gegensatz zu den Politikern der anderen Parteien – sich streng an den Auftrag des Volkes halten, verschleiern sie überdies, dass sie selbst den vermeintlichen Auftrag vorformulieren und – wie alle anderen Politiker – immer nur Interpret von Ideen und Interessen sein können“.

So ist es und die Berufung auf „Germany first“, also „erst das Land…“ ist der Versuch, andere Vorstellungen zu delegitimieren, in dem man einen Mangel an Vaterlandsliebe unterstellt, die man bei sich selbst als Patriotismus (Özdemir/Grüne) ausmacht, während bei den anderen „ Nackter Eigennutz ohne jeden Gedanke an das große Ganze“ entdeckt wird.

Es ist ja kein Zufall, dass ausgerechnet von den Grünen in dem Moment das Lied auf „das Land“, „das große Ganze“, die Nation, Deutschland angestimmt wird, wo die AfD weit vor Grünen, Linken und der FDP im Bundestag angekommen ist und zugleich ausgemacht schien, dass SPD und AfD die Opposition bilden würden.

Zwar nannte man die geplante vaterländische Allianz schön exotisch „Jamaika“ und brachte im Zuge dessen auch schon mal das legale Kiffen in die Sondierungen ein, aber die Grünen akzeptierten auch einen „atmenden Rahmen“ (kein Deckel!) und ein Zahl, aber keine Begrenzung. 200.000 sollte wohl so etwas wie der Name für den „atmenden Rahmen“ sein. Mit einem Wort, die Grünen schickten sich an, programmatischen Plunder zu entsorgen. Vorher vertraten sie Interessen . z.B. die der Geflüchteten - und nun schickten sie sich an, gedanklich die Grenze zu bewachen. Daher: erst das Land und dann die Partei, weil erst das Land und dann der Flüchtling wäre zu abrupt und zu brutal in seiner Ehrlichkeit gewesen, aber natürlich ist das damit gemeint. Erst die Industrie und dann die Gesundheitsinteressen. Erst die Landwirtschaft und dann das Tierwohl usw. usf.

Wenn man wie die Grünen, früher einmalAvocat du monde war und nun kleinere Brötchen backen möchte, dann muss man natürlich ein großes Geschrei anstimmen, um eben von diesem Umstand abzulenken und zugleich deutlich machen, dass man immer noch in heiliger Mission und irgendwie im Auftrag des HErren unterwegs ist. Dass man damit endgültig die Tür einer linken Partei hinter sich geschlossen hat, wird den verirrten und verwirrten Linken in dem Laden vielleicht irgendwann aufgehen. Alle anderen haben es eh schon bemerkt. Robin Alexander fasste es in der Welt vom 24.11. sehr schön zusammen:

Versöhnung zwischen alten Feinden ist immer schön, aber die schwarz-grüne Begeisterung aneinander ist noch schöner. Denn hier wächst zusammen, was zusammengehört. „Das letzte Kapitel im schwarz-grünen Familienroman liegt noch aufgeschlagen vor uns“, beschreibt der Politwissenschaftler Christoph Weckenbrock in seinem erst in diesem Juli erschienenen Buch „Schwarz-Grün für Deutschland?“ die neue Koalition zutreffend fast als zwangsläufig“.

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