Notizen aus der Provinz - Das Hummeressen

Hamburg Schlagzeilen um unziemliches Schlemmen auf Malta. Im Mittelpunkt die Hamburgische Justizsenatorin. Eine Politikposse mit Aufklärungspotential.

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Mitte 2017 nahm die jetzige Justizsenatorin Anna Gallina an einem Einsatz der deutschen Organisation Sea-Eye vor der libyschen Küste teil. Nach eigenen Angaben hatte die Organisation bis dato 8120 Menschen aus dem Mittelmeer gefischt. Laut Welt vom 15.05.2017 begründete Gallina ihre zum damaligen Zeitpunkt noch in Planung befindlichen Einsatz so: „Ich bin in den nächsten Wochen vor Libyen unterwegs, weil ich einen Beitrag zur Rettung der Menschen leisten möchte“ und „(m)ein Einsatz ist ausdrücklich auch als Solidaritätsbekundung für die NGOs vor Ort zu begreifen, die in Italien massiv diskreditiert werden.“

Italien ist europäischer Randstaat und hat deswegen ungleich viel mehr Probleme mit Flüchtlingen, die ihr Glück über den Seeweg versuchen, als das Land, aus dem Gallina kommt. Deutschland ist umgeben von EU-Staaten und der Schweiz, in der das Schengen-III-Abkommen – dazu gleich mehr – ebenfalls gilt. Nach den nationalen Gesetzen der Bundesrepublik Deutschland, müssten hier fast gar keine Flüchtlinge aufgenommen werden, denn jedeR die/der Deutschland erreicht, hat zuvor sichere Drittstaaten durchquert. Formal wird das durch die „VERORDNUNG (EU) Nr. 604/2013 DES EUROPÄISCHEN PARLAMENTS UND DES RATES zur Festlegung der Kriterien und Verfahren zur Bestimmung des Mitgliedstaats, der für die Prüfung eines von einem Drittstaatsangehörigen oder Staatenlosen in einem Mitgliedstaat gestellten Antrags auf internationalen Schutz zuständig ist“ geregelt. Kurz: Dublin-III.

Nun kann man an diesem zurückliegenden Einsatz viel loben und kritisieren. Loben könnte man, dass Gallina offenbar das Herz am rechten Fleck hat, dass sie nicht nur redet, sondern auch handelt, wenn es ihr notwendig erscheint. Kritisieren könnte man, dass die selbsternannte Hilfsmission im Rahmen privat organisierter „Seenotrettung“ nicht nur aktiv Menschen rettet, sondern sie zum Teil auch erst auf die Idee bringt, den Weg über das Meer zu wagen. Ebenso, dass die Folgen der Rettung Staaten wie Malta, Italien, Griechenland und Spanien aufgebürdet werden. Angemerkt werden könnte, dass Geflüchtete aus Tunesien weder politisch verfolgt, noch ihr Leben gefährdet war, bevor sie versuchten in seeuntauglichen Nussschalen das Mittelmeer zu überquerren. Übrigens: es gibt einen starken Anstieg der Zahl der Flüchtlingsboote aus Tunesien, die Lampedusa erreichten. Seit Jahresbeginn erreichten laut italienischen Innenministerium (September 2020) 21.000 Bootsflüchtlinge Italien, darunter 9.000 Tunesier [vergl.: „Scharfe Kritik an Festsetzung der ‚Sea-Watch 4‘“ (MigAzin, 22.09.2020)].

Man könnte auch kritisieren, jetzt wo Anna Galina so etwas wie die Hamburgische Lordsigelbewahrerin des Rechts ist, dass sie damals das Recht in die eigene Hand genommen und für sich eine Art Notstand gegen das flüchtlingsfeindliche Handeln der italienischen Regierung proklamiert hat.

