Aufstand der Massen?

Rechtspopulismus Zwei Autoren haben sich mit rechtspopulistischer Mobilisierung und linken Gegenstrategien befasst. Unmittelbare Faschismus-Gefahr sehen sie nicht; doch getan muss etwas

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Ein gewisse Empfänglichkeit von Bürgerinnen und Bürgern für rechte Ideologien, einhergehend mit Ausländerfeindlichkeit, hat es in der BRD immer gegeben. Das drückte sich zu bestimmten Zeiten auch an den Wahlurnen in vermehrten Stimmen für die NPD oder Republikaner aus. Doch opportun, rechtsdrehendes Gedankengut öffentlich und in Medien zu äußern war das freilich nach 1945 nicht. Doch verschwunden war es nie. Derlei Gerede blieb zumeist von den alkohol- und rauchgeschwängerten Dunstglocken über Stammtischen gedeckelt oder wurde hinter zugezogenen Gardinen bzw. hinter vorgehaltenen Händen getuschelt. Erst die rassistisch gefärbten, niedergeschriebenen Ergüsse „des geistigen Brandstifters Sarrazin“ (S. 5) machte bislang Zurückgehaltenes bis in bürgerliche Kreise hinein in größerem Maße salonfähig.

Der Schoß war fruchtbar noch

Die Autoren der Broschüre „Aufstand der Massen? Rechtspopulistische Mobilisierung und linke Gegenstrategien“, Peter Rath-Sangkhakorn und Werner Seppmann, halten es allerdings „trotz der großen Zustimmungswelle die Sarrazin auslöste, für eine Fehleinschätzung“ (S.6 oben), dessen „Aktivitäten als ursächlich für die aktuelle Rechtsentwicklung anzusehen“. Vielmehr sei dessen Erfolg „selbst nur Symptom einer mal schleichenden, mal offensichtlichen Rechtsentwicklung seit den ‚Wendezeiten‘.“

Sarrazin habe zunächst verunsicherte, mittelständische Existenzen erreicht. Zugleich aber „ein Publikum weit über die den Kreis einer ‚gefestigten‘ Rechten hinaus“ (S. 6 Mitte) erreicht. Da schon hätten sich „die Konturen eines rechts-populistischen Blocks“ abgezeichnet. Was aber durchaus „keine Neukonstituierung“ dargestellt habe: „Es trat nur zu Tage, was latent schon vorhanden war: Der Schoß war „fruchtbar noch, aus dem das kroch“ (Bert Brecht).

Ursachen der Rechtsentwicklung

Die Autoren arbeiten sehr gut heraus, dass die Ursachen für die Rechtsentwicklung bei weitem nicht allein bei Sarrazin und der heraufgekommenen AfD zu suchen sind. Vielmehr sei das in einer nach 1990 forcierten Neoliberalisierung der Gesellschaft und auch der wiederum damit in direktem Zusammenhang stehenden Finanz- und Weltwirtschaftskrise zu verorten. Entwicklungen, aus welchen die AfD bestens Nektar ziehen konnte. Eine auseinanderfallende Gesellschaft und eine nicht zuletzt durch die Agenda 2010 zunehmende Prekarisierung und die damit verbundene „Produktion“ von immer mehr gesellschaftlichen Verlierern und an den Rand gedrängten, in und von den Jobcentern gedemütigten und gegängelten, Menschen taten das Übrige. Die 2015 nach Deutschland gekommen Flüchtlinge verstärkte die Ängste vieler Menschen. Was der AfD wie gerufen kam. Die AfD bietet scheinbar einfache Lösungen. Das verfängt. Obwohl kaum Menschen das Wahlprogramm dieser Partei lesen. Täten sie es, begriffen deren Wähler, dass diese Partei mitnichten ihre Interessen vertritt.

