Solidarität und die Einsamkeit des SPD-Chefs

Israel 240 Tote. 228 auf palästinensischer und 12 auf israelischer Seite. 63 Kinder wurden getötet, 61 davon auf palästinensischer Seite. Stand 20. Mai 2021.

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Ich stehe auf der israelischen Seite. Meron Mendel, Direktor der Bildungsstätte Anne Frank ist Israeli, weswegen er sich nicht demonstrativ auf die Seite Israels schlagen muss. Dort steht er schon und sieht deswegen viel differenzierter auf die Situation in seinem Land. Er spricht davon, dass wir momentan in Deutschland so eine Art von Fußballstadien-Mentalität“ erleben würden, „wo viele Leute ganz schnell eine Mannschaft suchen, mit der sie sich identifizieren können. Und zwar immer voll und ganz, sei es pro Palästina oder pro Israel“.

Und er spricht vom „Versuch bestimmter Gruppen, die Geschichte wieder gut zu machen und dieses Mal auf der richtigen Seite der Geschichte zu sein. Daher bekunden bestimmte Teile der Bevölkerung eine uneingeschränkte Solidarität mit Israel, wobei nicht bemerkt wird, dass eine Politik von Ministerpräsident Netanjahu unterstützt wird, die auch nationalistisch und rechts gerichtet ist“. Auf der anderen Seite macht er überwiegend bei muslimisch geprägten Migrant:innen den Versuch aus, „sich eine Gruppenzugehörigkeit zu verschaffen. Eine kollektive Identität, die weniger religiös oder auf eine gemeinsame Abstammung bezogen ist als auf einen gemeinsamen Feind – und zwar Israel“.

Kritisch bespricht er den demokratischen Konsens in diesem Land, wonach die Sicherheit Israels Staatsräson sei (Merkel 2008). Er sagt: „Aus meiner Sicht ist so eine Staatsräson gar nicht einzulösen. Stellen wir uns den Fall der Fälle vor, dass deutsche Soldaten an die Grenze von Israel ziehen und für Israel kämpfen? Das ist natürlich ein Horror-Szenario, das auch nie eintreten wird. Und auch die Verpflichtung einzugehen, für die Sicherheit eines anderen Staates einzustehen – für die Ewigkeit und ohne Bedingungen – das ist ein offener Scheck, der nicht einzulösen ist. Das ist nicht mal an das Fortbestehen der israelischen Demokratie geknüpft. Von daher bleibt nicht viel übrig, außer einer Art von routiniertem Lippenbekenntnis der deutschen Politik, immer an der Seite Israels zu stehen. Und dabei wird oft übersehen, dass die israelische Regierung eine hoch problematische Politik vollzieht“.

Ich denke, dass es völlig egal ist, ob Israel demokratisch, religiös-autoritär oder Diktatur wäre, denn die Solidarität mit Israel ist gespeist aus einer historischen Schuld, die allen kommenden Generationen, die sich mit Deutschland assoziieren aufgeben wird, das Existenzrecht des Staates Israel zu verteidigen.

Das Hauptproblem momentan ist m.E., dass bei der Solidarität mit Israel gerne übersehen wird, dass in der Wahrnehmung der meisten Menschen Israel schon lange nicht mehr David, sondern „Goliath“ ist. Aber Israel muß Goliath sein, weil die Sicherheit seiner Bürger:innen auf militärische Stärke aufbaut. Deswegen ist die Frage von Angriff und Verteidigung, also von legitimer Gewalt, keine Frage des Objektiven, sondern eine des Standpunktes. Ich finde es legitim, dass Israel keinen Zweifel daran läßt, dass es auch mit Gewalt sein Existenzrecht verteidigen wird. Mir kommt aber dabei das "auch" zu wenig vor. Dabei muss ich zugeben, dass mir das palästinensische Leid weniger nahe geht, als das der israelisch, jüdischen Bevölkerung. Das ist sehr wahrscheinlich nicht in Ordnung, aber es folgt aus meiner bedingungslosen Solidarität mit dem Staat Israel. Ich glaube aber nicht, dass so ein Zustand der Stärke und einseitigen Interessendurchsetzung auf Dauer trägt und das begründet meine Sorge. Tausende von Raketen gegen Israel ist das eine und die Opferbilanz das andere. Ohne den Angriff der Hamas gäbe es diese Opfer nicht. Aber ohne Israel eben auch nicht. Die Raketen werden aus einem besetzten Land und nicht aus einem Palästinenser-Staat abgeschossen.

Meron Mendel äußert sich zur durchgehend positiven Haltung deutscher Politik und Politiker:innen zur israelischen Politik, die ja sogar soweit geht, dass die SPD ihren eigenen Parteivorsitzenden in der Debatte des Deutschen Bundestages (Aktuelle Stunde, 19.05.) demontieren half, weil sich dieser nach dem Bekenntnis für Waffenlieferungen an Israel erlaubte zu formulieren: „Aber wir haben dann auch den Anspruch, ein Stück gehört zu werden, wenn es darum geht, deeskalierend zu wirken, sich einer Zwei-Staaten-Lösung zu öffnen, Verhandlungen zu führen" (Tagesspiegel, 17.05.2021).

Weniger fordern geht eigentlich nicht, als den Anspruch zu postulieren, ein bisschen gehört zu werden. Das Deutschland, als Meister:in des Todes, allen Grund hat, gegenüber seinen früheren Opfern gebührend leise aufzutreten, berücksichtigt das SPD-Führungspersonal sonst eher weit weniger, als es der Vorsitzende hier tat und dennoch verteidigte nicht einE SPD-AbgeordneteR im Bundestag den Vorsitzenden vor Angriffen wie pars pro toto von Lambsdorff (FDP), der an Willy Brandt 1970 erinnerte, der im Gedenken an den Horror des Warschauer Ghettos auf die Knie gefallen sei, um hierüber die rethorische Brücke zu bauen, Walter-Borjans falle nun als dessen Nachfolger im Amt des SPD-Vorsitzenden Israel in den Rücken.

Meron Mendel sagt zu der allgemeinen Situation: „Ja, und dann fließt es sozusagen in so eine Art von Symbolpolitik hinein, wenn israelische Fahnen auf Rathäusern und Landtagen gehisst werden, was wiederum keine Brücken baut für die Teile der Bevölkerung, die eher Sorgen um die palästinensische Bevölkerung haben“. Und dann fordert er etwas ein, indem er kritisch Bestand aufnimmt: „Mit der Manifestation der uneingeschränkten Solidarität für eine Seite versperren wir uns selbst die Möglichkeit, über die Situation so zu sprechen, dass eine Empathie für die Bevölkerung beider Seiten möglich ist“.

Ich denke, dass beides geht. Man kann einen klaren Standpunkt haben und aus der größeren Empathie für Israel und seiner Bevölkerung, zugleich auch eine empathische Sicht für den arabischen Bevölkerungsteil in Israel und den besetzten Gebieten entwickeln. Ja, man muss es sogar, weil die Politik der Stärke auf Dauer nicht tragen wird. Der arabische Teil der Veranstaltung ist nämlich David, weil Israel keine Insel in einem Meer von arabischen Feinden ist, sondern ein mächtiges Land. Militärisch stark und sogar im Besitz von Atomwaffen. Deswegen könnte es sich auch kooperative Beziehungen zur arabischen Bevölkerung in den besetzten Gebieten leisten. Leicht gesagt und viel schwerer getan, aber reden muss man darüber. Walter-Borjans hat es zumindest versucht.

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