Blumen für Stukenbrock

Gedenken In den Jahren 1941-1945 wurden von den Nazis im Stalag 326 in Stukenbrock 65 000 sowjetische Kriegsgefangene zu Tode gequält. Rolf Becker hielt eine eindrucksvolle Rede

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Am vergangenen Wochenende führte der Arbeitskreis „Blumen für Stukenbrock“ wieder eine Gedenkveranstaltung für die 65 000 in Stukenbrock von den Nazis zu Tode gequälten sowjetischen Kriegsgefangenen durch. Der Arbeitskreis möchte damit die Erinnerung an das Kriegsgefangenenlager für sowjetische Kriegsgefangene – Stalag 326 – wachhalten. Und so dazu beitragen, dass der Friede zwischen den Menschen und den Völkern erhalten bleibt. Der Mord an den sowjetischen Kriegsgefangenen war systematisch organisiert worden. Deren einzelnen Grabstätten und die Massengräber des sowjetischen Soldatenfriedhofs zeugen von dem unvorstellbaren Verbrechen, das die Wehrmacht an den Kriegsgefangenen verübte.

Dortmunder Gruppe nahm am Gedenken „Blumen für Stukenbrock“ teil

Auch aus Dortmund, organisiert vom "Förderverein der Gedenkstätte Steinwache-Internationales Rombergpark-Komitee e.V. ", nahm abermals eine Gruppe am Gedenken „Blumen für Stuckenbrock“ teil.

Zunächst besichtigte die Gruppe die Hinterlassenschaften des Stalag 326. Sie befinden sich auf dem Gelände des Landesamtes für Ausbildung, Fortbildung und Personalangelegenheiten der Polizei (LAFP) in Schloss Holte-Stukenbrock befindende Stalag 326. Dort erhielten sie eine zur Orientierung dienende kurze Führung von der Ehrenamtlichen Hilla Westerhelweg vom Bus aus. Am meisten dürfte den Menschen die „Entlausung“, eine graues barackenartiges Steingebäude ,wohin man die eintreffenden Kriegsgefangenen zunächst brachte, in Erinnerung geblieben sein. Nachdenklich machend auch ein tonnenschwerer Eisenklumpen vor dem Gebäude. Der soll die

65 000 ums leben gekommenen Strafgefangenen symbolisieren. Der Klumpen sinkt jedes Jahr 30 Zentimeter in die Erde und wird eines Tages verschwunden sein. An der Vorderfassade des barackenähnlichen Steingebäudes ist eine überdimensionale Laus angebracht. In einem anderen Gebäude nahm der Lagerarzt der Nazis Versuche an den Strafgefangenen vor.

Trägerschaft der Gedenkstätte Stalag 326 wird neu geordnet und zum Bildungsträger entwickelt

Zur Information: Bis 2020 soll die Trägerschaft der Gedenkstätte Stalag 326 neu geordnet sein (sh. Beitrag im Westfalen-Blatt). Die Gedenkstätte soll sich zu einem Bildungsträger entwickeln. Kürzlich zeigten Archäologen Fundstücke, die bei Ausgrabungen zutage gekommen waren (Bericht des WDR hier)

Von Freitag bis Sonntag fand wieder ein Jugendcamp auf dem Gelände der Gedenkstätte statt.

Kranzniederlegung am Obelisken. Anwesend waren der russische Generalkonsul, der NRW-Landtagspräsident und weitere Persönlichkeiten

Viele Kränze und Blumen wurden zum Gedenken am Obelisken abgelegt. Persönlich erschienen, um einen Kranz abzulegen waren Vertreter des Generalkonsulats der Russischen Föderation in Bonn unter Leitung von Generalkonsul Wladimir V. Sedykh. Persönlich zugegen war u.a. auch der Präsident des Landtages André Kuper. Zu Füßen des Obelisken befand sich auch ein Kranz vom Ministerpräsident des Landes NRW.

VertreterInnen von Parteien und Verbänden waren erschienen. Ebenso Annelie Buntenbach, Mitglied des DGB-Bundesvorstandes

U.a. Marion Köster, Bezirksvorsitzende DKP Ruhr-Westfalen.