Linkspartei und Gewerkschaften in der Kritik

Ungeschickt, kritisieren die Autoren, auf die gesellschaftlichen Entwicklungen, wie auf die AfD, reagierten auch Linkspartei und Gewerkschaften. Auf Seite 19 lesen wir:

„Grundsätzlich gilt – und das lehrt die Erfahrung aus den sozialen Kämpfen der Vergangenheit – dass wer den den herrschenden Kräften etwas was abringen will, den Kapitalismus grundsätzlich in Frage stellen muss! Orientiert man sich vorrangig auf die Perspektive des Mitregierens und richtet man seine Politik am Horizont möglicher Koalitionspartner aus, gerät man schnell in den Ruf, selbst zu ‚denen da Oben‘ zu gehören, denen nicht zu trauen ist. Man wird vom Modergeruch des Leichnams Sozialdemokratie affiziert, wenn man glaubt um ‚Regierungsfähig‘ zu werden, in der Friedensfrage (Nato-Mitgliedschaft) oder hinsichtlich des Hartz-IV-Skandals ‚Kompromisse‘ eingehen zu müssen.“

Darüber hinaus wird auf Seite 31 thematisiert, dass es an entsprechenden Informationen fehle, warum es Arbeitslosigkeit gibt und sich gesellschaftliche Armutszonen trotz der ständig in Regierungsmund geführter Aufschwungsentwicklung ausbreiteten.

Doch wer sollte diese Aufklärung der Menschen übernehmen? Viele Menschen seien nicht zuletzt durch den „Hartz-Schlag“ (S. 36), der „eine soziale Abstiegsautomatik installiert“ habe, stigmatisiert und „auf eine schiefe und rutschige Bahn des sozialen Abstiegs gesetzt“. Dieser dem „zugrunde liegende Zwangsmechanismus funktioniert auf der Grundlage der arbeits- und sozialrechtlichen Konterreformen der Schröder/Fischer-Regierung“ reibungslos. Sie bewirkten Armut per Gesetz bedeuteten gleichzeitig auch Diskreditierung per Gesetz.

Die etablierten Parteien haben ihren Anteil an der Entwicklung

Beim Lesen der Broschüre wird klar, dass nicht nur die SPD (Agenda 2010) zusammen mit den Grünen mit ihrer Regierungspolitik, sondern auch die Unionsparteien mittels Äußerungen über die Jahrzehnte hinweg Rechtsentwicklungen zumindest befeuert haben. Beispielsweise wird der bayrische Ex-Ministerpräsident Edmund Stoiber zitiert, welcher einst von einer „durchrassten Gesellschaft“ gesprochen hatte.

Auch müsste die FDP hier genannt werden. Sie kommt in der Broschüre jedoch nicht vor. Guido Westerwelle hat mit Blick auf Hartz-IV-Empfänger in einem Beitrag für die „Welt“ von „anstrengungslosem Wohlstand“ und „spätrömischer Dekadenz “ gesprochen.

Rechtsextremismus auch Antwort auf Unglaubwürdigkeit etablierter Politik

Auf Seite 44 wird herausgearbeitet, „dass der Rechtsextremismus auch eine Antwort auf die Unglaubwürdigkeit der etablierten Politik, auf die Sprachlosigkeit derer Repräsentanten angesichts des elementaren sozialen Wandels und der tiefgreifenden gesellschaftlichen Positionsverschiebungen ist.“

AfD-Wähler hätten dagegen das Gefühl „ernst genommen“ zu werden.

Dazu käme, dass es bei den etablierten Parteien eine „Profillosigkeit gegen rechts“ gebe. Rechtsextreme wie rechts-konservative Parteien hätten „die gleiche schweigende Mehrheit der Deutschen im Auge, die sie für sich gewinnen oder behalten wollen“.

Herauskristallisieren die beiden Autoren auf Seite 53: „Das faschistische Gedankengut wurde in den Nachkriegsjahrzehnten nicht wirklich überwunden, sondern nur verdrängt.“

Und sie zitieren Adorno:

„Was die Menschen sagen, und in etwa auch, was sie wirklich denken, hängt weitgehend vom geistigen Klima ab, in dem sie leben; ändert sich dieses Klima, passt sich sich der eine schneller an als der andere.“

„Eine unmittelbare faschistische Gefahr“ sehen die Autoren indes gegenwärtig nicht. Verbreitete „Skepsis über die Zukunftsfähigkeit des Kapitalismus werde durch die Belanglosigkeit „postdemokratischer“ Politikrituale, die Einbindung des politischen Widerspruchsbegehrens in inhaltsleere Politikinszenierungen neutralisiert“.