Das alles aber wird nicht kritisiert, sondern ein Hummeressen auf Malta. Dabei steht offenbar weder fest, ob die Rechnung, die von Gallinas damaligen Lebensgefährten Osterburg übernommen wurde, zugleich auch falsch als Auslage im Rahmen seiner Tätigkeit in der Bezirksversammlung Hamburg-Mitte abgerechnet worden ist. Hamburg-Mitte umfasst zwar die Insel Neuwerk, ist aber für Malta auch bei weitester Auslegung definitiv nicht zuständig. Ebenso ist fraglich, ob Gallina selbst an der Verspeisung eines Hummers beteiligt war, ob auf Malta oder anderswo. Nach ihren eigenen Einlassungen – dazu gleich mehr – isst sie keinen Hummer. An dem Essen, für das Osterburg die Rechnung beglich, war sie beteiligt und der Aufenthalt auf Malta, stand im Zusammenhang mit ihrem Engagement bei Sea-Eye 2017.

Gallina ist seit Monaten Objekt eines Qualitätsjournalismus, der die langweilige Geschichte von einem überaus rührigen Fraktionschef der Grünen in Hamburg-Mitte, der diesen soviel kommunale Anerkennung erarbeitet hatte, dass diese bei der letzten Bezirkswahl die bislang stets führende SPD überholten, der aber dabei offenbar zu große Freiheiten bei der Abrechnung seiner Ausgaben genoss, dadurch aufpimpt, dass er Senatorin Galina ins Spiel bringt. Der simple Gedanke: kein Schwein interessieren die ggf. falschen Abrechnungen eines ehemaligen Grünen, der nicht einmal mehr sein kommunales Mandat ausübt. "Was ist ein Dietrich gegen eine Aktie?“, was die Abrechnung eines Essens, dass nicht durch Mandatstätigkeit veranlasst ist? Zumal in Hamburg, wo zweistellige Millardenbeträge im Zusammenhang mit der ehemaligen Landesbank (HSH_Nordbank) verblasen wurden und man dem Bankhaus Warburg seine mühsam ergaunerten Millionen aus Cum Ex-Geschäften nicht durch belastenden Steuerbescheid abnehmen wollte. Da kam es gerade recht, dass die Grünen auf die gloriose Idee verfielen, den Juristen Till Steffen aus dem Senat (Landesregierung) abzuziehen und die Vorsitzende der Grünen in Hamburg, eine Politikwissenschaftlerin, zur Justizsenatorin vorzuschlagen. Damit gab es eine – losgelöst von allen anderen Problemen dieser Stadtregierung - umstrittene Personalie im Senat. Galt es doch bis dahin als abgemacht, das Justizressort mit eine(m)r Jurist:in zu besetzen.

Ein weiterer nicht unbedingt naheliegender, aber ebenso simpler Gedanke gesellte sich zu dem der umstrittenen Personalie, dass Osterburg durch die vermutete Untreue zugleich Vorteile für Frau Gallina während des Bestehens der Partnerschaft erzeugt hat. So war sie Begünstigte des Verbrechens(!). Da das Verbrechen(!) auch durch Restaurantquittungen geschah bzw. angebahnt wurde, die als Bewirtungsbelege ausgestellt wurden und Gallina dies mitbekommen haben muss, schlussfolgern Qualitätsjounalisten, bzw. lassen schlussfolgern, dass die jetzige Justizsenatorin etwas von den unsauberen Methoden des Exfreundes mindestens geahnt haben muss.

Zwar weiß die Öffentlichkeit noch nicht einmal, ob sich Osterburg der Untreue gegenüber der Fraktion schuldig gemacht hat, oder ob die Entnahme aus der Fraktionskasse womöglich auf Abreden mit der Fraktion oder des Fraktionsvorstandes zurückgehen. Was ich hiermit auch keineswegs unterstellen, sondern nur darauf hinweisen möchte, dass Osterburg bislang in den Augen der Justiz als unschuldig gilt.