Zur Gedenkfeier dargebracht wurden einige musikalische Beiträge und Rezitationen von Gedichten.

Ein Grußwort von einem Zeitzeugen wurde verlesen

Professor Wladimir Naumow war im Alter von 11 bis 13 Jahren in der Bleich AG als Zwangsarbeiter interniert und hat im Mai 1945 als 13-Jähriger an der Einweihung des Obelisken teilgenommen. In seinem Grußwort an die diesjährige Veranstaltung schreibt er:

„Wir begrüßen die Initiative von Bürgern der Region zur Schaffung einer Gedenkstätte von nationaler Bedeutung in Stukenbrock. Damit entstehen neue Chancen, sich mit den Verbrechen an den sowjetischen Kriegsgefangenen und den Verbrechen in der NS-Zeit wie auch den Versäumnissen und der Ignoranz der Nachkriegszeit auseinanderzusetzen.“

Tief beeindruckende Rede des Schauspielers und engagierten Gewerkschafters Rolf Becker

Hauptredner auf der Veranstaltung war der Hamburger Schauspieler und engagierte Gewerkschafter Rolf Becker.

Der 84-jährige Becker hielt während eines ausgerechnet kurz nach Beginn seiner Rede einsetztenden Regenschauers (beschirmt von zwei sich abwechselnden Veranstaltungsteilnehmern) eine hochemotionale, die Anwesenden tief beeindruckende Ansprache am Obelisken.

Becker begann seine Ansprache so:

Dank Ihnen und Euch, Dank allen im Arbeitskreis „Blumen für Stukenbrock“ für die jahrzehntelange Arbeit zur Entwicklung und zum Erhalt dieser Gedenkstätte, Dank, dass ich hier bei Euch und mit Euch sein darf – in gemeinsamer Teilnahme und Sorge.

Sorge, weil – wie bereits angesprochen - ein weiterer Krieg droht, der die Unermesslichkeit des in den zwei Weltkriegen Erlittenen noch zu übersteigen droht – Folge auch der Tatsache, dass sich die deutschen Nachkriegsregierungen einer konsequenten Aufarbeitung des vermeintlich Vergangenen verweigert haben und bis heute verweigern.“

Der Schauspieler zitierte Christa Wolf:

Das Vergangene ist nicht tot; es ist nicht einmal vergangen. Wir trennen es von uns ab und stellen uns fremd.“

So wie bei diesem Obelisken mit dem Abtrennen und Ersetzen der sowjetischen Fahne durch das orthodoxe Kreuz. Ich habe nichts gegen Kreuze und nichts gegen das orthodoxe. Aber ich habe etwas gegen Verfälschen des Gedenkens, die Missachtung der wenigen, die das Leiden in diesem Todeslager überlebten – die mit diesem Obelisken nicht nur der Vielzahl ihrer umgekommenen Mitgefangenen ein ehrendes Zeichen gegeben haben, sondern zugleich uns, den Nachgeborenen den Auftrag, unser Denken und Handeln so einzurichten, dass sich staatlich verordnete Verbrechen wie in den Jahren faschistischer Herrschaft in Deutschland nicht nochmals ereignen können.

Arno Klönne, der, wie sie wissen, das Lager seit 1941 kannte, als die ersten sowjetischen Kriegsgefangenen hier eintrafen, und durch den ich vor etlichen Jahren erstmals von der Existenz dieses Lagers erfuhr, bestand bis zu seinem Tod darauf, der aus Glas gefertigten Flagge der Sowjetunion ihren ursprünglichen Platz zurückerhält:

"Denkmalschutz müsste bedeuten, dass ein Symbol der Erinnerung die Form behält, für die sich jene Menschen entschieden hatten, aus deren Lebensgeschichte es hervorging. Alles andere wäre Verfälschung von Geschichte."

Ich schließe mich der Forderung von Arno Klönne und allen, die sich seit Jahren um die Wiederherstellung dieses Obelisken in seiner ursprünglichen Form bemühen, ausdrücklich an – verbunden zum einen mit dem Hinweis, das gebe ich zu bedenken – auch denen, die sich dem verweigern – mit dem Hinweis, dass zum einen die sowjetische Fahne seit einem Vierteljahrhundert nur noch Erinnerung ist, aber andererseits mit dem Bekenntnis zu ihrem Rot – mit Pablo Neruda: „Tropfen für Tropfen aus Blut“.