Eine Gefahr immerhin wird darin gesehen, dass es („wie vor 1933“) gelingen könnte „Massenprotest umzulenken“ und den „Verzweifelten Orientierungsmöglichkeiten zu bieten, ohne die bestehende Gesellschaftsstruktur zu gefährden“. „Dass sie diese Effekte zu erzielen in der Lage ist, hat die AfD schon jetzt unter Beweis gestellt! Auch 1933 ‚erfolgte die Machteroberung durch die faschistische Partei mit der aktiven Unterstützung oder wohlwollenden Duldung der in der bürgerlichen Demokratie herrschenden Gruppen‘ (K. Kliem/J. Kammler/R. Griepenburg)“.

Warnend geben Sanghkakorn und Seppmann zu bedenken:

„Es ist – gelinde gesagt – naiv, aus dem leidlichen Funktionieren des Verfassungsstaates in einer politischen Schönwetterperiode auf die universale Geltung von demokratischen Prinzipien zu schließen.“

Sie treten damit Jürgen Habermas und dem von ihm gegen Rechts als Abwehrmechanismus ins Feld geführten „Verfassungspatriotismus“. Dieser sei „kaum mehr als die ideologische Spiegelung einer „Wohlstandsgesellschaft“, die ihren Zenit schon lange überschritten hat.“

Partielle Korrekturen reichen nicht. Eine große soziale Bewegung wird gebraucht

Partielle „Korrekturen“ würden an der gesellschaftlichen Situation nichts ändern, heißt es. Wohlhabende müssten „in angemessener Weise an den Gemeinschaftsausgaben beteiligt werden“.

Ein Bollwerk gegen den rechten Formierungsblock könne letztlich nur eine große soziale Bewegung sein, welche mehr als nur Aufklärungsarbeit leiste und deshalb „neue Lebensperspektiven und eine realistische Zuversicht“ vermitteln müsse.

Derweil ist ein große soziale Bewegung – obwohl dazu keine Alternative bestehe -, die das leisten könne nicht Sicht. Ein Verzicht auf überschreitendes Denken, die Unentschlossenheit, die linke Kräfte heute bei der Entwicklung einer sozialistischen Alternative samt gesellschaftsverändernden Konzepten als Voraussetzung ihrer Durchsetzung an den Tag lege, spiele und arbeite den restaurativen Kräfte in die Arme“.

Auf der Rückseite der Broschüre lesen wir:

„Die vor allem unter Rot-Grün forcierte sozialdarwinistische Politik – Stichwort Agenda-Politik – war das neoliberale Treibhaus, in dem der Zustand der Verwirrung und Desorientierung in Politik und Gesellschaft befördert wurde. Das inhumane Weltbild der neuen Rechten stellt die ‚alternativlose‘ Fortsetzung einer visionslos gewordenen Politik dar, die Symptome statt Ursachen und Opfer statt Täter bekämpft.“

Gleichzeitig wirft die Broschüre freilich die Frage auf – bzw. beantwortet diese – warum von den negativen gesellschaftlichen Entwicklungen in Folge eines rücksichtslosen Neoliberalismus nicht die linken Kräfte profitieren.

Unbedingte Leseempfehlung!

Die Broschüre:

Peter Rath-Sangkhakorn/Werner Seppmann

Aufstand der Massen?

Rechtspopulistische Mobilisierung und linke Gegenstrategien

72 Seiten, 5 Euro

pad-Verlag – Am Schlehdorn 6 – 59192 Bergkamen / pad-Verlag@gmx.net

ISBN 978-3-88515-282-8

Dieser Beitrag gibt die Meinung des Autors wieder, nicht notwendigerweise die der Redaktion des Freitag.
Geschrieben von

asansörpress35

Politischer Mensch, der seit der Schulzeit getrieben ist, schreibend dem Sinn des Lebens auf die Spur zu kommen.

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