Gallina aber hätte das noch nicht festgestellte Unrecht erahnen müssen und wenn sie es nicht erahnt hat, dann hat sie womöglich die eigene Interessenlage am Erahnen gehindert. Wenn es so sein sollte, dass durch Essen und Ausgaben für Kinderbetreuung ein Teil der Beute bei ihr gelandet ist – und das wird so sein, wenn stimmt, was die Staatsanwaltschaft vermutet – dann ist sie mittelbar beteiligt, wenn auch nicht Beteiligte. Das gilt zwar auch für den schwatzhaften italienischen Wirt, der den Qualitätsjournalisten verriet, dass Osterburg meist mit seiner Freundin bei ihm gespeist hat und anschließend stets Bewirtungsbelege bei ihm abforderte. Auch er war mittelbar beteiligt, wie alle, die private Leistungen für Osterburg erbrachten, wenn er sie denn als Fraktionsausgaben abgerechnet haben sollte. Allein, niemand von den anderen ist Senator(in) und so ist es an Gallina, die Hefe für stete Berichterstattung über einen Ex-Kommunalpolitiker der Grünen zu sein, der vielleicht etwas zu großzügig seine Ausgaben abgerechnet hat.

Bislang störten sich die Grünen offenbar nicht am Geraune der Qualitätsmedien über die Justizsenatorin, der man vermittels des Vaters eines ihrer Kinder hinter dem Etikett „umstritten“ jetzt ein Ausrufezeichen anhängte und die man beständig mit dem Verdacht der Untreue gegen ihren Expartner versuchte zu assoziieren. Jedenfalls schien man ihr nicht den Rat gegeben zu haben, sich öffentlich zu erklären. Das geschah erst, als das größte Qualitätsmedium des Landes und der Stadt enthüllt hatte, dass die Senatorin nach der Rettung von Schiffsbrüchigen einen Hummer über die Klinge springen ließ. Nun sollte sich Gallina erklären. Das tat sie und äußerte „Verständnis dafür, dass ein solches Essen Irritationen und Empörung bei den Menschen hervorruft. Dafür möchte ich mich ausdrücklich entschuldigen.“

Warum eigentlich? Selbst wenn es Gallina nach ihrem Sea-Eye-Abenteuer nach französischen Wein mit viel Kohlensäure gedürstet hätte, es ist ihre Privatsache. Wer weiß, was sie alles mit Osterburg außerhalb von Restaurants und fern von Quittungen und Belegen getrieben hat? Völlig egal. Das Private ist nicht politisch, bestenfalls in seiner Verallgemeinerung. Das individuelle Privatleben von Politiker:innen geht niemanden etwas an. Wer darin herumschnüffelt, der betreibt nicht Aufklärung, sondern will das Volk verdummen, indem niedrigste Instinkte bedient werden. Da es die Wähler:innen der Grünen nicht besonders erschüttern, sondern auf begeisterte Aufnahme vor allem bei einigen Wähler:innen von SPD, CDU, FDP, Die Linke und AfD stoßen wird, ist umso unverständlicher, warum die Grünen und die Justizsenatorin sich für Essen entschuldigen, bei dem auch Hummer gegessen wurde.

Das Ganze ist eine ziemlich offensichtliche Ablenkung von wirklichen Skandalen, aber vor allem der Versuch, die Justizsenatorin unter Druck zu setzen. Sie soll sich in der Öffentlichkeit zum Fall ihres Exfreundes erklären. Es ist weniger unapetitlicher Voyeurismus, denn der Versuch, dass sich eine Justizsenatorin zu einem Thema einlässt, dass Gegenstand der Ermittlungen ihrer Behörde ist. Macht sie das, egal wie sie sich öffentlich erklärt, dann ist der Rücktritt oder ihre Abberufung nur noch eine Frage der Zeit. Auf einem anderen Blatt steht, ob und wie sie sich gegenüber der eigenen Behörde, also der ermittelnden Staatsanwaltschaft, erklären wird. Zu vermuten ist allerdings, dass auch diese Details, wie bislang so viele in diesem Verfahren, via der hierfür einschlägigen Medien, das Licht der Öffentlichkeit, im sensationsgeeignetem Zuschnitt erblicken werden.

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