Blut – im zurückliegenden Krieg, an dessen Beginn am 1. September 1939 wir nach 80 Jahren hierzulande friedlich verlaufener Zeit erinnern, haben mehr als 60 Millionen Menschen ihr Leben verloren. Oder waren es 65 Millionen, waren es noch mehr, waren es einige weniger? Wir können sie nicht zählen. Wir wissen es so wenig, wie wir die genaue Zahl der 65 000 sowjetischen Kriegsgefangenen hier kennen, die hier unter der Erde liegen. Ein Teil der geschätzt 3,3 Millionen – geschätzt!, dieses absurde Wort – 3,3 Millionen von 5,7 Millionen sowjetischen Soldaten, die die Gefangenschaft nicht überlebten. Nur wenige, auf Einzelgräbern vermerkt in kyrillischen Lettern: Konstantin, Wasili, Dimitri, Wladimir, Michael, Maksim, Pawel, Pjiotr, Igor und Ivan, Anastasia – Frauen auch, Mädchen, Maria, Nina, Irina, Galina, Vera, Anna und so weiter, oder schlicht nur: unbekannter Soldat.

Heinrich Heine:

Ist das Leben des Individuums nicht vielleicht eben so viel wert wie das des ganzen Geschlechtes? Denn jeder einzelne Mensch ist schon eine Welt, die mit ihm geboren wird und mit ihm stirbt, unter jedem Grabstein liegt eine Weltgeschichte“.

Jede und jeder der Genannten hatte zu Hause im fernen Russland Familie, Eltern Großeltern, Geschwister, vielleicht sogar Kinder: zum Leid der hier Umgekommenen kam das Leiden von Angehörigen Freundinnen und Freunden.

Persönlich: Als am 4. August 1943 mein Vater – kurz zuvor von der West- an die Ostfront versetzt – bei den Panzerschlachten im Kursker Bogen bei Tomarowka fiel, hatte er am Vorabend die Nachricht von der Geburt seines jüngsten Sohnes erhalten – die erste Nachricht von seinem Tod in den folgenden Morgenstunden erreichte unsere Familie in Form eines Briefes, auf dem seine Feldpostnummer durchgestrichen und durch den Vermerk ersetzt war und durch den Vermerk ersetzt war: „An Absender zurück – gefallen für Großdeutschland“.

Ich hoffe, dass dieser Wahn endet.

Aber immerhin war das noch ein Brief, dem folgte die offizielle Todesmeldung – über die Mehrzahl der hier Verscharrten wird es vermutlich nie eine Nachricht an die Hinterbliebenen gegeben haben.

Wenige Monate bevor mein Vater starb, war er zum letzten Mal bei uns auf dem kleinen Bauernhof oben in Schleswig-Holstein. Unvergesslich für mich, sein Eintreten bei uns in die Bauernküche. Nach wenigen Sätzen der Satz zu meiner Mutter: „mein Kind, wir haben den Krieg verloren“, und kurz darauf, von meiner Mutter später vielfach zitiert:

wir könnten nach allem, was von der deutschen Wehrmacht im Osten (Becker wendet sich zum russischen Generalkonsul um; Anmerkung C.S,) - in Ihrem Land- angerichtet worden sei, von Glück sagen, wenn bei der Kriegsniederlage auch nur einer von der Familie überlebte.

Auf unserem Hof da waren damals wie bei den übrigen Bauern im Dorf Kriegsgefangene – Dubois aus Frankreich und aus der Sowjetunion Anton. Die wehrfähigen Männer waren ja überwiegend „im Feld“ - wie es hießt-, an einer der vielen Fronten des 3. Reiches, die anfallenden Arbeiten, auch in der Landwirtschaft, wurden überwiegend von Frauen gemacht, von Frauen auch angeleitet. In den ersten Kriegsjahren hatte es noch an Hilfskräften gemangelt – erst das Scheitern des geplanten „Blitzkrieges“, des Krieges gegen Russland, bewirkte, dass sowjetische Kriegsgefangene, die bis dahin verhungerten in Lagern, erschlagen, umgebracht wurden, „durch Arbeit vernichtet“, nach dem Führerbefehl vom 31. Oktober 1941 notdürftig verpflegt und in Industrie, Landwirtschaft, Verkehrswesen usw. eingesetzt wurden. Als Ersatz für die fehlenden Jugendlichen und Männer – überhaupt Arbeitskräfte in Deutschland.

