Krisenmanagement statt Coronanie

Covid-19 Wir leben in komischen Zeiten und die Sars-CoV-2-Zeiten sind besonders besonders. Eines aber sind sie nicht, schwer zu verstehen.

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Wir werden - wie immer - von der menschlichen Dummheit im Allgemeinen und im Speziellen von einem tödlichen Virus bedroht, von dem wir annehmen, dass er seinen Ursprung in Fledermäusen und dem Schuppentier Pangolin hatte.Das Virus ist hoch ansteckend und rafft, wenn man sehr wunschorientiert schätzt, ein Prozent der Infizierten hin. Unternähme man nichts, dann vermehrten sich die Anzahl der Infizierten exponentiell.Weltweit sind Forscher dabei, Wissen über das Virus und die von ihm ausgelöste Krankheit zu schaffen. Dabei kann beobachtet werden, wie Wissenschaft funktioniert. Erkenntnis/Falsifikation/modifizierte Erkenntnis/Falsifikation.

Was nicht funktioniert?, ist die Nörgelei im Gewand wissenschaftlicher Redlichkeit. Also zum Beispiel der Hinweis, dass „(d)ie zur Verfügung stehenden epidemiologischen Daten (gemeldete Infektionen, Letalität) (..) nicht hinreichend (sind), die Ausbreitung und das Ausbreitungsmuster der SARS-CoV-2/Covid-19-Pandemie zu beschreiben, und (..) daher nur eingeschränkt zur Absicherung weitreichender Entscheidungen dienen (können)“ (Matthias Schrappe et al.:Thesenpapier zur Pandemie durch SARS-CoV-2).

Der Satz ist richtig. Aber natürlich können weitreichende Entscheidungen auf ungesicherter Datenbasis stattfinden. Zwar sichern Daten Entscheidungen nicht ab, aber immerhin können sie diese begründen. Entscheidungen basieren niemals auf finalen Erkenntnissen, sondern immer nur auf höchst vorläufigen Ergebnissen, da Falsifikation/Verfikation noch nicht stattgefunden hat. Dabei ist die Anforderung an die Erkenntnis, die eine bisherige falsifiziert, dass sie mindestens dem methodischen Anspruch genügt, die zur angegriffenen These geführt hat. Kritische Anmerkungen zur Methode jedenfalls ersetzen keine eigene Methodik, die ihre Überlegenheit auch noch zu beweisen hätte.

Das ist ungerecht, weil die Kritiker mehr liefern müssen, als die Vertreter:innen der aktuell gültigen Erkenntnis, aber auch unumgänglich, will man Wissenschaft betreiben.

Nun wissen wir aber auch, dass das reine Erkenntnisinteresse sich gerne durch Interesse und ganz allgemein von Ideen von der Welt ablenken lässt. Reine Wissenschaft kann es gar nicht geben, sondern nur diejenige, die es halt gibt. Mit allen Stärken und Schwächen.

Die momentane medizinische Wissenschaft und namentlich die Virologie ist - ggf. war - auch geprägt von der Antizipation, dass Gesellschaft und Politik möglichst wenig Tote wegen Covid-19 hinnehmen möchten. Wissenschaftspunks wie Sascha Lobo hatten dafür schon Mitte März nur Spott übrig: „Wider die Vernunftpanik“ hieß sein Besinnungsaufsatz (Spiegel-online 18.03.2020). Diesen Ball hat drei Wochen später Carsten Brosda, SPD und Kultursenator in Hamburg aufgenommen: „Wir dürfen der Zerstörung der Zuversicht durch Politiken der Angst nicht schweigend zusehen“ (ebenda 07.04.2020).

Anders als Lobo, der seine Thesen weitestgehend ohne Flankierung durch medizinischen Sachverstand vertrat, kann Brosda auf ein „Thesenpapier zur Pandemie durch SARS-CoV-2/Covid-19 Datenbasis verbessern. Prävention gezielt weiterentwickeln. Bürgerrechte wahren“ (Matthias Schrappe et al 05.04.2020) bauen, dass u.a. von seinem Kollegen Staatsrat Matthias Gruhl mitverfasst wurde.

Covid-19 schreibt er, „fordert die Grundlagen unseres Lebensmodells jedenfalls frontal heraus“. Er meint aber ganz offenbar etwas anderes: die politische Antwort auf das Virus, fordert uns heraus, deswegen heißt es bei ihm im Weiterem: „Wenn es ums eigene Überleben geht, dann scheinen derzeit nicht wenige bereit zu sein, auf lieb gewonnene und notwendige Freiheiten weitgehend umstandslos zu verzichten und sich dem vermeintlich Alternativlosen zu beugen“.