Bleibende Erinnerung aus dieser Zeit für mich: das Schuldbewusstsein von den Ereignissen, den Erlebnissen in der Sowjetunion, geschockten Vaters, sein Schuldbewusstsein. Das Schuldbewusstsein des hochrangigen deutschen Offiziers einerseits, und andererseits der sowjetische Kriegsgefangene Anton, der fern seiner Heimat für den Gegner seines Landes arbeiten musste.

Noch ein Vorfall aus dem Dorf. Die Kleinigkeiten machen vor allem für die Jugendlichen - ich freue mich, dass so viele hier sind – klarer was war. Nach dem Tod meines Vaters im August 1943 ein Vorfall, der unser Dorf beschäftigt hat bis zum Ableben meiner Mutter 1978: Da hatte meine Mutter hatte zu später Stunde, weil Anton nicht zurückkam auf den Hof, auf der Suche nach ihm – sie vermutete erst eine Verabredung mit anderen Gefangenen im Dorf – da nahm sie wahr, dass Angehörige der NSDAP-Ortsgruppenleitung – ich könnte die Namen hier nennen -, stark angetrunken, in einem abgelegenen Schuppen mehrere sowjetische Kriegsgefangene mit Holzlatten zusammenschlugen. Meine Mutter war dazwischen gegangen.

Folge: sie wurde an einem der nächsten Tage von der Gestapo abgeholt und nach Rendsburg geschafft; kam aber nach drei Tagen zurück. Berichtete, sie sei von einem Offizier verhört worden, der zum einen berücksichtigte, dass ihr Mann – unser Vater - kurz zuvor an der Ostfront gefallen war, zum anderen ihrem Argument nicht widersprechen konnte, dass durch die Misshandlung von Kriegsgefangenen, sowjetischen Kriegsgefangenen vor allem, die Versorgung an den Fronten verschlechtert werde.

Zudem habe sie, wie ihr Mann an der Front, auf die Haager Landkriegsordnung“ - missachtet wurde, auch von der Führung der deutschen Wehrmacht, dass ist Jahrzehnte bestritten worden. Aber es ist die Unwahrheit, wenn es bestritten wird.Sie hatte hingewiesen auf die Haager Landkriegsordnung und die „Genfer Konvention“, nach der „kriegsgefangen“ bedeutet, einen völkerrechtlichen Status, der auch für das Deutschland des 3. Reiches gelte. Sie hatte Glück damals – der Gestapo-Offizier orientierte sich nicht an Generalfeldmarschall Wilhelm Keitel, der die völkerrechtlichen Vereinbarungen für Soldaten der Roten Armee nicht gelten ließ – wörtlich Keitel damals, immerhin ein Generalfeldmarschall:

„Die Bedenken entsprechen den soldatischen Auffassungen vom ritterlichen Krieg! Hier handelt es sich um die Vernichtung einer Weltanschauung!“ Vernichtung einer Weltanschauung!

27 Millionen Tote allein auf russischer Seite. 60 oder 65 europa- und weltweit. Die Äußerungen von Keitel wurden auf Anweisung der für unsere Gegend zuständigen Gestapo - auch im Hinblick der Entwicklung auch an den Fronten – zum Glück nicht mehr umgesetzt. Es gab seitdem keine Vorfälle der geschilderten Art mehr. Anton konnte unversehrt zurückkehren in seine Heimat. Allerdings – auch das wurde vorhin schon erwähnt – verunsichert, weil er befürchtete wegen seiner Arbeit in Deutschland missachtet oder bestraft zu werden. Oder gar kein Zuhause mehr vorzufinden. Sondern stattdessen verbrannte Erde.

Erst viele Jahre nach dem Krieg erfuhren wir, dass die sowjetischen Kriegsgefangenen nach der jüdischen Bevölkerung die zweitgrößte Opfergruppe nationalsozialistischer Vernichtungspolitik darstellen. Ich verdanke – ich habe den Namen schon erwähnt – weiteren Einblick vor allen Dingen Arno Klönne und seinem Paderborner – einige sind hier - Freundeskreis dem Hamburger Historiker Hannes Heer, der mich an der Eröffnung seiner Ausstellung »Vernichtungskrieg. Verbrechen der Wehrmacht 1941–1945« beteiligte. Ich denke, seitdem und durch zahlreiche weitere Untersuchungen und Publikationen, durch Gedenkveranstaltungen, wie hier, durch Kundgebungen, Aufrufe, Demonstrationen, auch persönliche Begegnungen, wissen viele von uns – hier wahrscheinlich alle – was wirklich geschah. Aber immer noch zu wenige unter den Schülern und Jugendlichen. Deshalb meine Freude, dass ihr hier seid. Die Jahre des organisierten Vergessens – ich weiß wovon ich spreche, bis ja Kind dieser Jahre - , des organisierten Vergessens in der Nachkriegszeit und in den ersten zwei Jahrzehnten der Bundesrepublik wirken nach bis ins Heute. Heute wissen wir, schon vor Kriegsbeginn im sogenannten „Hungerplan“ – wörtlich zitiert – der Massentod sowjetischer Soldaten und Menschen einkalkuliert waren. Wir wissen, dass unteschieden wurde zwischen den arbeitsfähigen Kriegsgefangenen, die am Leben bleiben, den nicht arbeitsfähigen – vor allem der großen Zahl Verwundeter oder Erkrankter, die getötet wurden.

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Wir wissen, dass etwa 140.000 sowjetische Kriegsgefangene als „politisch Untragbare“ zur Ermordung an Sicherheitspolizei und SS übergeben wurden, wissen, dass am 2. Mai 1941 eine Besprechung stattfand, an der Vertreter aus Wehrmacht und Wirtschaft teilnahmen und deren Ergebnis lautete:

"Der Krieg ist nur weiter zu führen, wenn die gesamte Wehrmacht im 3. Kriegsjahr aus Russland ernährt wird. Hierbei werden zweifellos zig Millionen Menschen verhungern, wenn von uns das für uns Notwendige aus dem Lande herausgeholt wird."

Und heute? Mit meinem Anliegen als Konsequenz dessen, was ich seit meiner Kindheit erlebt habe, alles zu tun, um den uns Nachfolgenden Vergleichbares zu ersparen, scheine ich gegenüber meinen Kindern gescheitert zu sein.

Erneut wird gegen Russland und die angeblich aggressive Föderation unter Wladimir Putin seitens Regierung und Medien mobilisiert. Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier vor wenigen Tagen bei der Gedenkveranstaltung zum 80. Jahrestag des Beginns des Zweiten Weltkriegs in Warschau:

Wir alle blicken an diesem Jahrestag mit Dankbarkeit auf Amerika. Die Macht seiner Armeen hat – gemeinsam mit den Verbündeten im Westen und im Osten – den Nationalsozialismus niedergerungen. Und die Macht von Amerikas Ideen und Werten, seine Weitsicht, seine Großzügigkeit haben diesem Kontinent eine andere, eine bessere Zukunft eröffnet. Herr Vizepräsident, das ist die Größe Amerikas, die wir Europäer bewundern und der wir verbunden sind.“

Kein Wort über Russland oder die Sowjetunion, zur unumstößlichen Tatsache, dass es die Rote Armee war, deren Opfern wir hier gedenken, die den kriegsentscheidenden Beitrag zur Niederschlagung des deutschen Faschismus geleistet hat. Stattdessen die Bekräftigung der "transatlantischen Freundschaft", mit einer Nato, die erneut zum Angriff auf Russland und China rüstet, auf alle Länder, die auf ihrer Unabhängigkeit bestehen.