Das ist wohl so. Dafür ist man sogar bereit, Nahrungsmittel in sich hineinzustopfen, obwohl diese bald wieder ausgeschieden werden. Bisweilen lässt man sich sogar aufschneiden, nur weil man überleben möchte. Hören wir weiter Hamburgs Kultursenator zu: „Der Schock, dass die Unangreifbarkeit der eigenen Existenz durch ein neues Virus so leicht zu erschüttern ist, sitzt tief. Die narzisstische Kränkung, eben doch verletzlich zu sein, schmerzt“. Man könnte auch sagen, die Angst davor, dass man selbst oder jemand aus der näheren Bekanntschaft am Sars-CoV-2-Virus verrecken könnte, lässt Menschen Maßnahmen zum eigenen Schutz sehr gut und ohne Ängstlichkeiten ob anderer Intentionen ertragen.

Wir können also feststellen, dass die verantwortungsbewusste Politik der Bundesregierung und der Länder, zumindest seit man das Virus und die von ihm ausgehende Seuche ernst nimmt, zunehmend aus zwei Richtungen angegriffen wird. 1. unser momentanes Wissen rechtfertigt die Massivität der Eingriffe nicht und 2. die bürgerliche Freiheit ist in Gefahr. Daneben muss noch die soziale Ungerechtigkeit dafür herhalten, die negative Wirkung zu beschreiben, indem ein Umstand beschrieben wird, der sonst möglichst nicht beachtet wird, dass man mit fünf Leuten in drei Zimmern weniger gut lebt, als allein oder zu zweit (Double income – no kids) in einer fünf Zimmer-Wohnung oder einem Haus mit Garten.

Der Zeitraum ist mit Bedacht gewählt. Klar ist nämlich, dass die wirtschaftlichen Aktivitäten zwingend sind, um die Mittel zu erwirtschaften, mit Krisen, wie der momentanen adäquat umzugehen. Allerdings finden Arbeit, Produktion und Konsum ja auch statt, allerdings mit massiven Einschränkungen, allein schon durch die geschlossenen Einrichtungen zur Unterbringung und Unterrichtung von Kindern und Jugendlichen.

Einleuchtend, dass ein modifizierter Lockdown nur zeitweise hinnehmbar ist. Genauso wie die Tatsache, dass man die vorhergehenden Maßnahmen in ihren Wirkungen nicht aufheben darf, sondern perpetuieren muss. Außer natürlich, man bestreitet die Notwendigkeit der Maßnahmen. In diesem Moment verlieren sie ihre Legitimation und in den Vordergrund tritt der (dann verbleibende) repressive Charakter. So wie aus einer Operation Körperverletzung wird, wenn sie ohne hinreichenden Grund durchgeführt wurde.

Dafür aber müssten die Kritiker ansatzweise Belege liefern, was sie bislang nicht tun. Zwar erhalten wir aus Bonn „Zwischenergebnissen“, diese entziehen sich aber bislang noch jeder Nachprüfbarkeit.

Wie es der Zufall will, hat eine Studie aus Oxford, die am 31.03.2020 in Science veröffentlicht wurde, die Debatte um Maßnahmemodifikationen stark befördert, die in ihrer Überschrift auf die zu ergreifende Strategie hindeutet: „Quantifying SARS-CoV-2 transmission suggests epidemic control with digital contact tracing“ (Parker M. et al. Science 31.03.2020). Christian Drosten und zahlreiche andere haben das Thema ebenso wie das Robert Koch-Institut aufgegriffen. Ohne sich auf eine solche Nachverfolgungs-APP explizit zu beziehen, richtet der Hamburgische Kultursenator schon den Bannstrahl auf sie, indem er sich in abstrakte Erörterungen über Freiheit der Debatte und die informationelle Selbstbestimmung ergeht: „Wer jetzt ohne sorgfältige Erörterung an die informationelle Selbstbestimmung oder aber den freien öffentlichen Diskurs herangehen will, der verändert nicht nur kurzfristig die Spielregeln unserer Demokratie, sondern überreizt das staatliche Mandat zum Schutz der Bevölkerung“.

Das entspricht ziemlich genau der These 1 von Matthias Schrappe et al. (Thesenpapier zur Pandemie durch SARS-CoV-2), wonach „(d)ie zur Verfügung stehenden epidemiologischen Daten (gemeldete Infektionen, Letalität) (..) nicht hinreichend (sind)“, um aus ihnen weitgehende, präventive Maßnahmen zum Schutz der Bevölkerung abzusichern.