Oder geht es vielleicht der vom Bundespräsidenten gepriesenen US-Regierung zur Sicherung ihrer Wirtschaft um die Ausschaltung eines ihrer beiden größten Konkurrenten, China und Europa? Ein Krieg gegen Russland würde hier bei uns ausgetragen werden. Die möglichen Folgen fürchten nicht nur wir, auch namhafte Vertreter konservativer Politik wie Willy Wimmer, vor Jahren verteidigungspolitischer Sprecher der CDU/CSU.

Der Ausweg - ich weiß ihn so wenig wie Ihr, kann nur einige Überlegungen aufgrund meiner Arbeit im Kreis politisch aktiver KollegInnen in Betrieben und Gewerkschaften beitragen.

  1. Grundlage kapitalistischer Herrschaft: die Konkurrenz der Arbeitenden unter sich. Ohne sie könnten die Herrschenden nicht herrschen.

Diese Konkurrenz untereinander gilt es zu überwinden, wenn wir aus der gegenwärtigen Entwicklung in unseren Ländern einen Ausweg finden wollen.

Mit Bertolt Brecht:

Die große Wahrheit unseres Zeitalters (mit deren Erkenntnis noch nicht gedient ist, ohne deren Erkenntnis aber keine andere Wahrheit von Belang gefunden werden kann) ist es, dass unser Erdteil in Barbarei versinkt, weil die Eigentumsverhältnisse an den Produktionsmitteln mit Gewalt festgehalten werden. Was nützt es da, etwas Mutiges zu schreiben, aus dem hervorgeht, dass der Zustand, in den wir versinken, ein barbarischer ist (was wahr ist), wenn nicht klar ist, warum wir in diesen Zustand geraten? Wir müssen sagen, dass gefoltert wird, weil die Eigentumsverhältnisse bleiben sollen. Freilich, wenn wir dies sagen, verlieren wir viele Freunde, die gegen das Foltern sind, weil sie glauben, die Eigentumsverhältnisse könnten auch ohne Foltern aufrechterhalten bleiben (was unwahr ist). Wir müssen die Wahrheit über die barbarischen Zustände in unserem Land sagen, dass das getan werden kann, was sie zum Verschwinden bringt, nämlich das, wodurch die Eigentumsverhältnisse geändert werden.“

Aus: „Fünf Schwierigkeiten beim Schreiben der Wahrheit“, 19335

  1. Kleinarbeit! Eine Aussage wird nur zur Wahrheit, wenn wir für sie eintreten, uns beteiligen an Konflikten, im Lande oder außerhalb: in der Flüchtlingsfrage (die Toten im Mittelmeer), bei Streiks, beim Wohnungsproblem, sozialer Versorgung, Gesundheitswesen, Umwelt, und, und, und… vor allem am Widerstand gegen fortschreitende Aufrüstung und Rüstungsexporte, jeden Ansatz von Nationalismus, Rassismus und Faschismus –

  2. Mit Erich Fried:

Nur eines weiß ich:
Morgen wird keiner von uns leben bleiben
wenn wir heute wieder nichts tun“

Und Maxim Gorki:

"Die Kinder gehen in die Welt – über die ganze Erde, alle, von überall her, demselben Ziel entgegen.

Sie ziehen aus, um die Lüge zu zertreten, das soziale Leid zu besiegen, das Elend dieser Erde zu beseitigen.

Sie entzünden eine neue Sonne, hat mir einer gesagt, und das werden sie tun.

Die Erde hat sie geboren und das Leben will ihren Sieg. In Wahrheit seid Ihr alle Genossen, alle, denn alle seid Ihr Kinder einer Mutter – der Wahrheit."

Redaktioneller Hinweis: Meiner Meinung nach ist Rolf Beckers Ansprache von hoher Wichtigkeit. Aus diesem Grund habe ich dessen Rede hier (in Absprache mit dem Schauspieler) in voller Länge dokumentiert.

Hier finden Sie diesen Artikel von mir bebildert.

Dieser Beitrag gibt die Meinung des Autors wieder, nicht notwendigerweise die der Redaktion des Freitag.
Geschrieben von

asansörpress35

Politischer Mensch, der seit der Schulzeit getrieben ist, schreibend dem Sinn des Lebens auf die Spur zu kommen.

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