Einmal ganz abgesehen davon, dass alle Handelnden im Geschäft des Schutzes der Bevölkerung vor der Seuche erklärt haben, dass es bei der infrage stehenden App soviel Datenschutz wie möglich geben soll, dürfte bei ein wenig Nachdenken klar werden, dass der Freiheitseingriff durch eine App, die Daten und Kontakte aufzeichnet ggf. geringer ist, als eine Bewegungsbeschränkung oder Tätigkeitsverbote oder gar Konzeptionen, die ganze Risikogruppen einer verschärften Quarantäne unterwerfen möchten.

Deswegen ist die Infragestellung der Verhältnismäßigkeit der bestehenden Maßnahmen so wichtig. Nur wenn sie als „hysterisch“ „panisch“ oder doch übertrieben darstellbar sind, macht die Gegenüberstellung mit Freiheitsrechten überhaupt Sinn, weil anderenfalls man sich hauptsächlich lächerlich macht. Wer im Rettungsring steckt und die Beschränkungen, die von ihm ausgehen, beklagt, dem würde man auf offener See kaum Beachtung schenken, in einem Gewässer, in dem er stehend Luft bekäme aber schon.

Der Hamburgische Kultursenator jedenfalls gefällt sich in gelehrigen Betrachtungen, die zum Thema wenig beitragen und die Arbeit der Krisenmanager aus der völlig falschen Perspektive anstrahlen.

Nach der unmittelbaren Angst um die Gesundheit und der Sorge vor den wirtschaftlichen Folgen der gesellschaftlichen Vollbremsung, werden deshalb zu Recht die Stimmen lauter, die fragen, welche Auswirkungen die Beschränkungen zur Bekämpfung der Corona-Pandemie auf unsere Demokratie haben werden“. Was sich 2013 nach „Unterrichtung durch die Bundesregierung“ (3. Januar 2013) geziemt hätte, als diese eine Risikoanalyse veröffentlicht (Drucksache 17/12051) hatte, in der sich Experten mit der Frage auseinandersetzen, was im Fall eines erstmalig auftretenen Corona-Virus aus der SARS-Familie im schlechtesten Fall passieren könnte, ist in Zeiten ansteigender Infiziertenzahlen und Todesfälle, also des Überganges von der Theorie zur Praxis nur dann sinnvoll, wenn es sehr konkret stattfindet und klar benennt, was geändert werden soll. Schon die Idee ist absurd: „Die Debatte darüber kann uns helfen, die Grundlagen unseres Gemeinwesens im Blick zu behalten“. Niemals war die Grundlage stärker humanitär basiert, als in einer Zeit, in der das Primat der Ökonomie - wenngleich nur temporär - abgelöst ist, durch das Primat der körperlichen Unversehrtheit in Bezug auf Sars-CoV-2. Dass Brosda dann auch noch ausgerechnet Frank Biess ins Spiel bringt, der letztes Jahr eine Geschichte der Bundesrepublik unter der Perspektive unterschiedlichster Ängste schrieb, zeigt die ganze Selbstbezogenheit Brosdas Aufsatzes. “Gerade die Sorge um die freiheitliche Demokratie könnte also eine Ressource zu ihrer Sicherung sein. Wir sollten uns gut überlegen, so der Historiker, wovor wir uns ängstigen wollen. Denn diese Ängste könnten in der Tat die Zukunft verhindern, die sie imaginieren."

Ja, wer Angst vor der Pharmaindustrie hat und sich deswegen, trotz ernsthafter Krankheit auf Globuli verließe, der/die dürfte mit ziemlicher Sicherheit die Zukunft verhindern, die er/sie sich erhofft. Diejenigen aber, die eine Pandemie zu managen haben, schränken Rechte ein, weil dies das Überleben der größten Zahl gebietet. Dabei passieren Fehler. Maßnahmen werden unter- und übertrieben, manche kommen zu früh, einige zu spät. Es werden Experten gehört und nicht gehört usw. usf.

Spätestens wenn ein Impfstoff in Sicht ist, werden wir diese Pandemie auswerten und es werden hoffentlich viel mehr sein, die sich an der Auswertung beteiligen können, als es ohne Krisenmanagement und „Allgemeinverfügungen“ gewesen wären.

Natürlich muss niemand bis dahin mit Kritik warten, aber es wirkt schon etwas befremdlich, wenn Mitglieder aus dem Hamburger Senat die Politik des Bundes und der Länder so infrage stellen, wie dies Carsten Brosda und Matthias Gruhl als Mitglieder einer Regierung tun, deren Job es ist, die Seuche effektiv zu bekämpfen. Klar macht es Sinn auf konkrete Kritik einzugehen und auch zu zeigen, was man an ihr für berechtigt hält. Hier aber geschieht etwas ganz anderes. Hier beteiligen sich zwei zurzeit noch Regierungsmitglieder an der Delegitimierung der mit den Ländern abgestimmt und konzertierten Politik zur Eindämmung von Covid-19.

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